39NULL Magazin für Gesellschaft und Kultur | Leseprobe

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„Braindrain: Weitwinkel und Nabelschau“ FOTO Martina Jaider

Andreas Tschurtschenthaler ist in Schleis bei Mals aufgewachsen, in Meran zur Schule gegangen, für sieben Jahre nach Berlin gezogen und mit der Rückkehr dem herben Charme des Vinschgaus erlegen. Ein Plädoyer für das Kommen, Bleiben, Gehen.

Südtirol ist ohne Zweifel ein schönes Land, anmutig seine Landschaft, kontrastreich zwischen Gipfeln und Weinbergen, zwischen verwurzelt scheinenden Tälern und halbwegs experimentierfreudigen Städten, zwischen eigensinnigen Traditionalisten und offenen, risikobereiten Weltbürgern, ökonomisch erfolgreich mit Tecnoalpin als globalem Marktführer und europäische Spitze beim durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommen. Eigentlich unverdächtig, stolz und sicher dastehend trotz unsicherer und ständig wechselnder Zukunftsprognosen für die als sicher geltenden Teile der Welt. Und dieses Dazwischensein oder Etwasvonbeidemhaben ist interessant, vielleicht nicht einzigartig, aber für viele auf jeden Fall einen Besuch wert, und für die meisten, die immer schon da waren, da sind, ein Grund zu bleiben. Südtirol ist sozusagen eine sichere Bank. Irgendwann zwischen Pubertät, Matura und ersten Praktika bricht sie sich Bahn bei vielen Südtirolern, die Frage: Was nun? Und parallel dazu bohrt eine Frage existenzieller Natur: Gehen oder bleiben? Sie haben schließlich keinen Grund, Südtirol zu verlassen, auf den ersten und zweiten Blick ist alles gut. Das Haar in der Suppe kann man auch daheim suchen, die Steine im Brett haben oder ans eigene Bein pinkeln. Die meisten von denen, die Südtirol verlassen, tun dies wohl eher halbherzig, sie sind ja nicht auf der Flucht oder der Suche nach dem Paradies. Anders sind Südtiroler-Heim in Wien, Südtiroler-Treff in London, Heimatfernentreffen und Dauerpräsenz von weltweit in urbanen Zentren verstreut lebenden Südtirolern auf den „Adabei-Seiten“ Südtiroler Gesellschaftsmagazine nicht zu erklären. Bei der Antwort auf die Frage nach dem Bleiben halte ich es mit den sprachlichen Untiefen der Elektronikheilsversprecher Saturn und/oder Mediamarkt: „Alles muss raus.“ Nein, hier soll nichts zu Dauertiefstpreisen verscherbelt, sondern die Ladenhüter sollen aus den gemütlichen Regalen gefegt werden. Natürlich gibt es kein bequemeres Nest als an Berghängen aufgefädelte Dörfer mit übersichtlich

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