UFA-Revue 12/2010

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LANDLEBEN Landwirt und Vater noch stärker in die Arbeit auf dem Betrieb stürzt, um der Mutter Freiräume für das Kind zu ermöglichen. Als vorübergehendes Beziehungsarrangement ist dies normal, wenn es jedoch zu einem Dauerzustand wird, führt dies zu Problemen. Beide Seiten fühlen sich im Stich gelassen, die Mutter vermisst ihren Mann als engagierten Vater, und der Vater vermisst nach einiger Zeit wieder ein stärkeres Engagement der Frau als Mitarbeiterin im Betrieb. Gerade die moderne Väterbewegung hat gezeigt, wie früh Väter bereits initiativ werden können, wenn die Eltern nicht auf starre traditionelle Rollenbilder fixiert sind, sondern sich als gleichwertige Partner gegenseitig akzeptieren. Die Stunde des Vaters schlägt in der Regel, wenn sich das Kind für seine Umgebung interessiert und sein Bewegungsdrang zunimmt. Auch die Bedeutung für die geistige und sprachliche Entwicklung des Kindes wird zunehmend erkannt. Viele kindliche Bedürfnisse werden zwar von der Mutter abgedeckt, aber wenn der Vater zur Stelle ist, erlebt das Kind die väterlichen Reaktionen als Alternative, welche die familiäre Dreierbeziehung insgesamt bereichert, da individuelle Grenzen relativiert werden. Der Druck, als Mutter oder Vater perfekt sein zu müssen, der viele junge Eltern heute belastet, verliert an Bedeu-

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tung. Es reicht völlig aus, als Mutter oder Vater «hinreichend gut» zu sein und auch Fehler machen zu dürfen, da für Ausgleich gesorgt ist.

Modell für Männlichkeit Aufmerksamkeit verdient die Rolle als Modell für Männlichkeit, und zwar nicht nur für Jungen, sondern ebenso für Mädchen. Wegen der Intensität der Bindung und der Abhängigkeit des Kindes von den Eltern haben diese einen besonderen Einfluss als Modelle der geschlechtlichen Identität. Ihre Wirkung wird jedoch erst in späteren Entwicklungsstadien sichtbar, besonders wenn Berufs- und Partnerwahl anstehen. In einer pluralistischen und in ständigem Wandel begriffenen Gesellschaft scheint sich die Rolle der elterlichen Vorbilder zwar abzuschwächen, da Kinder mit unzähligen ausserfamiliären Modellen konfrontiert werden und viele Wahlmöglichkeiten haben. Dennoch sind die elterlichen Vorbilder die nächsten und nachhaltigsten, von denen Kinder nie

völlig loskommen. Dazu kommt, dass im ersten Lebensjahrzehnt immer noch ein ausgesprochener Mangel an erwachsenen männlichen Vorbildern herrscht, was sich mit Blick auf die Geschlechterverteilung von Pädagogen in Kindergarten und Schule leicht feststellen lässt. Die Auseinandersetzung mit der geschlechtlichen Identität des Vaters stellt heute eine Art Dreh- und Angelpunkt für die Ausbildung der eigenen Identität von Kindern dar. Der Spielraum schwankt dabei zwischen starrer Identifikation, totaler Abkehr und kritischer Auswahl an männlichen Merkmalen. Kinder spüren intuitiv, ob sie von der Mutter die Erlaubnis haben, sich dem Vater zuzuwenden oder ob es ihr Kummer bereitet, wenn sie ihr den Rücken kehren, was natürlich umgekehrt auch für die Beziehung zur Mutter gilt. Eine hinreichend gute Partnerbeziehung ist die beste Garantie für eine hinreichend gute Vater-Kind-Beziehung. 䡵

Autor Hans Goldbrunner ist emeritierter Professor für Psychologie, Familientherapeut und Supervisor in Ratingen/D. Er war lange Jahre im Vorstand der bäuerlichen Familienberatungsstellen in Deutschland. Kontakt: hgoldbrunner@arcor.de

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