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ARCHITEKTUR

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Wohnen in einer Skulptur

Magie des Dreiecks — Erst wenn man diese Treppe rechts ums Haus herum abwärts geht, zeigt sich die Villa von ihrer spektakulären Schokoladenseite (links).

Dieses ist eine multiple Exklusivgeschichte. Denn erstens gab es in der vorvorigen RUHR REVUE eine falsche Information. Und so haben wir, nach altem JournalistenSpott, nun auch die Korrektur exklusiv: Nein, das hier gezeigte Haus gehört nicht Karl Albrecht. Aber es ist Essens spektakulärstes Stück moderner Architektur und seit Mai – Exklusivmeldung! – ein Baudenkmal. Exklusiv ist schließlich auch unser Blick auf und in das Haus, denn ohne Einladung des Besitzers kann man es nur aus der Luft sehen.

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Ruhr Revue

Sogar auf Satellitenbildern ist das Einfamilienhaus in der Nähe des Essen-Mülheimer Flughafens leicht auszumachen; aus großer Höhe wirkt es allerdings mehr wie ein eben gelandeter Drachenflieger oder gar wie ein galaktisches Flugobjekt. Aus größerer Nähe erst zeigt sich, dass man es mit einem dreieckig bedachten, sehr ungewöhnlichen Haus zu tun hat. Kein Wunder, dass Luftbildfotograf Walter Moog vor 45 Jahren nicht widerstehen konnte, mit seinem Flugzeug die beste Perspektive erflog und auf den Auslöser drückte. Als wir bei der Recherche für unsere Geschichte über Walter Moog auf einen Abzug dieses Bildes stießen, stand auf der Rückseite „Haus Albrecht“. Und so schrieben wir es dann auch unter das Bild. Unsinn, sagten uns einige Leser aus EssenBredeney. Und in der Tat: Bei diesem Foto hatte sich der sonst so akribische Moog knapp vertan. Albrechts Villa steht nebenan. Das futuristische Haus mit dem Dreiecks-Dach aber hat eine andere Geschichte. Immerhin: Nur weil es eben nicht Albrecht gehört, gab es jetzt überhaupt eine Chance, das Haus zu besuchen, zu fotografieren und zu beschreiben. 1967 wohnte Karl Albrecht schon seit über zehn Jahren in der abgelegenen und sehr exklusiven Siedlung beim Flughafen. Der neue Nachbar war gewissermaßen „Kollege“, wenngleich in einem anderen Segment des Einzelhandels: Dr. Hans Coenen, Vorstandssprecher der damals

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Wohnen in einer Skulptur

Magie des Dreiecks — Erst wenn man diese Treppe rechts ums Haus herum abwärts geht, zeigt sich die Villa von ihrer spektakulären Schokoladenseite (links).

Dieses ist eine multiple Exklusivgeschichte. Denn erstens gab es in der vorvorigen RUHR REVUE eine falsche Information. Und so haben wir, nach altem JournalistenSpott, nun auch die Korrektur exklusiv: Nein, das hier gezeigte Haus gehört nicht Karl Albrecht. Aber es ist Essens spektakulärstes Stück moderner Architektur und seit Mai – Exklusivmeldung! – ein Baudenkmal. Exklusiv ist schließlich auch unser Blick auf und in das Haus, denn ohne Einladung des Besitzers kann man es nur aus der Luft sehen.

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Sogar auf Satellitenbildern ist das Einfamilienhaus in der Nähe des Essen-Mülheimer Flughafens leicht auszumachen; aus großer Höhe wirkt es allerdings mehr wie ein eben gelandeter Drachenflieger oder gar wie ein galaktisches Flugobjekt. Aus größerer Nähe erst zeigt sich, dass man es mit einem dreieckig bedachten, sehr ungewöhnlichen Haus zu tun hat. Kein Wunder, dass Luftbildfotograf Walter Moog vor 45 Jahren nicht widerstehen konnte, mit seinem Flugzeug die beste Perspektive erflog und auf den Auslöser drückte. Als wir bei der Recherche für unsere Geschichte über Walter Moog auf einen Abzug dieses Bildes stießen, stand auf der Rückseite „Haus Albrecht“. Und so schrieben wir es dann auch unter das Bild. Unsinn, sagten uns einige Leser aus EssenBredeney. Und in der Tat: Bei diesem Foto hatte sich der sonst so akribische Moog knapp vertan. Albrechts Villa steht nebenan. Das futuristische Haus mit dem Dreiecks-Dach aber hat eine andere Geschichte. Immerhin: Nur weil es eben nicht Albrecht gehört, gab es jetzt überhaupt eine Chance, das Haus zu besuchen, zu fotografieren und zu beschreiben. 1967 wohnte Karl Albrecht schon seit über zehn Jahren in der abgelegenen und sehr exklusiven Siedlung beim Flughafen. Der neue Nachbar war gewissermaßen „Kollege“, wenngleich in einem anderen Segment des Einzelhandels: Dr. Hans Coenen, Vorstandssprecher der damals

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Wohnen in einer Skulptur

Magie des Dreiecks — Erst wenn man diese Treppe rechts ums Haus herum abwärts geht, zeigt sich die Villa von ihrer spektakulären Schokoladenseite (links).

Dieses ist eine multiple Exklusivgeschichte. Denn erstens gab es in der vorvorigen RUHR REVUE eine falsche Information. Und so haben wir, nach altem JournalistenSpott, nun auch die Korrektur exklusiv: Nein, das hier gezeigte Haus gehört nicht Karl Albrecht. Aber es ist Essens spektakulärstes Stück moderner Architektur und seit Mai – Exklusivmeldung! – ein Baudenkmal. Exklusiv ist schließlich auch unser Blick auf und in das Haus, denn ohne Einladung des Besitzers kann man es nur aus der Luft sehen.

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Sogar auf Satellitenbildern ist das Einfamilienhaus in der Nähe des Essen-Mülheimer Flughafens leicht auszumachen; aus großer Höhe wirkt es allerdings mehr wie ein eben gelandeter Drachenflieger oder gar wie ein galaktisches Flugobjekt. Aus größerer Nähe erst zeigt sich, dass man es mit einem dreieckig bedachten, sehr ungewöhnlichen Haus zu tun hat. Kein Wunder, dass Luftbildfotograf Walter Moog vor 45 Jahren nicht widerstehen konnte, mit seinem Flugzeug die beste Perspektive erflog und auf den Auslöser drückte. Als wir bei der Recherche für unsere Geschichte über Walter Moog auf einen Abzug dieses Bildes stießen, stand auf der Rückseite „Haus Albrecht“. Und so schrieben wir es dann auch unter das Bild. Unsinn, sagten uns einige Leser aus EssenBredeney. Und in der Tat: Bei diesem Foto hatte sich der sonst so akribische Moog knapp vertan. Albrechts Villa steht nebenan. Das futuristische Haus mit dem Dreiecks-Dach aber hat eine andere Geschichte. Immerhin: Nur weil es eben nicht Albrecht gehört, gab es jetzt überhaupt eine Chance, das Haus zu besuchen, zu fotografieren und zu beschreiben. 1967 wohnte Karl Albrecht schon seit über zehn Jahren in der abgelegenen und sehr exklusiven Siedlung beim Flughafen. Der neue Nachbar war gewissermaßen „Kollege“, wenngleich in einem anderen Segment des Einzelhandels: Dr. Hans Coenen, Vorstandssprecher der damals

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— Dynamisch ist zurückhaltend formuliert, was die Wirkung der dreieckigen Dächer angeht. Eingebettet

noch prächtig dastehenden Essener Karstadt AG. Mit dem, was er für sein Hanggrundstück planen ließ, wich Coenen weit vom eher braven Geschmack der Hausbesitzer rundum ab. Er wollte etwas Modernes und ganz Besonderes haben – vielleicht spielte dabei eine Rolle, dass seine zweite Frau selbst Architektin war. Jedenfalls kamen die beiden auf Peter Neufert, einen flamboyanten Architekten aus Köln, der gern mit einem offenen Ford „Thunderbird“ vorfuhr, wie sich Hans Coenens Sohn Ernst heute erinnert.

| Ein amerikanischer Traum Neufert. Unter Architekten ist das ein sehr bekannter Name. Schon weil sie fast alle „den Neufert“ im Regal stehen haben, ein dickleibiges, liebevoll illustriertes Standardwerk über Bauentwurfslehre. Geschrieben hat es Ernst Neufert: Bauhaus-Mann, Schüler und Mitarbeiter Walter Gropius‘; wie Zollverein-Architekt Fritz Schupp auch nach 1933 und bis in die sechziger Jahre vielbeschäftigt, vor allem für Industrie und Gewerbe. Sohn Peter (1925 – 1999) wurde ebenfalls Architekt. Das gemeinsame Büro mit dem Vater verließ er schon bald. Er hatte zu andere, künstlerische Vorstellungen. Am liebsten baute er Einfamilienhäuser für solvente Kunden – besonders, wenn die seiner Experimentierlust Raum gaben. Dabei beschränkte er sich weitgehend auf den Kölner Raum und auf seine zweite Heimat Portugal. Die Verbindung

ist das Haus in ein weitläufiges Hanggrundstück.

— Damit fing die Geschichte an: Walter Moogs Luftbild der noch neuen Villa – aus perfektem Winkel.

nach Essen könnte über Peter Friedrich Schneider geknüpft worden sein. Bei dem Kollegen hatte der junge Neufert mitgearbeitet, und Schneider, in Essen geboren, hatte in seiner alten Heimat unter anderem das WAZ-Gebäude entworfen und die Privatvillen der beiden Verleger Brost und Funke – damals Nachbarn der Coenens. Le Corbusier, Ludwig Mies van der Rohe, Frank Lloyd Wright, Oscar Niemeyer, Richard Neutra, Eero Saarinen befeuerten als Vorbilder Peter Neuferts Neigung zum Ungewöhnlichen. Dass er amerikanische Bungalows jener Zeit bewunderte, sah man seinen deutschen Villen an: Sie hatten fast immer einen Swimmingpool, eine Bar und Carports, die Platz für amerikanische Straßenkreuzer wie seinen

eigenen „T-Bird“ boten. Und wahrhaftig: Wenn man bei warmem Sonnenschein im Garten des Coenen-Hauses steht, zwischen Pool und Terrasse, dann glaubt man, noch das Eis in den Martinigläsern klingeln zu hören, dazu Cool Jazz aus der „Braun“Anlage im Hintergrund. 1967 war JFK schon ermordet, aber noch war der Amerikanische Traum nicht zum Alp geworden. Über mangelnde künstlerische Freiheit konnte Neufert sich bei den Coenens gewiss nicht beklagen. Die Idee für die Form des Hauses stammte vom Architekten, erinnert sich Ernst Coenen, und seine Eltern scheinen dem Kölner weitgehend „carte blanche“ gegeben und ihn zu Außergewöhnlichem ermutigt zu haben. Denn nächst seinem eigenen „Haus X 1“

— Auch das Dach der Doppelgarage am Hang spielt mit der Dreiecksform. Dreieckige Autos gibt’s indessen nicht. Eigentlich gehört ein „Ami“ ins Bild.

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Ruhr Revue

in Köln ist das Essener Haus Coenen bei weitem Neuferts originellster WohnungsBau; vielleicht sein schönster. Er ist eine architektonische Skulptur, ähnlich radikal wie Jahre später Gebäude von Zaha Hadid oder Daniel Libeskind. Zwar eindeutig zeitverhaftet, aber dennoch 46 Jahre später nicht minder modern und faszinierend als damals.

| Der fliegende Architekt Eine Doktorarbeit über Peter Neuferts architektonisches Lebenswerk erwähnt das Essener Haus leider nur ganz am Rande. Warum das so ist, darüber rätseln auch die Essener Denkmalexperten. Man muss vermuten, dass die Autorin das Haus nie gesehen hat. Außerdem hat sie den Entwurf ganz falsch auf 1979 datiert – in

jener Phase überließ Neufert schon viel gestalterische Arbeit seinen Büromitarbeitern. Tatsächlich aber stammt das Haus Coenen aus der Phase von 1957 bis 1967, welche die Autorin selbst als Neuferts „architektonischen Zenit“ bezeichnet. Womöglich hat dieser Irrtum sie davon abgehalten, das Haus in Essen näher zu betrachten.


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— Dynamisch ist zurückhaltend formuliert, was die Wirkung der dreieckigen Dächer angeht. Eingebettet

noch prächtig dastehenden Essener Karstadt AG. Mit dem, was er für sein Hanggrundstück planen ließ, wich Coenen weit vom eher braven Geschmack der Hausbesitzer rundum ab. Er wollte etwas Modernes und ganz Besonderes haben – vielleicht spielte dabei eine Rolle, dass seine zweite Frau selbst Architektin war. Jedenfalls kamen die beiden auf Peter Neufert, einen flamboyanten Architekten aus Köln, der gern mit einem offenen Ford „Thunderbird“ vorfuhr, wie sich Hans Coenens Sohn Ernst heute erinnert.

| Ein amerikanischer Traum Neufert. Unter Architekten ist das ein sehr bekannter Name. Schon weil sie fast alle „den Neufert“ im Regal stehen haben, ein dickleibiges, liebevoll illustriertes Standardwerk über Bauentwurfslehre. Geschrieben hat es Ernst Neufert: Bauhaus-Mann, Schüler und Mitarbeiter Walter Gropius‘; wie Zollverein-Architekt Fritz Schupp auch nach 1933 und bis in die sechziger Jahre vielbeschäftigt, vor allem für Industrie und Gewerbe. Sohn Peter (1925 – 1999) wurde ebenfalls Architekt. Das gemeinsame Büro mit dem Vater verließ er schon bald. Er hatte zu andere, künstlerische Vorstellungen. Am liebsten baute er Einfamilienhäuser für solvente Kunden – besonders, wenn die seiner Experimentierlust Raum gaben. Dabei beschränkte er sich weitgehend auf den Kölner Raum und auf seine zweite Heimat Portugal. Die Verbindung

ist das Haus in ein weitläufiges Hanggrundstück.

— Damit fing die Geschichte an: Walter Moogs Luftbild der noch neuen Villa – aus perfektem Winkel.

nach Essen könnte über Peter Friedrich Schneider geknüpft worden sein. Bei dem Kollegen hatte der junge Neufert mitgearbeitet, und Schneider, in Essen geboren, hatte in seiner alten Heimat unter anderem das WAZ-Gebäude entworfen und die Privatvillen der beiden Verleger Brost und Funke – damals Nachbarn der Coenens. Le Corbusier, Ludwig Mies van der Rohe, Frank Lloyd Wright, Oscar Niemeyer, Richard Neutra, Eero Saarinen befeuerten als Vorbilder Peter Neuferts Neigung zum Ungewöhnlichen. Dass er amerikanische Bungalows jener Zeit bewunderte, sah man seinen deutschen Villen an: Sie hatten fast immer einen Swimmingpool, eine Bar und Carports, die Platz für amerikanische Straßenkreuzer wie seinen

eigenen „T-Bird“ boten. Und wahrhaftig: Wenn man bei warmem Sonnenschein im Garten des Coenen-Hauses steht, zwischen Pool und Terrasse, dann glaubt man, noch das Eis in den Martinigläsern klingeln zu hören, dazu Cool Jazz aus der „Braun“Anlage im Hintergrund. 1967 war JFK schon ermordet, aber noch war der Amerikanische Traum nicht zum Alp geworden. Über mangelnde künstlerische Freiheit konnte Neufert sich bei den Coenens gewiss nicht beklagen. Die Idee für die Form des Hauses stammte vom Architekten, erinnert sich Ernst Coenen, und seine Eltern scheinen dem Kölner weitgehend „carte blanche“ gegeben und ihn zu Außergewöhnlichem ermutigt zu haben. Denn nächst seinem eigenen „Haus X 1“

— Auch das Dach der Doppelgarage am Hang spielt mit der Dreiecksform. Dreieckige Autos gibt’s indessen nicht. Eigentlich gehört ein „Ami“ ins Bild.

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in Köln ist das Essener Haus Coenen bei weitem Neuferts originellster WohnungsBau; vielleicht sein schönster. Er ist eine architektonische Skulptur, ähnlich radikal wie Jahre später Gebäude von Zaha Hadid oder Daniel Libeskind. Zwar eindeutig zeitverhaftet, aber dennoch 46 Jahre später nicht minder modern und faszinierend als damals.

| Der fliegende Architekt Eine Doktorarbeit über Peter Neuferts architektonisches Lebenswerk erwähnt das Essener Haus leider nur ganz am Rande. Warum das so ist, darüber rätseln auch die Essener Denkmalexperten. Man muss vermuten, dass die Autorin das Haus nie gesehen hat. Außerdem hat sie den Entwurf ganz falsch auf 1979 datiert – in

jener Phase überließ Neufert schon viel gestalterische Arbeit seinen Büromitarbeitern. Tatsächlich aber stammt das Haus Coenen aus der Phase von 1957 bis 1967, welche die Autorin selbst als Neuferts „architektonischen Zenit“ bezeichnet. Womöglich hat dieser Irrtum sie davon abgehalten, das Haus in Essen näher zu betrachten.


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— Der große verglaste Raum im Untergeschoss. Links die von Neufert entworfene Schrank-Skulptur, rechts mitten im Regal der Eingang zur Bar.

So muss ohne Blick in sein Archiv offen bleiben, wie Peter Neufert auf die Form des Bredeneyer Hauses gekommen ist und was er später selbst darüber gedacht hat. Eine reizvolle Spekulation ergibt sich daraus, dass Neufert nicht nur amerikanische Autos liebte, sondern auch als „fliegender Architekt“ bekannt war, der mit dem Privatflugzeug zu seinen Baustellen flog. Womöglich also hat er für Hans Coenen bewusst ein Haus entworfen, dessen komplexe Gestalt sich besonders gut aus der Luft erschließt? Das von außerhalb des Grundstücks nicht gesehen werden kann, aber an der Einflugschneise des Düsseldorfer Flughafens liegt? Man weiß es nicht. Wer bis zum Tor am Ende der schmalen, abschüssigen Anliegerstraße kommt, sieht noch immer nichts von dem Haus. Erst wenn sich das Tor öffnet und man weiter hinabfährt auf das Niveau des Hauseingangs, hat man einen ersten Blick auf das Gebäude. Allerdings ist der noch durchaus irreführend – „Ansicht fürs Finanzamt“, scherzt der Hausbesitzer. Man sieht da nur ein flaches, einstöckiges, nicht sehr breites und mit recht kleinen Fenstern versehenes Gebäude mit einem seitlich — Die Wand setzt sich verbindend nach außen fort.

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Ruhr Revue

weit überkragenden, flachen Zeltdach, welches eine Spitze genau über der Eingangstür bildet. Aber wenn man nun rechts vom Haus im Garten weiter den Hang hinabgeht!

| Spiel mit Dreiecken Dann steht man schließlich vor einem staunenerregenden Gebilde, das auf der südlichen Hang-Seite zweistöckig ist und in erster Linie bestimmt ist von Glasfronten und mit großer Geste auf zwei Ebenen weit und spitz in die Landschaft hinaus-

ragenden Dächern. Was Peter Neufert da aus geometrischen Grundformen konstruiert hat, ist aus der Nähe gar nicht so leicht zu erkennen. Versuchen wir, es kurz zu beschreiben: Grundlage ist ein gedachtes Quadrat, dessen vier Ecken genau in die Himmelsrichtungen weisen. Auf der oberen Eingangsebene bildet die südliche Hälfte dieses Quadrats – ein gleichschenkliges Dreieck – den Fußboden und ragt mit der südlichen Spitze weit in die Landschaft hinein. Das Dach dieser Ebene wird durch ein gleiches, genau entgegengesetzt

positioniertes Dreieck gebildet. Die beiden Dreiecke liegen so übereinander, dass jeweils die rechtwinklige Spitze überragt. Die Schnittmenge der Dreiecke ergibt den sechseckigen Umriss des Wohnraums. Die südliche Spitze des unteren Dreiecks bildet eine große Balkon-Terrasse für das obere Stockwerk und einen Sonnenschutz für die im gleichen Winkel gepflasterte Terrasse darunter, während seine Basis (Hypotenuse) eher unauffällig mit der oberen Hangebene verschmilzt. Die nördliche Spitze des Dach-Dreiecks bildet

einen Schutz für den Eingang, während seine beiden spitzen Winkel den Wohnbereich weit nach West und Ost überragen. Dies und die großzügige Verglasung vermitteln nach Süden fast den Eindruck, als bestünde das Haus nur aus Dächern, ganz ohne Wände. Dem setzt der Architekt ein stabilisierendes Element entgegen, indem er links und rechts Innenwände des großen Wohnraums zehn Meter weit in den Garten fortführt. Soweit sie keine statische Funktion haben, stützen sie das Haus doch optisch gegen den Hang ab. Das Luftbild

zeigt schließlich, dass in der nördlichen Spitze des ursprünglich gedachten Quadrats die in den Hang gebaute Doppelgarage ein weiteres Dreieck bildet, als verkleinerte Wiederholung des markanten Daches. Prominentester Raum ist ohne Zweifel das Wohnzimmer auf der unteren Ebene, sechseckige südliche Teilmenge des sechseckigen Gesamt-Wohngrundrisses. Die gartenseitige Hälfte ist komplett verglast, während die rückwärtigen Waschbetonwände sich in Form der „optischen Stützmauern“ weit nach draußen fortsetzen. Der Gegensatz zwischen drinnen und draußen ist damit optisch weitgehend aufgehoben. Die weiße Decke und ein hellgrauer, glatter Boden unterstreichen den großzügigen Eindruck. Bei der letzten Renovierung vor wenigen Jahren hat Innenarchitektin Carine Stelte den Raum mit Sitzmöbeln nur sparsam möbliert, wobei ein Sofa von Zaha Hadid natürlich nur in dem Sinn „sparsam“ ist, als der Raum nicht überfüllt ist. An der linken Innenwand befindet sich ein hölzerner Wandschrank, gestaltet wie eine Skulptur aus unterschiedlich großen Kuben – ein von — Eine schwebend wirkende Treppe verbindet die beiden Wohnebenen miteinander.

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— Der große verglaste Raum im Untergeschoss. Links die von Neufert entworfene Schrank-Skulptur, rechts mitten im Regal der Eingang zur Bar.

So muss ohne Blick in sein Archiv offen bleiben, wie Peter Neufert auf die Form des Bredeneyer Hauses gekommen ist und was er später selbst darüber gedacht hat. Eine reizvolle Spekulation ergibt sich daraus, dass Neufert nicht nur amerikanische Autos liebte, sondern auch als „fliegender Architekt“ bekannt war, der mit dem Privatflugzeug zu seinen Baustellen flog. Womöglich also hat er für Hans Coenen bewusst ein Haus entworfen, dessen komplexe Gestalt sich besonders gut aus der Luft erschließt? Das von außerhalb des Grundstücks nicht gesehen werden kann, aber an der Einflugschneise des Düsseldorfer Flughafens liegt? Man weiß es nicht. Wer bis zum Tor am Ende der schmalen, abschüssigen Anliegerstraße kommt, sieht noch immer nichts von dem Haus. Erst wenn sich das Tor öffnet und man weiter hinabfährt auf das Niveau des Hauseingangs, hat man einen ersten Blick auf das Gebäude. Allerdings ist der noch durchaus irreführend – „Ansicht fürs Finanzamt“, scherzt der Hausbesitzer. Man sieht da nur ein flaches, einstöckiges, nicht sehr breites und mit recht kleinen Fenstern versehenes Gebäude mit einem seitlich — Die Wand setzt sich verbindend nach außen fort.

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weit überkragenden, flachen Zeltdach, welches eine Spitze genau über der Eingangstür bildet. Aber wenn man nun rechts vom Haus im Garten weiter den Hang hinabgeht!

| Spiel mit Dreiecken Dann steht man schließlich vor einem staunenerregenden Gebilde, das auf der südlichen Hang-Seite zweistöckig ist und in erster Linie bestimmt ist von Glasfronten und mit großer Geste auf zwei Ebenen weit und spitz in die Landschaft hinaus-

ragenden Dächern. Was Peter Neufert da aus geometrischen Grundformen konstruiert hat, ist aus der Nähe gar nicht so leicht zu erkennen. Versuchen wir, es kurz zu beschreiben: Grundlage ist ein gedachtes Quadrat, dessen vier Ecken genau in die Himmelsrichtungen weisen. Auf der oberen Eingangsebene bildet die südliche Hälfte dieses Quadrats – ein gleichschenkliges Dreieck – den Fußboden und ragt mit der südlichen Spitze weit in die Landschaft hinein. Das Dach dieser Ebene wird durch ein gleiches, genau entgegengesetzt

positioniertes Dreieck gebildet. Die beiden Dreiecke liegen so übereinander, dass jeweils die rechtwinklige Spitze überragt. Die Schnittmenge der Dreiecke ergibt den sechseckigen Umriss des Wohnraums. Die südliche Spitze des unteren Dreiecks bildet eine große Balkon-Terrasse für das obere Stockwerk und einen Sonnenschutz für die im gleichen Winkel gepflasterte Terrasse darunter, während seine Basis (Hypotenuse) eher unauffällig mit der oberen Hangebene verschmilzt. Die nördliche Spitze des Dach-Dreiecks bildet

einen Schutz für den Eingang, während seine beiden spitzen Winkel den Wohnbereich weit nach West und Ost überragen. Dies und die großzügige Verglasung vermitteln nach Süden fast den Eindruck, als bestünde das Haus nur aus Dächern, ganz ohne Wände. Dem setzt der Architekt ein stabilisierendes Element entgegen, indem er links und rechts Innenwände des großen Wohnraums zehn Meter weit in den Garten fortführt. Soweit sie keine statische Funktion haben, stützen sie das Haus doch optisch gegen den Hang ab. Das Luftbild

zeigt schließlich, dass in der nördlichen Spitze des ursprünglich gedachten Quadrats die in den Hang gebaute Doppelgarage ein weiteres Dreieck bildet, als verkleinerte Wiederholung des markanten Daches. Prominentester Raum ist ohne Zweifel das Wohnzimmer auf der unteren Ebene, sechseckige südliche Teilmenge des sechseckigen Gesamt-Wohngrundrisses. Die gartenseitige Hälfte ist komplett verglast, während die rückwärtigen Waschbetonwände sich in Form der „optischen Stützmauern“ weit nach draußen fortsetzen. Der Gegensatz zwischen drinnen und draußen ist damit optisch weitgehend aufgehoben. Die weiße Decke und ein hellgrauer, glatter Boden unterstreichen den großzügigen Eindruck. Bei der letzten Renovierung vor wenigen Jahren hat Innenarchitektin Carine Stelte den Raum mit Sitzmöbeln nur sparsam möbliert, wobei ein Sofa von Zaha Hadid natürlich nur in dem Sinn „sparsam“ ist, als der Raum nicht überfüllt ist. An der linken Innenwand befindet sich ein hölzerner Wandschrank, gestaltet wie eine Skulptur aus unterschiedlich großen Kuben – ein von — Eine schwebend wirkende Treppe verbindet die beiden Wohnebenen miteinander.

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Peter Neufert gern genutztes Motiv. Die rechte Wand wird von einem hölzernen Bücherregal eingenommen, dessen mittlerer Teil als „Geheimtür“ fungiert. Dahinter findet sich die für Peter Neufert ganz unentbehrliche Bar: komplett eingerichtet, groß und mit offenem Kamin, aber nur mit einem kleinen Fenster und mithin so lange völlig unsichtbar, bis die Gastgeber sich sozusagen entschließen, „zum gemütlichen Teil“ überzugehen.

| Auch der Esstisch – dreieckig Nach innen trennt nur eine große GlasSchiebetür den 64 Quadratmeter großen Wohnraum vom Treppenraum; jenseits liegt, wiederum hinter Glas, der großzügige, rechteckige Innenpool-Raum. Seit der letzten Renovierung findet sich an dessen nördlicher Wand ein großer Spiegel, in dem sich die helle Terrasse abbildet. Vom Pool gibt es direkte Verbindungen zum Bad, zu kleineren Privaträumen – und zur Bar. Über eine filigrane, gleichsam schwebende Treppe gelangt man zur oberen Eingangsebene. Auch sie wird dominiert durch einen großen, üppig verglasten Raum zur Gartenseite hin. Er nimmt nur etwa zwei Drittel der Fläche des unteren Wohnraums ein; im westlichen Teil dieser Ebene finden sich weitere Privatzimmer und ein weiteres Bad. Der große Raum, mit Terrasse, gilt als „Esszimmer“. Die wiederum „sparsame“ Möblierung wird beherrscht durch einen großen, von Peter Neufert entworfenen, dreieckigen (!) Esstisch, der bei Bedarf ausgezogen werden kann. Links schließt sich die Küche an, seit

— Vom Swimmingpool gibt es eine direkte Verbindung zur Bar – American Way of Life.

— Einbauschränke und helle Gestaltung unterstreichen den Eindruck von Weitläufigkeit.

der letzten Renovierung ganz hell gestaltet, mit Kochinsel in der Mitte. Statt großflächiger Verglasung gibt es dort eine kleinf lächigere Fenster-Landschaft, abwechselnd mit weißen, bündigen Schranktüren: Das Volumen der Schränke ragt nicht in den Raum hinein, sondern nach außen, wo die sichtbaren Kuben die Wand mitgestalten – ein für Peter Neufert ganz typisches Stilelement. Wandbündige Einbauschränke und „begehbare Schränke“ gibt es im ganzen Haus, so dass kein Zimmer mit entsprechenden Möbeln zugestellt werden muss. Bauherr Hans Coenen starb 1984, siebzehn Jahre, nachdem er sein ungewöhnliches Haus bezogen hatte. Schon im Jahr darauf, so erinnert sich sein Sohn Ernst,

— Das „Esszimmer“ im oberen Geschoss. Der dreieckige Tisch ist ein originaler Entwurf des Architekten.

hat die Familie das Haus verkauft. Man kann daraus schließen, dass die Kinder keine besondere Bindung daran hatten. Ganz überraschend ist das nicht. Hans Coenen war 62, als er mit der Familie in das Neufert-Haus zog. Das heißt: Es war kein Haus für eine junge Familie, die Kinder sind dort nicht aufgewachsen. Sohn Ernst Coenen zum Beispiel hat nur etwa ein Jahr dort gewohnt und ging dann fort zum Studium. Er erinnert sich gut an das „einmalige“ Haus und durfte auch seine – zweifellos beeindruckten – Freunde dorthin einladen. Aber: „Ich hätte das Haus nicht so gebaut“, da hatte er andere Wünsche. Zum Beispiel sei ihm das riesige Wohnzimmer unten immer etwas abgelegen erschienen, „das Leben spielte sich eigentlich immer oben ab“, in Esszimmer und Küche. Das ist wohl ein Effekt bei vielen Wohnungen, deren „gute Stuben“ manchmal zu groß oder zu gut sind für die alltägliche Benutzung.

| Herrliche Verrücktheit Nach 1985 wechselten die Bewohner des Hauses; eine Zeitlang stand es wohl auch leer. Dann, 1994, stießen die jetzigen Besitzer darauf, ein Essener Arzt-Ehepaar. Natürlich nicht bei einem Spaziergang, das geht ja nicht, sondern über einen Makler. „Wir haben uns sofort in das Haus verliebt.“ Nach fast 30 Jahren sahen die beiden Anlass, Einiges zu investieren. Sie taten das damals mit Lust an Farbigkeit. Bei der zweiten Renovierung vor wenigen Jahren zogen viel Weiß und helle Farben 22 |

Ruhr Revue

— Die moderne Küche. Fensteranordnung und die Schränke dazwischen sind „original Neufert“.

ein. Ohne den früheren Zustand zu kennen: Das steht dem Neufert-Haus sehr gut. Ihren Nachbarn Karl Albrecht trafen die Neulinge schon sehr bald am Gartenzaun, als sie noch zwei zusätzliche Bäume dort einpflanzten. Damit, so stellte Albrecht freundlich fest, sei die Coenen-Villa nun endgültig unsichtbar geworden. Es sollten noch viele gemeinsame Spaziergänge folgen: „Ein sehr netter Mann.“ Warum Haus Coenen jetzt verkauft wird? Nur, weil familiäre Erwägungen einen Umzug nach Meerbusch nahelegen, sagt der Besitzer. Von dem Haus seien er und seine Frau noch so begeistert wie am ersten Tag. Vor allem brauche man keine

Furcht zu haben, das Leben in diesem „begehbaren Kunstwerk“ sei von schwierigen und unkomfortablen Kompromissen geprägt. Im Gegenteil: Die Ergonomie sei nahezu perfekt, von kurzen Wegen geprägt. Nun ist das erstaunliche Essener Neufert-Haus also wieder auf dem Markt und findet sich weltweit bei einschlägigen Websites. Ein Faible für extravagante, moderne Architektur sollte der Käufer schon haben. Schließlich hat Peter Neufert den Namen seines 1962 entstandenen eigenen Wohnhauses – „X1“ – so erklärt: „Der Buchstabe X steht für Verrücktheit, die Zahl 1 für den Beginn einer Reihe, denn es sollten weitere Verrücktheiten

folgen.“ Das Bredeneyer Haus mit seinen Anklängen an futuristische Raumschiffe ist gewiss eine solche Verrücktheit. Aber eine herrliche Verrücktheit, die schon nach kurzem Genuss süchtig machen kann. Wir sind leider – ohne das jetzt weiter ausführen zu wollen – nicht flüssig genug für unser neues Traumhaus. Billig ist es nicht. Andererseits, wenn man den angedachten Preis mit den Kursen für ganz gewöhnliche Reihenhäuser vergleicht, auch nicht galaktisch teuer. Wenn Sie, verehrte Leser, wirklich Interesse haben und sich finanziell gewappnet sehen, dann – und bitte nur dann – können Sie bei unserer Redaktion (Tel. 0201-8795757) Näheres erfahren. Wenn Sie aber wie wir bei siebenstelligen Summen Abstand halten müssen, sollten Sie unsere Telefonnummer vielleicht an gutsituierte Freunde weiterleiten und sich später bei denen zum Martini einladen lassen. Sonst bleibt wirklich nur, beim nächsten Anflug auf DUS gut aus dem Fenster zu gucken. Wahrscheinlich rechts, also Sitz F oder K oder so. Wenn irgendjemand „Was ist das denn da unten?“ murmelt, dann wissen Sie Bescheid. l -na


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Peter Neufert gern genutztes Motiv. Die rechte Wand wird von einem hölzernen Bücherregal eingenommen, dessen mittlerer Teil als „Geheimtür“ fungiert. Dahinter findet sich die für Peter Neufert ganz unentbehrliche Bar: komplett eingerichtet, groß und mit offenem Kamin, aber nur mit einem kleinen Fenster und mithin so lange völlig unsichtbar, bis die Gastgeber sich sozusagen entschließen, „zum gemütlichen Teil“ überzugehen.

| Auch der Esstisch – dreieckig Nach innen trennt nur eine große GlasSchiebetür den 64 Quadratmeter großen Wohnraum vom Treppenraum; jenseits liegt, wiederum hinter Glas, der großzügige, rechteckige Innenpool-Raum. Seit der letzten Renovierung findet sich an dessen nördlicher Wand ein großer Spiegel, in dem sich die helle Terrasse abbildet. Vom Pool gibt es direkte Verbindungen zum Bad, zu kleineren Privaträumen – und zur Bar. Über eine filigrane, gleichsam schwebende Treppe gelangt man zur oberen Eingangsebene. Auch sie wird dominiert durch einen großen, üppig verglasten Raum zur Gartenseite hin. Er nimmt nur etwa zwei Drittel der Fläche des unteren Wohnraums ein; im westlichen Teil dieser Ebene finden sich weitere Privatzimmer und ein weiteres Bad. Der große Raum, mit Terrasse, gilt als „Esszimmer“. Die wiederum „sparsame“ Möblierung wird beherrscht durch einen großen, von Peter Neufert entworfenen, dreieckigen (!) Esstisch, der bei Bedarf ausgezogen werden kann. Links schließt sich die Küche an, seit

— Vom Swimmingpool gibt es eine direkte Verbindung zur Bar – American Way of Life.

— Einbauschränke und helle Gestaltung unterstreichen den Eindruck von Weitläufigkeit.

der letzten Renovierung ganz hell gestaltet, mit Kochinsel in der Mitte. Statt großflächiger Verglasung gibt es dort eine kleinf lächigere Fenster-Landschaft, abwechselnd mit weißen, bündigen Schranktüren: Das Volumen der Schränke ragt nicht in den Raum hinein, sondern nach außen, wo die sichtbaren Kuben die Wand mitgestalten – ein für Peter Neufert ganz typisches Stilelement. Wandbündige Einbauschränke und „begehbare Schränke“ gibt es im ganzen Haus, so dass kein Zimmer mit entsprechenden Möbeln zugestellt werden muss. Bauherr Hans Coenen starb 1984, siebzehn Jahre, nachdem er sein ungewöhnliches Haus bezogen hatte. Schon im Jahr darauf, so erinnert sich sein Sohn Ernst,

— Das „Esszimmer“ im oberen Geschoss. Der dreieckige Tisch ist ein originaler Entwurf des Architekten.

hat die Familie das Haus verkauft. Man kann daraus schließen, dass die Kinder keine besondere Bindung daran hatten. Ganz überraschend ist das nicht. Hans Coenen war 62, als er mit der Familie in das Neufert-Haus zog. Das heißt: Es war kein Haus für eine junge Familie, die Kinder sind dort nicht aufgewachsen. Sohn Ernst Coenen zum Beispiel hat nur etwa ein Jahr dort gewohnt und ging dann fort zum Studium. Er erinnert sich gut an das „einmalige“ Haus und durfte auch seine – zweifellos beeindruckten – Freunde dorthin einladen. Aber: „Ich hätte das Haus nicht so gebaut“, da hatte er andere Wünsche. Zum Beispiel sei ihm das riesige Wohnzimmer unten immer etwas abgelegen erschienen, „das Leben spielte sich eigentlich immer oben ab“, in Esszimmer und Küche. Das ist wohl ein Effekt bei vielen Wohnungen, deren „gute Stuben“ manchmal zu groß oder zu gut sind für die alltägliche Benutzung.

| Herrliche Verrücktheit Nach 1985 wechselten die Bewohner des Hauses; eine Zeitlang stand es wohl auch leer. Dann, 1994, stießen die jetzigen Besitzer darauf, ein Essener Arzt-Ehepaar. Natürlich nicht bei einem Spaziergang, das geht ja nicht, sondern über einen Makler. „Wir haben uns sofort in das Haus verliebt.“ Nach fast 30 Jahren sahen die beiden Anlass, Einiges zu investieren. Sie taten das damals mit Lust an Farbigkeit. Bei der zweiten Renovierung vor wenigen Jahren zogen viel Weiß und helle Farben 22 |

Ruhr Revue

— Die moderne Küche. Fensteranordnung und die Schränke dazwischen sind „original Neufert“.

ein. Ohne den früheren Zustand zu kennen: Das steht dem Neufert-Haus sehr gut. Ihren Nachbarn Karl Albrecht trafen die Neulinge schon sehr bald am Gartenzaun, als sie noch zwei zusätzliche Bäume dort einpflanzten. Damit, so stellte Albrecht freundlich fest, sei die Coenen-Villa nun endgültig unsichtbar geworden. Es sollten noch viele gemeinsame Spaziergänge folgen: „Ein sehr netter Mann.“ Warum Haus Coenen jetzt verkauft wird? Nur, weil familiäre Erwägungen einen Umzug nach Meerbusch nahelegen, sagt der Besitzer. Von dem Haus seien er und seine Frau noch so begeistert wie am ersten Tag. Vor allem brauche man keine

Furcht zu haben, das Leben in diesem „begehbaren Kunstwerk“ sei von schwierigen und unkomfortablen Kompromissen geprägt. Im Gegenteil: Die Ergonomie sei nahezu perfekt, von kurzen Wegen geprägt. Nun ist das erstaunliche Essener Neufert-Haus also wieder auf dem Markt und findet sich weltweit bei einschlägigen Websites. Ein Faible für extravagante, moderne Architektur sollte der Käufer schon haben. Schließlich hat Peter Neufert den Namen seines 1962 entstandenen eigenen Wohnhauses – „X1“ – so erklärt: „Der Buchstabe X steht für Verrücktheit, die Zahl 1 für den Beginn einer Reihe, denn es sollten weitere Verrücktheiten

folgen.“ Das Bredeneyer Haus mit seinen Anklängen an futuristische Raumschiffe ist gewiss eine solche Verrücktheit. Aber eine herrliche Verrücktheit, die schon nach kurzem Genuss süchtig machen kann. Wir sind leider – ohne das jetzt weiter ausführen zu wollen – nicht flüssig genug für unser neues Traumhaus. Billig ist es nicht. Andererseits, wenn man den angedachten Preis mit den Kursen für ganz gewöhnliche Reihenhäuser vergleicht, auch nicht galaktisch teuer. Wenn Sie, verehrte Leser, wirklich Interesse haben und sich finanziell gewappnet sehen, dann – und bitte nur dann – können Sie bei unserer Redaktion (Tel. 0201-8795757) Näheres erfahren. Wenn Sie aber wie wir bei siebenstelligen Summen Abstand halten müssen, sollten Sie unsere Telefonnummer vielleicht an gutsituierte Freunde weiterleiten und sich später bei denen zum Martini einladen lassen. Sonst bleibt wirklich nur, beim nächsten Anflug auf DUS gut aus dem Fenster zu gucken. Wahrscheinlich rechts, also Sitz F oder K oder so. Wenn irgendjemand „Was ist das denn da unten?“ murmelt, dann wissen Sie Bescheid. l -na


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