Mitteschön Magazin - Ausgabe 4

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Kulturgut

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AUFSCHWUNG MITTE Text Tommy Kempert Fotos Tina Linster / Milchhalle/Asphalt Club Translation P. 37

Als 1989 die Mauer fiel, zog es Tausende an einen Ort, an dem alles möglich schien. Mitte. Eine kurze Phase des Übergangs, der Orientierungslosigkeit und nicht geklärter Zuständigkeiten offenbarte ein Paradies für Kreative und Pioniergeister. Es ist Menschen wie Heinz Gindullis zu verdanken, dass das einst so glorreiche Mitte auch heute noch pulsiert. Als er sein Cookies eröffnete, damals noch als semilegale Bar in einem leer stehenden Kellerraum in der Auguststraße, hätte er sich wohl kaum träumen lassen, knapp 15 Jahre später noch immer einen der erfolgreichsten Clubs der Stadt zu betreiben. Der Name ist geblieben, nur der Ort wechselt in erfrischender Regelmäßigkeit. Sein damaliger Barmann Marcus ist ihm geblieben. Als Freund und neuerdings Geschäftspartner. Marcus Trojan ist ebenfalls ein „Original“ aus vergangenen Mitte-Hochzeiten. Nach seiner Zeit hinter der Cookies-Bar strebte er nach Höherem. Immerhin 65 Meter hoch hat er es geschafft. Von der Terrasse seines eigenen Clubs, dem Weekend, genießt er Woche für Woche einen der atemberaubendsten Ausblicke, die das Berliner Nachtleben zu bieten hat. Gemeinsam mit ihrem Partner, dem Fotografen Sascha Kramer, eröffneten sie kürzlich die Trust Bar und stehen damit symbolhaft für den „Aufschwung Mitte“. Es ist kein Zufall, dass gerade die Protagonisten der NachwendeZeit den angestaubten Bezirk wieder ins Rampenlicht hieven. Zugegeben, sie bedienen sich eines Trends. Bars avancieren nicht nur wieder zum Szenetreff, sie sind konzeptionell längst auf abendfüllende Unterhaltung ausgelegt: Türsteher, DJs und Séparées – die Bar von heute funktioniert als kleiner, autarker Club. Als die Trust Bar in der Torstraße zum großen „Opening“ lud, war man überrascht, all die alten, aber immer noch frischen Gesichter zu sehen. „Goldene Zeiten“ nennt Heinz Gindullis, besser bekannt als „Cookie“, die frühen neunziger Jahre in Mitte. Vielleicht sind auch deshalb die Wände der Trust Bar einheitlich in Gold gestrichen. Dass das auf den ersten Blick gewagte, aber schicke Gastrokonzept (Alkohol wird nur in eigens angefertigten 0,2l und 0,5l Flaschen verkauft) angeblich nur auf fehlende Konzessionen zurückzuführen sein soll – geschenkt. Not macht erfinderisch. Nicht weit, gerade mal 200 Meter Luftlinie entfernt vom Cookies befindet sich der Schauplatz einer gänzlich konträren Erfolgsgeschichte. In den Räumlichkeiten des edlen Hotels Adlon eröffnete 2004 das Felix. Schick, glamourös und extravagant. Man verpflichtete den damaligen Clubmanager des legendären 90°, Daniel Höferlin, und war fortan Berlins erste Adresse in Sachen „Schicki-Micki“. Mittlerweile gehen sie getrennte Wege, das Felix und der Daniel. Sein neues Projekt, das ganz ohne Zweifel eben-

falls unter „Aufschwung Mitte“ zu verzeichnen ist, ist der Asphalt Club. Gemeinsam mit Roland Mary, dem Chef des Promi-Restaurants Borchardt, eröffnete Höferlin einen Club an einem der mondänsten Plätze Europas – dem Gendarmenmarkt. Im Keller des Hilton Hotels jedoch ist man sich noch nicht ganz einig, was man eigentlich will. Der Asphalt Club ist quasi das hybride Gegenmodell zur Trust Bar. Zwar haucht einem die Ex-Bar 25-Selekteurin Angela ein Gefühl von „Subkultur“ ein, einige Stufen später jedoch sieht man sich schnell mit den Rudimenten des FelixVerteilers konfrontiert. Ob das mitunter wirklich anspruchsvolle Line Up (z.B. Bordel des Arts) mit der anvisierten Zielgruppe harmonieren wird, bleibt abzuwarten. „Jung, dynamisch, erfolgreich“ – oft versprochen, oft verfehlt. Nicht so bei zwei Protagonisten des „neuen Mitte“. Felix Brandts und Tawan Tehrani sind einige Jahre jünger als die Cookies, Trojans und Höferlins dieser Stadt und dennoch haben sie sich mit ihrer Partyreihe Butterfly Effect einen Namen gemacht. Während ihre Veranstaltungen anfänglich Clubs wie das 90° füllten und sich auch dessen Zielgruppe zu eigen machten, sind die beiden, ihre Zielgruppe und auch ihre Veranstaltungen reifer geworden. Längst ist man angekommen, in Mitte. Ob im Rodeo oder eben im Cookies, inzwischen sind Felix Brandts und Tawan Tehrani zu Agenturbesitzern und „major players“ im Partybusiness avanciert. Zusammen betreiben sie mittlerweile auch das Café Milchhalle in der Auguststraße. Im Herzen von Mitte. Nur zwei Blocks weiter, im Idyll der Heckmannhöfe, trifft man nicht selten auf Oliver Rother. Sein Restaurant Neu gehört längst zu den Spitzenlokalen der gehoben Küche. Aufschwung spürt auch er. Symptomatisch dafür steht seine aktuellste Einstellung: Chefkoch Sebastian Pfister. Schon früh erkannte Rother, dass Bars es langfristig auch mit Clubs aufnehmen können, und so gilt sein Lining, gleich um die Ecke, noch immer als „Szenetreff“. Dass er für seine Partyreihe Baambi Lounge gern mal auf Ritter Butzke in Kreuzberg ausweicht, wird Mitte ihm verzeihen. „Stillstand ist Tod“, und so freut man sich in Mitte über Bewegung. Clubs, Bars und Restaurants, sie alle erfinden Mitte zwar nicht neu, entdecken es aber wieder. Ob Szene, Mythos oder längst gestorben – die Wahrheit liegt irgendwo in Mitte.


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