MAGAZIN MUSEUM.DE Nr. 23

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MAGAZIN MUSEUM.DE Ausgabe 23 12 | 2015 http://www.museum.de LWL-Industriemuseum TextilWerk Bocholt

Brückenbauer.

Brücken verbinden Menschen. Sie zu überqueren ist besonders dann interessant, wenn sich auf der gegenüber liegenden Seite unentdecktes Neuland befindet. Die Direktorin des Gustav-Lübcke-Museums in Hamm – Frau Dr. Friederike Daugelat – hat quasi zwei ganz unterschiedliche Welten mit Solewasser verbunden.

Bis zum 20. März ist im Museum die große Sonderausstellung „Sehnsucht Finnland“ zu sehen. Einige Kunstwerke mit Saunamotiven aus Finnland brachten die Museumsleiterin auf die Idee, der MAXIMARE Erlebnistherme Bad Hamm eine Kooperation vorzuschlagen. Zusammen mit Herrn Fecke, dem Marketingexperten der Therme, konnte das Konzept über kurze Wege in die Praxis umgesetzt werden. Im Eintrittspreis für Paare ist jeweils ein Gutschein enthalten, mit

dem sich der Preis für den Eintritt beim Kooperationspartner halbiert. Es gibt vielerorts Kombi-Museumskarten, die den ermäßigtem Eintritt mehrerer Museen ermöglichen. Ob man solche Tickets eventuell um Partner erweitern sollte, die auf den ersten Blick kulturfern erscheinen?

In Hamm entspannt der verkopfte Museumsgänger seinen Körper in der Sole und der Sportsfreund begibt sich ins Fahrwasser der Kultur. Die Kombination aus Kultur und Sport ist doch mal etwas anderes als der Hinweis auf Kaffee und Kuchen. Sicherlich eröffnen sich noch ganz andere interessante Kooperationsmöglichkeiten zwischen Museen und Einrichtungen, die auf den ersten Blick scheinbar wenig miteinander zu tun haben.

Das Fazit von meinen Besuch in Hamm: Eine erfrischende Ausstellung, ein erfrischendes Thermalbad, erfrischend kreative Menschen, ein erfrischender Tag!

Herzlichst, Ihr Uwe Strauch

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MAGAZIN MUSEUM.DE Ausgabe Nr. 23 Herausgeber Bahnhofstr. 4 Telefon 02801-9882072 museum@mailmuseum.de Druck: Strube Druck & Medien Dezember 2015 Uwe Strauch, Dipl.-Inf. TU 46509 Xanten Telefax 02801-9882073 www.museum.de
Rhein-Ruhr
Museumsfabrik:
TextilWerk
Vers.: Dialogzentrum
Titelseite: Faszination
Erlebniswelt LWL Bocholt. Foto: © Uwe Strauch .
In diesem Heft Seite Deutsches Technikmuseum 3 Gustav-Lübcke-Museum Hamm 12 Bomann-Museum Celle 26 Das Fugger und Welser Erlebnismuseum 38 Museum der Universität Tübingen 46 Städtischen Galerie Rosenheim 54 Alte Synagoge Erfurt 58 Erlebniswelt HAUS MEISSEN 66 Kloster Jerichow 78 DB Museum 84 LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen 92 Die Museen in Weil am Rhein 98 Oldenburger Augusteum 112 Kinderaudioguide in Aschaffenburg 128 Kloster St. Johann in Müstair 144 LWL-TextilWerk Bocholt 158
Mitte: Dr. Friederike Daugelat (Direktorin Gustav-Lübcke-Museum Hamm), Rechts: Christian Fecke (Marketing/PR Maximare Erlebnistherme Bad Hamm GmbH), Links: Uwe Strauch (Gründer museum.de).

Deutsches Technikmuseum –

LED in allen Bereichen

Autor: Dr.-Ing. Wolfgang

Das Deutsche Technikmuseum in Berlin lädt ein zu einer erlebnisreichen Entdeckungsreise durch die Kulturgeschichte der Technik. Gegenwärtig präsentieren 14 Abteilungen auf rund 26.500 m² Ausstellungsfläche ihre Exponate. In den Dauerausstellungen wird die Kulturgeschichte der Verkehrs-, Kommunikations-, Produktions- und Energietechnik lebendig und nachvollziehbar. Jährliche Besucherzahlen von weit über 600.000 zeigen die hohe Attraktivität des breitgefächerten Angebots.

Der Rosinenbomber vom Typ Douglas C-47 B Skytrain – immer wieder neu aus verschiedenen Perspektiven fotografiert –schwebt über der Terrasse des Neubaus und ist zum Wahrzeichen des Deutschen Technikmuseums geworden. In der Aus-

stellung „Vom Ballon zur Luftbrücke“ kann der Traum vom Fliegen auf ca. 6.000 m² nachvollzogen werden. Die wesentlichen Entwicklungen und Ereignisse aus 200 Jahren deutscher Luftfahrtgeschichte sind zu besichtigen. Die Binnen- und Hochseeschifffahrt wird in der Ausstellung „Lebenswelt Schiff“ thematisiert und im historischen Lokschuppen können 40 Schienenfahrzeuge in Originalgröße betrachtet und teilweise auch bestiegen werden. In den Dauerausstellungen ist der ganze Querschnitt der Technik zu finden: der erste Computer der Welt, vorführbereite Webstühle, funktionierende Werkzeugmaschinen, zahlreiche Radio-, Foto- und Filmkameras, Dieselmotoren und Dampfmaschinen, wissenschaftliche Instrumente, Papiermaschinen, Druckpressen und vieles mehr.

Die Vorgeschichte

Die Gründung als „Museum für Verkehr und Technik“ erfolgte im Jahr 1982, die Eröffnung des Museums am jetzigen Standort mit 1700 m² Ausstellungsfläche fand am 14.12.1983 statt. Die Sammlung des Museums setzte sich zusammen aus hundert technischen Sammlungen, die in Berlin seit dem 16. Jh. bis zum Zweiten Weltkrieg bestanden. Im Laufe der Jahre wurden weitere Sammlungen übernommen und die Ausstellungsfläche erweitert. Ein weiterer wichtiger Schritt war die Entscheidung für einen Neubau: die Grundsteinlegung erfolgte 1996, und 1999 wurde das Richtfest gefeiert mit der Einbringung einer Ju 52 in das Gebäude und der Aufhängung des schon erwähnten Rosinenbombers an der Fassade. Die Schlüs-

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Rosinenbomber als Wahrzeichen des Technikmuseums mit dem Hinweis auf die neuen Ausstellungen: Das Netz und Zuckermuseum

selübergabe für den Neubau mit 12.000 m² Ausstellungsfläche erfolgte 2001 an die nun neu gegründete „Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin“, eine Stiftung öffentlichen Rechts.

Die architektonische Gestaltung des Neubaus des Technikmuseums ist stark durch das „Sichtbarmachen“ der Primärkonstruktion geprägt. Ein Großteil des Gebäudes blieb unverputzt, die Konstruktion ermöglicht die Sicht auf die Stahlkonstruktion und die Installationsführung. Der Bau ist nach den damals neuesten Erkenntnissen der Methoden der Energieoptimierung konzipiert. Mehrere Forschungsinstitute erarbeiteten die Kriterien für die gesamte Haustechnik, insbesondere die Klima- und Lichttechnik. Innovative gebäudeintegrierte Systeme sorgen für die Nutzung der Sonnenenergie und die Versorgung mit Tageslicht.

Schon damals wurde von der Prämisse ausgegangen, daß ein großer Teil des Energieverbrauchs in Museen der Beleuchtung zuzuschreiben ist. Im Neubau des Technikmuseums sollten alle Exponate möglichst genau ausgeleuchtet werden, um den Besuchern jedes Detail nahe zu bringen. Es wurde daher ein Beleuchtungskonzept entwickelt, das ein Minimum an Kunstlichtbeleuchtung als Zielstellung hatte, um Energie zu sparen. Die Kunstlichtbeleuchtung wurde durch eine bestmögliche Ausnutzung des Tageslichts ergänzt.

Die Grundbeleuchtung erfolgte „mittels energetisch effizienten Leuchten und Leuchtmitteln“. Darunter verstand man in den 1990er Jahren in der Regel Leuchtstofflampen in Verbindung mit Strahlern, in denen sich kompakte „Energiesparlampen“ befanden. Damit ließ sich zwar ein gleichmäßiges flächiges und wirtschaftliches Licht erzielen, eine scharfe Akzentuierung ist jedoch aufgrund der Bauformen mit Kompaktlampen-Strahlern nicht möglich. Auch genügen die Farbwiedergabe-Eigenschaften oft nicht den heutigen Ansprüchen.

Das Deutsche Technikmuseum hat sich daher entschlossen, das gesamte Haus nach und nach auf eine zeitgemäße LED-Beleuchtung umzustellen. Diese Umstellung steht kurz vor dem Abschluss: Neubau, Altbau, Lokschuppen und die neue Ausstellung „Das Netz“ in der Ladestrasse sind neu ausgeleuchtet mit LED-Strahlern.

Nach einer europaweiten Ausschreibung

und umfangreichen Bemusterungen hat man sich für LED-Strahler von ERCO entschieden. Für die meisten Ausstellungsflächen kamen Optec-Strahler zum Einsatz, in Teilbereichen auch Strahler aus der Parscan-Familie. Das Konzept beider Strahlerfamilien beinhaltet unterschiedlich große Lichtstrompakete, die sich sowohl für Akzentbeleuchtung über weite Distanzen als auch zur intensiven Beleuchtung von großflächigen Objekten eignen. Für die gesamte neue Ausstellungsbeleuchtung wurden die Leistungsstufen der LED-Strahler von 4 bis 48W ausgenutzt.

Die innovative Projektionstechnik der LED-Strahler verfügt über einen höheren Wirkungsgrad und mehr Präzision als konventionelle Lichttechnik mit Reflektoren. Durch den Einsatz hochwertiger optischer Polymere werden die Transmissionsverluste auf das geringstmögliche Maß begrenzt. Durch das werkzeuglose Wechseln der jeweiligen Spherolitlinsen werden dann die notwendigen Lichtstärkeverteilungen Narrow Spot, Spot, Flood, Wide Flood und Oval Flood erzeugt. Im folgenden werden die Anwendungen in ausgewählten Ausstellungsbereichen gezeigt.

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Der erste Computer Parscan LED 48W Optec LED 12W Leuchtenfamilien: Optec und Parscan

Luft- und Raumfahrt: Vom Ballon zur Luftbrücke

Fliegen zählt zu den großen Sehnsüchten der Menschheit. Mit der Erfindung von Luftfahrzeugen wurde dieser Traum Wirklichkeit. Die Ausstellung „Vom Ballon zur Luftbrücke“ zeigt auf über 6.000 m² wesentliche Entwicklungen und Ereignisse aus rund 200 Jahren deutscher Luftfahrt. Im Mittelpunkt der Präsentation stehen sowohl die technischen als auch die kultur- und sozialhistorischen Aspekte der Luftgeschichte. Die über 40 Flugzeuge und Großobjekte stehen nicht nur für eine technische Entwicklung, sondern

auch für ihre vielfältigen Einsatzbereiche und die Schicksale der Menschen, die mit ihnen arbeiten oder auf andere Weise in Berührung kamen.

Prägendes Element der Ausstellungsarchitektur sind Inseln von bis zu 250 m² Größe, auf denen Flugzeuge mit Kleinobjekten, Texten und audiovisuellen Medien eine thematische Einheit bilden. Hier kommen die verschiedenen Lichtkegel der LED-Leuchten zur Anwendung und schaffen Differenzierung. Am Beispiel der NC2 Martinet ist zu sehen, daß die Flugzeuge aus großer Höhe gezielt angestrahlt werden können.

Das Flugzeug mit der größten Spannweite von fast 30m in der Ausstellung ist die legendäre Junkers Ju 52, besser bekannt als „Tante Ju“. Die Struktur der Außenhaut der „Hans Kirschstein“ hat durch den gerichteten Lichteinfall eine große Plastizität bekommen. Dies wurde realisiert mit Parscan-Strahlern mit einer LED-Leistung von 48W. Die Strahler sind in das Deckenbild integriert. Ferner sind die „alten“, aber ausgeschalteten Strahler zu erkennen, mit denen lediglich ein flächiges Licht realisiert werden konnte.

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Tante Ju

Lebenswelt Schiff

Wer denkt bei Schiffen nicht an Freiheit und Abenteuer, Sehnsüchte oder sogar Gefahren und Ängste? Seit jeher üben Schiffe eine große Faszination auf den Menschen aus. Schiffe transportieren schon immer Güter und Gedanken über die offene See bis ins Landesinnere. Auf den bedrohlichen Weltmeeren bedeuten sie für den Seefahrer auch Geborgenheit.

Die Schifffahrtsgeschichte präsentiert sich auf zwei Etagen und einem Galeriegeschoss auf einer Gesamtausstellungsfläche von über 6.600 m² mit über 1100

Exponaten. Die Ausstellung gliedert sich in abgeschlossene Module, in denen jeweils ein Thema erörtert wird. Die Module verweisen aufeinander und fügen sich zu einem inhaltlichen Ganzen zusammen.

Als Modulbeispiel aus der Schifffahrtsausstellung ist hier die Mitmach-Station zu sehen. Die Wand mit der Erklärung der Seemannsknoten wird vertikal gleichmäßig ausgeleuchtet und die Segelboote zum „Trockensegeln“ werden einzeln als Lichtinseln akzentuiert. Durch den Einsatz von präzisen LED-Strahlern ist es möglich, aktivierende Hell-Dunkel-Zonen zu schaffen.

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NC 702 „Martinet“ Unten: Mitmach-Station

Elektropolis Berlin

Nach einer umfassenden Modernisierung und Renovierung wurde 2015 auch die Ausstellung zur Geschichte der Nachrichtentechnik und der Elektroindustrie unter dem Namen „Elektropolis Berlin“ neu eröffnet. Auf rund 300 m² zeigt die Ausstellung repräsentative Objekte aus der Entwicklungsgeschichte der Nachrichtentechnik. Sie führt durch die Bereiche Telegrafie, Telefonie, Funk, Rundfunk, Tonaufzeichnung und –wiedergabe und Fernsehen. Nicht die Vermittlung der technischen Funktionen der Objekte stand bei der Überarbeitung im Vordergrund, sondern vielmehr ist der Fokus auf die Verknüpfung des Standortes Berlin mit den einzelnen Objekten gerichtet.

Neben vielen Vitrinen ist auch ein SchwarzWeiß-Studio von 1958 aufgebaut. Linker Hand kann eine Komet-Fernsehtruhe der Firma Kuba (Imperial) aus den 1960er Jahren bewundert werden, beworben als „hochmodernes Fernseh- und Wohnvergnügen.“ Mit nur wenigen LED-Strahler ergibt sich ein stimmiges Raumbild.

Textiltechnik

Die Ausstellung Textiltechnik handelt von textilen Strukturen und Materialien, von Technik und Kunst, von Maschinen, Produkten und Menschen. Die Materialien sind traditionell, aber auch High Tech: Draht, Plastik, Kohlenstoff- und Glasfaser.

Als Beleuchtungsbeispiel aus diesem Bereich ist die Seidenblumen-Herstellung zu sehen. Vor der hinterleuchteten Schautafel mit den Seidenblumen befinden sich eine Spindelpresse und Fußknebelmaschine zum Prägen sowie eine Stanze zum Ausschneiden von Seidenblumen. In dem hohen Schrank daneben befinden sich die Produkte der ehemaligen zahlreichen Berliner Seidenblumenfabriken. Mit jeweils nur einem LED-Strahler mit einer Oval Flood-Linse werden alle drei Vorrichtungen sowie der senkrechte Schrank ausgeleuchtet.

Pillen und Pipetten

Wohl kaum ein Industriezweig hat die moderne Gesellschaft weitreichender geprägt als die Chemie- und Pharmaindustrie. Vor dem Hintergrund der Geschichte des Berliner Unternehmens Schering werden in der Ausstellung „Pillen und Pipetten“ die Arbeitstechniken eines Labors erklärt,

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so sind Arbeitsmittel von der Glaspipette bis zum modernen Pipettierroboter zu sehen. Der Besucher lernt die chemische Produktvielfalt sowie die Grundlagen der pharmazeutischen Industrie kennen. Die eingesetzten LED-Leuchten bringen den gewünschten Farbkontrast gut zur Geltung und unterstützen damit die Differenzierung der verschiedenen Raumzonen.

Lokschuppen: Schienenfahrzeuge

Das Deutsche Technikmuseum hat seinen Standort auf dem historischen Gelände des Anhalter Güterbahnhofs und Bahnbetriebswerks. Deshalb ist seine Eisenbahnausstellung in den beiden Halbrundschuppen mit zwei Drehscheiben besonders umfangreich. Die Ausstellung ist in zeitlicher Reihenfolge in 33 „Stationen der Eisenbahngeschichte“ gegliedert. Bedeutsamen Jahreszahlen folgend, wandern die Besucher durch die Zeiten von den Anfängen der Eisenbahn bis zum heutigen Tag.

Im Verbindungsgang zum Lokschuppen werden Zweiräder ausgestellt. LED-Strahler integrieren sich in die Architektur und beleuchten sowohl die Exponate als auch spotförmig die Informationstafeln. Durch

die Wahl der engen Lichtkegel wird eine Dramaturgie mit hohen Kontrasten geschaffen.

Im Lokschuppen selbst waren zwei große Herausforderungen hinsichtlich der Beleuchtung zu meistern. Wie beleuchtet man schwarze Lokomotiven, wo schwarz doch kaum einen Reflexionsgrad aufweist? Und wie verbindet man die histo-

rische Anmutung des Lokschuppens mit moderner LED-Beleuchtung?

Die Lösung des Problems besteht aus zwei Teilen: Erstens kann man sich andersfarbige Details suchen, die dann speziell angestrahlt werden, wie hier die roten Flächen auf der Lokomotive und die Tafeln mit den Jahreszahlen. Und man kann Streiflicht auf dunkle, glänzende Flächen bringen.

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Verbindungsgang zum Lokschuppen

Da es bei den heutigen Leistungsvermögen der LED-Strahler kein Problem ist, auch große Entfernungen zu überbrü-

cken, wurden die Strahler in die Deckenkonstruktion integriert. Sie bilden zusammen mit den historischen Leuchten

eine Einheit. Die leuchtenden Flächen der historischen Leuchten sind als Lichtpunkte im Raum sichtbar, während die LED-Leuchten aufgrund ihrer guten Blendungsbegrenzung und ihrer Ausstrahlung ohne Streulicht quasi verschwinden.

Für die differenzierte Beleuchtung der oben beschriebenen Details wurden senkrechte Stromschienen an der Hallenkonstruktion befestigt. Mit den daran befestigten teilweise hochwattigen LED-Strahlern kann dann aus großer Höhe das Streiflicht auch auf dunklen Flächen erzeugt werden, ohne daß die Leuchten sich im Gesichtsfeld des Besuchers befinden und blenden.

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Das Netz – Menschen, Kabel, Datenströme

Wie funktionieren Netze? Wie verändern sie unseren Alltag? Auf 1.600 m² gibt die neue Dauerausstellung „Das Netz“ Einblick in die Welten von Kommunikations- und Informationsnetzen. Sie macht Technik, Anwendungen und Auswirkungen dieser Netze sichtbar. Den Ausstellungsbesuch begleiten Fragen nach den Chancen, die Netze uns bieten, und den Herausforderungen, die sie an uns stellen. Ausgehend vom Internet als „Netz der Netze“ machen Objekte, interaktive Stationen und Medien die Vernetzung der letzten zweihundert Jahre erlebbar.

Die Ausstellung befindet sich in den sanierten östlichen Lagerhallen des ehemaligen Anhalter Güterbahnhofs. In die luftige Hallenarchitektur wurde ein Stromschienensystem integriert, LED-Strahler mit den werkzeuglos wechselbaren Optiken reagieren auf die vielfältige und bunte Ausstellungsarchitektur.

Die Ausstellung stellt natürlich auch die Frage aller Fragen, die uns immer wieder beschäftigt: Who controls our data?

Fazit

Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung wurde nahezu das gesamte Technikmuseum auf eine wirtschaftliche LED-Beleuchtung umgerüstet. Rund 2.000 LED-Strahler beleuchten den ganzen Querschnitt der Technik und sind universell im ganzen

Haus einsetzbar. Die Stromkosten sind stark reduziert und aufgrund der langen Lebensdauer von 50.000 Stunden brauchen in nächster Zeit auch keine Leuchtmittel mehr gewechselt werden. Das Deutsche Technikmuseum ist gut für die Zukunft gerüstet!

Weitere Informationen zum Projekt und zu den eingesetzten Produkten sind unter www.erco.com oder unter der nachfolgenden Adresse erhältlich:

Dr.-Ing. Wolfgang Roddewig

Leiter Segment Museum

ERCO Leuchten GmbH

Reichenberger Str. 113a, 10999 Berlin email w.roddewig@erco.com

Projektfotos: Dirk Vogel für ERCO GmbH

Leuchtenfotos: ERCO GmbH

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Hugo Simberg: Tanz auf dem Anleger, Öl / Stoff, 1903. Foto: © Gösta Serlachius Fine Arts Foundation.

„Sehnsucht Finnland“ im Gustav-Lübcke-Museum Hamm

Große Sonderausstellung zu finnischer Kunst als Krönung des Neueröffnungsjahrs

Autorin: Dr. Friederike Daugelat

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Foto: © FeußnerFotografie Hamm
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70 skandinavische Meisterwerke aus der Zeit um 1900 sind vom 18. Oktober 2015 bis zum 20. März 2016 in Hamm zu sehen – denn mit der großen Sonderausstellung „Sehnsucht Finnland“ krönt das Gustav-Lübcke-Museum sein Wiedereröffnungsjahr 2015. Nach der Neueinrichtung sämtlicher Dauerausstellungen feiert das Museum nun zum Abschluss eine Deutschland-Premiere: Die international renommierte Gösta Serlachius Kunststiftung aus dem mittelfinnischen Mänttä ist bekannt für ihre exquisite Sammlung von Bildern aus dem „Goldenen Zeitalter“ finnischer Malerei und stellt diese Schätze nun das erste Mal in der Bundesrepublik aus. In Finnland sind die Gemälde aus der Epoche zwischen 1880 und 1920 so berühmt, dass sie dort als Nationalschatz gelten, jetzt gehen sie geschlossen auf Reisen – eine absolute Ausnahme. „Wir sind stolz, diese bedeutende Kollektion bei uns zeigen zu können“, sagt die Hammer Museumsdirektorin Dr. Friederike Daugelat. „Wir können Besuchern aus ganz Deutschland damit eine hochkarätige Sonderausstellung bieten, für die sich auch eine weitere Anreise lohnt.“

Linke Seite:

Oben: Karl Nordström: Der Hafen von Kyrkesund, Öl / Leinwand, 1913. Fotos: © Uwe Strauch

Unten: Bruno Liljefors: Rennender Hase, Öl / Leinwand, 1892

Rechte Seite:

Oben: Blick in die Ausstellung, vorn: Nils Kreuger: Austernfischer in der Bretagne, Öl / Leinwand, 1886

Unten: Akseli Gallen-Kallela: Matti, der Luchsjäger, Öl / Leinwand, 1905

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Oben: Akseli Gallen-Kallela: Ruderer auf dem Weg zur Küste, Öl / Leinwand, 1891. Foto: © Gösta Serlachius Fine Arts Foundation.

Unten: Akseli Gallen-Kallela: Landschaft in Kuhmo, Öl / Leinwand, 1890. Foto: © Uwe Strauch

Rechts: Blick in die Ausstellung. Foto: © Uwe Strauch

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„In der Regel geben wir nur einige wenige Werke in Sonderausstellungen anderer Häuser“, unterstreicht auch Pauli Sivonen, Direktor der Serlachius-Museen, die Relevanz der Schau. „Dass wir den Kernbestand unserer Sammlung in so großem Umfang im Ausland zeigen, ist für uns ebenfalls etwas ganz Besonderes.“ Erst zweimal war die Gösta Serlachius Kunststiftung mit einer ähnlich großen Stückzahl an Bildern in anderen Museen zu Gast – nach Paris und Stockholm ist Hamm die

erste deutsche Station der Werke von Malern wie Akseli Gallen-Kallela, Hugo Simberg, Albert Edelfelt, Pekka Halonen, Victor Westerholm oder Helene Schjerfbeck.

Über 30 verschiedene Maler sind in der Schau vertreten, die damit ein breites Panorama der finnischen Kunst von der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert zeichnet. Die Bilder dieser Künstler sind deshalb in Finnland so bekannt, da die Maler mit ihren Werken die dort aufkommende Nati-

onalbewegung unterstützten. Durch die Ansichten von blauen Seen, hohen Himmeln und tiefen Wäldern gaben sie ihrer Heimat, die 700 Jahre unter schwedischer und 100 Jahre unter russischer Fremdherrschaft stand, erstmals ein Gesicht und damit eine eigene Identität. Die Kunst hatte also auch eine politische Funktion, und die Bestrebungen der so genannten „Fennomanen“ wurden von Erfolg gekrönt: 1917 wurde Finnland schließlich unabhängig. Die Gemälde erfreuen sich auch heute

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noch einer so großen Beliebtheit, weil es den Malern augenscheinlich gelungen ist, die Charakteristika ihres Landes einzufangen. „Die weiten Landschaften lösen immer noch eine Sehnsucht nach Norden aus, und die Bilder bieten gleichzeitig echte Neuentdeckungen“, fasst Friederike Daugelat zusammen. „In Skandinavien kennt fast jeder Kunstliebhaber diese Maler und ihre Werke, in Deutschland sind sie noch ein Geheimtipp – aber eine Entdeckung lohnt sich unbedingt.“

Neben den typisch finnischen Landschaften und Seestücken begegnen dem Publikum auch Bilder mit noch ganz im traditionellen Leben verhafteten Menschen, es gibt anrührende Porträts und Darstellungen von Saunagängern, aber auch überraschend moderne Zugänge, die einerseits die aufkommende Industrialisierung in den Blick nehmen, anderer-

seits aber auch schlicht das menschliche Leben feiern. Da die Maler fast alle eine Ausbildung in Paris, damals das Zentrum der Avantgarde, genossen haben, finden sich in den Gemälden auch viele bedeutende Strömungen vom Impressionismus über Realismus und Jugendstil bis zum Symbolismus, oft in eigener nordischer Ausprägung. Die finnischen Künstler knüpften damals internationale Kontakte, etwa zu Edvard Munch oder den Brücke-Malern. Sie waren auf den Weltausstellungen sowie auf Präsentationen in ganz Europa vertreten. In Finnland, Schweden oder Dänemark sind ihre Namen auch jetzt noch in der Kunstszene sehr geläufig und Garanten für hohe Qualität.

Die Ausstellung gliedert sich in elf Stationen. Ein eigener Abschnitt ist dem

bekanntesten finnischen Künstler Akseli Gallen-Kallela gewidmet, der sich durch seine Bilder im Stil der Nationalromantik eine herausragende Stellung in der Kulturgeschichte seines Landes gesichert hat. Daneben können die Besucher in weiße Winterwelten eintauchen, aufstrebenden jungen Künstlerinnen begegnen, die Auswirkungen der Freilichtmalerei kennenlernen oder seltene finnische Stillleben entdecken. Übersichtliche Texte führen in die jeweiligen Kapitel ein, ein kostenloser Audioguide bietet zudem in einem einstündigen Rundgang einen individuellen Zugang zu den Werken.

Oben: Albert Edelfelt: Socken strickendes Mädchen, Öl / Leinwand, 1886. Foto: © Uwe Strauch

Rechts: Akseli Gallen-Kallela: Frühling (Studie), Öl / Leinwand, 1903. Foto: © Gösta Serlachius Fine Arts Foundation.

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5.000 „2 für 1“-Gutscheine für die ersten zahlenden Besucher bei „Sehnsucht Finnland“

Dank der exklusiven Kooperation zwischen dem Maximare und dem Gustav-Lübcke-Museum lohnt sich der schnelle Besuch in der Sonderausstellung „Sehnsucht Finnland“ jetzt besonders: Jeder zahlende Besucher erhält im Museum einen „2 für1“- Saunagutschein des Maximare - solange der Vorrat reicht. Besucher der Ausstellung sollen in den Genuss der abwechslungsreichen Saunalandschaft des Maximare kommen, umgekehrt sind auch die Saunagänger zu einem Ausstellungsbesuch eingeladen. Wie das funktioniert? Sowohl das Museum als auch das Maximare geben an die ersten 5.000 Besucher je einen „2 für 1“-Gutschein für die jeweils andere Institution aus, das heißt: Wer im Maximare sauniert, kann bis Ende der Ausstellung die Schau im Gustav-Lübcke-Museum zum Vorzugspreis sehen, denn bei zwei Besuchern zahlt nur einer Eintritt, die Begleitperson

erhält freien Zugang. Umgekehrt gilt dies auch für Ausstellungsbesucher, die einen „2 für 1“-Gutschein aus dem Museum im Maximare einlösen möchten.

Natürlich sind auch in der Ausstellung selbst einige Sauna-Bilder vertreten, denn die Sauna ist ein zentraler Bestandteil der finnischen Alltagskultur. Ursprünglich hatte die Sauna in Finnland auch die Funktion eines Badezimmers, das heißt, die gesamte Körperreinigung fand dort statt. Die Sauna war der einzige Raum des Hauses, in dem es heißes Wasser gab, und gleichzeitig der sauberste Raum mit den wenigsten Keimen - deshalb wurden dort auch die Kinder geboren oder Tote aufgebahrt. Wenn früher in Finnland ein neues Haus errichtet wurde, baute man als allererstes das Saunagebäude. Auch heute hat fast jedes finnische Haus eine Privatsauna. Bei größeren Familienfesten wird selbstverständlich mehrmals sauniert. Und eine weitverbreitete Tradition ist die Weihnachtssauna am Heiligen Abend, in der man sich für die bevorstehenden Fei-

erlichkeiten reinigt. Anders als in Deutschland wird in Finnland in der Sauna viel gesprochen. In den skandinavischen Ländern und auch in Russland spielt der gemeinsame Saunagang eine wichtige Rolle bei der Pflege von sozialen Kontakten. Umso schöner ist es, den Ausstellungsbesuch mit einem gemeinsamen Saunagang im Maximare zu krönen!

Das Maximare Hamm ist eine der größten und vielfältigsten Erlebnisthermen der Region. Mit überdachtem 50m-Sportbecken, einer Aquawelt mit Wellen- und Erlebnisbecken, zwei Eventrutschen (95m und 92m) sowie einem Kleinkindbereich, einem Kalt-/Warmbecken sowie einem Whirlpool. Verlockend ist das Baden im 33°C warmen Außensolebecken, gespeist mit original Leinethaler Natursole. Gesund und erholsam Schwitzen kann man direkt nebenan im Sauna Resort. Sieben verschiedene Saunaarten stehen im Innenund Außenbereich (3500m² Saunagarten) zur Verfügung. Eventaufgüsse gibt es in der Multimediasauna „ArenaMare“. Hier

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Links: Typisch finnisch: Natürlich sind auch Sauna-Bilder in der Ausstellung vertreten. Foto: © Uwe Strauch Oben/Unten: Fotos: © Maximare Erlebnistherme Bad Hamm

finden bis zu 100 Menschen Platz. Völlige Ruhe herrscht dagegen in der Sinnesoder Salzsauna oder im Dampfbad. Die Erdsauna versprüht den Hauch urigen Polarholzes, heiß her geht es im Fegefeuer. Die Solegrotte befreit die Atemwege, im

Ruhe- und Liegehaus sammelt man neue Kräfte. Wohltuend ist ein Bad im 31°C warmen Außensolebecken. Natürlich gibt es auch im Sauna-Resort ein Kalt-/Warmbecken, einen Whirlpool und eine breit aufgestellte Gastronomie.

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Die Gösta Serlachius Kunststiftung gehört in Finnland zu den bekanntesten Privatsammlungen. Der Industrielle Gustaf Adolf Serlachius (1830 – 1901) legte mit seiner Sammlung zeitgenössischer Künstler den Grundstock für die heutige Stiftung. Gründer und Namensgeber der Stiftung war Gösta Serlachius (1876 – 1942), der die Papierfabriken seines Onkels und Schwiegervaters zu einem der führenden Forstunternehmen des Landes ausbaute. Wie G. A. Serlachius war auch Gösta persönlich mit Akseli Gallen-Kallela bekannt, die Stiftung verfügt daher neben dem Nationalmuseum Ateneum in Helsinki über das größte Konvolut von Arbeiten dieses bedeutenden Künstlers. Da die Sammeltätigkeit der Stiftung immer weiter ausgebaut wurde, umfasst sie heute bereits insgesamt über 7.000 Gemälde mit dem

Schwerpunkt auf dem Goldenen Zeitalter. Ganz im Geist der Gründungsväter haben aber immer auch Werke moderner Maler Eingang gefunden. Da viele finnische Künstler um 1900 mit Malern benachbarter Länder befreundet waren, sind beispielsweise auch schwedische Gemälde in der Kollektion vertreten, von denen einige ebenfalls in Hamm zu sehen sind. 2014 wurde am ehemaligen Wohnhaus der Familie Serlachius in Mänttä ein großer Museumsneubau eröffnet, der sich schnell zu einem Magneten entwickelt hat und Tausende von internationalen Besuchern anzieht.

Die Ausstellung „Sehnsucht Finnland“ wird in Hamm von einem umfangreichen Veranstaltungsprogramm begleitet mit Konzerten, Vorträgen oder Führungen.

Unterstützt wird das Rahmenprogramm der Schau von der Deutsch-Finnischen Gesellschaft, die Schirmherrschaft hat der finnische Honorarkonsul für Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, Professor Jürgen Kluge, übernommen. Förderer der Ausstellung sind das Land Nordrhein-Westfalen, die Kunststiftung NRW, die Sparkasse Hamm, die Stadtwerke Hamm und die ZEIT-Stiftung.

Gustav-Lübcke-Museum

Neue Bahnhofstraße 9, 59065 Hamm

http://www.museum-hamm.de

Maximare

Jürgen-Graef-Allee 2, 59065 Hamm

http://www.maximare.com

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Die Schau „Sehnsucht Finnland“ zeigt Werke des Goldenen Zeitalters bis zur finnischen Avantgarde. Foto: © Uwe Strauch

wir glauben daran

Wir glauben an das Museum und an die Ausstellung, himmlisches Medium des Wahren, Schönen und Guten. Empfangen aus holder Kuratorinnen Hand spiegeln wir die dringliche Botschaft in glücklich gefundenen Bildern, geboren aus der Eingebung eines löblichen Augenblicks, gleichwohl zerredet in vielstimmigem Gezeter, dann ohne Hoffnung verworfen. Am dritten Tage aber auferstanden aus Papierkörben, hochlobend jetzt den Genius preisend. Endlich erscheint das erlöste Lächeln der Kuratoren,

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museumsreif.com und wir können das
exhibition Consultation Communication
Zuhören www.
g laubensbekenntnis

Heil und Unheil - Eine Ausstellung mit Werken von Erich Klahn im Bomann-Museum Celle

Autorin: Dietrun Otten

Bereits seit einigen Jahren liefen die Vorbereitungen zu einer großen Klahn-Ausstellung, die schließlich vom 5. Juli bis 6. September 2015 im Bomann-Museum Celle und der nahe gelegenen Stadtkirche St. Marien gezeigt wurde. Der Wunsch, diese Ausstellung zu realisieren, entstand nicht zuletzt wegen des sicherlich vielerorts bekannten Phänomens, dass der 1978 in Celle verstorbene Künstler den meisten jüngeren Menschen dort ebenso wenig vertraut wie den älteren noch lebhaft in Erinnerung ist. Auch wenn Klahn nicht in Celle geboren wurde, so gehört er doch zur Kulturgeschichte dieser Stadt, ähnlich wie Arno Schmidt oder Fritz Graßhoff, die gerne und selbstverständlich dazu gezählt werden. Erich Klahn war ein eigenwilliger, zurückgezogen lebender Mann im maßgeschneiderten Anzug, der zum Gruß den Hut lüpfte, mitnichten aber alle Welt grüßte. Er war ein leidenschaftlicher Mann in seiner Zuneigung wie in seiner Abneigung. Ein Mann zwischen zwei Frauen, der eine ganze Stadt polarisieren konnte, indem er sich unflätig (aber schriftlich) über Missstände zu beschweren wusste. Diese Unartigkeiten verzieh man ihm. Erich Klahn war schließlich ein Künstler, denen vieles verziehen wird, was für den normalen Bürger zum fatalen Fallstrick werden kann. Doch eines verzeihen die Deutschen niemals: wenn jemand in den Verdacht gerät, ein Nazi gewesen zu sein.

Die ursprünglich als große Retrospektive geplante Schau erfuhr wegen etlicher im Vorfeld der Ausstellung veröffentlichter, polemisierender Medienbeiträge zur angeblichen Nazi-Vergangenheit von Erich Klahn eine umfassende Neuorientierung. Es galt, den Vorwurf zu prüfen, Klahn habe nationalsozialistisches Gedankengut in seinen Bildern verarbeitet – z.B. durch die Darstellung des „hässlichen Juden“ oder als ideologisches Bildprogramm. Auch die von Klahn in auffälliger Weise und in zahlreichen Werken verwendeten Symbole sollten genau untersucht werden: Vielen christlichen Symbolen (wie etwa Kleeblatt, Drachen oder Sonne und Mond etc.) stehen heidnische Symbole gegenüber, die im konkreten Fall im Verdacht standen, als Nazi-Symbole verwendet worden zu sein. Dazu gehören in erster Linie Sonnenräder verschiedener Ausführungen und als Runen gedeutete Elemente.

Dieser Forschungsaufgabe haben sich mehrere verschiedene Wissenschaftler

gewidmet und jeweils aus ihrer Position heraus das Quellmaterial (Bilder, Briefe, Urkunden, Sekundärliteratur) bearbeitet. Das Ergebnis, das in den Katalog und in ausstellungsbegleitende Vorträge eingebracht wurde, ist einerseits eindeutig in Bezug auf die Frage, ob Klahn ein Nazi war: Nein, war er nicht. Andererseits scheint es beunruhigend, dass jede Frage neue Fragen aufwarf, so dass am Ende eigentlich nur eines ganz deutlich wurde: Die Geschichte unserer Großvätergene-

Bewusst wurde für den Ausstellungstitel ein Wortpaar gewählt, das eine Verbindung zur Zeit des Nationalsozialismus heraufbeschwört: Während nach Erich Klahn das wahre Heil im Evangelium zu finden ist, wurde der Heilsbegriff unter der Hitler-Diktatur pervertiert und in sein Gegenteil verkehrt

In dieser Zeit betrachtete der Künstler seine Mitmenschen aus kritischer Distanz und sah eine Funktion, wo andere Größe wahrnahmen und erkannte als Schwäche,

ration ist uns so fremd wie jede andere Epoche der Vergangenheit. Daran ändert auch der Zugang zu dem schier unübersichtlichen Quellmaterial nichts. Umso dringlicher schien es, diese Ausstellung zu realisieren.

Als idealer Ort für die Präsentation erwies sich die Ehrenhalle des Bomann-Museums. Sie ist eine der letzten erhaltenen Ehrenhallen, die man im Andenken an die in den Befreiungskriegen gegen Napoleon gefallenen Soldaten überall in Deutschland errichtet hatte und beherbergt mit dem Monumental-Gemälde „Die Schlacht an der Göhrde“ (190811) des Berliner Malers Carl Röchling ein eindrucksvolles Beispiel der PropagandaKunst der Kaiserzeit. Unter diesem Gemälde wurde die Ausstellung mit dem Titel „Heil und Unheil – Altäre und Gemälde von Erich Klahn“ installiert.

was andere für Loyalität hielten. Um das begreiflich zu machen, wurden den so genannten politischen Bildern – und den Bildern vom Krieg – die Altäre Klahns gegenüber gestellt. Die Inszenierung zielte darauf ab, im direkten Vergleich (auch mit dem Monumentalgemälde der Kaiserzeit) Klahns Botschaft erkennbar zu machen und eine objektive Auseinandersetzung mit seinem Werk zu ermöglichen.

Die Werkauswahl beschränkte sich auf die in den 1920er bis 40er Jahren entstandenen Arbeiten und ermöglichte den Besuchern, sich intensiv mit diesen Werken, aber auch mit der äußerst bewegten deutschen Geschichte zwischen 1918 und 1950 zu befassen. Die Ausstellung bezeugt Erich Klahns nationale und konservative Weltanschauung, zeigt andererseits aber eindeutig seine Distanzierung von jeglicher Propaganda und dem nationalsozialistischen Regime.

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Das Bomann-Museum Celle. Foto: © Fotostudio Loeper, Celle

Abgesehen von der Werkauswahl, die als Reaktion auf die öffentliche Diskussion um die Person Klahns völlig neu konzipiert wurde, ist es ein Verdienst dieser Ausstellung, zwei wichtige Werke erstmals überhaupt einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu haben: Dies ist zum einen die Serie der „Erreger der Massen“ – eine Bildfolge von sechs Porträts aus dem Jahr 1933 – sowie den so genannten Abbehauser Altar, der seit seiner Aufstellung 1951 noch niemals außerhalb der Dorfkirche von Abbehausen zu sehen gewesen ist. Sein Transport, Abund Aufbau stellten eine große logistische und technische Herausforderung dar.

Die Erreger der Massen

1933 malte Klahn eine Serie von ursprünglich sieben zusammengehörenden Figuren, von denen das Porträt Mussolinis als verschollen gilt. Die übrigen sind die Herren Hitler, Lenin, Ludendorff, Rathenau, Ignatius von Loyola und Friedrich der Große. Diese Zusammenstellung ist rätselhaft und einzigartig. Offenbar hat Klahn sich 1933 mit dem Phänomen der Macht auseinandergesetzt und wohl deshalb diese Porträtserie gemalt. Seine Beobachtungen (und wohl auch Überlegungen) brachten jedoch ein ambivalentes Bild des Mächtigen hervor: Keiner dieser Machthaber ist in massenwirksamer Pose gezeigt. Sie scheinen zu schweben, da kein Raumgefüge dargestellt ist. Die Körperhaltungen und Hände der Dargestellten sprechen eher von Schwäche und Untätigkeit. Dennoch bewirkt die geballte Konzentration dieser auf Augenhöhe des Betrachters gehängten Porträts auch heute noch einen Anflug von Unbehagen.

Klahns Bilder vom Krieg

Erich Klahn hatte den Krieg nicht selbst kennengelernt. Für den Ersten Weltkrieg war er zu jung, im Zweiten Weltkrieg wurde er als untauglich ausgemustert. Daher ist es auffällig, dass er in den 30er Jahren Bilder vom Krieg malte. Damit stand er jedoch nicht allein: Seit Beginn des Ersten Weltkriegs wurde der Krieg offensichtlich vermehrt thematisiert. Der Ausbruch dieses Krieges wurde in ganz Europa vor allem von jungen Menschen als ein groß-

Oben: Die Erreger der Massen, 1933, privater Nachlass Erich Klahn

Unten: Rückzug der napoleonischen Armee aus Russland, 1938, Privatbesitz

Rechts: Nahkampf an der Westfront, 1931, privater Nachlass Erich Klahn

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artiges Ereignis bejubelt, das in kurzer Zeit mit der alten Gesellschaftsordnung hätte abrechnen und eine bessere Zukunft einleiten sollen. Schnell verwandelte sich diese Euphorie in lähmendes Entsetzen. Viele Künstler verarbeiteten ihre grauenvollen Kriegserfahrungen in Bildern und Grafiken. Die teilweise bereits während des Krieges entstandenen Werke sendeten bis in die 20er Jahre hinein eine deutliche Anti-Kriegs-Botschaft aus, die ihr Echo in weiten Teilen der Bevölkerung fand. Doch noch im Laufe der Weimarer Republik

begann ein Umdenken und seit Beginn der 30er Jahre erfuhren Kriegsbilder einen deutlichen Funktionswandel, indem sie ein wichtiger Teil der politischen und militärischen Propaganda des rechten politischen Spektrums wurden.

Auch Erich Klahn beschäftigte sich mit dem Thema, doch seine Bilder teilen weder eine kriegsverherrlichende noch eine offensichtlich pazifistische Botschaft mit. Klahns Interesse galt offenbar vor allem den Auswirkungen des Krieges auf den Menschen: Der Ausbruch roher Gewalt und die Ge-

fühlsarmut angesichts einer ausweglosen Situation sind Themen der Bilder „Nahkampf an der Westfront“ und „Rückzug der napoleonischen Armee aus Russland“. In erschreckender Nahsicht führte er dem Betrachter einerseits gewissenlose Brutalität vor Augen, um im anderen Gemälde die winzige Nichtigkeit des Menschen angesichts der unendlichen, winterlichen Weite Russlands zu zeigen. Die bei näherer Betrachtung erkennbaren, miniaturhaft gemalten Figuren erzählen eine traurige Geschichte der Mitleidlosigkeit.

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Teppiche

Im Gegensatz zu den beiden oben angeführten Gemälden bilden im 1932 entstandenen Totentanz-Teppich Symbole und Dinge neben der figürlichen Darstellung einen wichtigen Bestandteil des Werkes. Sie haben sowohl kompositorische als auch inhaltliche Bedeutung. In ihrer Interpretation besonders umstritten sind die Elemente rechts und links der Mittelfigur. Sie werden als Hagal-Runen, aber auch als Christusmonogramm gedeutet. Der Zusammenhang zwischen dem Motiv des Totentanzes und germanischen bzw. christlichen Symbolen erscheint jedoch mühsam konstruiert. Viel wahrscheinlicher ist, dass diese Elemente Versatzstücke des Krieges darstellen, nämlich Bretter und Stacheldraht. Bei aller denkbaren symbolhaften Überhöhung der Darstellung sähe es dem Menschenzweifler Klahn ähnlich, den eigentlichen Krieg in seiner furchtbaren Banalität zu zeigen.

Diesem, dem „Unheils-Aspekt“ zuzuordnenden Teppich wurde ein weiterer Teppich als Antipode beigesellt, der fast zur selben Zeit entstand und ein wichtiges

Zeugnis der engen künstlerischen Verbindung Klahns mit Celle ist. Der Teppich „Maria und Elisabeth“ von 1929/30 steht am Beginn einer Reihe von Werken, die in Zusammenarbeit mit der Celler Teppich-Werkstatt von Carlotta Brinckmann entstanden. Dargestellt ist der Besuch der schwangeren Maria bei der zukünftigen Mutter von Johannes dem Täufer. Die Schwangerschaft hat Klahn als Sinnbild für Rettung und Erlösung benutzt. Das auffällige Schrift-Bild, das Klahn als gestalterisches Element neben die Figuren setzte, ist der unmittelbar als Heilsbotschaft verständliche Wortlaut der Bibel. Klahn benutzte eine schwer lesbare Frakturschrift und zeigte seine Personen in starker Vereinfachung und Konzentration auf Augen, Hände und Gewandfalten. Obwohl Klahn sich typischer Merkmale frühmittelalterlicher Kunst bediente, scheint er zu seinen Text-Bildern von protestantischen Drucken aus der Reformationszeit inspiriert worden zu sein: Heilige Texte wie ein Bild zu gestalten, war damals besonders beliebt. Es ist auffällig, wie häufig der Einsatz von Schrift als gestalterisches Element als Motiv in seinem

Werk wiederkehrt. Immer handelt es sich um Gebete oder Bibeltexte.

Klahns Altäre

In seinem Gesamtwerk gelten Klahns Altäre als wichtigste Träger der christlichen Heilsbotschaft. Bei genauerer Betrachtung erkennt man aber, dass diese Botschaft keineswegs eine Verkündigung sofortiger Erlösung ist. Beschreibungen von Mühen und Leiden, Versuchung und Verrat sind bei Klahn allgegenwärtig. Diese Themen sind oftmals gleichzeitig als subtile An-

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Petrus beim letzten Abendmahl, Detail des Abbehauser Altars, 1948-50, St. Laurentius Abbehausen Totentanz-Teppich, 1932, Bomann-Museum Celle

spielungen auf zeitgeschichtliche Ereignisse und als allgemeingültige Darstellungen existenzieller Fragen zu verstehen. In der Ausstellung waren sowohl Klahns erster Altar (Thomas-Altar, 1928-30), den er für den späteren Oberlandeskirchenrat Christhard Mahrenholz als Ausstattung für dessen Privathaus schuf, als auch der bisher noch niemals ausgestellte Abbehauser Altar zu sehen. In Anlehnung an mittelalterliche Traditionen schuf Klahn in Zusammenarbeit mit einem Bildschnitzer seine Altäre als Triptychon oder – wie im Fall des Abbehauser Altares – sogar als Wandelaltar.

Während bei mittelalterlichen Altären die Festtagsseite mit farbig gefassten Skulpturen als lebensechte Szenen gestaltet sind, ziert die Außen-(= Alltags-)seiten die als geringer geltende Malerei. Dieses Verhältnis kehrte Klahn zugunsten seines eigenen Metiers (der Malerei) um. Dennoch hat er es verstanden, die Außenseiten ebenfalls besonders wertvoll erscheinen zu lassen: Er gestaltete sie mit Holzreliefs, die er zuweilen mit Hilfe eines dunklen Farbüberzugs und einer grünlichen Patina-Imitation wie Bronzereliefs aussehen

Die Ausstellung „Heil und Unheil - Altäre und Bilder von Erich Klahn“ wurde in die ca. 12 x 12 m große Ehrenhalle des Bomann-Museums Celle so installiert, dass die monumentale Gestaltung der Halle sichtbar blieb, ohne die Werke von Erich Klahn optisch zu erdrücken. Der stabile Aufbau von MBA mila-wall Stellwänden ermöglichte die Andeutung eines großen, aber durchbrochenen Raum-im-Raum-Systems, das den Blick auf das zur Dekoration der Ehrenhalle gehörende Wandgemälde freigab und gleichzeitig die ausgestellten Gemälde gegen den optisch aufdringlichen Hintergrund abschirmte. So konnte gewährleistet werden, dass eine inhaltliche Verbindung zwischen der Ausstattung der Ehrenhalle und der eigentlichen Ausstellung stattfinden konnte. Auf der Rückseite des zum Eintretenden hin offenen Raumes wurde durch geschickte über-Eck-Lösungen eine stille Leseecke geschaffen, in der Besucher in Ruhe den Katalog und Pressetexte zur www.mila-wall.de

Ausstellung studieren konnten. Die Anbringung der Beleuchtung am oberen Rand der Stellwände gewährleistete optimale Ausleuchtung für Grafiken, Textilien und Gemälde. Die leichten Wände können mit einem kleinen Team schnell aufgebaut werden, was die Arbeitszeit und den Arbeitsaufwand für Auf- und Abbau der Ausstellung überschaubar macht. Im dichtgedrängten Ausstellungsplan eines Museums ist dies ebenso wichtig wie die Tatsache, dass die Wände, mit einer Folie überzogen, oft neu gestrichen werden können, so dass in jeder Ausstellung neue farbliche Akzente gesetzt werden können.

ließ, oder ließ die Skulpturen über einem Goldgrund schwebend erscheinen. Bei aller Anlehnung an mittelalterliche Konventionen und Gestaltungstraditionen sind Klahns Altäre dennoch neu und zeitgenössisch: Er bezog negative Aspekte in die Heilsdarstellung mit ein und ließ sie als Bestandteil der menschlichen Existenz auch bei seinen heiligen Figuren bestehen. Zuweilen gelang es ihm, durch die Körperhaltung oder einen Blick aus dem Bild, den Betrachter direkt in die dargestellte Handlung zu verwickeln. Diese direkte Konfrontation mit den Gestalten auf den Bildern macht die Gemälde Klahns zu einem besonderen Ereignis. Sich darauf einzulassen bedeutet, über Grundfragen der menschlichen Existenz nachzudenken.

Bomann-Museum Celle Museum für Kulturgeschichte Schloßplatz 7, 29221 Celle

Die aktuellen Öffnungszeiten erfahren Sie unter www.bomann-museum@celle.de oder telefonisch: 05141-12372 und 12352

Oben: Heiliger Georg, Vorderseite des Seitenfügels vom Thomas-Altar, 1928-30, Kloster Amelungsborn

Rechts: Babylonische Sprachverwirrung, Detail aus Abbehauer Altar, 1948-50, St. Laurentius Abbehausen

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Auf Tuchfühlung mit den Fuggern und Welsern in Augsburg

Das Fugger und Welser Erlebnismuseum geht neue Wege. Autorin: Martin Kluger und Ingrid Erne
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Goldene Schreibstube Dialog Fugger Welser. Foto: © Norbert Liesz Re: Fugger und Welser Erlebnismuseum. Foto: © Rudolf Morbitzer

(M. Kluger) Die Fugger, die Welser und die Lilien: gleiche Stadt, gleicher Reichtum – und verschiedene Rollen

Was liegt näher, als in Augsburg – der „Stadt der Fugger und Welser“ – ein „Fugger und Welser Erlebnismuseum“ einzurichten, um das „Zeitalter der Fugger und Welser“ zu beleuchten? Man könn-

te glauben, so wüchse zusammen, was zusammengehört. Die Gemeinsamkeiten der Fugger und der Welser sind schließlich nicht unerheblich: Beide waren legendär reiche Familien, beide mit der Firmenzentrale in Augsburg, beide mit einem ausgedehnten Handelsnetz, beide mit überseeischen Interessen und großer Bedeutung im Metallgeschäft, beide Bankiers des Kaisers…

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Fast bei allen Deals, die den Weg in die Geschichtsbücher gefunden haben, waren sie Partner: Gemeinsam waren sie 1505/06 an der legendären ersten Handelsfahrt deutscher Kaufleute nach Indien beteiligt, beide waren in den Ablasshandel eingebunden, gemeinsam stemmten sie den Großkredit, der Kaiser Karl V. 1519 die Krone des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation sicherte und damit ein Reich, in dem die Sonne nicht mehr unterging. Beide profitierten vom überlegenen kaufmännischen Know-how des nahen Norditalien, von der zweiten Blüte der mitteleuropäischen Montanwirtschaft, von erstmals standardisierten Gütern sowie vom Direkthandel mit Kontinenten, von denen der eine – Amerika – gerade entdeckt und zwei andere – Afrika und Asien mit dem indischen Subkontinent und den Gewürzinseln – eben erst für die Schifffahrt erschlossen worden waren. Das Weltbild beider Familien wurde von der vom Humanismus vermittelten antiken Bildung und der durch die Renaissance wiederbelebten Kunst der Antike geprägt. Sogar die Lilie als Wappenbild führten sie beide: Die Fugger zwei Lilien in den gewechselten Farben Gold und Blau, die Welser eine Lilie mit den gewechselten Farben Rot und Weiß.

Die wirkliche Bedeutung der beiden internationalen Handels-, Finanz- und Montankonzerne – denn nichts weniger waren die Fugger und die Welser – erschließt sich aber vor allem dann, wenn man die Unterschiede analysiert. Denn sieht man etwas genauer hin, zerfällt das scheinbar so homogene Bild zweier wirtschaftlicher Supermächte an der Schwelle vom späten Mittelalter zur Frühen Neuzeit in viele Mosaiksteinchen, die auf einmal so gar nicht mehr recht harmonieren wollen. Es hat nämlich sehr wohl einen Grund, warum niemals ein/e Angehörige/r des Hauses Fugger eine/n Angehörige/n des Hauses Welser geehelicht hat – und das in einer Stadt mit (bis um 1600) maximal 45.000 bis 50.000 Einwohnern und einer verschwindend kleinen Oberschicht. Man pflegte völlig verschiedene soziale Netzwerke. Die Welser sahen sich auf einer höheren gesellschaftlichen Ebene als die Fugger.

Die Welser sind ab 1246 in Augsburg nachweisbar, seit 1310 gehörten sie dort zu den bedeutenden Ratsfamilien. Die Welser zählten zum Stadtadel, zum Patriziat. Und die Fugger? Der erste Fugger in Augsburg ist im Jahr 1367 belegt. Der

steile Aufstieg der Firma Fugger änderte also gar nichts daran, dass die Familie Fugger in der Stadtgesellschaft noch zu Zeiten Jakob Fuggers „des Reichen“, des wohl kapitalkräftigsten und erfolgreichsten Unternehmers seiner Zeit in Europa, nicht zur Elite – also zum Augsburger Patriziat –zählte. Das führte zu der schier irrwitzigen Konstellation, dass Jakob Fugger – der Papst und Kaiser, Könige und Kurfürsten zu seiner Klientel zählte, und der ab 1511 formal den Titel eines Grafen führte, weil er 1507 mit der Herrschaft Kirchberg und Weißenhorn bis dahin dem alten Adel vorbehaltene Besitzungen und Rechte erworben hatte, als Emporkömmling galt. Noch war das Herkommen wichtiger als das Sein, noch galt die Prämisse „Ehre vor Gut“. Die soziale Spitzengruppe der Stadt – die alten „Geschlechter“ – wähnte sich dem „nouveau riche“ aus dem mächtigen Fugger‘schen Stadtpalast am noblen Weinmarkt noch immer überlegen. Jakob Fugger „der Reiche“ ruhte schon 13 Jahre in der Gruft der Fuggerkapelle bei St. Anna, als die Fugger 1538 unter die Geschlechter aufgenommen wurden – mit 39 anderen Familien, und auch das nur, weil die alten Familien bis auf acht ausgestorben waren und nicht mehr alle Ämter besetzen konnten.

Die unterschiedliche soziale Herkunft ist aber der Grund dafür, warum die Fugger heute sehr viel bekannter sind als die Welser. Denn von den Letzteren ist nicht viel geblieben – sie gingen zum Beispiel zwar mit dem missglückten, blutigen Versuch der Kolonisierung Venezuelas in die Geschichtsbücher ein, doch materielle Spu-

ren der Familie findet man heute sogar in Augsburg kaum. Das liegt daran, dass die Welserfirma 1614 in Konkurs ging – was übrigens am sozialen Status der Welser in der Reichsstadt kaum etwas änderte.

Ganz anders die Fugger: Auf dem Weg zum Adel, der über den erblichen Grafentitel am Ende sogar zur Erhebung zweier Familienlinien in den Fürstenstand führte, „feilte“ man mit Stiftungen und Schenkungen, glanzvoller Architektur, mit Kunst und allerlei Mäzenatentum am Sozialprestige. Jakob Fuggers Grablege, die Fuggerkapelle in St. Anna, war der imposante früheste deutsche Sakralbau im Stil der italienischen Renaissance. Selbst Albrecht Dürer hat daran mitgewirkt. Die katholische Grabkapelle in der heute protestantischen Kirche ist eine der ganz großen Sehenswürdigkeiten Augsburgs. Der bekannteste Kaufherr der Familie Welser, Bartholomäus V. Welser, ließ sich dagegen in einer schlichten Dorfkirche in Amberg im Unterallgäu bestatten.

Jakob Fuggers Stiftung für hilfsbedürftige Mitbürger, die Fuggerei, ist heute die älteste bestehende Sozialsiedlung der Welt und ein international berühmter Tourismusmagnet. Die von Jakob Fugger errichteten Fuggerhäuser mit dem dortigen Damenhof zählen noch immer zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt. Die Grabkapellen der Fugger in der Basilika St. Ulrich und Afra sind im Prinzip Kunstmuseen. Zwischen 1507 und 1620 erwarben die Fugger zwischen der Donau, dem Lechtal und dem Bodensee, aber auch in Altbaiern, Württemberg, Niederösterreich und

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Raum Fondaco Spieltisch. Foto: © Norbert Liesz

im Elsass in mehr als 200 Orten Herrschafts-, Grund- und Gerichtsrechte, die großteils bis 1806 galten. Fugger’sche Linien benannten sich unter anderem nach den Herrschaften Kirchberg und Weißenhorn, Mickhausen, Oberndorf, Glött, Nordendorf, Babenhausen, Boos, Kirchheim, Dietenheim und Wellenburg. In mehr als hundert Patronatskirchen sieht man das Wappen der Fugger. Das alles diente ursprünglich wohl weniger der Kapitalanlage als vielmehr dem Sozialprestige. Dieses Prestige hatten die Welser längst, weshalb sie kaum in Herrschaftsrechte, umso mehr in ihr einzigartig weit gespanntes, bis Südamerika reichendes Faktoreiennetz investierten. Doch der immense, durch alle Konjunkturen hindurch wertbeständige Besitz der Fugger an Land und Rechten war der Grund dafür, warum die Fuggerfirmen – anders als das Familienunternehmen der Welser – nie in Konkurs gingen. Trotz aller Gemeinsamkeiten überwiegen also die Unterschiede.

Ausstellungskonzept

(I. Erne) Das Fugger und Welser Erlebnismuseum ist der ideale Ort, um dieser

Blütezeit der ehemals Freien Reichsstadt nachzuspüren. Es lässt den Besucher hautnah miterleben, mit welch kaufmännischem Geschick die damaligen Strategen agierten: weniger durch ausgestellte Exponate als durch spannendes „Storytelling“, unterstützt von modernster Technik. Als Hauptakteure treten Jakob Fugger der Reiche und Bartholomäus V. Welser auf. Sie sind es, die dem Betrachter Einblick in ihre Gedankenwelt und ihre strategischen Überlegungen geben.

Geschichte zum Anfassen

Ein technisch aktualisierbares RFID-System hilft dabei, aktuelle Ereignisse im Kontext der Geschichte zu spiegeln. Denn Geschichte erlebbar machen und gleichzeitig Bezüge zur Gegenwart herstellen – dieser Anspruch ist schon im Leitgedanken des Fugger und Welser Erlebnismuseums verankert: „Nur wer die Lektion der Geschichte verstanden hat, kann die Zukunft begreifen.“ Auf den von innen beleuchteten Stelen werden den historischen Geschehnissen deshalb heutige Strukturen gegenübergestellt.

Die Wissensvermittlung ist kurzweilig und spannend. Mit zahlreichen interaktiven Stationen werden 500 Jahre alte Erfolgsstrukturen reflektiert und die Besucher zum Mitmachen angeregt. Anfassen ist hier erwünscht! Regelrecht eintauchen in die Geschichte der Frühen Neuzeit kann man in den von der Agentur LIQUID entwickelten multimedialen Installationen: wie etwa dem Bergwerk, der magischen Galerie „Augsburger Geschlechtertanz“ oder in der „Goldenen Schreibstube“: Hier werden die historischen Akteure scheinbar lebendig und der Besucher steuert die Informationen selbst.

Mit dem Pfeffersäckchen als Begleiter

Bei der Konzeption hatten die Museumsmacher Zielgruppen verschiedenster Herkunft und aller Altersstufen im Blick. Die einzelnen Stationen lassen sich mittels Computer-Chip steuern, versteckt in unterschiedlichen „Pfeffersäckchen“: auf Deutsch, Englisch oder in einer kindgerechten Version. Ein museumspädagogisches Programm für Schulklassen ist an den Lehrplan angelehnt. Der Festsaal

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Blick in den Raum Fondaco dei Tedeschi mit Rechentisch. Foto: © Norbert Liesz

bietet Raum für Seminare, Vorträge oder Symposien und damit die Möglichkeit zur Vernetzung mit Wirtschaft und Wissenschaft.

„Mit zeitgemäßem Storytelling einerseits und fundierten historischen Informationen andererseits gewährt das Fugger und Welser Erlebnismuseum einen variantenreichen Einblick in Augsburgs goldene Zeit“, so Götz Beck, Direktor der Regio Augsburg Tourismus GmbH, die das Museum ins Leben gerufen, mit Partnern umgesetzt hat und es auch betreibt.

Was wäre ein Erlebnismuseum ohne entsprechende Feedback-Möglichkeit? Auch dafür gibt es eine außergewöhnliche Lösung: „Das Lebende Buch®“, die Multimedia-Installation im Foyer, führt nicht nur höchst unterhaltsam und quicklebendig in die Museumsthemen ein. Besucher können in diesem Gästebuch der besonderen Art auch ihren multimedialen Kommentar hinterlassen.

Eine Idee setzt sich durch

Seit 1944 die Bestände des Fuggermuseums – damals in den Badstuben der Fuggerhäuser untergebracht – ins Fuggerschloss Babenhausen verlagert worden waren, fehlte etwas in Augsburg: ein Ort, der die Historie der mächtigen Kaufmannsfamilie für Besucher nachvollziehbar macht. Das wollte Tourismusdirektor Götz Beck ändern. Im Auftrag der Regio Augsburg Tourismus GmbH entwickelte die LIQUID Agentur für Gestaltung bereits 2002 erste Konzepte für ein neues Museum. Als Ort war der so genannte „Kastenturm“ am Roten Tor geplant. Denkmalschutz und brandschutztechnische Gründe verhinderten jedoch die Realisierung. Ein neuer Standort war im März 2009 mit dem stark renovierungsbedürften „Wieselhaus“ gefunden. Götz Beck hatte dabei die Unterstützung von Gerd Mordstein, dem damaligen Leiter des städtischen Wohnungs- und Stiftungsamts. Hier war nun Raum, um das künftige Museum inhaltlich zu erweitern: Die Familie Welser kam hinzu.

Sofort starteten die Planungen für die Themenverteilung unter der konzeptionellen Leitung von Ilja Sallacz (LIQUID), der auch das gestalterische Konzept entwickelte. An der Entstehung des Museums waren darüber hinaus maßgeblich beteiligt: Dr. Stefanie Freifrau von Welser, Kuratorin

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Südamerikaraum. Foto: © Norbert Liesz

bis 2014, Prof. Dr. Angelika Westermann (bis Anfang 2014), Spezialistin für Montanwirtschaft im 16. Jahrhundert, Franz Karg, Fürstlich und Gräflich Fuggersches Familien- und Stiftungsarchiv, Dr. Maximilian Kalus, Wirtschaftshistoriker und Informatiker, Ullrich Styra, Museumsausstattung und Gerhard Funk, Beleuchtungsmeister beim Bayerischer Rundfunk. Im Frühjahr (ab Mai) 2014 kamen für die Texterstellung der Stelen und von Hörbildern der Verleger Martin Kluger und der Wirtschaftshistoriker Dr. Peter Geffcken als wissenschaftlicher Berater hinzu.

Ende September 2014 wurde das Fugger und Welser Erlebnismuseum eröffnet. Mit über 25.000 Besuchern zum einjährigen Bestehen liegen die Zahlen deutlich über den Erwartungen.

Fugger und Welser Erlebnismuseum

Augsburg, Äußeres Pfaffengässchen 23 www.fugger-und-welser-museum.de

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag und Feiertage: 10 – 17 Uhr

Buchungen von Museumsführungen oder Abendveranstaltungen sind unter stadtfuehrungen@regio-augsburg.de möglich.

Aufriss des Fugger und Welser Erlebnismuseums © Gregor Nagler

Mäzenatentum Networking
Goldene Schreibstube Faktoren des Erfolges Seehandel mit Amerika Seehandel mit Indien Augsburg und Venedig
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Keller: Bergbau Bergwerk Manillas. Foto: © Norbert Liesz
www.sigma-foto.de www.sigma-global.com www.facebook.com/SIGMAFoto Eine Neuerfindung der Kamera, eine Neuerfindung der dp
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Wildpferd aus Mammutelfenbein, 40 000 Jahre alt, Foto: MUT/Juraj Lipták

Vom Nutzen wissenschaftlicher Sammlungen

Museum der Universität Tübingen. Autor: Prof. Dr. Ernst Seidl
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Das Museum der Universität Tübingen MUT setzt seine überaus reichen Sammlungen für Forschung, Lehre und öffentliche Bildung ein – in Fachmuseen wie auch in themenspezifischen Sonderausstellungen

Im Jahr 2015 hat das Museum der Universität Tübingen MUT mit seinem besonders umfangreichen Bestand von mehr als 50 wissenschaftlichen Fachsammlun-

Links:

PouPou, Maori-Schnitzwerk der ersten James Cook-Reise, Foto: MUT/Valentin Marquardt

Oben:

Elefantenspitzmaus, Bronze; 7. Jahrhundert v. Chr.–3. Jahrhundert n. Chr., Foto: MUT/Hilde Jensen

gen exemplarisch gezeigt, wie traditionsreiche deutsche Universitäten mit ihrer Geschichte auch umgehen können. Zu seinem Jahresthema machte es die problematische Rolle der Universität Tübingen im Nationalsozialismus. Die Objekte, Bilder und Zeugnisse aus den universitären Sammlungen sollten das heikle Thema einer größeren Öffentlichkeit anschaulich machen – inner- wie außerhalb der Universität.

Das MUT, das seit seiner Gründung im Jahr 2006 zu den Vorreitern der Wiederentdeckung und Professionalisierung wissenschaftlicher Universitätssammlungen in Deutschland zählt, setzte damit einmal mehr Maßstäbe in der deutschen Universitätslandschaft: Aufklärung und Forschung über die dunklen Seiten der Uni-

versitätsgeschichte im Nationalsozialismus haben zwar seit mehreren Jahren große Fortschritte gemacht. Dennoch schien es notwendig, gerade angesichts gegenwärtig zu beobachtender gesellschaftlicher Tendenzen der Intoleranz, der Ab- und Ausgrenzung, diese historische Phase mit dem Brennspiegel erhöhter Aufmerksamkeit zu beleuchten: Das Jahresthema entwarft durch mehrere Ausstellungen und Aktivitäten ein gesamthaftes Panorama der historischen Epoche: Die Kabinettausstellung des Frühjahrs, „In Fleischhackers Händen. Tübinger Rassenforscher in Łódz 1940–1942“, präsentierte erstmals den exzeptionellen Objektbestand von mehr als 600 Handabdrücken jüdischer Insassen des Ghettos Litzmannstadt, mit deren Hilfe sich der Tübinger Rassenkundler Hans Fleischhacker habilitierte.

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Die anschließende überdisziplinär angelegte große Jahresausstellung des MUT „Forschung – Lehre – Unrecht. Die Universität Tübingen im Nationalsozialismus“ versuchte dagegen fachübergreifend anhand von zahlreichen Objekten, Bildern und Dokumenten die NS-Geschichte der Universität als Panorama zu öffnen. Schließlich wird noch bis Ende Januar 2016 eine Ausstellung der Berliner Stiftung Topographie des Terrors gezeigt, die die komplexe individuelle Lebensgeschichte des gebürtigen Bad Cannstatters und Tübinger Studenten Hans Bayer als Kriegsberichterstatter an der Ostfront erhellt, bevor er unter seinem Schriftstellerpseudonym Thaddäus Troll bundesweit bekannt wurde. Das erfolgreiche Jahresthema wurde von mehreren Publikationen, Ringvorlesung, Kino-Filmreihe und zahlreichen Sonderveranstaltungen begleitet.

Nicht zuletzt dieses schwierige Jahresthema des MUT ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, dass durch die überlegte Präsentation von Objekten aus denkbar unterschiedlichen Fachsammlungen neue Bedeutungen jenseits disziplinärer Zusammenhänge entstehen können. Dies haben schon die vorangegangenen überfachlichen Jahresthemen des MUT gezeigt – etwa zur nur vermeintlichen Polarität von Schönheit und Wissenschaft in „Wie Schönes Wissen schafft“ oder zu den Themen „Himmel“ oder „Körper“. Auch werden die Sammlungen damit der inner- wie außeruniversitären Öffentlichkeit nähergebracht und für Forschung und Lehre neu entdeckt.

Einen Glücksfall für das MUT, die Universität Tübingen und die Öffentlichkeit bildete im Jahr 2015 zudem die Neueröffnung der Dauerausstellung „Schlosslabor Tübingen. Wiege der Biochemie“ im ältesten biochemischen Labor der Welt in der ehemaligen alten Schlossküche auf Hohentübingen. Die Öffnung des Ortes als Museumsraum wurde ermöglicht durch eine einmalige Finanzierung des Tübinger Biopharma-Unternehmens CureVac: In der einstigen Küche des Schlosses Ho-

hentübingen richtete die Universität im Jahr 1818 ein chemisches Labor ein, das unter Georg Sigwart und Julius Schlossberger zu einer der weltweit ersten Forschungsstätten der Biochemie wurde. Herausragende Forschungen gelangen in der Ära von Felix Hoppe-Seyler, der 1861 als Professor berufen wurde. Er untersuchte den roten Blutfarbstoff und gab ihm den Namen „Hämoglobin“. Sein Schüler Friedrich Miescher machte 1869 im Schlosslabor schließlich die bahnbrechende Entdeckung eines Stoffes, den er „Nuklein“ nannte – heute weltweit als Nukleinsäure bekannt, der Grundstoff der Erbinformationsträger DNA und RNA. Damit wurde die Grundlage für das moderne naturwissenschaftliche Verständnis des Lebens gelegt.

Am 5. November 2015 wurde die nun kostenlos zugängliche Dauerausstellung im museal aufbereiteten Raum eröffnet. Hier werden die verfügbaren historischen Komponenten des biochemischen Labors auf Objekt- und Bildbasis präsentiert und unter anderem ein animiertes Hologramm zur Genexpression gezeigt. Durch eine 640-fache Vergrößerung von biochemischen Präparaten, die über jedes Smartphone sichtbar gemacht werden können – übrigens ein Novum in der deutschen Museumslandschaft –, wird ein Schlaglicht auf die aktuelle Forschung geworfen. Eine moderne didaktische Aufbereitung in Deutsch und Englisch erläutert die Bedeutung des Ortes wie auch die Geschichte der Biochemie an der Universität Tübingen. Star der Präsentation ist jedoch das noch existierende und bisher nicht zugängliche Reagenzglas Friedrich Mieschers mit der originalen DNA-Substanz aus Lachs-Sperma. Es erinnert an diesen Ort von weltweit herausragender wissenschaftshistorischer Bedeutung.

Einen ganz anderen Weg, um die oft unbekannten, missachteten oder bedrohten Sammlungen der Universität überhaupt erst zu entdecken, beschreitet das MUT mit seinen zweisemestrigen Praxisseminaren mit Studierenden. Sie finden im Rahmen des Drittmittelprojekts „MAM|MUT“

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Links: Reagenzglas mit Nuklein aus Lachs-Sperma, von Friedrich Miescher beschriftet und mit seinem Namen versehen (um 1871)

statt – es bildet das Akronym für die „Museologische Aufarbeitung von Museumsbeständen am MUT“. Großzügig gefördert wird „MAM|MUT“ vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg im Rahmen seines Innovations- und Qualitätsfonds (IQF). Eine Absicht des zunächst auf drei Jahre, von 2013–2016, angelegten Projekts ist vor allem die langfristige Installation einer praxisorientierten Lehrstruktur mit museumskundlicher Ausrichtung. Dabei werden unbekannte oder gar bedrohte Sammlungen der Universität in jeweils einjährigen Praxisseminaren mit den Studierenden gerettet, das heißt sie werden gesichtet und sortiert, sachgerecht deponiert, inventarisiert und digitalisiert sowie schließlich der allgemeinen Öffentlichkeit in Fachausstellungen präsentiert. Das aktuell laufende Projekt „Krankheit als (Kunst)Form. Moulagen der Medizin“ widmet sich den historischen Wachsmodellen von Krankheiten aus der Hautklinik und der Tropenklinik. Eine Ausstellung ab dem 10. Juni 2016 mit Katalog wird das Ergebnis des Praxisseminars präsentieren.

Diese Praxisseminare dienen dabei auf idealtypische und kostengünstige Weise der Verfolgung ganz unterschiedlicher Ziele, denn sie stellen eine – wenn auch arbeitsintensive – Win-win-win-Situation für alle Beteiligten her: das heißt, sie

bieten große Vorteile für die Universität, für Forschung und Lehre, für die Studierenden, für das Land und nicht zuletzt für die interessierte Öffentlichkeit. Denn erstens wird damit die Bewahrung, die Erfassung und systematische Erschließung von Sammlungen an der Universität gewährleistet. Damit können diese Sammlungen zweitens dauerhaft für die Erforschung, die Lehre und öffentliche Vermittlung, auch über die Universität hinaus, nutzbar gemacht werden. Drittens greift das Projekt auf die Ressourcen der Hochschule zurück und bereichert das interdisziplinäre, praxisorientierte Lehrangebot für die Studierenden. Zu den Kernbereichen der praxisorientierten Lehre zählen in diesem Fall insbesondere die Objektinventarisierung und die Konzeption von Ausstellungen. Viertens erlaubt diese Konstruktion dem Museum der Universität und damit der Universität Tübingen ihren Verpflichtungen dem kulturellen Erbe gegenüber gerecht zu werden. Und schließlich dient das Projekt fünftens durch die Rettung, die Erschließung und die Aufwertung nahezu unbekannter Sammlungen der weiteren Stärkung des Profils der Universität Tübingen. Schon jetzt ist sie damit Vorreiterin auf dem Gebiet der Neubewertung kultur- und wissenschaftsgeschichtlicher universitärer Sammlungen.

Ernst Seidl

Rechts: Wachsmoulage einer Syphilliserkrankung, um 1900, Foto: MUT/Valentin Marquardt

Info

Die Broschüre zu allen Sammlungen des MUT, ihrer Zugänglichkeit und ihren Öffnungszeiten kann auf Deutsch oder Englisch kostenlos unter www.unimuseum.de bzw. unter Tel.: 07071-2977384 bestellt oder aber als pdf von der Homepage heruntergeladen werden.

Literaturtipps

• Ernst Seidl, Philipp Aumann (Hg.): „KörperWissen. Erkenntnis zwischen Eros und Ekel“, Tübingen: MUT, 2009, ISBN 978-39812736-1-8; 19,90 €

• Ernst Seidl u.a. (Hg.): „Der Himmel. Wunschbild und Weltverständnis“, Tübingen: MUT, 2011, ISBN 978-3-9812736-2-5; 19,90 €

• Ernst Seidl: „Schätze aus dem Schloss Hohentübingen. Ausgewählte Objekte aus den Sammlungen des Museums der Universität Tübingen MUT“, Tübingen: MUT, 2012, ISBN 978-3-9812736-4-9; 19,90 €

• Ernst Seidl: „Die Sammlungen. Museum der Universität Tübingen MUT“, Tübingen: MUT, 2012 (o. ISBN; kostenlos)

• Philipp Aumann, Frank Duerr: „Ausstellungen machen“, München: Fink (UTB), 2013, ISBN 978-3-8252-3892-6

• Ernst Seidl, Thomas Beck, Frank Duerr (Hg.): „Wie Schönes Wissen schafft“, Tübingen: MUT, 2013, ISBN 978-3-9812736-6-3; 19,90 €

• Frank Duerr, Ernst Seidl (Hg.): „Aufmacher. Titelstorys deutscher Zeitschriften“, Tübingen: MUT, 2014, ISBN 978-3-9812736-8-7; 19,90 €

• Ernst Seidl (Ed.): „Treasures of Hohentübingen Castle“, Tübingen: MUT, 2014 (engl.), ISBN 978-3-9816616-3-7; 14,90 €

• Ernst Seidl (Hg.): „Forschung – Lehre – Unrecht. Die Universität Tübingen im Nationalsozialismus“, Tübingen: MUT, 2015 ISBN 978-3-9816616-5-1; 19,90 €

• Christine Nawa, Ernst Seidl (Hg.): „Wohin damit? Strandgut der Wissenschaft“, ISBN 978-3-9816616-6-8; 19,90 €

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ANDY WARHOL in der Städtischen Galerie Rosenheim

The Original Silkscreens. Ausstellung vom 11. Dezember 2015 bis 12. Juni 2016. Autorin: Andrea Hailer

Heute kennt sie praktisch jeder: die Suppendosen und Marilyns von Andy Warhol. In den 60er und 70er Jahren jedoch waren diese Werke revolutionär. Nicht nur mit der Auswahl seiner Motive aus Werbung, Konsum und Gesellschaft stellte Warhol den Kunstbetrieb auf den Kopf, auch das von ihm angewandte Siebdruckverfahren war bahnbrechend.

Gut 100 Original-Siebdrucke aus 16 Portfolios von Warhol sind vom 11. Dezem-

ber 2015 bis zum 12. Juni 2016 in der Städtischen Galerie Rosenheim zu sehen, darunter Klassiker wie Marilyn Monroe, Flowers und Campbell‘s Soup Cans, aber auch Unikate wie bisher nie gezeigte Sunsets, Shadows, Drucke auf Collagen aus der Serie Love und Probedrucke zur Serie Saint Apollonia. Zum Teil kamen die Werke noch in der Originalverpackung aus Warhols Factory.

Möglich wurde diese Ausstellung durch die Kooperation der Galerie mit der Stif-

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Oben: Andy Warhol, Marilyn, 1967, Siebdruck, Repro Franz Kimmel, © 2014 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. / Artists Rights Society (ARS), New York

tung DASMAXIMUM KunstGegenwart, Traunreut, des Kunstförderers Heiner Friedrich, der als Mitbegründer so legendärer Stiftungen wie der New Yorker Dia Art Foundation und seit 2011 auch mit seinem Museum DASMAXIMUM KunstGegenwart markante Zeichen gegen eine schnelllebige Eventkultur setzt.

Friedrich, der von 1965 bis zu Warhols Tod 1987 eng mit Warhol zusammenarbeitete, besitzt eine sorgfältig zusammen-

gestellte und herausragende Auswahl von Grafiken. Jetzt präsentiert er sie in der Rosenheimer Galerie.

Die gezeigten Werke markieren innerhalb des Gesamtwerks Schwerpunkte. Sie beweisen eine solche Präzision, Kreativität und Sicherheit im Umgang mit den künstlerischen Mitteln, dass sie Warhols Ruhm als eine der bedeutendsten Künstlerpersönlichkeiten aller Zeiten uneingeschränkt bekräftigen.

Oben: Andy Warhol, Campbell‘s Soup, 1968.

Unten: Andy Warhol, Skulls 1967.

Siebdruck, Repro Franz Kimmel, © 2014/2015

The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. / Artists Rights Society (ARS), New York

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Zur Ausstellung bietet die Städtische Galerie Rosenheim ein herausragendes Rahmenprogramm: Siebdruck-Convention, Modenschau, kultige Werbefilme, verrückte Musikvideos und Live-Konzerte. Mit Straßen-Fotografie von Sepp Werkmeister aus dem New York der 60er Jahre

wird das Lebensgefühl des Big Apple visuell erlebbar.

Rahmenprogramm

Sa. 7. Mai 2016, ab 19 Uhr: Musik-Video-Nacht mit Livekonzert „Buben im Pelz“ und Freunden

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Andy Warhol, Sarah Bernhardt, 1980, Siebdruck, Repro Kimmel © 2015 The Andy Warhol Foundation for die Visual Arts, Inc.; © Ronald Feldman Fine Arts

Sa. 11. Juni 2016: DJ-Abend mit echtem Vinyl, New York meets Rosenheim – kulinarische Genüsse von und mit Konditorin Franziska Schweiger und ihrem Mann, Sternekoch Andi Schweiger (z.B. Schweiger² Restaurant, „Die Kochprofis“)

Öffnungszeiten:

Dienstag bis Freitag, 10 bis 17 Uhr

Samstag und Sonntag, 13 bis 17 Uhr geöff. 26. Dezember, 6. Jan., 1. Mai, 13 bis 17 Uhr April, Mai, Juni 2016 jeden Donnerstag bis 20 Uhr

Montags (auch Ostermontag und Pfingstmontag), Faschingsdienstag und sonstige Feiertage geschlossen

Städtische Galerie Rosenheim

Max-Bram-Platz 2

83022 Rosenheim

Tel. 08031-3651447

www.galerie.rosenheim.de

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„Buben im Pelz“. Foto: Pamela Russmann

Erfurts Alte Synagoge:

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Alte Synagoge Erfurt. Ansicht Nord- und Westfassade. Foto: Papenfuss | Atelier für Gestaltung

Zeugnis des Glaubens und Lebens in einer gewachsenen Bürgerstadt

I. Das in der Weihnachtszeit besonders stimmungsvolle Erfurt ist eine Geschichtsstadt par excellence. Vom Domhügel mit seiner stadtbildprägenden Silhouette und der berühmten Glocke „Gloriosa“ bis zu den mittelalterlichen Kirchtürmen und Fachwerkhäusern umgibt den staunenden Besucher auf Schritt und Tritt das Gefühl, in einer mit Namen wie Meister Eckart, Martin Luther, Adam Ries, Johann Sebastian Bach und Napoleon I. verbundenen Geschichtslandschaft von erstaunlicher Dichte und Präsenz unterwegs zu sein.

Erfurt ist jedoch mehr als Mittelalter-Romantik und Reformations-Kitsch. In ihrer nahezu 1300jährigen Geschichte kaum je Residenz gewesen und erst in neuester Zeit staatlich Teil des umgebenden Thüringen, präsentiert sich die Stadt als selbstbewußte und allen Fremdbestimmungen gegenüber widerständige Bürgerkommune. Es waren die Erfurter Bürger, die sich im 14. Jahrhundert bei zwei Päpsten eine nach 1990 wieder gegründete Universität zu verschaffen wußten. Und es war dem Fleiß hiesiger Gewerbetreibender zu verdanken, daß die ehrwürdige Handelsstadt sich mit der Etablierung des modernen Gartenbaus sowie mit wegweisenden Industriemarken von der Optima-Schreibmaschine bis zum preußischen Standardgewehr immer wieder als Wirtschaftsstandort neu erfand.

Wie das lange verdrängte Beispiel der Rüstungsproduktion zeigt, ist Erfurt zugleich eine Stadt, die in ihren Geschichtsorten und Museen auch die Schattenseiten, Verletzungen und Verstrickungen der Historie sichtbar macht. So ist der die Altstadt überragende Petersberg zugleich einzigartiges innerstädtisches Relikt der frühneuzeitlichen Fortifikationskunst wie Ort der benediktinischen Klostertradition und mit der Defensionskaserne zudem Zeugnis des preußisch-deutschen Militarismus wie des Gestapo-Systems und der NS-Kriegsgerichte. Dem Erfurter Stadtmuseum

gehört neben einem Renaissance-Palais, einer Mühle und einem Turm mit Glockenspiel ein Luftschutzkeller an, den nur wenige Schritte von der 1944 zerstörten Barfüßerkirche trennen und der damit auf beklemmende Art an die Realität des Bombenkrieges erinnert. Und neben dem potentiellen Weltkulturerbe Augustinerkloster und dem trutzigen Rathaus mit seinen sehenswerten Historiengemälden stehen die Gedenkstätte Andreasstrasse und der Erinnerungsort Topf & Söhne für die Verstrickung auch Erfurter Bürger und Industriekreise in die Unterdrückungsapparate des 20. Jahrhunderts und die Judenvernichtung des Hitlerregimes.

Kein Erfurter Museum jedoch vermag den Zauber dieser ungewöhnlichen historischen Präsenz ebenso wie den ambivalenten Charakter eines über die Jahrhunderte hinweg immer wieder verwandelten und dabei mit nutzbringendem Zusammenleben und schuldhafter Ausgrenzung verbundenen Geschichtsortes so zu verkörpern wie die Alte Synagoge in der Waagegasse. Heute eines der bestbesuchten und überregional renommiertesten Museen der Stadt, ist sie als Zentrum der mittelalterlichen jüdischen Gemeinde wie als Tatort des Pogroms von 1349 eine Stätte der lebendigen Erinnerung und ein über die Jahrhunderte hinweg erhaltenes Symbol der wundersamen Bewahrung, phantasievollen Erschließung und kritischen Aufarbeitung von Stadtgeschichte, die hier zugleich Mentalitäts-, Kultur- und Religionsgeschichte ist und als Knotenpunkt des Netzwerks „Jüdisches Leben“ aktiv in die heutige Stadtgesellschaft hineinwirkt.

II.

Der Weg zur Alten Synagoge führt über holpriges Kopfsteinpflaster, durch enge Gassen mit Kratzsteinen an den Hausecken inmitten der Erfurter Altstadt. Das pittoreske Allerheiligenquartier stimmt den Besucher des Museums auf vergan-

gene Zeiten einer wechselvollen Stadtgeschichte ein. Er passiert prächtige Häuser entlang der ehemaligen Handelsstraße Via Regia, in denen im Mittelalter Juden wie Christen lebten. Und er geht durch ein Stadtviertel, in dem am 21. März 1349 etwa 1.000 Erfurter Juden durch ein Pogrom ermordet wurden und damit ein 250jähriges Zusammenleben von Juden und Christen beendet war. Aber davon erfährt er erst später in der Ausstellung mehr.

Ist die schmale Waagegasse erreicht, geht man am besten zuerst auf das Nachbargrundstück der Synagoge und genießt die beeindruckende Westfassade des Baudenkmals. Die Fassade mit dem romanischen Zwillingsfenster, den fünf gotischen Lanzettfenstern, die von einer Rosette gekrönt werden, den Baunähten und dem eigenwillig konstruierten Dachstuhl erzählt ihre Geschichte von Bauphasen und der unterschiedlichen Nutzung im Laufe der Jahrhunderte beinah selbst. 900 Jahre Erfurter Stadtgeschichte mit ihren Brüchen sind in diesem steinernen Geschichtsbuch zu lesen. Das Einzigartige an der Alten Synagoge Erfurt ist, dass sie von der ersten Bauphase im späten 11. Jh. bis zur letzten baulichen Veränderung im Auftrag der jüdischen Gemeinde um 1300 komplett erhalten ist. Lediglich der Dachstuhl gehört nicht zum ehemaligen Sakralbau. Während des Pogroms 1349 vermutlich abgebrannt, wurde er um 1350 wohl in der ursprünglichen Form ersetzt.

Wieder zurück in der Waagegasse erkennt man schon beim ersten Blick auf den gläsernen Eingangsbereich zur Synagoge die Nordfassade des Hauses. Die Pforte zum Betraum vermauerte der neue Eigentümer im Jahr 1350. Dafür hatte er keinen Bedarf mehr, denn die Nutzung als Lagerhaus erforderte einen größeren Zugang für die mit Waren beladenen Wagen. Der wurde mit dem Einbau eines großen Portals im Norden sowie im Osten geschaffen.

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Ausstellungsraum im Erdgeschoss.

Foto: Albrecht von Kirchbach

Unten: Erfurter Judeneid. Ältester deutschsprachiger Judeneid um 1200

Foto: Stadtarchiv Erfurt

Das Baudenkmal selbst ist Exponat und Ausstellungsraum zugleich. Auf drei barrierefreien Ebenen mit insgesamt 550 m² Ausstellungsfläche werden Zeugnisse mittelalterlicher jüdischer Kultur aus Erfurt gezeigt oder thematisiert. Das Ausstellungskonzept greift die Authentizität des Hauses auf. So wurde auf Rekonstruktionen verzichtet und mit zwei Erläuterungstafeln pro Etage zurückhaltend mit Texten gearbeitet. Dafür gehen die meisten Besucher mit dem Ausstellungs-Ipod durch die Exposition. Dieser „Videoguide“ macht mit mehreren Informationsebenen, zusätzlichen Bildern und Filmen einen gut informierten und individuellen Rundgang möglich. Er bietet zudem eine Kinderführung sowie englischsprachige Optionen.

So kann sich der Gast im Erdgeschoss mit der Bau- und Nutzungsgeschichte des Hauses vertraut machen und mehr zur ersten jüdischen Gemeinde Erfurts lernen. Hier erfährt er über das Werden und gewaltvolle Vergehen der jüdischen Gemeinde, über Plünderungen und Neustrukturierung des Quartiers nach dem Pogrom. Und spätestens hier wird die

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Kausalität zwischen Vernichtung im 14. Jh. und Präsentation im 21. Jh. deutlich. Mit dem Erfurter Judeneid und einer Bronzeampel aus dem 12. Jh. wird jedoch auch deutlich, dass es in den 250 Jahren zuvor ein Miteinander von Christen und Juden in der Stadt gab.

Eine Treppe führt hinunter in den 1350 in das Gebäude eingebauten Keller. Er ist, ebenso wie die bereits erwähnten Portale, ein Zeichen der Umnutzung vom Sakral- zum Profanbau. Die ursprünglich für Waren geschaffene Fläche bietet heute den Raum für die Präsentation des Erfurter Schatzes, ein in Art und Umfang weltweit einzigartiger Schatzfund mit 28 Kilo Gesamtgewicht, 3141 Silbermünzen, 14 Silberbarren und mehr als 700 gotischen Gold- und Silberschmiedearbeiten aus dem profanen Bereich. Im März 1349 vergrub wohl der Erfurter Kaufmann Kalman von Wiehe aus Angst vor Übergriffen seiner christlichen Nachbarn sein Hab und Gut auf seinem Grundstück in der benachbarten Michaelisstraße. Der Schatz wurde erst 650 Jahre später bei Bauarbeiten zufällig entdeckt.

Ringe, Broschen, Gewandbesatz, Geschirr und Gürtelbesatz zeugen vom großen handwerklichen Geschick der Gold- und Silberschmiede und lassen Liebhaber des Edelmetalls auch heute noch ins Schwärmen geraten. Im Zentrum der Ausstellung strahlt das wichtigste Exponat dieser Etage in den Raum hinein. Der jüdische Hochzeitsring aus dem 14. Jh. ist nicht nur Beleg dafür, dass der Eigentümer des Schatzes Jude war. Er zeugt von Wohlstand in der damaligen Messestadt Erfurt mit einem sehr wohlhabenden Patriziat und wohlhabenden jüdischen Mitbürgern und macht neugierig auf den jüdischen Hochzeitsritus. Auch dazu enthält der Ipod weiterführende Informationen. Und selbstverständlich ist dem interessierten Besucher möglich, die sehr filigran gearbeiteten Schmuckstücke mit Hilfe von Lupen näher zu betrachten.

Verlässt der Besucher die Schatzkammer, dann geht er einen kurzen Weg zur Treppe, der im 19. Jh. eine Kegelbahn war. Die dritte gastronomische Nutzungsphase wird weiter oben, in der ersten Etage, noch deutlicher spürbar. Ein zurückhal-

Erfurter Schatz (TLDA)

Jüdischer Hochzeitsring, 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts

Foto: Papenfuss | Atelier für Gestaltung

Unten: Ausstellungsraum im Keller

Foto: Albrecht von Kirchbach

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tend restaurierter Gründerzeittanzsaal mit Empore, Schablonenmalerei, Karyatiden und Tondo präsentiert sich. Es braucht nicht viel Phantasie um zu erahnen, dass hier rauschende Feste gefeiert wurden. Die Museumsgestalter fanden gerade dieses Ambiente passend für das Thema Erfurter Hebräische Handschriften. Ein Konvolut von 15 Pergamenthandschriften aus dem 12. bis 14. Jh., das zur ersten jüdischen Gemeinde gehörte, nach dem Pogrom vom Erfurter Rat gestohlen, jedoch nicht zweitverwendet wurde. Bis ins späte

Erfurter Hebräische Handschriften

Oben: Ausstellungsraum im Obergeschoss

Foto: Albrecht von Kirchbach

Oben li..: Doppelseite Bibel Erfurt 1

Unten li.: Bibel Erfurt 1 mit Targum

Rechts unten: Kassetteneinband Bibel Erfurt 1

Fotos: Staatsbibliothek zu Berlin

19. Jh. hinein blieben die teilweise ungewöhnlich großen hebräischen Bibel-Kodizes und Tora-Rollen in der Stadt, bevor sie 1880 an die Königliche Bibliothek Berlin verkauft wurden. Da eine dauerhafte Präsentation von Pergamenthandschriften aus konservatorischen Gründen nicht möglich ist, wird hier konsequent mit Faksimile gearbeitet und ein Blick auf die Bibel Erfurt 1, die größte hebräische Bibelhandschrift mit außerordentlich schöner Buchdekoration, möglich gemacht. Hier lernt der Besucher nicht nur die jüdische Schriftkultur kennen, sondern erfährt viel

über das Geistesleben der Erfurter Gemeinde im Mittelalter.

Mit zwei ehemaligen Synagogen, einer mittelalterlichen Mikwe und einer aktiven Synagoge präsentiert sich jüdisches Leben in Erfurt nicht nur museal, sondern auch real. Wenn es gelingt, beim Gast nach dem Besuch von Alter und Kleiner Synagoge auch Interesse für die Neue Synagoge und ihre Gemeinde zu wecken, dann ist das Ausstellungskonzept der Alten Synagoge Erfurt im Netzwerk Jüdisches Leben Erfurt umgesetzt.

Alte Synagoge Erfurt

Waagegasse 8

99084 Erfurt

www.alte-synagoge.erfurt.de

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Bücher und Objekte

Kulturschätze zum Greifen nah. Autor: Jürgen Neitzel

In vielen Museen, Bibliotheken und Archive schlummern Werke, die so fragil und wertvoll sind, dass sie den Augen der Öffentlichkeit weitgehend verborgen bleiben. Moderne Präsentationssysteme wie der ZED 10 3D Foyer von Zeutschel ändern das jetzt.

Mit Gesten blättern

Das Reichenauer Evangeliar – entstanden Anfang des 11. Jahrhunderts im Kloster Reichenau – gilt als herausragendes Zeugnis mittelalterlicher Kunstfertigkeit. Der zeitgenössische Einband ist vergoldet und

mit Edelsteinen bestückt, zahlreiche Verzierungen und Illustrationen schmücken den Innenteil. Heute wird die Handschrift sicher und luftdicht verpackt in einem Tresor der Bayerischen Staatsbibliothek in München aufbewahrt. Nur wenigen war es bisher vergönnt, einen Blick auf

3D-Erlebnis für
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Das Reichenauer Evangeliar zählt zu den herausragendsten Zeugnissen der ottonischen Buchmalerei. © Bayerische Staatsbibliothek, München

das prachtvolle Werk zu bekommen – geschweige denn, den Inhalt zu erkunden.

Genau diese Möglichkeiten bietet der neue ZED 10 3D Foyer von Zeutschel. Dabei steht der Betrachter – mit einer 3D-Brille ausgestattet – etwa zwei Meter vor einem handelsüblichen 3D-Fernsehgerät. Die Bewegungen der Hände und Finger werden von einer Kamera erfasst und von der Software als Gesten bzw. Ein-

Einbindung von Objekten in die Präsentationsoberfläche. Dies setzt jedoch das Vorhandensein von 3D-Scans voraus.

Der 3D-Betrachter von Zeutschel basiert auf einem gemeinsamen Projekt der Bayerischen Staatsbibliothek mit dem Fraunhofer Heinrich Hertz-Institut im Jahr 2009, das erstmals digitale Bücher in 3D auf gestengesteuerten Großmonitoren präsentierte. Seitdem sind die virtuellen,

ben und Anforderungen seiner Kunden. Das Tübinger Unternehmen erwirtschaftet mit 60 Mitarbeitern einen jährlichen Umsatz von 10 bis 12 Millionen Euro und ist in über 100 Ländern mit seinen Produkten und Dienstleistungen vertreten. Alle Zeutschel Produkte sind ‚Made in Germany’: Die komplette Fertigung und die gesamten Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten finden am Firmensitz in Tübingen-Hirschau statt.

Mit dem

gabebefehle interpretiert. So kann der Betrachter mit einfachen Handbewegungen das Objekt rotieren lassen, mit einem Fingerzeig auf die Buchecke die Seiten umblättern oder einzelne Illustrationen und den Einband heranzoomen. Das System besteht aus einem einfach zu bedienenden Editor, einer 3D-Präsentationssoftware und einem Interaktionssystem für die Gestensteuerung.

Für Bücher und Objekte

Der Buch Editor erzeugt aus 2D-Scans unkompliziert 3D-Bücher. Dabei kommt ein generisches Buchmodell – eine Art leeres Software-Buch mit Deckel, Rücken und den einzelnen Seiten – zum Einsatz. In dieses Modell können die Bibliotheksmitarbeiter dann die Scans einfließen lassen und so zu einem realitätsgetreuen, dreidimensionalen Gesamtbuch zusammenstellen. Der Objekt Editor dient der

interaktiven Exponate Bestandteil jeder Ausstellung der Bayerischen Staatsbibliothek.

Kiosk-System geplant

Zielgruppen des 3D-Präsentationssystems sind Bibliotheken, Museen und Archive. Das Zeutschel ZED 10 3D Foyer ist ab sofort erhältlich. In Planung ist ein 3D-Kiosk, das als Komplettlösung für die 3D-Präsentation konzipiert ist. Es besitzt eine permanente 3D-Anzeige und kann somit auch ohne spezielle 3D-Brille genutzt werden.

Mit seinen Scan- und Mikrofilmsystemen leistet Zeutschel seit mehr als 50 Jahren in Bibliotheken, Archiven und Museen einen zentralen Beitrag zur Digitalisierung und Langzeitarchivierung wertvoller Dokumente. Zeutschel versteht sich als Lösungsanbieter für die individuellen Aufga-

Das für die Zukunft geplante Kiosk-System lässt sich auch ohne 3D-Brille nutzen. © Bayerische Staatsbibliothek, München

Zeutschel GmbH

Heerweg 2

72070 Tübingen-Hirschau

Tel 0049 I 7071 I 9706-0

info@zeutschel.de

www.zeutschel.de

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3D-Betrachter von Zeutschel lassen sich wertvolle Bücher und Objekte neu erfahren und entdecken.

Erlebniswelt HAUS MEISSEN

Autoren: Meissen Porzellan- Stiftung GmbH, Anja Hell und Staatliche Porzellan-Manufaktur Meissen GmbH

Die Manufaktur MEISSEN ist die erste Porzellan-Manufaktur Europas und wurde 1710 durch August den Starken gegründet. Unweit von Dresden, direkt an der Manufaktur, befindet sich die Erlebniswelt HAUS MEISSEN®.

Die Erlebniswelt HAUS MEISSEN® macht das weltbekannte Meissener Porzellan erlebbar in den Schauwerkstätten der Manufaktur und dem Museum der Meissen Porzellan-Stiftung und bietet auch Gelegenheit zu Shopping und zu Genuss im Cafe Meissen®

Rechtzeitig zum 25. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung wurde das neue Highlight der Manufaktur eingeweiht: „Saxonia“, die Freiheitsstatue Sachsens, ist die weltweit größte freistehende Figur aus Porzellan. Das Kleid der lebensgroßen Schönheit zieren 8.000 handgeformte Porzellanblüten. Mit ihrem anmutigen Blick begrüßt sie die Besucher und bildet einen schönen Besuchsbeginn.

Das Museum der Meissen Porzellan-Stiftung entführt auf eine Reise durch 300 Jahre Porzellangeschichte und zeigt Meissener Porzellane, die geprägt durch kulturelle und religiöse Einflüsse von außen entstanden sind oder als Auftragsarbeiten für Liebhaber des Porzellans weltweit gefertigt wurden.

Ergänzt wird das Spektrum traditioneller Porzellane durch die Ausstellung MEISSEN artCAMPUS®. Es werden zeitgenössische Arbeiten externer Künstler aus aller Welt gezeigt, die im MEISSEN® artCAMPUS in Meissener Porzellan entstanden sind.

Die Schauwerkstätten laden dazu ein, die Entstehung des berühmten Meissener Porzellans hautnah mitzuerleben. Wie entsteht eine Tasse? Aus wie vielen

Einzelteilen besteht eine Figur und wie kommen die blauen Schwerter unter die Glasur? Auf all diese Fragen gibt der Rundgang durch die Schauwerkstätten eine Antwort.

Zur Geschichte

Das Porzellan-Museum wurde Anfang des 20. Jahrhunderts geplant und noch vor Beginn des Ersten Weltkrieges durch den sächsischen Landtag genehmigt. Der Bau erfolgte zwischen 1912 und 1915 in direkter Nachbarschaft zur Porzellanmanufaktur. Der Architekt, Bauamtmann Ihle, plante das Gebäude. 375254,62 Mark, einschließlich 66333,70 Mark für die Inneneinrichtung wurden dafür veranschlagt.

Im Januar 1916 wurde die Schauhalle mit einer großen, repräsentativen Modellschau eröffnet. Am 6. Januar 1916 besuchte der König nebst Töchtern das neue Werksmuseum. Die Sammlungsgegenstände waren hauptsächlich Musterstücke für die Manufakturmitarbeiter. Erst in zweiter Linie waren sie für die Öffentlichkeit gedacht. Die ausgestellten Porzellane sind der öffentlich zugängliche Teil der umfangreichsten Sammlung Meissener Porzellans von 1710 bis heute. Die Schauhalle wurde täglich, außer sonntags geöffnet. Zwischen 1924 und 1929 besuchten z.B. rund 21 000 Gäste jährlich das Werksmuseum, zuzüglich rund 20 000 Volksschulkindern und ihrer Lehrer. Eine Schauwerkstatt gab es zu dieser Zeit nicht. Besucher erhielten nach vorheriger Anmeldung eine Führung durch das Werk. Heute besuchen rund 200.000 Gäste jedes Jahr das Museum der Meissen Porzellan-Stiftung und die Schauwerkstätten der Porzellan-Manufaktur.

Ab 1944 lagerten die Porzellane der Schauhalle aufgrund der Kriegswirren in der Albrechtsburg. Die Schauhalle wurde geschlossen.

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Saxonia
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Links: Rhinozeros von Johann Gottlieb Kirchner

Oben: Blick über beide Etagen des Porzellan-Museums

Unten: Blick in das Porzellan-Museum

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1945 brachte man die Porzellane schließlich in die damalige UdSSR. 1959 wurden sie aus der ehemaligen UdSSR wieder zurückgeführt. Zum 250. Jubiläum der Porzellan-Manufaktur 1960 wurde die Schauhalle wieder eröffnet und eine Schauwerkstatt übergeben. Seit 2015 ist die Meissen Porzellan-Stiftung GmbH Eigentümerin der Museumsobjekte der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Meissen und betreut das Porzellan-Museum. Die Aufgabe der Meissen Porzellan-Stiftung GmbH ist u.a. die Bewahrung des kulturellen Erbes der sächsischen Porzellanherstellung und Porzellanhandwerkskunst.

Das Gebäude

Die Schauhalle ist im Stil einer neoklassizistischen Festhalle errichtet worden. Über insgesamt vier Stockwerke erstreckte sich die Präsentation der Meissener Porzellane, zeitlich sortiert und nach bestimmten Themen gruppiert. Heute sind von den vier Etagen nur noch drei zugänglich und nur noch zwei dienen als Museum. Das dritte Obergeschoss enthält einen Oberlichtsaal, der anfangs ebenfalls zur Präsentation der Porzellane genutzt wurde. Heute fungiert dieser Saal als Verkaufsraum. Im Erdgeschoss des Gebäudes befinden sich weitere Verkaufsräume der Porzellan-Manufaktur.

Alle Stockwerke sind so aufgebaut, dass sich um einen Mittelraum Eckräume gliedern, die durch Umgänge miteinander verbunden sind. Die Mitte der Nordseite wird durch einen halbrunden Ausbau

betont. Dadurch wird ein besonders akzentuierter Raum gewonnen. Im zweiten Obergeschoss wird dieser halbrunde Raum mit einer Kuppel mit Deckengemälde abgeschlossen. Das Deckengemälde von Prof. Karl Ludwig Achtenhagen, Malereivorsteher der Manufaktur seit 1909, ist im Stil des Rokokos gestaltet. Vom Erdgeschoss in die oberen Geschosse gelangt man auch heute noch über eine Treppe im südlichen Teil des Gebäudes. Im Treppenhaus befindet sich ein Porzellanfries in kobaltblauer Malerei, ebenfalls nach dem Entwurf von Prof. Karl Ludwig Achtenhagen. Über dem Eingangsbereich zur Mittelhalle befanden sich im Eröffnungsjahr Schalen mit Darstellungen der seit 1710 verwendeten Marken. In der Mittelhalle standen Büsten des königlichen Hauses und eine Anzahl großer Vasen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Pfeiler der Wände waren mit Reliefs von Erich Hösel geschmückt. Ursprünglich besichtigte man die Ausstellungsstücke, indem man rechts begann und dem Umlauf folgte. Heute ist die Ausstellung im Uhrzeigersinn geplant. Vom ersten Obergeschoss ins zweite gelangt man über eine Treppe im großen Saal der Schauhalle.

Die Dauerausstellung

Die erste Etage der Schauhalle zeigt die künstlerischen Höhepunkte aus drei Jahrhunderten und wird um einen Bereich erweitert, der 100 Jahre Schauhalle als Sonderthema beleuchtet. Die zweite Etage dient als Bereich für Sonderausstellungen, im Moment „All nations are welcome“.

1. Obergeschoss: 18. Jahrhundert –Schaffe Gold, Böttger!

August der Starke (1670-1733), Kurfürst von Sachsen und König von Polen war fasziniert von dem asiatischen Porzellan. Die ostindische Handelscompagnie importierte es aus China und Japan nach Europa. Es wurde buchstäblich mit Gold aufgewogen. Die Schatulle des Königs war zwar gut gefüllt durch den reichen Erz- und Silberbergbau Sachsens. Aber Prunk und Prachtentfaltung hatten ihren Preis. Ebenso verlorene Kriege und die Aussicht auf die polnische Krone. Da kam der Alchemist Johann Friedrich Böttger (1682-1719) gerade recht, der behauptete, er könne Gold schaffen … … doch es gelang ihm nicht. Um seinen Kopf zu retten, ließ er sich auf die Suche nach dem Weißen Gold ein. Zusammen mit dem Mathematiker und Physiker Ehrenfried Walther von Tschirnhaus (16511708), dem Bergbaubeamten Gottfried Pabst von Ohain (1656-1729) und Freiberger Berg- und Hüttenleuten erforschte er systematisch verschiedene Masseversätze. Akribisch protokollierten sie die Ergebnisse. Am 15. Januar 1708 gelang es ihnen schließlich, Porzellan herzustellen. Bereits 1710 gründete August der Starke die erste europäische Porzellanmanufaktur in der Albrechtsburg zu Meißen. Das Arkanum (Geheimnis) der Porzellanherstellung schien hier sicher.

Zügellos und lasterhaft

Opulente Feste, Verschwendung und Prachtentfaltung prägten das Leben am sächsischen Hofe. Politik, wirtschaftliche Stärke und Kulturniveau sollten durch glänzende Feste sinnlich erlebbar werden. In die Ausgestaltung der Feste waren alle Künste einbezogen. Das Gewagteste und Ausgefallenste war gerade gut genug. Der König und seine Gäste waren selbst Teil der Inszenierung. Sie verkleideten sich allegorisch als Jahreszeiten, Elemente, Erdteile und besonders als antike Gottheiten. Das spiegelte sich auch in der Porzellangestaltung wider. Allegorische Figuren mit subtiler erotischer Anspielungen waren Teil der Tisch- und Tafelzier. Die mythologische Erhöhung der eigenen Person erfolgte in Form von prächtigen Tafelaufsätzen. Galante Porzellanmalereien voller Zweideutigkeiten, kokett und anzüglich, dienten der anregenden Kommunikation. Ziel war das glanzvolle Zurschaustellen der absoluten Macht.

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August der Starke Albrechtsburg

Von den Anfängen bis etwa 1775 beleuchtet dieser Bereich die Entwicklungsgeschichte des Meissener Porzellans. Irminger, Höroldt, Kirchner und Kaendler sind die prägenden Künstler des 18. Jahrhunderts. Sie legten den Grundstein für den Erfolg. Die Manufaktur produziert heute noch so, wie zu Höroldts und Kaendlers Zeiten.

19. Jahrhundert - Auf der Suche nach dem Stil

Der Tod Johann Joachim Kaendlers und Johann Gregorius Höroldts 1775 beendete eine äußerst produktive Ära. Der Siebenjährige Krieg und die damit verbundenen Repressalien erschwerten den Fortbestand der Manufaktur. Humanismus und Aufklärung führten zu neuen bürgerlich orientierten Wertvorstellungen. Die archäologischen Funde der Ausgrabungen in Herculaneum (seit 1738) und Pompeij (seit 1748) verstärkten die Rückbesinnung auf die Welt der Antike, ganz besonders die der Griechen. Winckelmanns „edle Einfalt und stille Größe“

und eine strengere Orientierung an Architektur- und Zierformen der Antike verdrängten jegliche Farbgebung. Sogar auf die Glasur wurde eine Zeit lang verzichtet. Als Gegenbewegung zur Antike orientierte man sich schließlich auf vergangene Kunstrichtungen, wie der Gotik. Akademiegeprägte Bildhauer und die Ausformung von bereits vorhandenen Plastiken anderer Werkstoffe zeugten von der Suche nach einer der Zeit angemessenen Formensprache. Darüber hinaus gewannen zunehmend auch andere Manufakturen an Bedeutung durch neue moderne Porzellane, wie Sévres oder Kopenhagen. Meissen dagegen konzentrierte sich, auch aus wirtschaftlichen Gründen, auf die erfolgreichen alten Formen und Dekore des 18. Jahrhunderts. Die umfangreichen Bestellungen des Hofes gehörten aber der Vergangenheit an. Das Bürgertum erstarkte und verlangte nach kostengünstigen Porzellanen. Dem trug die Manufaktur Rechnung durch technische Errungenschaften wie der Optimierung der Brenntechniken, der Erfindung ei-

ner weiteren Unterglasurfarbe oder der Erfindung des Glanzgoldes, das bereits nach dem Brand glänzt und nicht mehr poliert werden muss. Einfach bemalte Porzellane dominierten die Produktion.

Porzellane von 1775 bis ca. 1900 werden hier in ihrer ganzen Vielfalt dargestellt. Künstler wie Acier, Nachfolger Kaendlers; Jüchtzer, Vertreter des akademiegeprägten Klassizismus; Schönheit oder Leuteritz prägten diese Periode. Die Sammeltassen des Biedermeiers sind ebenso Thema wie die neobarocken Porzellane für England und die Weltausstellungen in Chicago und Paris oder die Experimente mit z.B. gotischen Formen.

20. Jahrhundert - Moderne Kunst in Meissener Porzellan

Im 19. Jahrhundert verschwand das kreative, künstlerische Element aus der Porzellangestaltung. Stattdessen wurden vorhandene Kunstwerke technisch und handwerklich perfekt nachgestal-

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Ausstellung im Museum, „All Nations are Welcome“

tet. Die heftige Kritik von Künstlern im Nachgang der Weltausstellungen an der Rückwärtsgewandtheit der Manufaktur führte zu starken Diskussionen über deren Ausrichtung. Viele fortschrittliche Künstler suchten einen Ausweg aus der konservativen akademischen Kunstwelt und fanden ihn im Jugendstil. Der Jugendstil verfolgte den Ansatz, auch die für den praktischen Gebrauch erzeugten Gegenstände künstlerisch zu durchdringen. Junge, künstlerische Mitarbeiter prüften unvoreingenommen die ästhetischen Möglichkeiten und nutzten sie. Eine dem modernen Leben und dem Zeitgefühl gemäße angewandte Porzellankunst war überfällig.

Max Adolf Pfeiffer war derjenige, der die Zeichen der Zeit erkannte und als Direktor der Manufaktur ab 1918 freie und erfolgreiche Künstler nach Meissen zog. Paul Scheurich fertigte den Großteil seiner Porzellanfiguren für Meissen. Max Esser, August Gaul, Gerhard Marcks oder Ernst Barlach sind Künstler, die auf Veranlassung von Pfeiffer ebenfalls mit Meissener Porzellan gearbeitet haben. Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ist in ihrer Dynamik gleichzusetzen mit dem 18. Jahrhundert von Kaendler und Höroldt.

Tradition und Zeitgeist

Durch die Jahrhunderte war der Widerstreit mit kommerziellen Interessen die Herausforderung der Künstler, dennoch Großes zu leisten. Das gilt auch für das 20. bzw. 21. Jahrhundert. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg spielte das eine entscheidende Rolle. Die Vorgaben der Leitungsebene der VEB Staatliche Porzellan-Manufaktur zwängten die Künstler dieser Zeit, wie Zepner, Werner, Strang, Brettschneider und Stolle in ein Korsett, so eng, dass kaum Luft zum Atmen blieb. Mitte der 1970er Jahre rangen sie sich Freiräume ab in Form von Atelierporzellanen. Hier konnten sie frei experimentieren und neue Wege beschreiten. Auch die nachfolgenden Künstlergenerationen unterliegen diesen Zwängen. Die Einhaltung der für Meissener Porzellan spezifischen Ästhetik, kombiniert mit dem jeweiligen Zeitgeschmack, war und ist bis heute die Arbeitsgrundlage der Künstler und somit auch des Erfolges der Manufaktur.

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Rechts: Dame mit Fächer von Paul Scheurich

All nations are welcome

Im zweiten Obergeschoss erleben Sie eine interkulturelle Sonderausstellung mit dem Titel „All nations are welcome“. Seit ihrer Gründung im Jahr 1710 hat die Porzellan-Manufaktur Meissen internationale Einflüsse aufgenommen und auf diese Weise weltweit Kunst- und Kulturgeschichte geschrieben. Die Ausstellung zeigt eine einzigartige Inszenierung verschiedener Länder, Nationen und Religionen mit charakteristischen Meissener Porzellanen. Jede Vitrine ist einem Land oder Thema gewidmet. Neben historischen Exponaten erwarten den Besucher auch Porzellankunstwerke der Gegenwart, geschaffen von zeitgenössischen Meissener Künstlern. Es sind folgende Länder, Nationen und Religionen vertreten: Ostasien, Italien, Frankreich, Russland, Polen, Orient, Türkei, Ägypten, England, USA, Dänemark, Holland, Christentum, Judentum sowie Porzellane der Weltausstellungen im 19. Jahrhundert.

Sonderausstellung zum Jubiläum:

Eine Festhalle für das Meissener Porzellan – „Die Schauhalle“ der Meissen Porzellan-Stiftung

2016 wird das Meissen Porzellan-Museum 100 Jahre alt und blickt zurück. Eine Sonderausstellung entführt ab Ostern 2016 in das Jahr 1916 und beleuchtet die Hintergründe und die Entwicklungsgeschichte des Museums.

Historisch wertvoll und einzigartig

Anhand historischer Fotografien und historischer Akten des Archivs der Porzellan-Manufaktur wird das Eröffnungsjahr 1916 lebendig. Die alten Aufnahmen erzählen, wie alles begann. Im Stil einer neoklassizistischen Festhalle errichtet, wurde das Museum im Januar 1916 eröffnet. Die wertvolle historische Innenausstattung ist bis heute erhalten. Vitrinen aus dunkel gebeizter Eiche, passend dazu die Verkleidung der Türnischen, Türen, Pfeiler und Tische. Weiße Decken und mit Stoff bespannte Wände sorgten im Eröffnungsjahr für ein geschlossenes, behagliches Gesamtbild.

Oben: Bossieren Figur „Ein kleines Stück vom Paradies“ Antemanns Dreams

Unten: Bossieren der Vase „Sommerduft“

2. Obergeschoss
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Oben: Historische Arbeitsplätze in der Manufaktur 1899

Unten (oben): Formenarchiv

Unten (unten): Unterglasurmalerei

Unten (rechts): Bossieren der Vase „Sommerduft“

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2016 - Modernes Museum im historischen Gewand

Das Gebäude der Schauhalle besteht heute noch in seiner ursprünglichen Form und wurde im Jahre 2005 durch einen modernen Anbau erweitert. Die Räumlichkeiten im ersten Geschoss des Porzellan-Museums erhalten nun eine Frischekur, ohne die historischen Details zu überdecken. 300 Jahre Porzellan-Geschichte werden neu arrangiert und aufbereitet. Der Umbau des ersten Obergeschosses erfolgt im laufenden Betrieb, sodass es zu teilweisen Einschränkungen im Besuchsablauf kommen kann. Ende März 2016 ist die Umgestaltung des ersten Obergeschosses abgeschlossen und präsentiert sich im neuen Glanz.

Veranstaltungshighlights 2016

Ostern 2016: Eröffnung der Ausstellung

„100 Jahre Museum“

22. April 2016, 19 Uhr

2. Gourmetabend bei MEISSEN®

22. April 2016, 12-17 Uhr und 23. April 2016, 10-17 Uhr: Tag der offenen Tür in den Produktionsbereichen der Manufaktur.

3. und 4. Dezember 2016, 9-18 Uhr: Weihnachtsmarkt in der Erlebniswelt HAUS MEISSEN®

Manufaktur MEISSEN

Erlebniswelt HAUS MEISSEN®

Talstrasse 9, D- 01662 Meißen

Tel. 03521 468-208 /-206

museum@meissen.com

www.meissen.com

Meissen Porzellan-Stiftung GmbH

Talstraße 9, 01662 Meißen

Telefon: 03521 4760 331

museum@porzellan-stiftung.de www.porzellan-stiftung.de

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Oben: All Nations are Welcome Russland. Unten links: Vase „Der Frühling“ mit reicher Blumenranke und Putten von Paul Helmig für die Pariser Weltausstellung.

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Das Kloster Jerichow –Kleinod der Romantik und ältester Backsteinbau

Nordeuropas

Autor: Jan Wißgott

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Das Kloster Jerichow ist ein ehemaliges Stift des Prämonstratenser-Chorherren-Ordens. Es liegt im Nord-Osten des heutigen Bundeslandes Sachsen-Anhalt unweit der alten Kaiserstadt Tangermünde am Rande eines Naturschutzgebietes, das von einer reichen Flora und Fauna geprägt ist. Aufgrund seiner historischen Bedeutung ist der Ort Jerichow auch Namensgeber des Landkreises Jerichower Land. Im 12. Jahrhundert lebten in den Gebieten östlich der Elbe verschiedene slawische Völker und auch der Name Jerichow steht in Zusammenhang mit der einstigen slawischen Besiedlung. Im Jahre 1144 ließ sich der Missionsorden der Prämonstratenser im Orte nieder und errichtete eine Backsteinkirche, die als ältester Backsteinbau Norddeutschlands gilt. Aus der Not wurde eine Tugend. Zwar mangelte es an örtlichen Natursteinvorkommen, im Bereich der Elbniederungen jedoch sammelte sich im Verlauf der vergangenen Jahrhunderte eine meterhohe Schicht aus Kies, Sand und Schlick an - Materialien die man sich für die Errichtung des Klosters zunutze machte. Die Backsteine konnten direkt vor Ort gebrannt werden. Einblick in die mittelal-

terliche Technologie der Backsteinherstellung vom Formen über den Brennvorgang bis hin zur Gestaltung von Friesen und Mauerverbänden können Sie beim Besuch unseres Backsteinmuseums erleben. Die Stiftskirche St. Marien und St. Nikolaus ist nahezu stilrein romanisch erhalten und prägt mit ihren beiden weit aufragenden Westtürmen weithin sichtbar das Bild der Landschaft. Es handelt sich um eine dreischiffige, flachgedeckte Backsteinbasilika mit einem Querhaus. Eine Besonderheit im Inneren stellt die zweischiffige Krypta unter dem Hohen Chor dar. Ihre Säulen tragen Kapitelle von hoher künstlerischer Qualität, die pflanzliche und figürliche Motive zeigen. Die östliche Säule unterhalb des romanischen Hochaltars

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unterscheidet sich von den übrigen sowohl in Größe, Gestaltung als auch ihrem Material. Es handelt sich hierbei um eine Spolie. Darstellungen von Dämonen zieren den Kopf dieser antiken Säule. Hohe

kunsthistorische Bedeutung besitzt auch der romanische Sockel des Osterleuchters der nahe dem Kreuzaltar steht. Der achteckige Sockel, der mit Darstellungen von Halbfiguren verziert ist, stammt aus

der frühen Nutzungszeit des Klosters. Im Süden der knapp 870 Jahre alten Kirche schließt die Klausur an, der Lebensbereich der Geistlichen. In den Wirren der Reformation wurde das Kloster aufgelöst und 81

hundert einsetzen ließ. 2009 wurde der gesamte Kirchenraum neu verglast und 2014 die Fenster des Brüdersaals. Bedeutung und Hintergründe der Fenstergestaltung werden hier ebenso wie die im Rahmen des Findungswettbewerbs entstandenen, jedoch abgelehnten Modelle vorgestellt.

Das Areal des weitläufigen und zum Teil noch von der Klostermauer des 12. Jahr-

säkularisiert. Der ehemalige Klosterbesitz einschließlich der romanischen Klausurgebäude wurde in eine Domäne umgewandelt. Trotz Jahrhunderten der wirtschaftlichen Nutzung befinden sich die Säle im Erdgeschoss der Klausur in einem sehr guten Zustand. Hier können in einigen Bereichen noch Reste der mittelalterlichen Ausstattung in Form von Malereien und Bauplastiken entdeckt werden. Das Obergeschoss des Klausurostflügels, das einstige Dormitorium, wurde zu einem Museum ausgebaut. Hier erfahren Sie Wissenswertes zur Geschichte der Klosteranlage und ihrer Ausstattung. Besondere Beachtung ist dem Thema der Fensterverglasung beigemessen. Neben Fragmenten der mittelalterlichen Verglasung werden hier die Fenster präsentiert, die Ferdinand von Quast im 19. Jahr-

hunderts umgebenen Klostergartens lädt zum Erkunden und Verweilen ein. Verschiedene Schaugärten, wie zum Beispiel ein Kräuter- und Hochbeetgarten, die nach dem Vorbild mittelalterlicher Klostergärten mit historischen Pflanzen hier angelegt wurden, können Sie entdecken. Lassen Sie sich auch von den Erlebnis- und Themengärten, darunter der Braillegarten

mit Blindenschrift und schwebenden Beeten unter einem Weidenzuckerhut sowie der sogenannte Paradiesgarten mit einer Vielzahl an liturgischen Verbindungen in die Pflanzenwelt, inspirieren. Nach einem spannenden Museumsbesuch können Sie auf einer unserer Sonnenliegen die Seele baumeln lassen. In jedem Jahr kommen immer mehr neue Gartenbereiche und Außenausstellungsflächen zum Entdecken und Erforschen hinzu.

Vielfältige Angebote bereichern Ihren Aufenthalt:

Um die Anlage und das Leben ihrer früheren Bewohner besser kennenzulernen, können Sie an diversen Führungen teilnehmen oder sich mit einem Audio-Guide, der auch eine Erlebnistour für Kinder bietet, selbstständig durch das Kloster bewegen. Projekte, die nicht nur Schulklassen immer wieder gern nutzen, stellen Themen wie Schreibkunst, Kleidung oder Ernährung im Mittelalter vor. Regelmäßig finden zudem Seminare, Workshops und Vorträge im Kloster statt.

Zwar leben heute keine Geistlichen mehr im Kloster, zur inneren Einkehr und religiösen Vertiefung laden jedoch tägliche Andachten im Hohen Chor der Kirche ein.

Auch für das leibliche Wohl ist gesorgt, denn jüngst entstanden ein Wirtshaus in dem Sie zu Mittag a la carde Speisen können, eine Schaubrennerei in deren Verkostungsstube Sie gemütliche Abende bei einem Hausbrand verbringen können und ein kleines Klostergarten-Café inmitten des Gartens, wo Sie unseren hausgebackenen Kuchen schlemmen können, sowie neue unterschiedliche Übernachtungsmöglichkeiten. Ob stilgerecht im Pilgerzimmer oder in einer der gut ausgestatteten Ferienwohnungen, als auch in einem unserer beiden Wohnfässer mitten im neuen Obstgarten; Sie werden klösterlich träumen und gut Schlafen. Besonders, wenn am Abend die Sonne hinter der Elblandschaft versinkt und der

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Klostergarten in völliger Ruhe den Feriengästen gehört, kann man einen wunderschönen Eindruck des Klosters Jerichow aufnehmen.

Vielfältige Veranstaltungen bereichern unsere Angebotspalette. Neben klassischen und modernen Konzerten locken vor allem Themenabende mit Musik, Speis und Trank sowie Märkte. Lassen Sie sich beim historischen Klostergartenfest in die raue Welt des Mittelalters entführen oder von der Atmosphäre unseres Adventsmarktes verzaubern! Für so gut wie jeden Geschmack ist im Jahresverlauf etwas zu finden und haben wir mal nicht das richtige Angebot, sind wir immer offen für Einmietungen. Auch Hochzeiten, Familienfeiern, Taufen, Kommunion oder Jugendweihe, es findet sich immer ein Grund um den geschmackvoll eingerichteten historischen Malzkellersaal zu nutzen. So lassen bereits viele Brautpaare den schönsten Tag ihres zukünftigen Ehelebens bei uns im Kloster beginnen. Ob kirchlich oder standesamtlich, mit Feierstunde oder gesamter Feier, beinahe alle Arrangements sind möglich.

Am Kloster 1

39319 Jerichow

Tel.: +49 (0)39343/ 285

www.kloster-jerichow.de Öffnungszeiten: April bis Oktober täglich 09-18 Uhr, Nov. bis März täglich 10-16 Uhr

Stiftung Kloster Jerichow
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Alle Fotos: © Stiftung Kloster Jerichow

DB Museum – Ein Haus mit Geschichte

Als die erste deutsche Eisenbahnstrecke zwischen Nürnberg und Fürth am 7. Dezember 1835 feierlich eröffnet wurde, konnte wohl niemand ahnen, dass dieser Tag nur 47 Jahre später in einem eigens errichteten Museum gewürdigt werden sollte – dem ältesten Eisenbahnmuseum der Welt. Schon früh begannen die Eisenbahnwerkstätten Museumsobjekte zu sammeln und fein detaillierte Fahrzeugmodelle anzufertigen. Diese wurden ab 1882 in einem kleinen Museum für Eisenbahngeschichte in München, initiiert durch die Bayerische Staatseisenbahn, ausgestellt. Jene Modelle im Maßstab

1:10 sind heute im neuesten Bereich der Dauerausstellung des DB Museums, dem Modellarium, untergebracht.

Bereits 1899 zog das Königlich Bayerische Eisenbahnmuseum vorerst von München in einen Pavillon in Nürnberg um. Von 1914 bis 1925, verzögert durch den Ersten Weltkrieg, entstand für das erweiterte Museum ein Neubau in der Lessingstraße. Wenige Fußminuten vom Hauptbahnhof Nürnberg entfernt. Die Sandsteinfassade im Stil der Neorenaissance lässt nur erahnen, was sich dahinter verbirgt: eine der größten und modernsten Ausstellungen zur Bahngeschichte und eine Vielzahl wertvoller Originalfahrzeuge. 1996 erfolgte die Übernahme des Hauses als Firmenmuseum durch die neu geschaffene Deutsche Bahn AG. Anfang 2013 ging das Museum in die neu gegründete Deutsche Bahn Stiftung über und bildet seitdem das Herzstück dieser gemeinnützigen GmbH.

Rechts: Wesentlicher Teil der historischen Sammlung der Bayerischen Staatseisenbahn in München sind von Beginn an 1:10-Modelle. Foto: DB Museum

Oben: Historistische Fassade, moderne Ausstellung: Das heutige DB Museum an der Lessingstraße in Nürnberg. Foto: Mike Beims

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180 Jahre Eisenbahn in Deutschland

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Der prunkvolle „Wartesaal für Allerhöchste Herrschaften“ in der Dauerausstellung des DB Museums. Er war bis 1903 Teil des ehemaligen Nürnberger Centralbahnhofs und wurde nach dem Abriss im damaligen Verkehrsmuseum, heute DB Museum, aufgebaut.

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Foto: Mike Beims

Die Dauerausstellung des DB Museums beleuchtet nicht nur die technische Entwicklung der Eisenbahn, sondern beschäftigt sich vor allem mit ihren wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Zusammenhängen. Wie kam die Eisenbahn von England nach Deutschland? Wie veränderte das neue Verkehrsmittel das Alltagsleben der Menschen?

Dies sind nur einige der Fragen, die im DB Museum beantwortet werden. Auch die dunklen Kapitel der Eisenbahngeschichte sind Bestandteil der Dauerausstellung. Ohne das Transportmittel Eisenbahn hätten die Kriege des 20. Jahrhunderts nie in dem bekannten Ausmaß stattfinden können. Neben der Geschichte der Deutschen Reichsbahn werden auch die Entwicklungen der Bundesbahn und der Reichsbahn der DDR parallel zueinander gezeigt. Im letzten Teil der Ausstellung finden die prägenden Jahre nach 1989 samt der Entwicklung des ICE Platz. Seit der Erweiterung der Dauerausstellung im April 2014 präsentiert das DB Museum die komplette Geschichte der Eisenbahn in Deutschland: von der Gründung der Bayerischen Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft 1834 bis hin zur DB AG. Darüber hinaus wirft die Dauerausstellung auch einen Blick in die Zukunft der Mobilität. So kann beispielsweise ein Mock-up des

ICx - eine Designstudie des DB Fernverkehrs - im DB Museum besichtigt werden.

Für die jüngsten Besucher hat das DB Museum ebenfalls einiges zu bieten: Neben einem modernen Museumskonzept, das zum Anfassen und Ausprobieren einlädt, stellt eine Fahrt auf dem KIBALA-Express, einer 5-Zoll-Kleinbahn, sicherlich den Höhepunkt jedes kleinen Museumsbesuchers dar.

Mit dem Modellarium schließt sich der Kreis

Anfang 2015 wurde die Dauerausstellung um einen zusätzlichen Teil erweitert: Das Modellarium vereint über 2.000 Modelle in unterschiedlichen Größen, von historischen Fahrzeugen im Maßstab 1:5 bis hin zu einer Lokomotive im Miniformat 1:700. Auf 450 m² werden sowohl Fahrzeugmodelle aus der ursprünglichen Eisenbahnausstellung in München von 1882, als auch Fahrzeugmodelle der letzten Jahre der Bundesbahn gezeigt. Die Anfertigung dieser fein detaillierten Modelle entwickelte sich seit dem 19. Jahrhundert zur Tradition und wurde bis in die 1980er Jahre durch die Eisenbahnwerkstätten weitergeführt. Nun wird diese Sammlung wieder in einem eigenen Ausstellungsbereich gewürdigt - der Kreis schließt sich.

Links: Triebköpfe verschiedener ICE-Generationen veranschaulichen die Fahrzeugentwicklung der letzten Jahrzehnte. Foto: Mike Beims

Rechts: Der jüngste Teil der Dauerausstellung, das Modellarium, zeigt Fahrzeugmodelle in den Maßstäben 1:5 bis 1:700. Foto: Uwe Niklas

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Oben: An den Standorten Koblenz-Lützel (Foto) und Halle (Saale) stehen Ausstellung und Betrieb historischer Fahrzeuge im Vordergrund.

Unten: In Halle (Foto) und Koblenz wird ein Großteil der anfallenden Arbeiten von ehrenamtlichen Helfern geleistet. Fotos: Mike Beims

und gehörte früher zum Bahnbetriebswerk Halle P. 1951 übernahm die Lokversuchsanstalt Halle das Gelände. Hier sind vor allem Baureihen der Deutschen Reichsbahn aus der DDR ausgestellt. Neben dem Haupthaus in Nürnberg und den Zweigstellen in Koblenz und Halle gibt es zahlreiche Depots und Museen, an denen etwa 600 Fahrzeuge des DB Museums sichergestellt oder als Leihgabe untergebracht sind.

Ein Name – zahlreiche Standorte

2001 eröffnete das DB Museum seinen ersten Außenstandort in einem ehemaligen Güterwagenausbesserungswerk in Koblenz-Lützel. In dem denkmalgeschützten Objekt können rund einhundert Fahrzeuge besichtigt werden. Neben Elektro- und Dampflokomotiven sind vier Salonwagen aus der Vorkriegszeit ausgestellt. Berühmte Persönlichkeiten wie Queen Elisabeth II. von England, Charles de Gaulle und die Beatles benutzten diese Salonwagen. 2003 wurde der zweite Außenstandort in Halle (Saale) eröffnet. Der Lokschuppen IV, in dem das DB Museum in Halle untergebracht ist, existiert seit 1895

Eisenbahn international

Regelmäßig finden im DB Museum Nürnberg Sonderausstellungen zu verschiedenen Themenschwerpunkten statt. Die aktuelle Sonderausstellung Planet Railway: Schweiz bildet dabei den Auftakt einer Reihe von Sonderausstellungen, anhand derer die Geschichte der Eisenbahn verschiedener Länder thematisiert wird. Seit dem 9. Oktober 2015 geht das DB Museum nicht nur der Frage nach, wie es die Eisenbahn in die Alpen schaffte. Exponate vom Bau des Gotthardtunnels und die spektakulären Bergbahnen, wie zum Beispiel die Pilatus-Bahn oder der Glacier-Express, veranschaulichen die Schweizer Ei-

senbahn auf 400 m² Ausstellungsfläche. Natürlich dürfen auch legendäre Eisenbahnfahrzeuge der Schweiz nicht fehlen, so werden in der Sonderausstellung hochwertige Modelle in gewohnter Schweizer Präzision gezeigt. Beispielsweise der „Rote Pfeil“ und das „Krokodil“. Planet Railway: Schweiz zeigt die Leistungsfähigkeit der Schweizer Eisenbahnindustrie, gibt einen Überblick über die heutige Situation der Schweizer Eisenbahnen und verdeutlicht, warum die Schweiz in aller Welt als Eisenbahn-Musterland gilt. Für die Ausstellung stellten das Verkehrshaus der Schweiz in Luzern sowie SBB Historic etwa 100 wertvolle Dokumente und Exponate zur Verfügung – von historischen Grafiken bis hin zu Fahrzeugmodellen, die in eine abwechslungsreiche Ausstellungsarchitektur eingefügt wurden. Zusätzlich zu den regulären Öffnungszeiten kann die Sonderausstellung jeden Sonntag um 13 Uhr bei einem Rundgang besichtigt werden. Außerdem ist für 2016 ein umfangreiches Begleitprogramm geplant: Es wird kulinarische Rundgänge, Lesungen und Comedy-Programme sowie Fahrten mit dem TEE und dem Krokodil geben. Die Sonderausstellung endet am 30. April 2016.

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Mit dem Adler von Nürnberg nach Fürth – seit 180 Jahren

Vermutlich hätte sich 1835 niemand vorstellen können, dass der Adler, die erste Eisenbahn in Deutschland, auch 181 Jahre später noch ihre Runden durch Nürn-

berg drehen würde - erschien wohl schon die Eröffnung eines Eisenbahnmuseums im Jahr 1835 als utopisch. Erstmalig nach 2014 wird die Rekonstruktion des Adlers an den Wochenenden 28./29. Mai, 02./03. Juli sowie am 23./24. Juli 2016 wieder zwischen Nürnberg und Fürth

pendeln. Die Fahrt dauert etwa eine Stunde. Genaue Abfahrtszeiten und Preise können ab März 2016 unter www.dbmuseum.de oder unter 0800 326 87 386 erfragt werden.

DB Museum

Deutsche Bahn Stiftung gGmbH

Lessingstr. 6, 90443 Nürnberg

Tel.: 0800 326 87 386 (kostenfrei) oder 0800 DB MUSEUM

www.dbmuseum.de

www.instagram.com/dbmuseum/ Neu: Das DB Museum auf Instagram

Geöffnet Di-Fr 9-17 Uhr, in der Adventszeit auch montags, Sa + So 10-18 Uhr Eintritt 5 €, ermäßigt 4 €, Kinder und Jugendliche 2,50 €, Kinder unter 6 Jahren frei.

Oben: Schweizer Präzision in der aktuellen Sonderausstellung Planet Railway: Schweiz. Foto: Uwe Niklas Integriert: Schweizer Kanton- und Gemeindewappen. Leihgabe von SBB Historic. Foto: Benjamin Stieglmaier
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2016 verkehrt der Adler-Nachbau wieder zwischen Nürnberg und Fürth. Foto: Benjamin Stieglmaier

LUDWIGGALERIE

Schloss Oberhausen

Kunst genießen zwischen CentrO und Gasometer...

Autorin: Dr. Christine Vogt

Das Schloss Oberhausen liegt, romantisch im grünen Kaisergarten mit Tierpark, am Rhein-Herne-Kanal in fußläufiger Entfernung vom Gasometer und Centro Oberhausen. Das klassizistische, rosafarbene Kleinod beheimatet die LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen, ein Haus für Wechselausstellungen, das zum weltweiten Netz der über 20 Museen gehört, die eng mit dem Namen des Sammlerehepaares Peter und Irene Ludwig verbunden sind.

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Fotos: © Thomas Wolf

Drei inhaltliche Säulen bestimmen die Ausstellungskonzeption:

In der Ludwig Galerie treffen kostbar inszenierte Meisterwerke der Sammlung

Peter und Irene Ludwig aus allen Zeiten und Kulturen in ungewöhnlichen Themenstellungen aufeinander.

Comic und Fotografie stehen im Mittelpunkt des Ausstellungsbereiches der Populären Galerie.

Ausstellungen der „Landmarken-Galerie“ dokumentieren und begleiten den Strukturwandel in der ehemaligen Mon-

tanregion Ruhrgebiet. Zu allen Ausstellungen wird ein spezielles museumspädagogisches Angebot für Kinder und Erwachsene jeden Alters und Menschen mit Demenz erarbeitet.

Öffentliche Führungen gibt es sonn- und feiertags um 11.30 Uhr, und KuratorInnenführungen an ausgewählten Sonntagen um 15 Uhr. Der beliebte Museumsshop lädt zum Stöbern auch an Sonntagen ein. Mit dem Museumsblog www.ludwiggalerie.blogspot.de ist die LUDWIGGALERIE online unterwegs.

Die LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen ist eins der zwanzig RuhrKunstMuseen.

2016 präsentiert die LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen wieder ein breit gefächertes Ausstellungsangebot.

LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen Konrad-Adenauer-Allee 46

D-46049 Oberhausen

Tel.: 0208/41249 28

www.ludwiggalerie.de

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DAS IST DOCH KEINE KUNST –Comics und Cartoons zwischen Shit happens, NICHTLUSTIG und Schönen Töchtern

Noch bis 17. Januar 2016 ist die Ausstellung Ruthe • Sauer • Flix

DAS IST DOCH KEINE KUNST – Comics und Cartoons zwischen Shit happens, NICHTLUSTIG und Schönen Töchtern zu sehen.

Drei der profiliertesten deutschen Comicund Cartoonzeichner sind zu Gast in der LUDWIGGALERIE. Ralph Ruthe, Joscha Sauer und Flix (Felix Görmann) bestimmen seit Jahren maßgeblich die Szene des deutschen Comics und Cartoons und zeigen mit ihren Arbeiten deutlich die Übergänge und Grenzen des Mediums auf. Ralph Ruthe ist besonders für seine täglichen Katastrophen, die den Protagonisten in Shit happens geschehen, bekannt. Der Dreiklang aus Giraffe, Nashorn und Koalabär – Hals, Nase, Ohren – beschäftigt sich mit den vielen kleinen Missgeschicken bei zu ausgeprägten Körperteilen. Ein reiches Repertoire der Tierwelt – ob Kuh, Hamster, Geier oder Löwe – erlebt in Cartoons erzählte Misslichkeiten, Baum und Tod stechen als Figuren besonders hervor. Ruthe arbeitet seit einiger Zeit stark mit dem bewegten Bild. Er stellt aus seinen Cartoons Trickfilme her, die er selber kongenial mit Stimmen, Sound und Musik versieht. Aktuell hat er ein Bühnenprogramm erarbeitet, mit dem er während der Ausstellungszeit durch Deutsch-

land tourt. Hier werden die Grenzen des gezeichneten Bildes weit verlassen. Joscha Sauers NICHTLUSTIG ist mittlerweile zum Kult und Markenzeichen geworden. Ein weit gefächertes Personal bevölkert seine Cartoons. Neben den selbstmörderischen Lemmingen (für die er sich auch im für diese Ausstellung gewählten Motiv als alter ego entschieden hat), finden die Yetis oder der in einer Wand wohnende Herr Riebmann ebenso durchgehend Beachtung wie der Tod und sein Pudel, Fäkalini, Ninjas, Außerirdische oder die Wissenschaftler Wilson und Pickett. Auch bei Sauer spielt das bewegte Bild eine immer größere Rolle, zurzeit arbeitet er an einer Trickfilmserie. Alle drei Zeichner stellen regelmäßig neue Cartoons und Comics auf ihren Webseiten zur Verfügung.

So stellt Flix unter dem Titel Heldentage kleine Alltagssituationen, meistens in vier Kästen angeordnet, ins Netz. Während Ruthe und Sauer den Cartoon, also das Einzelbild, als ihr Medium gewählt haben, zeichnet Flix umfangreiche und manchmal an literarische Vorlagen angelehnte Comics. Faust oder Don Quijote werden hier höchst originell neu erzählt. Mit seinem Debüt Held zeigte sich bereits die starke Prägung seiner Geschichten mit dem eigenen Leben und Erleben. Die Schönen Töchter, die aktuell zur Ausstellung als Buch erscheinen, geben ebenso Beobachtungen des Alltags wieder wie viele seiner anderen Geschichten. Und Ferdinand dem Reporterhund gibt er re-

gelmäßig in Dein Spiegel Aussehen und Prägung, während Ralph Ruthe die Geschichten dazu erdenkt.

Mit dieser Werkschau setzt die LUDWIGGALERIE ihre Reihe zu den wichtigsten deutschsprachigen Positionen im Bereich der populären Kunst fort.

American Pop Art Meisterwerke massenhaft von Robert Rauschenberg bis Andy Warhol aus der Sammlung Beck 24. Januar bis 16. Mai 2016

Mit dem Aufkommen der Pop Art in Amerika werden nicht nur Motive des Alltags wie Comics, Fahnen oder Suppendosen kunstwürdig. Auch die Frage des Originals und Geniekultes wird – ganz im Sinne der Nachfolge von Marcel Duchamp – diskutiert. Dies führt unter anderem dazu, dass Künstler beginnen, ihre Siebdrucke, aber auch Objekte, als ars multiple, als Meisterwerke massenhaft, aufzulegen. Kunst für alle ist die Devise, die zu einer eigenen Ausprägung und zu eigenwilligen Formen führt. Die Popularisierung der Kunst zeigt sich auch darin, dass Idole und Fetische nun zu Hauptdarstellern werden. Die Beatles oder Marilyn Monroe, Jacky Kennedy oder Queen Elisabeth, das Auto oder der Schuh treten prominent ins Bild und geben die Konsumwelt nun im Museumsformat wieder.

Das Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigs-

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Das ist doch keine Kunst, 2015 © Ruthe, Sauer, Flix

hafen beherbergt mit der Sammlung des Düsseldorfer Rechtsanwaltes Heinz Beck ein großartiges Konvolut an Werken der 1960er und 70er Jahre. Die besondere Ausprägung dieser Sammlung liegt in Becks Vorliebe für Auflagen und Multiples, die genau den Wunsch der damaligen Zeit nach einer demokratisierten Kunst beeindruckend widerspiegelt. Erstmals zeigt die LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen eine Auswahl der amerikanischen Pop Art, die das besondere Vorgehen, nicht nur einer zentralen Figur wie Andy Warhol, sondern einer ganzen Strömung verdeutlicht. Editionen wie 7 in a box von 1966 oder ten from leo castelli von 1967/68 geben Einblicke in Künstlerfreundschaften und Kunstmarktverhalten.

Arman (Armand Fernandez)+Art Workers Coalition+Richard Bernstein+Christo+Robert Cottingham+Allan D’Arcangelo+Jim Dine+Don Eddy+Richard Estes+Hans-Dietrich Froese+Ralph Goings+Robert Graham+Eila Hershon+Robert Indiana+Alain Jaquet+Jasper Johns+Howard Kanovitz+Allan Kaprow+Alex Katz+Edward Kienholz+R.B. Kitaj+Roy Lichtenstein+Liliane Lijn+Robert W. Munford+Lowel B. Nesbitt+Claes Oldenburg+Mel Ramos+Robert Rau schen

Brigitte Kraemer

Mann und Auto, Die Bude, Im guten Glauben – Reportagen und Fotografien von 1985 bis heute

6. März bis 12. Juni 2016

Eröffnung: Sonntag, 6. März 2016, 15 Uhr

Kritische Reportagen mit großer Nähe zu den Menschen und manchmal einem Augenzwinkern, das zeichnet die fotografische Arbeit von Brigitte Kraemer aus. Seit Mitte der 1980er Jahre arbeitet die in Herne lebende Fotografin für große Zeitungen und Zeitschriften, recherchiert zu Mädchen auf Trebe oder Pattex-Schnüfflern, beobachtet Mann und Auto oder ruhrgebietstypische Architekturen mit ihren Betreibern und Nutzern wie Die Bude. Das Oberhausener Friedensdorf mit den verletzten und hier genesenden Kindern hat sie ebenso besucht und ins Bild gesetzt, wie die vor der Öffentlichkeit verborgenen Frauenhäuser mit ihren Bewohnerinnen und Schicksalen. Im guten Glauben heißt die Arbeit, bei der sie die Vielfalt der religiösen Gebräuche und ihre besonderen und oft pragmatischen Ausprägungen im Ruhrgebiet beobachtet. Und ganz aktuell begleitet sie fotografisch Flüchtlinge, auch diese bisher unveröffentlichten Bilder wer-

den in der Ausstellung zu sehen sein. Ihre Fotografien sind weithin bekannt und geben seit Jahren einen Einblick in die Region und darüber hinaus. Es fällt auf, wie sehr sie es schafft, den Menschen nahe zu kommen, zu beobachten, ohne voyeuristisch zu sein. Sie und ihre Kamera schei-

nen unsichtbar zu werden, die Menschen präsentieren sich ihr ungestellt, wie unbeobachtet.

Erstmals wird nun in der LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen ein musealer Überblick über das Werk von Brigitte Kraemer gegeben.

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Foot 1968 © The Estate of Tom Wesselmann. VG Bild-Kunst Bonn 2015 Die Bude, Duisburg, 2007 ©BrigitteKraemer

Der gute Weg zum Himmel – Spätmittelalterliche Bilder zum richtigen Sterben. Das Gemälde ars bene moriendi aus der Sammlung Peter und Irene Ludwig vom 21. Februar bis 8. Mai 2016

Diese konzentrierte Einraumschau widmet sich in Kooperation mit dem Suermondt-Ludwig-Museum Aachen erneut einem wichtigen Stück aus der Sammlung Peter und Irene Ludwig. Die um 1475 entstandene Eichenholztafel vom Meister des Sinziger Kalvarienberges behandelt das für die Tafelmalerei seltene Thema der ars bene moriendi, der im Mittelalter zentralen Frage des richtigen Sterbens. Wertvolle weitere Leihgaben komplettieren das Themenfeld.

Otto Waalkes

Ottifanten und Kunstgeschichte aus ostfriesischer Sicht

25. September 2016 bis 15. Januar 2017

Dass Otto Waalkes zu den deutschen Multitalenten gehört ist weithin bekannt. Doch als Zeichner und Maler ist er bisher wenig wahrgenommen worden. Die Ausstellung widmet sich diesem besonderen Bereich seines Lebenswerkes. Frühe Zeichnungen zeigen den an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg ausgebildeten als jungen Karikaturisten. Seine Figur des Ottifanten ist weltberühmt und auch als Comic-Zeichnung bis heute präsent. Plakate und Plattencover zu Auftritten und Veröffentlichungen gestaltete Otto selbst. In den letzten Jahren wendete er sich zunehmend der Kunstgeschichte zu und schuf Parodien auf die großen Maler dieser Welt von verblüffender Intensität und erwarteter Originalität. Die Neuinterpretation von Picasso, Lichtenstein und Co. und die Bevölkerung ihrer Bilder durch den Ottifanten können nun am Original nachvollzogen werden.

Regina Relang - Inszenierte Eleganz Reportage- und Modefotografie von 1930 bis 1970 22. Mai bis 18. September 2016

Regina Relang beginnt ihre fotografische Karriere im Paris der 1930er Jahre mit Reportageaufnahmen, die während ihrer Reisen durch Südeuropa entstehen. In der Nachkriegszeit avanciert sie zur führenden Modefotografin Deutschlands. Zu

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Meister des Sinziger Kalvarienberges, Ars bene moriendi, um 1475, Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen © Foto Anne Gold, (Detail) Ottifanten im Quadrat nach Andy Warhol 2014. © Otto Waalkes

ihren Auftraggebern zählen Modeschöpfer wie Christian Dior oder Yves Saint Laurent. Die Ruinen des zerstörten Münchens dienen ihr gleichermaßen wie das bunte und rege städtische Treiben der Modemetropolen als Kulisse. In ihrem eigenen

fotografischen Stil überwindet Relang die Grenzen zwischen Mode- und Reportagefotografie. Sie bettet die neuesten Kollektionen in den alltäglichen Kontext oder inszeniert glamouröse Settings. In den 1960er Jahre arbeitet sie zunehmend

im Studio oder mit studiohaften Situationen. Erstmals ist nun eine Auswahl des fotografischen Nachlasses von Regina Relang aus der Sammlung Fotografie des Münchner Stadtmuseums außerhalb des süddeutschen Raums zu sehen.

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Regina Relang. Gisela Ebel mit Schmetterlingsbrille 1950 © Münchner Stadtmuseum Sammlung Fotografie Archiv Relang

Weil am Rhein –Museen, Kunst und Design

Weil am Rhein ist die südwestlichste Stadt Deutschlands. Sie hat eine Grenze zur Schweiz und nach Frankreich und ist mit rund 30 000 Einwohnern neben Lörrach und St. Louis (auf französischer Seite) eines der Zentren in der grenzüberschreitenden Agglomeration um Basel herum, die einst „Regio Basiliensis“ genannt wurde. Inzwischen weist diese Agglomeration von fast einer halben Million Menschen eine Reihe von Leuchttürmen der modernen Architektur auf wie den Vitra Campus in Weil am Rhein und den Novartis Campus in Basel. Beide Hotspots der Architektur versammeln Gebäude von mindestens zehn der besten Architekten weltweit. Darüber hinaus ist die Region Basel nicht nur wegen des ältesten öffentlichen Kunstmuseums der internationale Nabel der Kunstwelt. Die ART Basel als größte Kunstmesse weltweit, eine überdurchschnittlich hohe Anzahl von Kunst-Galerien, zu denen auch große private Häuser wie die Fondation Beyeler (erfolgreichstes Kunstmuseum der Schweiz mit jährlich über 350 000 Besuchern) oder das Museum Schaulager, das Forum Würth oder das Tinguely-Museum gehören sind Publikumsmagnete, die auch nach Weil am Rhein ausstrahlen.

Einem privaten Engagement ist auch die wohl größte deutsche Urban-Art-Galerie zu verdanken, die colab-gallery im Weiler Stadtteil Friedlingen, ganz in der Nähe eines internationalen Atelierzentrums, das im Kulturzentrum Kesselhaus Künstler aus mehreren Ländern beherbergt. Bedeutende Künstler wie Joseph Beuys oder Meret Oppenheim wurden schon in der privaten Galerie Stahlberger ausgestellt und der Weiler Kunstverein zeigt gemeinsam mit dem Weiler Kulturamt in der städtischen Galerie Stapflehus internationale Kunst in jährlich fünf Ausstellungen. Daneben gibt es noch weitere private Galerien oder ungewöhnliche Kunstorte wie den „Kunstraum Kieswerk“ in einem ehema-

ligen Mischwerk des Kiesabbaus mit zahlreichen zeitgenössischen Kulturprojekten und Festivals.

Dabei profitiert Weil am Rhein durchaus von einem fließenden Übergang von suburbanen zu ländlichen Strukturen. Als der Kunst-Boom in der Region in den Achtzigerjahren einsetzte, wurde auch 1986 ein Kulturamt installiert, das mit ungewöhnlichen Konzepten nicht geizte. Tonio Paßlick entwickelte als Kulturamtsleiter gleich zu Beginn dieser Neustrukturierung des Weiler Kulturlebens auf der Basis eines emanzipatorischen Kulturkonzeptes eine Museumsvielfalt, die erstens der dispersen Struktur der Stadt mit ihren völlig unterschiedlich gewachsenen Stadtteilen entsprach, sich zweitens auf die Arbeitsgeschichte der Stadt fokussierte und drittens von vornherein kompetente und engagierte Bürger in den Ausstellungsbetrieb einbezog.

Innerhalb von acht Jahren wurden vier städtische Museen aufgebaut, die dezentral an ursprünglichen Wirkungsstätten verwirklicht wurden. In einem klassizistischen Gebäude im alten Ortskern, das einst Rathaus, Schule und Postgebäude war, befindet sich heute das Museum am Lindenplatz. Dort organisiert der städtische Museums-Kurator David Dinse mit einem engagierten Museumskreis Sonderausstellungen zu aktuellen wie historischen Themen, die längst nicht nur historische Aspekte beinhalten, sondern überwiegend Themen des Alltags. Ein wichtiges Ziel ist die Schärfung der Wahrnehmung für Herausforderungen und Phänomene, die Menschen in ihrem persönlichen und lokalen Umfeld erleben. Nur wer sein Umfeld kennt und versteht, kann sein Leben und die sozialen und strukturellen Rahmenbedingungen kreativ mitgestalten, lautet das Credo dieses erwähnten „emanzipatorischen“ kulturpolitischen Verständnisses.

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In drei kleineren Filial-Museen werden die Themen dokumentiert, die charakteristisch für die stadtgeschichtliche Entwicklung der Quartiere oder Ortsteile sind.

Der bis zum Ende des 19. Jahrhunderts vorherrschende Agrarbereich wird in Altweil mit dem Landwirtschaftsmuseum (Produktion) und in Ötlingen mit der „Dorfstube“ (Wohnen) dargestellt. Die bedeutende Textilgeschichte zwischen 1880 und 1982 wird in ehemaligen Werk-

statträumen einer früheren Seidenstoffweberei in ursprünglich belassenen Räumen nachvollziehbar. Alle drei thematischen Museen sind an Originalschauplätzen, ja sogar in ursprünglich belassenen Räumen eingerichtet.

Die städtische Galerie Stapflehus im ehemaligen Vogtshaus zeigt in Kooperation mit dem Kunstverein Weil am Rhein jährlich vier oder fünf Kunstausstellungen. Gruppenausstellungen, thematische Pro-

jekte, die Präsentation des Markgräfler Kunstpreises oder die Regionale im organisatorischen Verbund mit über 15 weiteren Galerien der Region gehören zum Profil der Galerie, die sich in den vergangenen zehn Jahren den Ruf als eines der wichtigsten Ausstellungshäuser für zeitgenössische Kunst im Kreis Lörrach verschaffen konnte.

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Museum am Lindenplatz

Museum am Lindenplatz

Mit der Einführung eines dezentralen Museumskonzeptes nach der 1200-Jahrfeier der Stadt 1986 und dem Aufbau eines Kulturamtes werden zwei Stockwerke des Museums am Lindenplatz in einem klassizistischen Bauwerk aus dem Jahr 1845 im ehemaligen Dorfkern von Altweil vor allem für Sonderausstellungen genutzt, während drei historische Themen in ihren ursprünglichen Zusammenhang ausgelagert wurden: landwirtschaftliche Produktion in das Landwirtschaftsmuseum hinter dem Stapflehus, bäuerliches Leben und Wohnen im Museum Dorfstube Ötlingen und die Industriegeschichte in das Muse-

um Weiler Textilgeschichte im Kulturzentrum Kesselhaus.

120 Jahre lang diente es als Schule und Rathaus bis die Verlagerung des Stadtzentrums in den Sechzigerjahren die Nutzung als Heimatmuseum ermöglichte.

Das städtische Museum und der Verein „Museumskreis“ erarbeiten jährlich zwei Sonderausstellungen, die sich mit lokalgeschichtlichen Themen genauso befassen wie mit allgemeinen Fragen aus dem Alltagsleben und mit Themen unserer unmittelbaren Umwelt. Das Spektrum reicht von der Geschichte der Hexenverfolgungen bis zu informa-

tiven Projekten wie „SteinZeit“, „Essen und Genießen“, „Alle Wetter“ oder ungewohnten Perspektiven des Alltäglichen wie in der Serie zu den vier Elementen. Ortsgeschichtliche Aspekte wie das 150jährige Jubiläum der Feuerwehr, das Jubiläum des Rheinhafens oder das Jubiläum einer Wohnungsbau-Genossenschaft werden zum Anlass genommen, hinter die Kulissen zu blicken, Motive und Verhalten der beteiligten Menschen zu beleuchten, demographische Entwicklungen immer am Beispiel der agierenden Menschen darzustellen, Reportagen zu erstellen oder Zeitzeugen zu befragen. Die Besucher schätzen vor allem die Lebendigkeit und Vielseitigkeit der Aufar-

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Museum am Lindenplatz – Blick in die Ausstellung.

beitungen mancher trocken wirkender Themen, die gleichwohl durch den Einbezug wissenschaftlich orientierter und kompetenter Fachleute keine Information ungeprüft weitergibt.

Im Jahr 2016 wird eine Ausstellung gezeigt, die sich mit Phänomenen rund um die Farbe „Blau“ befasst.

Dauerausstellung „h.-th. baumann, kunst & design 1950-2010“

Als eine „Hommage an Hans-Theo Baumann“, der als Designer immer auch ein großer Künstler blieb, bezeichnet die Stadt Weil am Rhein die Dauerausstellung „h.-th. baumann, kunst & design 1950-

2010“ die seit 2010 in einem eigens dafür erweiterten Trakt des Museums am Lindenplatz gezeigt wird. Der offizielle Name des Ausstellungsraumes im Nebengebäude des Museums lautet „h.-th. baumann, kunst & design 1950-2010“.

Die neue Design-Sammlung stellt das Lebenswerk eines Menschen dar, der in Weil am Rhein aufgewachsen ist und wie nur wenige andere Menschen im Deutschland des 20. Jahrhunderts Design und Gestaltung im Alltag mitgeprägt hat.

„Hans Theo Baumann zählt zum Urgestein des deutschen Design“ sagte Professor Hufnagel von der Neuen Pinako-

thek in München bei der Eröffnung. Seine Entwürfe haben Geschichte geschrieben. Sein Anspruch ist ganzheitlich, seine Tätigkeit ebenfalls. Hans-Theo Baumann hat das Design in der Bundesrepublik Deutschland von der Nachkriegszeit bis heute entscheidend geprägt. Seine Entwürfe sind überall anzutreffen: in unseren Küchen, Ess- und Wohnzimmern in Form von Möbeln, Geschirr, Glas und Besteck. Die von ihm entworfenen Objekte zeichnen sich durch klare Linien und hohe Funktionalität aus.

Hans Theo Baumann hat unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in der Waldsassener Glashütte Lambertz seine ersten Glasarbeiten gefertigt, die wir heute als Studioglas bezeichnen würden. Nur diesen Begriff gab‘s zu dieser Zeit noch nicht – und leider kennt auch kaum jemand diese frühen Arbeiten. Wohl aber bekannt sind seine späteren Glasentwürfe für Süssmuth, Gral, Rheinkristall oder Daum, wie auch seine Porzellanentwürfe für Rosenthal, Schönwald, Thomas, Arzberg, Tirschenreuth oder die Staatliche Porzellanmanufaktur Berlin.

Weitgehend unbekannt geblieben ist sein futuristischer Stuhlentwurf für Vitra –ebenfalls unmittelbar nach dem Krieg – allzu schwierig waren damals noch die Produktionsverhältnisse. Aber er begründete damit den Anfang einer Reihe von Ikonen des Möbeldesigns. Deutlich vor der Gedächtniskirche in Berlin entwickelte er für Egon Eiermann, den Stararchitekten der jungen demokratisch geprägten Bundesrepublik, 1951/53 für die Matthäuskirche in Pforzheim den farbigen, mosaikartigen Glasbaustein der phänotypisch für seine Zeit werden sollte.

Zusammen mit Karl Dittert, Herbert Hirche, Günter Kupetz, Peter Raake, Rainer Schütze, Hans Erich Slany und Arno Votteler gründete er 1959 den Verband Deutscher Industrie Designer und – wenn wir heute über Globalisierung sprechen –so arbeitete der Entwerfer bereits Anfang der 1980er Jahre in Japan mit Glas- und Porzellanfirmen. Kurz: fast ein halbes Jahrhundert prägten die Arbeiten von Hans Theo Baumann deutsches Design.

Die Öffnungszeiten der Ausstellung entsprechen den Öffnungszeiten des Museums am Lindenplatz samstags von 15.00 bis 18.00, sonntags von 14.00 bis 18.00 Uhr. Führungen auf Anfrage (Telefon 07621 -79 22 19).

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Dorfstube Ötlingen

Auf dem südlichsten Ausläufer des Schwarzwaldes thront eine der schönsten Dörfer im Kreis Lörrach. Wein- und Obstbau haben die Geschichte des pittoresken Weiler Stadtteils Ötlingen bis heute geprägt. Als Pendant zum Altweiler Landwirtschaftsmuseum wurde im Rahmen des dezentralen Museumskonzeptes deshalb 1990 in einem alten Fachwerkhaus ein Museum bäuerlicher Lebenskultur des 19.Jahrhunderts eingerichtet. Wohnund Schlafgemächer mit wertvollen und typischen Alltagsutensilien werden so angetroffen, als hätten die Bewohner das Haus nur eben kurz zur Feldarbeit verlassen. Ein Förderverein veranstaltet Sonderausstellungen zu Tradition und Kunst im regionalen Kontext. Durch die Initiative des Vereins ist als Teil des Museums eine Schmiede mit zahlreichen weiteren Utensilien landwirtschaftlicher Produktion entstanden.

Öffnungszeiten:

März - November: mittwochs und sonntags 15 - 17 Uhr

E-Mail: david.dinse@museen-weil.info

Dorfstube Ötlingen

Dorfstraße 61, Weil am Rhein-Ötlingen

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Landwirtschaftsmuseum

Das 1990 eröffnete Landwirtschaftsmuseum würdigt den neben der Textilindustrie wichtigsten Erwerbszweig in der Geschichte der Stadt Weil am Rhein. Bis um die Jahrhundertwende war die Landwirtschaft die Erwerbsgrundlage der Weiler Bevölkerung. Neben Viehzucht und Milchwirtschaft war der Anbau von Obst und Gemüse für die kleinen landwirtschaftlichen Betriebe sehr einträglich. Die Produkte fanden auf den Basler Märkten ihre Abnehmer.

Das Museum ist in einer über 200 Jahre alten Scheune untergebracht, die den ursprünglichen Dorfcharakter des Altweiler Stadtteils widerspiegelt. Bei der Renovierung der Scheune wurde die für landwirtschaftliche Gebäude typische Aufteilung in Tenne, Futtergang und Stall erhalten, eine Holztreppe führt zu den oberen beiden Tennenböden, die ebenfalls als Ausstellungsraum genutzt werden.

Die Exponate, die von Weiler Scheunen und landwirtschaftlichen Gehöften stammen, sind in authentischer Umgebung ausgestellt und dokumentieren das ländliche Arbeits- und Alltagsleben in Weil am Rhein im 19. Jahrhundert: Kutschen für die Herrschaft, die „Schürki-Karre“ der Marktfrauen, Flachsbrechen oder Rennle (die den Spreu vom Weizen trennen), „Milch-Satten“, Pflug-Dioramen und ein Dreschplatz mit zahlreichen Gerätschaften.

Viele Exponate werden von großformatigen Fotos der Jahrhundertwende begleitet, die die damaligen Arbeitsabläufe aufzeigen. Prunkstück der Sammlung sind auch die über 50 Emaille-Schilder aus der Agrarwerbung von anno dazumal.

Landwirtschaftsmuseum

Bläsiring 10, Alt-Weil

Telefon: +49 7621 79 22 19

E-Mail: david.dinse@museen-weil.info

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Museum Weiler Textilgeschichte

Zahlreiche, interessante Objekte, Bilder und Modelle erzählen von der Geschichte der Textilindustrie in Weil am Rhein, die 1880 mit der Gründung eines ersten Färbereibetriebs ihren Anfang nahm. Die Tulla‘sche Rheinregulierung, die bebaubaren Grund zwischen Rhein und Hochgestade im heutigen Stadtzentrum erst ermöglichte, die gute Lage am Wasser, die Nähe zu Basel und ein Anschluss an das Eisenbahnnetz waren günstige Voraussetzungen für die weitere Ansiedlung der Färberei & Appretur Schetty 1898 und schließlich der Seidenstoffweberei Robert Schwarzenbach 1923.

Das Stadtbild Friedlingens war Jahrzehnte lang geprägt von den riesigen Shedhallen mit den Sägezahndächern und den Kaminen der Kesselhäuser. In der Blütezeit beschäftigte die Seidenstoffweberei Schwarzenbach bis zu 450 Mitarbeiter, die Färberei Schetty bis zu 700 Personen und die Färberei & Appretur Schusterinsel sogar 1200 Mitarbeiter. 1982 stellte die Seidenstoffweberei Schwarzenbach als

letzte produzierende Textilindustrie Friedlingens 1982 ihren Betrieb ein.

Die ehemaligen Schreinerei und Schlosserei dieses Betriebs wurden liebevoll restauriert und beheimaten nun das Museum. Luftbildaufnahmen führen den Besuchern die Ausmaße des ehemals blühenden Industriezweigs vor Augen. Historische Maschinen aus den Zwanzigerjahren, Werkzeuge, Musterbücher und zahlreiche Relikte der Arbeitswelt erinnern an die Textilepoche in Weil-Friedlingen. Weiter sind Lohnbücher, Webschützen, Garnspulen, Lochkarten und Musterzeichnungen stumme und doch beredte Zeugen dieser Epoche. Darüberhinaus werden im Museum zahlreiche Sonderausstellungen präsentiert, die von historischen bis zu künstlerischen Themen reichen. Mit dem Titel „Museum Weiler Textilgeschichte“ erhebt das Museum aber keinen Anspruch, die Geschichte der Textilindustrie allgemein zu dokumentieren.

Das Museum Weiler Textilgeschichte ist Teil des überregional wahrgenomme-

nen Kulturzentrums Kesselhaus (www. kulturzentrum-kesselhaus.de), das mit 23 Künstler-Ateliers, Kreativ-Räumen, Unterrichtsräumen der Volkshochschule, Proberäumen für Musikgruppen, einem Kulturcafé und einem Veranstaltungsbetrieb im ursprünglichen Kesselhaus ganz in der Nähe der Dreiländerbrücke nach Frankreich und angebunden an das Straßenbahn-Netz von Basel ein lebendiger Teil der Agglomeration ist.

Werkstatt im Textilmuseum

Städtische Galerie Stapflehus

Das Stapflehus am Lindenplatz in Altweil wird seit der Schaffung eines Kulturamtes in Weil am Rhein 1986 kontinuierlich mit bis zu fünf Kunstausstellungen jährlich als städtische Galerie genutzt. Das 1982 restaurierte einstige Vogtshaus dient auch dem Kunstverein Weil am Rhein als Ausstellungsgebäude für zwei eigene Ausstellungen und die gemeinsam mit dem Kulturamt organisierte Seit der Gründung 1981 hat sich der Kunstverein Weil am Rhein besonders der modernen Kunst angenommen. Seine Schwerpunkte liegen bei der jungen, engagierten Kunst. Gruppenausstellungen, thematische Projekte, die Präsentation des Markgräfler Kunstpreises oder die Regionale im organisatorischen Verbund mit über 15 öffentlichen Kunsthäusern zwischen Basel und Straßburg gehören zum Profil der Galerie, die sich in den vergangenen zehn Jahren den Ruf als eines der wichtigsten Ausstellungshäuser für Kunst im Kreis Lörrach verschaffen konnte. Gelegentlich wird das Haus auch für historische Ausstellungen genutzt.

Eines der schönsten Gebäude des historischen Ortskerns von Altweil am Lindenplatz ist dieses Stapflehus (alemannisch für Staffelhaus), das vermutlich im Jahr 1565 als Amtssitz des Vogtes von Rötteln erbaut wurde und mit seinen charakteristischen Staffelgiebeln, dem Treppenturm und den dreiteiligen gotischen Sandsteinfenstern schon vor über 400 Jahrhunderten repräsentativen Zwecken diente. Seit der Restaurierung zwischen 1978 und 1982 wird es auch für kulturelle Veranstaltungen, Trauungen, Empfänge, private Feiern, aber vor allem für Ausstellungen genutzt.

www.stapflehus.de

www.kunstverein-weil.de

Städtische

Bläsiring 10

79576 Weil am Rhein * Altweil

Telefon: +49 7621 704 410

E-Mail: t.passlick@weil-am-rhein.de

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Galerie Stapflehus Alle Fotos: © Elke Fischer Photographie www.elkefischer.com
www.dasa-dortmund.de Museum und Stadt –Stadt und Museum –16. Szenografie-Kolloquium in der DASA 27. + 28.01. 2016
Fotos: © Fotolia, Hintergrund: peshkova, Stadtsilhouette: paulrommer

Alte Meister im neuen Oldenburger

Augusteum

Galerie Alte Meister im sanierten Augusteum wird wieder Gemälde vom 15. bis 18. Jahrhundert präsentieren

Autorin: Gloria Köpnick

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113 Historische Ansicht des Augusteums, um 1880
Deckengemälde und Wandfries von Griepenkerl im Treppenhaus des Augusteums. Foto: Sven Adelaide

Am 1. Dezember 2015 wurde das Oldenburger Augusteum nach zweijähriger Sanierung wiedereröffnet. Auf rund 660 Quadratmetern wird die bedeutende Altmeistersammlung des Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg gezeigt: eine Schatzkammer italienischer, niederländischer, französischer und deutscher Malerei vom 15. bis zum 18. Jahrhundert.

Die Ursprünge der Sammlung gehen zurück auf die Großherzogliche Gemäldegalerie des Hauses Oldenburg. 1804 erwarb der Oldenburger Herzog Peter Friedrich Ludwig die Gemäldesammlung, die Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, der sog. Goethe-Tischbein, aus Italien mitgebracht hatte. Zu den Hauptwerken seiner Sammlung zählte das Gemälde „Johannes der Täufer“, welches er und seine Zeitgenossen für eine eigenhändige Arbeit Raffaels hielten. Der Herzog ernannte Tischbein zum „Galerie-Inspector“, und gemeinsam

erweiterten sie in den folgenden Jahrzehnten die Sammlung. Ab spätestens 1817 war die Gemäldegalerie im Oldenburger Schloss für Besucher geöffnet.

1867 übersiedelte die Großherzogliche Gemäldegalerie in das für diesen Zweck errichtete Augusteum. Großherzog Nikolaus Friedrich Peter, der das Gebäude seinem Vater Großherzog Paul Friedrich August widmete, hatte damit in nur zweijähriger Bauzeit vom Bremer Architekten Ernst Klingenberg im Stil der florentinischen Renaissance den ersten Museumsbau des Oldenburger Landes errichten lassen. Der Großherzog erweiterte die Sammlung darüber hinaus beträchtlich und erwarb in Italien, Frankreich und Deutschland hochrangige Gemälde, die der Galerie in den folgenden Jahrzehnten zu internationalem Ruhm verhalfen. Erst 1878, elf Jahre nach der Eröffnung des Augusteums, wurde die aufwendige Ausstattung des Treppenhauses fertiggestellt. In einem Wettbewerb hatte sich der

aus Oldenburg stammende, in Wien arbeitende Historienmaler Christian Griepenkerl durchgesetzt. Sein Wandfries mit der programmatischen Darstellung der ‚größten Künstler aller Zeiten‘ huldigte dem Geniekult der Epoche. Es stimmte die Besucher auf die Begegnung mit der Großherzoglichen Gemäldegalerie ein und war in ihrer Komposition an ähnliche Zyklen in der Alten Pinakothek München und der Pariser École des Beaux-Arts angelehnt.

Für Wilhelm Bode, den späteren Generaldirektor der Berliner Museen, zählte die Großherzogliche Gemäldegalerie zu den herausragenden Galerien der europäischen Kunstlandschaft. 1888 veröffentlichte er ein prunkvoll gestaltetes Galeriewerk über die Oldenburger Sammlung. In ihrer Qualität war sie mit den fürstlichen Sammlungen in Dresden, Kassel, Schwerin und Weimar vergleichbar, wenngleich sie erst relativ spät und ganz im Zeitgeist des Klassizismus zusammengestellt worden war.

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Links: Raumansicht des sanierten Augusteums. Foto: Gloria Köpnick Oben: Hausbuchmeister, Anna Selbdritt, um 1470 Hintergrund: Raumansicht des sanierten Augusteums. Foto: Gloria Köpnick Rechts: Jan van Scorel, Portrait eines Edelmannes, ca. 1520

Bodes Meinung teilten auch internationale Besucher der Galerie wie der in London ansässige Kunsthistoriker Borenius, der kurz vor dem Ersten Weltkrieg im Burlington Magazine schwärmte:

Among the smaller German picture galleries, that belonging to the Grand Duke of Oldenburg, and housed in the Augusteum, in the capital of the Duchy, is undoubtedly one of the most interesting. Comparatively few tourists find their way to that attractive little old-world city; but once you are in Bremen, Oldenburg is only at about an hour’s distance, and certainly richly repays a visit.

The Burlington Magazine for Connoisseurs, London, 1913

Bis zum Ersten Weltkrieg wurde die Großherzogliche Gemäldegalerie im Obergeschoss des Augusteums präsentiert, während der Oldenburger Kunstverein das Erdgeschoss für Wechselausstellungen nutzte. Seit 1981 gehört das Gebäude zum Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg. Mit dem Ende des Kaiserreichs und der erzwungenen Abdankung des Großherzogs 1918 wurde die Großherzogliche Gemäldegalerie zerschlagen. Nach gescheiterten Verkaufsverhandlungen brachte der ehemalige Großherzog rund 120 Gemälde in den Niederlanden zur Auktion, während der Freistaat Oldenburg die verbleibenden Werke erwarb. Ab 1923 wurden diese im neu gegründeten Landesmuseum im Oldenburger Schloss ausgestellt. Nur wenige der versteigerten Werke konnten später zurückerworben werden. Museen und private Sammlungen in Amsterdam, New York oder Detroit beherbergen heute Gemälde aus der ehemaligen Großherzoglichen Galerie.

Seit Dezember 2014 erforschen die Kunsthistoriker Malve Falk und Dr. Sebastian Dohe die Sammlungsgeschichte der Großherzoglichen Gemäldegalerie, um im Rahmen dieses Forschungsprojekts die ursprünglich über 300 Gemälde umfassende Sammlung zu rekonstruieren und die bestehende Altmeistersammlung des Landesmuseums wissenschaftlich zu bearbeiten.

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Willem Claesz. Heda, Frühstücksstillleben, 1645
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Foyer mit Durchblick auf das Frühstückssstillleben von Heda und weitere Raumansichten des sanierten Augusteums. Fotos: Gloria Köpnick
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Die nach der Zersplitterung der Großherzoglichen Sammlung in Oldenburg verbliebenen Werke bilden eine Kernessenz, die durch die neue Präsentation im frisch sanierten Augusteum ihre Bedeutung zurückgewonnen hat und den einstigen Ruhm der Galerie wieder in das Licht der Öffentlichkeit rückt. In vier thematisch gegliederten und farbig gestalteten Räumen im Erdgeschoss sind die bedeutendsten Werke der Galerie Alte Meister aus der Sammlung des Landesmuseums wieder versammelt. Höhepunkte der religiös geprägten Malerei des Spätmittelalters, der virtuosen Portraitkunst des 16. Jahrhunderts, des niederländischen Goldenen Zeitalters und des europäischen Hochund Spätbarocks werden neu präsentiert, darunter hervorragende Gemälde von Lucas Cranach, Joos van Cleve, Jan van

Ausstellungsaufbau im Augusteum.

Scorel, Francesco Salviati, Bartholomäus Spranger, Frans Francken, Willem Claesz. Heda, Jacob Jordaens, Guido Reni, Johann Liss, Christian Wilhelm Ernst Dietrich und Phillip Jacques de Loutherbourg.

Dem Augusteum ist damit der Sprung in das moderne Ausstellungszeitalter gelungen. „Das neue Augusteum ist nun die schönste Galerie Alte Meister im Nordwesten – eine Schatzkammer europäischer Malerei“, so Rainer Stamm, Direktor des Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg. Auf dem neuesten Stand in Sachen Brandschutz, Klima- und Sicherheitstechnik hat das historische Gebäude nicht an Charme verloren, sondern durch den Rückbau verfremdender Einbauten und Ausstattungselemente wie eingehängter Rasterdecken

Foto: Sven Adelaide
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und Teppichböden konnten die bestehenden alten Oberflächen freigelegt und saniert werden. Die Besucher bewegen sich nun wieder auf dem historischen Dielenboden der Entstehungszeit und genießen die feierliche Aura der Präsentation. Die denkmalgerechte Sanierung umfasste nicht nur die vollständige Innensanierung, sondern sicherte zugleich die Bewahrung des Baudenkmals für die Zukunft. Im Zuge dieser Maßnahme wurde neben vielfälti-

gen Neuerungen auch das Deckengemälde im Treppenhaus einer umfassenden Reinigung unterzogen.

Der Großteil der Sanierungskosten von rund 1,75 Mio. Euro wurde durch Mittel des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur und aus dem BKM-Denkmalschutz-Sonderprogramm ermöglicht. Außerdem wurden Drittmittel von der Kulturstiftung der Öffentlichen Versicherungen Oldenburg, der Landessparkasse zu Oldenburg, der Bremer Landesbank, der Karin und Uwe Hollweg Stiftung, der Rudolf-August Oetker Stiftung und privaten Förderinnen und Förderern bereitgestellt. Die Hermann Reemtsma Stiftung ermöglichte im Rahmen des Programms „Kunst auf Lager“ die Restaurierung mittelalterlicher Bildwerke des Landesmuseums, darunter eines doppelseitigen Marienleuchters aus dem Umkreis des Meisters von Osnabrück und das Sandsteinfragment eines Passionsaltars aus Krapendorf, das als Haupt-

werk mittelalterlicher Kunst des Oldenburger Landes gilt. Auch diese Werke haben nach Jahrzehnten im Depot ihren Platz im Augusteum gefunden.

Ab Herbst 2016 wird der große Galeriesaal im Obergeschoss für Sonderausstellungen genutzt. Die Besucher dürfen auf hochkarätige Ausstellungen im neuen Augusteum gespannt sein.

Alle Fotos: © Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg

Augusteum – Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg

Elisabethstraße 1

26135 Oldenburg

Tel. +49 (0) 441 220 73 00

Wiedereröffnung: 1. Dezember 2015

Öffnungszeiten: ab 2. Dezember 2015, Di-So 10-18 Uhr www.landesmuseum-ol.de info@landesmuseum-ol.de

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Galeriesaal im Obergeschoss des Augusteums. Foto: Sven Adelaide

Die neue Beckerbillett-Broschüre ist da:

Unter dem Titel „Nichts ist so neu wie ein Museum“ steht Ihnen jetzt unsere neue Broschüre zur Verfügung Darin zeigen wir nicht nur die Themen Ticketing, Hardware und Software im Zusammmenhang sondern geben auch viele nützliche Hinweise Und Neues gibt es auch! Besonders hervorzuheben: Der Boca-Thermodrucker „Edition Beckerbillett“ für mehr Gestaltungsfreiheit durch „Gap-Technologie“ und das neue Webshop-Modul unserer TOP-Software Im zukunftssicheren Responsive Design erlaubt es den Verkauf von Tickets und Shopartikeln via PC, Tablet oder Smartphone Das Modul ist „barrierefrei“ programmiert, so dass auch Menschen mit Handicap das Modul plattformunabhängig nutzen können, vor allem wenn dafür ergänzende Systeme eingesetzt werden

Senden Sie uns einfach eine kurze E-Mail mit Ihrer Adresse und wir senden Ihnen die Broschüre kostenlos zu Oder Sie laden die Broschüre ganz einfach als Datei aus dem Downloadbereich „Technik“ unserer Website herunter

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dtp@beckerbillett de www beckerbillett de

V i e l e p r a x i s b e w ä h r t e „ Z u t a t e n “

„Kinderaudioguide Pompejanum“

Ein Projekt des P-Seminars am Spessart-Gymnasium Alzenau

An der Außenseite entspricht die farbliche Gestaltung des rötlichen Sockels und der maisgelben Fassade toskanischer Tradition und sorgt für mediterranes Flair.

Foto: Uwe Strauch

Autorin: Christine Bax
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I. Projektkonzeption

Das Pompejanum in Aschaffenburg ist ein beliebtes Ziel für Einzelbesucher, Kleingruppen und Schulklassen. Gerne gebucht werden auch die Themenführungen des Aschaffenburger Führungsnetzes. Für Besucher mit Kindern, die das Pompejanum spontan besichtigen wollen, gibt es momentan – außer knappen Hinweisschildern - keinerlei museumspädagogisches Material.

Dabei hat das Pompejanum sehr viel zu bieten – wie dieses Zitat beweist:

„Über den Ufern des Mains erhebt sich in südländischem Charme das Pompejanum. Es handelt sich hierbei um einen Nachbau des römischen Hauses des Castor und Pollux, das im Jahre 79 nach Christus in der Stadt Pompeji verschüttet wurde. König Ludwig I. ließ dieses klassizistische

Baudenkmal von 1840 bis 1848 von seinem Münchner Hofbaudirektor Friedrich von Gärtner in seinem als „bayerisches Nizza“ geschätzten Aschaffenburg errichten. Nach umfangreichen Restaurierungsarbeiten beherbergt es heute Kunstwerke der Staatlichen Antikensammlung und Glyptothek München.“

Quelle: fuehrungsnetz-aschaffenburg.de

Um auch den oben genannten jungen Besuchern einen zeitgemäßen Zugang zur Antike zu eröffnen, machte die Autorin im Rahmen der schulisch angebotenen

Projekt-Seminare1 folgenden Vorschlag:

„Ziel dieses Projekts ist es, in Zusammenarbeit mit dem Führungsnetz Aschaffenburg einen Audioguide zu erstellen, der das Leben einer pompejanischen Familie möglichst authentisch wiedergibt. Die Zielgruppe sind Kinder und Jugendliche

zwischen 6 und 14 Jahren, die sich diesen Führer vor einem Besuch des Pompejanums auf ihr Smartphone laden können. Voraussetzung ist die Bereitschaft, sich in die antike Geschichte einzuarbeiten, eigenständig und phantasievoll Szenen aus dem Alltagsleben zu entwickeln und diese dann zu vertonen. Kreativität und Medienkompetenz sollten vorhanden sein.“

Im Tonstudio von Radio Klangbrett. Fotos: Oben und unten: Christine Bax, Re: Blick vom Tablinum (Empfangs- und Arbeitszimmer des Hausherrn) ins Atrium. Foto: Uwe Strauch
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Pompejanum und Schloss in Aschaffenburg

König Ludwig I. und sein „Bayerisches Nizza“

Ludwig I. (1786 – 1868) war – ganz im Zeitgeist des Klassizismus und Neuhumanismus – ein großer Verehrer der Antike. Als bekennender Italien-Liebhaber wollte er seinen Landsleuten durch die Errichtung des Pompejanums einen direkten Zugang zu Geschichte und Kunst eröffnen. Mit ambitionierten Baumaßnahmen (u.a. Glyptothek und Propyläen in München, Walhalla bei Donaustauf) verknüpfte er also auch ein pädagogisches Interesse, fest davon überzeugt, die Menschen so an die Monarchie binden zu können. Das zweigeschossige Pompejanum entspricht weitgehend dem antiken Vorbild, der „Casa dei Dioscuri“ in Pompeji, weicht aber in einigen baulichen Details (z.B. Außentreppe, Belvedere mit Mainblick – sogenanntes Königszimmer) vom Original ab. Das nahezu fensterlose Gebäude erhält Licht durch zwei Innenhöfe: durch das Atrium mit seinem Auffangbecken für Regenwasser und das Viridarium, einen integrierten Gartenbereich im hinteren Teil des Hauses, zu dem man durch das an zwei Seiten offene Tablinum (Arbeitszimmer des Hausherrn) gelangt. In antiker Zeit spielte sich rings um das Atrium das Leben der Familie und ihrer Gäste ab – es bildete quasi das Zentrum für Begegnungen jeglicher Art. Um diese Innenhöfe gruppieren sich die übrigen Räume des Hauses: Empfangs- und Gästezimmer, eine Küche und die beiden Speisezimmer. Im ersten Stock befinden sich die Privaträume der Familie.

Für die prachtvolle Ausschmückung der Innenräume und die Mosaikfußböden wurden antike Vorbilder kopiert oder nachgeahmt. An der Außenseite entspricht die farbliche Gestaltung des rötlichen Sockels und der maisgelben Fassade toskanischer Tradition.

Nicht ganz so hart wie das komplett zerstörte Pompeji traf es das Pompejanum in den Jahren 1944/45. Doch machten die schweren Kriegsschäden in der Folgezeit eine vollständige Sanierung erforderlich, in der Teile komplett rekonstruiert wurden, wie z.B. die Wandgemälde im Atrium, andere hingegen ohne malerische Ergänzung blieben, um den Zerstörungszustand des Jahres 1945 zu dokumentieren.

So ist aus der ursprünglichen Kopie inzwischen ein eigenständiges Zeitdokument verschiedener archäologischer Schichten geworden, das – ergänzt durch Leihgaben der Staatlichen Antikensammlung und Glyptothek in München - jedes Jahr ganz im Sinne Ludwigs I. viele Besucher anzieht:„In dem pompejanischen Haus glaubt man sich versetzt in die antike Welt. Es ist hinreißend, es entzückt.“ (Quelle Zitat: Damals – Das Magazin für Geschichte 07/2011)

Foto: Uwe Strauch

II. Projektumsetzung

Zu Beginn der 11. Klasse stand dann fest: Drei Schülerinnen und vier Schüler hatten dieses Projekt gewählt. Nach ersten Sondierungsgesprächen bildeten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Text- und eine Technikgruppe.

Aufgabe der Textgruppe war es, die Inhalte auf die Zielgruppe auszurichten. Die zweite Gruppe hatte den Auftrag, für die technische Umsetzung dieser Inhalte zu sorgen.

Das „Startkapital“

• Die konstruktive Zusammenarbeit mit dem Führungsnetz (Frau Ina Paulus/ Frau Anika Magath)

• Ein Team aus sieben kreativen Schülerinnen und Schülern, die mit Begeisterung und Elan an die Umsetzung der Idee gingen

Die Frage, wie der Audioguide den Besuchern zur Verfügung gestellt werden

kann, musste zuerst geklärt werden, weil z.B. keine portablen Audioguides zum Entleihen vor Ort in Frage kamen.

Die Problemlösungsstrategien

Die Technikgruppe beschloss, die Tonspuren selbst digital aufzunehmen und am PC zu schneiden. Weiterhin sollte eine App programmiert werden, die es ermöglicht, direkt vor Ort die Einzelstationen der Führung auszuwählen und anzuhören. Die beiden zuständigen Schüler hatten fundierte Erfahrungen im Programmieren und waren sehr zuversichtlich, der technischen Herausforderung gewachsen zu sein.

Die Textgruppe überlegte, wie man die zu vermittelnden Inhalte einer klassischen Führung (Aspekt: Besucherinformation) mit unterhaltsamen Elementen (Aspekt: Spaß im Museum) kombinieren könnte. Hier waren pädagogisches Einfühlungsvermögen, fundierte Recherchearbeit, Phantasie und eigenverantwortliches Ar-

beiten gefragt. Zudem musste der Besucher mit der Geschichte auch durch die Räume des Pompejanums geführt werden, da z.B. das Aufstellen von Wegweisern nicht möglich war.

Nach einer informativen Führung im Pompejanum durch Frau Anika Magath (Führungsnetz Aschaffenburg), die auf die besonderen „Highlights“ für Kinder hinwies, begann Ende September 2014 die eigentliche Arbeit am Projekt.

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Hintere Reihe v.l.: Sonja Fiedler (Harfe), Damaris Stock, Sarah Pfetzing, Claus Keller, Julius Lutz, Philipp Wirth. Foto: Christine Bax Vordere Reihe v.l.: Tabita Zeeb, Tim Ehrmann, Luisa Schneider (Radio Klangbrett), Konstantin Stegmann (Sprecher Quintus).

Die erste Arbeitsphase in der 11. Jahrgangsstufe

Parallel zur Projektarbeit fanden – der Intention eines P-Seminars entsprechend - mehrere Veranstaltungen zur Studienund Berufswahl statt, so dass die Arbeit am Projekt immer wieder nur phasenweise fortgeführt werden konnte. Ein erster Meilenstein war erreicht, als die Gruppe - wie geplant - bis zu den Pfingstferien 2015 Technik und Text weitgehend fertiggestellt hatte.

Das Ergebnis ist eine Geschichte von circa 45 Minuten, in der die Geschwister Valeria und Quintus als Hauptakteure auftreten. Sie wohnen im Pompejanum und nehmen den Besucher mit auf einen Rundgang durch ihr Zuhause. Für Abwechslung sorgt der dialogische Charakter der Geschichte und die auf die Zielgruppe zugeschnittenen Informationen.

Diese sogenannte „Erste Ebene“ wird durch Zusatzinformationen an verschiedenen Stellen (z.B. Fresken, Viridarium)

vertieft, so dass der Audioguide durchaus auch für junge Erwachsene von Interesse sein kann.

Nun folgte der nächste Schritt. An einem Samstag nach den Pfingstferien konnten im Tonstudio von „Radio Klangbrett“ (Jugendradio des Stadtjugendrings Aschaffenburg) die Texte aufgenommen werden. Zu diesem Termin kam auch eine Konzertharfenistin und spielte virtuos mehrere Stücke ein, um die Geschichte situationsgerecht mit passenden Harfenklängen zu untermalen und die Wegstrecken zwischen den Einzelstationen zu überbrücken. So standen am Ende des Nachmittags qualitativ gute Audiodateien zur weiteren Verwendung zur Verfügung.

Der erste Probelauf

Vor der Fertigstellung sollte eine Testgruppe die fertige Tonspur vor Ort beurteilen. Die Evaluierung erfolgte durch eine Lateinklasse (6. Jahrgangsstufe) im Rahmen des Wandertags. Die schriftliche Rück-

meldung war durchweg positiv: „Es hat Spaß gemacht und war richtig lustig!“ und „Wir haben auch viel dabei gelernt, aber es war nicht wie in der Schule!“ Es stellte sich aber auch heraus, dass einige

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Oben: Frau Anika Magath vom Führungsnetz erklärt dem Seminar die Besonderheiten der römischen Küche. Die Sprecher Quintus und Valeria bei der Arbeit.
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Oben: Gegenwart trifft Antike. Unten: Die Klasse 6a des Spessart-Gymnasiums testet mit großer Begeisterung den neuen Audioguide. Fotos: Christine Bax
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Linke Seite: Uwe Strauch - Tabita Zeeb - Christine Bax - Julius Lutz - Damaris Stock - Sarah Pfetzing Rechte Seite: Claus Keller - Philipp Wirth - Tim Ehrmann - Christel Bongk (Mitglied der Schulleitung).
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http://www.museum.de/de/audioguide/152

der sogenannten Regieanweisungen (z.B. „Wir gehen jetzt um das Wasserbecken herum…“) nicht eindeutig waren und nachgebessert werden mussten. Daher sprachen Quintus und Valeria die entsprechenden Stellen noch einmal neu ein und die Techniker nahmen die Aufnahmen mit in die Sommerferien. Das Team war fast am Ziel!

Die Krise – und dann?

Nach den Sommerferien folgte die Ernüchterung: Die App funktionierte nicht mehr, weil im Programm von Herstellerseite Neuerungen installiert worden waren, die nun offensichtlich zu Fehlern führten. Enttäuschung machte sich im Team breit, aber auch der Wunsch, das Projekt erfolgreich abzuschließen Also suchte das Seminar intensiv nach Alternativen und fand schließlich unter www.museum.de die Möglichkeit, in einen festen Rahmen die vorhandenen Bild- und Tondateien einzugeben. Das Technikteam startete noch

einmal von vorne und arbeitete sich rasch in die neue Materie ein. Nachfragen beim Betreiber der Seite, Herrn Uwe Strauch, waren jederzeit möglich, so dass unser Projekt bald als App zur Verfügung stand.

III. Das Ergebnis

Seit Anfang November kann man nun zuhause oder direkt vor Ort die kostenlose App auf das eigene Smartphone (Android oder iOS) laden. Durch die Zusatzinformationen ist dieser Audioguide durchaus auch für junge Erwachsene geeignet.

Um Besucher auf diese App hinzuweisen, hat das Seminar zusätzlich ein Plakat erstellt, das im Pompejanum und an Schulen angebracht werden soll.

Weiterhin gab es Zeitungsartikel in den Regionalzeitungen mit einem Foto aller Beteiligten und einen Hinweis auf der Schulhomepage des Spessart-Gymnasiums. Zwei Schüler haben sich als „Mar-

keting-Team“ um die Pressearbeit und die Verlinkung der App gekümmert.

Für das Team gilt: Es war eine arbeitsintensive Zeit, die phasenweise großes Engagement, Kooperationsfähigkeit und Flexibilität verlangte. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeichneten sich durch eine hohe Motivation und Teamfähigkeit aus.

Besonders hervorzuheben ist: Dieses P-Seminar hat - unterstützt von zahlreichen externen Partnern - alle Schritte des Projekts selbst umgesetzt, so dass keinerlei Kosten für die Erstellung des Audioguides und auch keinerlei Folgekosten für das Pompejanum entstanden sind, das von der Bayerischen Schlösserverwaltung betreut wird.

An dieser Stelle möchte sich die Autorin im Namen des Projektseminars bei allen bedanken, die sich für die Realisierung der Idee tatkräftig eingesetzt und so dazu

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Auch ein Blick auf die Objekte der Dauerausstellung lohnt sich: Bei der Weinernte. Foto: Christine Bax

beigetragen haben, dass dieses Pilotprojekt eventuell auch andere Schulen ermutigt, sich für ein Museum vor Ort zu engagieren.

(1) Anmerkung: Die Teilnahme an einem P-Seminar (Projekt-Seminar zur Studien- und Berufsorientierung) ist Pflicht an bayerischen Gymnasien. Die Schülerinnen und Schüler können aus mehreren Vorschlägen ein Seminar auswählen, das ihren Interessen am ehesten entspricht.

Feedback der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des P-Seminars

Aussagen der Textgruppe:

Damaris Stock: „Das kreative Schreiben und die Aufnahmen im Tonstudio haben mir am meisten Spaß gemacht. Aus dem Projekt nehme ich insgesamt viele Erfahrungen und neue Eindrücke mit, vor

allem auch durch die Zusammenarbeit mit Profis (Frau Magath etc.) Mir hat die Arbeit am Audioguide auch für mein zukünftiges Studium weitergeholfen, da ich später gerne in einem Museum arbeiten möchte. Ich hoffe, dass unser Projekt auch andere dazu inspiriert, einen Audioguide zu erstellen oder generell etwas für die heimischen Museen zu tun.“

Tabita Zeeb : „Ich habe weitere Erfahrungen gesammelt, wie man am besten und produktivsten in einer Gruppe arbeitet. Darüber hinaus bin ich im Seminar dazu animiert worden, mich mehr mit meiner Berufswahl auseinanderzusetzen. Außerdem habe ich als Nichtlateiner viel über das römische Leben in der Antike und das Pompejanum gelernt.“

Sarah Pfetzing: „Auf der einen Seite konnten wir unseren Gedanken beim Schreiben freien Lauf lassen und kreativ sein. Auf der anderen Seite mussten wir

uns aber immer auch an wichtige Termine halten und unerwartet auftretende Probleme lösen. Insgesamt ist es jetzt am Ende ein schönes Gefühl, sagen zu können, wir haben einen „eigenen“ Audioguide erstellt.“

Claus Keller: „Besonders gefallen hat mir die Tatsache, dass ich viel über Tonstudios und Technik in der Fernseh- und Radiobranche gelernt habe. Auch das Arbeiten mit den anderen Kursteilnehmern hat Spaß gemacht. Obwohl technische Fehler uns die Erstellung des Kinderaudioguides erschwert haben, kamen wir doch noch durch Fleiß, Ehrgeiz und vor allem Durchhaltevermögen ans Ziel. Hervorzuheben sind die zahlreichen Besuche (z.B. Hessischer Rundfunk, BIZ, Assessmentcenter), die uns auch bei Vorstellungsgesprächen helfen können.“

Tim Ehrmann: „Positiv war, dass bei der Erstellung des Audioguides mehrere

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Blick ins Atrium. Foto: Christine Bax

Arbeitsschritte nötig waren, so dass nie Langeweile aufkam und man Einblick in verschiedene Berufe erhielt. Für mein weiteres Studien- oder Berufsleben war die soziale Interaktion in einer mehr oder minder großen Gruppe wichtig, da das bei jeglichen Arbeiten heutzutage verlangt wird.“

Aussagen der Technikgruppe:

Julius Lutz: „Im P-Seminar habe ich mein Wissen über Audioaufnahmen vertiefen können und grundlegende Informationen zur Berufs- und Studienwahl (z.B. im Assessmentcenter) erhalten. Teilweise mussten wir improvisieren und fanden am Ende doch noch eine Möglichkeit, das Problem mit der Technik und den Programmen zu lösen.“

Philipp Wirth: „Besonders gut an dem Seminar hat mir gefallen, dass wir trotz einiger Rückschläge in der Technik immer wieder einen Ausweg gefunden haben und das Projekt erfolgreich abschließen konnten.“

Resümee der betreuenden Lehrerin

Frau Christine Bax:

Was bleibt, wenn alles vorbei ist?

In vielen Arbeitsschritten ist ein kleines Kunstwerk entstanden, auf das die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des P-Seminars stolz sein können. Mit diesem Audioguide haben sie ein Produkt entwickelt, das durch seinen unmittelbaren Praxisbezug einen direkten Nutzen für die Besucher des Pompejanums hat. Die daraus resultierende Motivation der „Pompejaner“, sich für ihr Projekt zu engagieren, war dementsprechend stark ausgeprägt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind als Team zusammengewachsen und werden wichtige Erfahrungen für ihr späteres Studien- und Berufsleben mitnehmen.

Aus pädagogischer Sicht ist das Erstellen eines Audioguides für unsere Schülerinnen und Schüler ein spannendes Thema, weil es drei Aspekte gleichermaßen berücksichtigt: Teamarbeit, inhaltliche Recherche und den Einsatz moderner Technik. Ich wünsche mir, dass unser Projekt viele Nachahmer findet!

Durch die positiven Erfahrungen mit der Latein-Theater AG, die sie seit sieben Jahren leitet, entstand die Idee, im Rahmen eines Projekt-Seminars einen Kinderaudioguide zu erstellen. Die Wahl fiel auf das Pompejanum in Aschaffenburg, das ideale Voraussetzungen bietet, um die Antike lebendig werden zu lassen.

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Das Kloster St. Johann in Müstair in der Schweiz

UNESCO Welterbe, Museum und lebendiges Kulturgut. Autorin: Elke Larcher

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Das Kloster St. Johann in Müstair liegt im Zentrum Europas, mitten in den Alpen auf 1250 Metern über dem Meeresspiegel, am östlichsten Zipfel der Schweiz nahe der Grenze zu Südtirol (I). Im 8. Jahrhundert von Karl dem Großen gegründet, ist es heute noch von Benediktinerinnen bewohnt. Dank seines „aussergewöhnlichen universellen Wertes“ zählt das Kloster seit 1983 zu den UNESCO Weltkulturerbestätten. Ausschlaggebend für die Verleihung dieses Labels war der grösste und besterhaltene Wandmalereizyklus aus dem Mittelalter, der sich in der Klosterkirche befindet. Dank der archäologischen Forschung kamen noch weitere sensationelle Befunde zutage. Das Kloster ist eingebettet in eine Landschaft, die sich

durch ihre Ursprünglichkeit auszeichnet und Teil der UNESCO Biosfera Val Müstair Parc Naziunal ist. Im Kloster St. Johann treffen benediktinische Spiritualität, Kulturpflege, Forschung und Wissenschaft aufeinander und bilden ein einzigartiges Ganzes.

Eine Reise in die karolingische Zeit

„Herr, öffne meine Lippen. Damit mein Mund dein Lob verkünde.“ Mit diesen Worten beginnen die Benediktinerinnen von Müstair ihren Tag. Es ist 5.30 Uhr auf der Nonnenempore in der Klosterkirche. Über 1200 Jahre alte Wandmalereien begleiten das Gebet der Benediktinerinnen. Die Klosterkirche war ursprünglich bis in

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den letzten Winkel ausgemalt. Beim Betreten der Kirche fällt einem heute der spätgotische Einbau mit seinen Säulen, dem Gewölbe und der Nonnenempore sofort auf. Um 800 aber war es eine einfache Saalkirche, etwas höher als heute, voll ausgemalt mit Bildern, die die Heilsgeschichte Jesu erzählen. Chorschrankenanlagen aus weissem Marmor schmückten den Innenraum. Es muss eine Pracht gewesen sein, noch heute kann man sie nachspüren. Gemessen an den vergangenen zwölf Jahrhunderten erlebten die karolingischen Wandmalereien allerdings nur eine kurze Glanzzeit. Im Laufe der Zeit wurden sie übertüncht und übermalt. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurden

sie von den beiden Forschern Josef Zemp und Robert Durrer wieder entdeckt und nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen 1947 und 1951 freigelegt.

Die Klosterkirche bildet das Herzstück des Klosters und ist gemeinsam mit der Heiligkreuzkapelle aus der Gründungszeit im 8. Jahrhundert erhalten. Karl der Große soll das Kloster gestiftet haben, so erzählt es die Legende. Sicher ist, dass die ältesten Hölzer in der Klosterkirche tatsächlich 775 gefällt wurden, ein Jahr nach der Krönung Karls des Großen zum König der Langobarden. Müstair lag damals an einem strategisch wichtigen Punkt für den Frankenherrscher und seiner Expansions-

politik. Seine Stuckstatue in der Klosterkirche, die älteste Monumentalstatue des Frankenherrschers, zeugt von seiner Klostergründung.

Karl der Große stiftete das Kloster aber nicht nur aus strategischen Überlegungen, sondern er wollte Kunst und Kultur sowie das religiöse Leben in seinem Reich aufleben lassen. Das Kloster St. Johann war Glaubenszentrum und Vorbild für ein monastisches Leben nach der Regel des Hl. Benedikts. Zudem beherbergte das Kloster Passreisende ins Veltlin, Tirol und Engadin. Es diente auch dem Bischof von Chur als Zweitresidenz südlich der Alpen und als Verwaltungszentrum seiner weltlichen Herrschaft.

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Klosterkirche Muestair. Oben: Gewoelbe, Foto: © ErichTscholl. Rechts: Karl der Große.
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„ORA ET LABORA“ – „Bete und arbeite“

Zwischen dem Morgenlob, der Vigil um 5.30 Uhr und dem Nachtgebet, der Komplet um 19.30 Uhr liegen 14 Stunden klar strukturierter Klosteralltag: Beten, Psalmen und Hymnen zum Lobe Gottes singen, arbeiten, meditieren, lesen, essen, schweigen, Zeit in der Gemeinschaft verbringen – Tag für Tag, Jahr für Jahr, Jahrzehnte, Jahrhunderte lang. Der Tagesablauf der Benediktinerinnen heute ist im Grunde derselbe wie vor 1500 Jahren, als der Hl. Benedikt seine Regel schrieb. Noch heute leben alle Benediktinerinnen und Benediktiner weltweit nach seiner Regel, welche üblicherweise mit „ora et labora“, „bete und arbeite“ zusammengefasst wird. Im Zentrum stehen der Glaube, die Gottsuche und –anbetung. Dabei hilft der gere-

gelte Alltagsablauf, denn er bringt Ruhe in den Tag. Wer aber nun glaubt, die Zeit im Kloster stehe still, der irrt sich. Auch das moderne Leben hat im Kloster Eingang gefunden: Computer, E-Mails, Sitzungen, Termine und weltliche Aufgaben gehören ebenso zum Alltag der Nonnen wie ihr Stundengebet. Die enge Vernetzung des Klosters mit nichtreligiösen Institutionen scheint auf den ersten Blick den geruhsamen Tagesrhythmus der Klosterfrauen zu gefährden. Aber die Spiritualität Benedikts ist nicht einfach nur eine abgehobene Geistesübung, sondern vielmehr mit dem klösterlichen Alltag verbunden und findet somit auch in unserer heutigen multimedialen, globalen, schnellebigen Welt ihren Platz. Es ist kein Wunder, dass die Regel des Hl. Benedikt auch immer mehr von „weltlichen“ Lesern wiederentdeckt wird.

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Foto: GertrudAnna Wyden, Pfäffikon ZH
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Schwester Aloisia, Gnadenkapelle
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Das Museum –

Ein „Kloster im Kloster“

Das Kloster war in seiner über 1200jährigen Geschichte immer bewohnt gewesen, zuerst von Mönchen und ab dem 12. Jahrhundert von Nonnen. Es wurde nie völlig zerstört, sondern immer nur partiell umgebaut. So präsentiert sich die Klosteranlage heute als ein Konglomerat von Gebäuden verschiedenster Baustile unterschiedlichster Epochen, die sich gut ineinander fügen. Die Kirche und die Heiligkreuzkapelle aus der Gründungszeit im 8.Jh., der Plantaturm aus dem 10 Jh. und die Bischofsresidenz aus dem 11. Jh. sind nur einige architektonische Höhepunkte der Klosteranlage.

Wer das Kloster St. Johann besucht, bekommt im Klostermuseum einen Einblick in die 1200 Jahre Kloster- und Baugeschichte. Der Museumsbesuch führt durch den Kreuzgang zum Plantaturm, einem über tausend Jahre alten Wohnund Wehrturm, in dem man vom Keller bis zum Dachgeschoß ein „Kloster im Kloster“ erleben kann. Der Rundgang führt durch Repräsentations- und Wohnräume, Schlafgemächer und Gebetsräu-

me sowie zum Hohenbalkenzimmer, einer zierlichen Stube aus der Barockzeit. Zu bewundern gibt es archäologische Funde und kunsthistorische Schätze aus dem Besitz des Klosters. Unter den Exponaten befinden sich Teile marmorner Chorschranken aus dem 9. Jahrhundert, karolingisches Fensterglas, romanische Wandmalereien, eine Muttergottes aus dem 13. Jahrhundert und eine Tischorgel aus dem 17. Jahrhundert. Wer sein Wissen noch weiter stillen oder vertiefen möchte, findet in unserer „butia“, dem Klosterladen, Hintergrundinformationen über das Kloster und über die Kunst- und Kulturlandschaft der Region. Zudem werden Devotionalien, kunsthandwerkliche Erzeugnisse der Klosterfrauen, Gebrauchs- und Zierobjekte aus der Welt der Mittelalterarchäologie und vieles mehr verkauft – und dies 364 Tage im Jahr.

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Links: Kreuzgang. Oben: Refektorium Klostermuseum. Unten: Museumsführung mit Priorin Domenica.

Benediktinische Gastfreundschaft

Ein kleines Gästehaus lädt Menschen ein, Abstand von der Hektik des Alltags zu gewinnen und sich ein paar Tage Einkehr zu gönnen. Wer noch mehr abseits von allem wohnen möchte, kann sich auf die oberhalb des Klosters gelegene Alp zurückziehen, wo sich das Maiensäss des Klosters mit Blick auf das benachbarte Vinschgau im Südtirol befindet.

Die Gäste speisen im Hermaninzimmer aus dem 18. Jahrhundert, der Stube der Äbtissin Katharina Hermanin. „Hat man die

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Oben: Hermaninzimmer, Speisesaal für die Gäste. Unten: Rosenkranzkapelle.

Gäste aufgenommen, nehme man sie mit zum Gebet“ (Regel des Hl. Benedikt 53,8). In diesem Sinne laden die Nonnen ihre Gäste ein, an dem Stundengebet teilzunehmen. Zudem stehen die Klosterkirche und die Gnadenkapelle für das individuelle Gebet allen Besuchern offen. Auch die Rosenkranzkapelle, die Hauskapelle der Schwestern, bietet die nötige Stille und Atmosphäre, um sich zurückzuziehen.

Forschung und Restaurierung

Im Kloster wird aber auch sehr viel gear-

beitet: es wird geforscht und restauriert. Seit 1969 hat die Stiftung Pro Kloster St. Johann in Müstair sich zum Ziel gesetzt, sich für die Erhaltung und Erforschung der Klosteranlage einzusetzen. Hauptziel der Stiftung ist es, Finanzmittel der öffentlichen Hand und private Geldquellen wie Spenden oder Vermächtnisse für eine fachgerechte Restaurierung und eine zweckmässige Erneuerung der Klosteranlage einzusetzen. Mit Blick auf die Erreichung dieser Ziele nimmt die Stiftung strenge Rücksicht auf das Klosterleben. In den nächsten Jahren werden nebst verschiedener kleinerer Restaurierungsarbeiten, zwei grössere Projekte weiter verfolgt: zum einen geht es um die Restaurierung der Heiligkreuzkapelle, welche aus der Gründungszeit stammt und Archäologen, Bauforschern und Restauratoren immer wieder neue, sensationelle Erkenntnisse und Befunde liefert. Zum anderen geht es um Reinigung, Monitoring und Restaurierung der Wandmalereien in der Klosterkirche.

Im Kloster St. Johann in Müstair treffen sich Spiritualität, Kunst, Geschichte und Archäologie an einem kraftvollen Ort, inmitten der unberührten Natur der Biosfera Val Müstair. Wir freuen uns auf Ihren Besuch – 364 Tage im Jahr.

von Elke Larcher, Museumsdirektorin und Leiterin Kommunikation & Marketing, Kloster St. Johann Müstair

Öffnungszeiten Museum und Klosterladen

Das Museum ist täglich geöffnet mit Ausnahme des 25. Dezembers.

Mai – Oktober:

Museum: 9.00 – 12.00 Uhr und 13.30 –17.00 Uhr (Sonn- und Feiertage vormittag geschlossen)

Klosterladen: 9.00 – 18.00 Uhr durchgehend geöffnet (Sonn- und Feiertage vormittag geschlossen)

November – April:

Museum und Klosterladen: 10.00 – 12.00 Uhr und 13.30 – 16.30 Uhr (Sonn- und Feiertage vormittag geschlossen)

Angebot: Führungen in der Kirche und im Museum auch für Gruppen und Schulklassen. Führungen Heiligkreuzkapelle auf Anfrage. Verschiedene Veranstaltungen und Anlässe entnehmen Sie unserer Homepage.

www.muestair.ch

visit-museum@muestair.ch

Telefon: +41 81 851 62 28

Öffnungszeiten Gästehaus: Das ganze Jahr mit Ausnahme des Monats November.

Angebote: Fasten- und Exerzitienkurse gaestehaus@kloster-muestair.ch

Telefon: +41 81 851 62 23

Klostermuseum

Kloster St. Johann, CH-7537 Müstair www.muestair.ch

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Kloster St. Johann Müstair im Winter. Alle Fotos: © Kloster St. Johann Müstair

Faszination Museumsfabrik

Erlebniswelt zwischen Webstuhl und Dampfmaschine

Autorin: Maike Lammers, LWL-TextilWerk Bocholt

Der Webmeister schiebt den Antriebsriemen auf die Transmissionsscheibe und zieht kräftig an der Weblade: Der Webstuhl setzt sich augenblicklich in Gang. Die hölzernen Schlagarme schleudern den Webschützen von einer Seite zur anderen, die Schäfte bewegen sich kraftvoll auf und ab. Nach und nach beginnen unter der kundigen Hand des Webmeisters sämtliche Webstühle an zu laufen, der Lärm wird ohrenbetäubend. Im metallischen Rattern der Maschinen entsteht Faden für Faden meterweise Stoff. Was die Besucher heute während des Vorführbetriebs im Bocholter Industriemuseum erleben können, war jahrzehntelang harter Alltag von hunderten Frauen und Männern, die in den zahlreichen Webereien des westlichen Münsterlandes arbeiteten. Kleinere Betriebe zählten rund 80 Webstühle, in größeren Webereien wurde an über 800 Maschinen produziert. Mit seinen gut 30 Webstühlen aus den vergangenen 130 Jahren präsentiert das Museum nicht nur die Entwicklung der mechanischen Weberei, auch die Herstellung von unterschiedlichen Gewebearten ist nachzuvollziehen. Neben einfachen Leinwandbindungen wurden in der Region auch aufwändig gemusterte Stoffe hergestellt, für die Schaft- und Jacquardsteuerung nötig waren. Gewebt wurden vor allem Baumwollartikel, die zu Heimtextilien oder Arbeitskleidung weiterverarbeitet wurden.

Dass die Textilien auch heute noch auf bis zu 100 Jahre alten Maschinen gefertigt werden können, verlangt nicht nur eine kluge Sammlungstätigkeit des Textilmuseums, sondern auch viel Erfahrung und Know-how in der Instandsetzung und Restaurierung. Die Einsatzfähigkeit der Vielzahl an Maschinen macht das Verständnis von und für die Webtechnik und die Mechanik wie auch für den Kontext der Arbeitswelt in der Vergangenheit erst möglich. In der Erlebniswelt der historischen Weberei können die Besucher den Entstehungsprozess eines textilen Produktes mit allen Sinnen „begleiten“: Sie sehen den Staub, hören den Lärm, riechen das Öl und fühlen das Garn.

Nach so viel faszinierender Produktion, die ganztägig den Museumsgästen vorgeführt wird, ist es kein Wunder, dass das Grubentuch als Erinnerungsstück oder Gebrauchsobjekt der beliebteste Artikel im Museumsshop ist.

Lebendige Technik

Die laufenden Maschinen vermitteln den Besuchern nicht nur ein scheinbar authentisches Bild früherer Webfabriken, sie ermöglichen auch die museumseigene Produktion von verschiedenen gewebten Artikeln.

Die Herstellung von Grundgewebe in Leinen- oder Köperbindung lässt sich auf

sogenannten Oberschlägern nachvollziehen, die zu den ersten mechanischen Webstühlen gehören. Grundsätzlich gleicht die Technik dabei der eines Handwebstuhls: Auf die Fachbildung folgt der Schusseintrag, welcher mittels Lade an das schon fertige Gewebe geführt wird. Anschließend wird ein anderes Fach geöffnet und die Arbeitsschritte wiederholen sich. Die Neuerung besteht darin, dass die Handgriffe des Webers durch mechanisch gesteuerte Elemente wie die Schlagarme und den Exzenter gesteuert werden. Das Museum ist im Besitz mehrerer Webstühle dieses Typs, sie stammen aus der ehemaligen Firma Schümer & Co. aus Schüttdorf und lassen sich auf ein

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Baujahr um 1900 datieren. Die nachträgliche Umrüstung auf elektrischen Antrieb wurde für die Museumsnutzung rückgängig gemacht, so dass der Transmissionsbetrieb wiederhergestellt werden konnte.

Musterungen im Grundgewebe lassen sich mit Steuerungsmechanismen erzielen, die die Kettfäden nicht bloß in Schäften unterteilen, sondern einzelne Fäden dem gewünschten Muster entsprechend heben können. Ein Exponat, das für den Bereich der Jacquardweberei steht, ist ein Webstuhl, den das Museum aus der Firma Gebrüder Büning, Borken, übernommen hat. Es handelt sich um ein Fabrikat der Oberlausitzer Webstuhlfabrik G.A. Roscher aus Sachsen, gebaut um 1920. Der Stuhl ist mit einer Schaft- und Jacquardmaschine für das Einweben von Schriftzügen ausgestattet. Im Museumsbetrieb wurden auf Stühlen wie diesem viele Handtücher im Kundenauftrag hergestellt. Seit 2014 übernimmt diese Aufgabe ein Webautomat aus den 1970er Jahren. Ausgestattet mit hochmodernen Jacquardköpfen stellt diese „Saurer 400“ im Museum die Weiterentwicklung der 200 Jahre alten Jacquardtechnik vor.

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Im Vordergrund Kreuzspulmaschine in der Fabrik der Mechanischen Weberei Kayser, Liebau & Lotze in Bocholt, um 1905. Foto: © LWL-Industriemuseum

Vom Faden bis zum fertigen Stoff

Für die Produktion eines Gewebes sind viele Arbeitsschritte nötig, die den eigentlichen Webvorgang vorbereiten. Die entsprechenden Arbeitsplätze sind im Websaal des Museums konzentriert dargestellt. Das von der Spinnerei gelieferte Garn musste für die Weiterverarbeitung auf passende Spulen übertragen werden. Weibliche Arbeitskräfte, sogenannte „Spulerinnen“, bedienten die Spulmaschinen oder Spulautomaten und stellten zum einen Kreuzspulen für die Webkette, zum anderen Schussspulen für den Webschützen her.

Zettlerinnen sorgten dafür, dass das Garn der Kreuzspulen anschließend mit Hilfe des Zettelgatters auf den Zettelbaum übertragen wurde. Ihre Aufgabe bestand vor allem darin, leere Spulen gegen volle zu wechseln und darauf zu achten, dass gerissene Fäden schnell repariert wurden. In der Schlichterei liefen gleich zwei Produktionsschritte in einer Maschine ab: Kettfäden bekamen durch ein Bad in einer stärkehaltigen Flüssigkeit – der Schlichte – eine höhere Reißfestigkeit. Direkt im Anschluss wurden die Fäden mehrerer Zettelbäume auf einen Kettbaum übertragen. Bis zu 4000 Fäden lagen schließlich nebeneinander.

Bevor der Webstuhl jedoch eingerichtet werden konnte, mussten sogenannte Passierer oder auch Passiererinnen die einzelnen Fäden durch die Litzen der Schäfte fädeln, die später für die Fachbildung zuständig waren. Bei der hohen Anzahl an Fäden war dies eine zeitintensive Aufgabe. Um den Schritt zu beschleunigen, wurde das Einziehen speziell geschulten Arbeitern übertragen. Wie aufwändig dies war, kann im Museum ausprobiert werden. Sind alle Vorarbeiten abgeschlossen, übernehmen die Weber die weitere Verarbeitung zum fertigen Produkt.

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Museum erleben –generationenübergreifend

Die eingangs beschriebene Erlebniswelt des Museums bietet nicht nur für erwachsene Besucher eine Zeitreise in die Vergangenheit. Kinder schlüpfen in der Weberei in die Rolle des Heizers oder backen auf dem historischen Ofen im Arbeiterhaus goldene Schnitten, sie probieren den Handwebstuhl aus oder erstellen ihr eigenes Musterbuch mit unterschiedlichen Stoffproben. Spielerisch tauchen sie in eine vergangene Welt ein, begreifen Technik und sozialgeschichtliche Hintergründe auf altersgerechte Weise.

Programme für ältere Menschen und Demenzkranke wecken mit historischen Dingen und Geschichten Erinnerungen und machen – die eigene – Vergangenheit lebendig.

Was bei den großen und kleinen Besuchern dabei nicht auf der Strecke bleibt, sind Anknüpfungspunkte an die heutige

Welt: Denn Dinge wie Hemd und Handtuch finden sich damals wie heute in den Kleiderschränken der Besucher.

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Unter Dampf

Damit die Produktion an den (Web-)Maschinen reibungslos lief, war eine verlässliche Energieversorgung nötig. Um dies zu gewährleisten, brachten Heizer die Kessel in Gang, Stunden bevor die Belegschaft morgens das Fabrikgelände betrat. Wenn die Arbeit im Websaal begann, musste die Dampfmaschine schon die volle Leistung bringen können. Wie im Kesselhaus des Museums zu sehen, bestand ihr Aufgabenbereich darin, die Kessel mit Wasser zu füllen und ausreichend Kohle zu verfeuern, um genug Dampfdruck für die Transmission zu erzeugen. Körperliche Anstrengung, enorme Hitze und staubige Luft bestimmten die Arbeit der Heizer. Die Dampfmaschine war das Herzstück einer jeden Fabrik. Ein Ausfall kam einer Katastrophe gleich, da dann der gesamte Betrieb stillstand. Entsprechend ihrer Bedeutung wurde der Ausgestaltung den Maschinenhäusern viel Aufmerksamkeit gewidmet. Konnten die übrigen Räume noch so sparsam eingerichtet sein, fand man hier Wandmalerei, teure Fliesen und kunstvolle Decken. So auch beim Beispiel im Museum. Prachtvolle Dachbinder der Firma Heuveldop in Emsdetten wurden sorgfältig restauriert und tragen die Decke. Einige Quadratmeter von mehrfarbigen Bodenfliesen – ebenfalls aus diesem Betrieb – wurden wie ein Teppich vor der elektrischen Schalttafel verbaut. Die Dampfmaschine des Museums, Baujahr 1917, stammt ursprünglich aus der ehe-

maligen Weberei Gebrüder Büning in Borken, wo sie nach dem Abriss der Gebäude 1981 gerettet werden konnte. Heute setzen sich Kolben, Schwungrad und mit ihnen Seilräder und Transmissionsriemen auf Knopfdruck eines Vorführers wieder in Bewegung. Der Besucher mag so einen ungefähren Eindruck davon bekommen, welche Wirkung eine solche Maschine um 1900 auf die damalige Bevölkerung hatte.

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Maschinenhaus der Borkener Weberei Gebrüder Büning. Foto: © Kreisbildstelle Borken

Von früh bis spät

All die beschriebenen Arbeitsbereiche erläutert das Museum vor dem Hintergrund von Sozialgeschichte. Dazu gehören auch die Arbeitszeitregelungen im Wandel der Zeit. War die Zeiteinteilung bei Land- und Handwerksarbeit u.a. von Bedingungen der Umwelt abhängig, mussten sich die Fabrikarbeiter einem neuen Rhythmus unterwerfen: Die Uhr bestimmte Arbeitsbeginn, Pausenzeiten und Feierabend. Mehr noch: Sie beeinflusste mit Einführung des Akkordssystems den Verdienst. Noch im 19. Jahrhundert hatte ein Arbeitstag in der Textilindustrie wie im Falle der Weberei Hecking in Neuenkirchen 14 Stunden. Von 6 Uhr morgens bis 20 Uhr am Abend schufteten die Arbeiterinnen und Arbeiter mit Pausen von insgesamt zwei Stunden. Eine Reduzierung der Arbeitszeit konnte Anfang des 20. Jahrhunderts erstritten werden: Seit 1908 war der Zehnstundentag zumindest für Frauen und Mädchen Gesetz, erst nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Achtstundentag eingeführt. Die tatsächliche Arbeitszeit eines jeden Betriebsangehörigen ließ sich durch Kontrolluhren nachvollziehen. Eine Stechuhr aus dem Jahre 1911 aus der

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Spinnerei Gerrit van Delden in Gronau behandelt dieses Thema beispielhaft im musealen Websaal. Kartenhalter rechts und links der Stechuhr – einer für anwesende, einer für abwesende Mitarbeiter – gaben

Auskunft über die im Gebäude befindliche Personenanzahl im Falle eines Notfalls. Zudem ermöglichten sie dem Betriebsleiter volle Kontrolle über das Personal: Kam ein Arbeiter zu spät, war der Kartenhalter ge-

schlossen – um sich einzustempeln, stand zunächst ein Gespräch beim Chef an.

Arbeiterin an der Kreuzspulmaschine.

Foto: © In: 100 Jahre J. Hecking, Neuenkirchen, 1958.

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Nutzgarten und „kalte Pracht“

Die Museumsfabrik allein wird jedoch dem Ansatz des Industriemuseums nicht gerecht. Der Besucher lernt auch das Leben der Arbeiter jenseits des Fabrikalltags kennen. Betritt er das Museumsgelände über die hölzerne Brücke, befindet er sich noch vor den Toren der Weberei. Hier stehen stellvertretend für die vielen Werksiedlungen der Region zwei Doppelhäuser, gebaut nach historischem Vorbild. Eines der Häuser ist zu besichtigen. Es macht die Wohnsituation einer Arbeiterfamilie um 1910 erlebbar. Zu sehen sind Schlafräume für Eltern, Großeltern, Kinder und sogenannte Schlafgängern; ein Bett steht zum Ausprobieren bereit. Zentraler Ort des Hauses war jedoch die enge Wohnküche. Hier wurde nicht nur gekocht, hier verbrachte die Familie den Alltag nach der Fabrikschicht. Denn das heute bekannte Wohnzimmer gab es damals nicht: Die Gute Stube wurde nur beim Besuch wichtiger Gäste oder an Feiertagen benutzt – geheizt wurde in der „kalten Pracht“ entsprechend selten. Welche Veränderungen haben sich in den letzten 100 Jahren in der Haushaltsführung ergeben? Im Vergleich zum heutigen Standard erfährt der Besucher, wie es damals war: Ernährung in Zeiten von Vorratshaltung ohne Kühlschrank, Reinigung der Wäsche ohne Waschmaschine und das Tragen von Kleidung jenseits erschwinglicher Massenproduktion. Auch hier gilt an vielen Stationen: Anfassen erlaubt.

Fast idyllisch mag der heutige Arbeitergarten auf die kleinen und großen Besucher des Museums wirken. Kartoffeln und Kohl vermitteln jedoch die frühere Notwendigkeit einer Arbeiterfamilie sich selbst zu versorgen. Neben der Bewirtschaftung der Beete gehörte die Nutztierhaltung dazu. Heute halten ehrenamtliche Mitarbeiter Kaninchen und Hühner, vor über 100 Jahren sorgten die Tiere für frische Eier und Fleisch auf den Tellern.

Oben: Blick in die Wohnküche des musealen Arbeiterhauses.

Mitte: In der Küche kam die Familie zusammen.

Unten: Oftmals stand einer mehrköpfigen Familie nur ein einziger Raum zum Wohnen, Schlafen und Essen zur Verfügung.

Alle Fotos: © LWL-Industriemuseum

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Eine besonders leise, kompakte, vielseitige und extrem energieeffiziente Lichtgeneratorserie von Roblon. Reduziert den Energieverbrauch um mindestens 63 % im direkten Vergleich zu Halogen-Generatoren bei gleicher Lichtleistung. Diese Produktserie ist bereits in vielen bedeutenden nationalen und internationalen Museen zum Einsatz gekommen.

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Steffen Schmelling | Schmelling Industriel Design

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Weberei und Spinnerei

Die Museumsfabrik – das ehemalige „Textilmuseum“ – befindet sich inmitten eines Areals, das seit dem 19. Jahrhundert „textil“ geprägt ist. Bocholt gehört seit 150 Jahren zu den wichtigsten Standorten der westfälischen Textilindustrie. Zur Blütezeit waren hier bis zu 10.000 Menschen in dieser Branche beschäftigt. Mitten im Strukturwandel beschloss der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) die Einrichtung eines Textilmuseums in Bocholt. Da eine Fabrik damals nicht zur Verfügung stand, wurde eine Weberei nach historischem Vorbild gebaut. 1989 wurde das Museum als erster von heute acht Standorten des LWL-Industriemuseums – Westfälisches Landesmuseum für Industriekultur eröffnet. 2011 konnte das Museum um die ehemalige Spinnerei Herding erweitert werden und erhielt im Sinne eines „Forums für Textilkultur“ den neuen Titel „TextilWerk Bocholt“. Die Spinnerei bietet nun als zweiter Standort des Hauses Räume für Sonderausstellungen und Veranstaltungen. 2016 wird hier die Weberei um eine Ausstellung zur regionalen Textilindustrie und zur Spinnerei ergänzt.

Alle Fotos ohne Copyright-Hinweis: © Uwe Strauch, museum.de Kamera: Sigma dp2 Quattro

LWL-Industriemuseum

TextilWerk Bocholt

Weberei: Uhlandstraße 50

46397 Bocholt (Postadresse)

Tel. 02871 21611-0

Spinnerei: Industriestraße 5

46395 Bocholt

Die Bocholter Museumsfabrik mit Websaal, Kontor und Schornstein Foto: © LWL-Industriemuseum

museum.de

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Geschichte(n).Ausstellen

Verkümmern Ausstellungen und Museen in Zukunft zu nicht mehr wahrnehmbaren Abstellkammern der Geschichte?

Das neu gegründete Expertenteam um Prof. Happel, Prof. Kenkmann und Prof. Nowotsch geht auf gewandelte Formen der Wahrnehmung bei den Besuchern mit einer geänderten Strategie der Vermittlung ein – multiperspektivische Erzählformen wie etwa Narrationen im Generationenblick sind die Sprache der neuen Zeit.

Nicht das Exponat als Objekt, sondern die Erkenntnis seiner thematischen und / oder historischen Qualität und ein Verständnis der damit verbundenen Aussage ist das Ziel der didaktischen und der darstellenden Bemühungen. Heute gilt zunehmend: gute, inhaltsbezogene Inszenierungen sind auch wirksame Vermittlungsstrategien.

Besucher erwarten kulturell anspruchsvolle Darstellung und auch Anregung / Möglichkeiten zu aktiver Teilnahme. Dabei darf bei jeder Umsetzung der Aspekt der besseren Wirtschaftlichkeit nie vergessen werden.

Das wissenschaftliche Beraterteam bietet:

Bestandsaufnahme (auch solitär)

Entwicklung und Moderation (hier auch gestalterische Beratung / Bewertung)

Projektmanagement (auch solitär)

Eingesetzte Mittel dazu sind: Wirkungsforschung / Analyse, Nachbesserungsforschung, Publikumsforschung, Markt / Marketing (Außenbeziehung), Methodisches Management, Medienwirkungs- und Mediennutzungsforschung

182 SNT Media Concept GmbH · Manfred Hendricks · Sellen 2 · 48565 Steinfurt · Tel. 0251 703 872 0 · www.snt-media.com
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