VadW Mai 2012

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NACHRUF

Albert Berns - sein Leben, seine Welt war Musik

I

m Januar 2012 hörte sein Herz nach schwerer Krankheit auf zu schlagen. Albert Berns, Berufsmusiker, Komponist und brillanter Musikinterpret, hatte seit 1993 in Nienburg, Niedersachsen, gelebt. Die Nachricht von seinem Tod hat mich zutiefst erschüttert, die Seele tut weh, und das Herz weint. Musik war für Albert alles, sie begeisterte ihn sein ganzes Leben. Die Musik faszinierte ihn schon in der Kindheit, als die Familie Berns in Workuta lebte. Als kleiner Junge blätterte er damals eifrig in den Notenheften des Blasorchesters, das von den Eisenbahnarbeitern gegründet wurde. Sein Vater arbeitete in der Kohlengrube. Wenn er Zeit hatte, spielte er Balalaika „für die Seele“, wie er zu sagen pflegte. Die Mutter sang leise mit. Der musikalische Einfluss der Eltern blieb nicht folgenlos, denn alle vier Söhne blieben der Musik ihr Leben lang treu. So entstand ein kleines Familienensemble, es wurde abends gesungen und bei Festen. Als die Familie nach Kopejsk zog, absolvierte Albert eine Musikschule und arbeitete mit Kindern und Jugendlichen im Pionierpalast. Auch im Armeedienst lernte er Menschen kenne, die seine Leidenschaft für Musik teilten. Das bestätigte ihn noch mehr, einen richtigen Lebensweg gewählt zu haben. Albert Berns arbeitete mit großem Engagement sowohl mit Kindern als auch mit Erwachsenen. Er leitete zwei Ensembles und komponierte Lieder. Seine erfolgreichen Auftritte auf der Bühne wurden vom Kultusministerium ausgezeichnet. Der größte Wunsch von Albert und seinen Musikern war, den Zuschauern Freude zu schenken. Darüber sagte er: „Etwas bekommen sie von mir, aber auch ich von ihnen.“ Was hat dem Leiter der beiden Ensembles geholfen, so erfolgreich zu arbeiten? Er war der Meinung, dass jede gute Sache zählt, wenn sie richtig ist. Die Selbständigkeit war für ihn kein Spiel, sondern eine sehr verantwortungsvolle Tätigkeit. Albert war von Natur aus ein ehrlicher, gewissenhafter Mensch, der anspruchsvoll gegen sich selbst war und dasselbe von anderen verlangte. Wie viele Lieder und Musikstücke hat er vorbereitet! Am besten drücken diese Worte es aus: „Und jedes Jahr wird zum Lied, wenn man in die Arbeit die Seele, die Tat, schöpferische Kraft und Ideen einbringt.“

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VOLK AUF DEM WEG Nr. 5 / 2012

Albert Berns

Er konnte die anderen davon überzeugen, was er für wichtig und notwendig hielt, ohne viel zu reden, ohne Eile, nur durch Logik, Konsequenz und Taktgefühl. Nicht nur ein feines Gehör und ein besonderes Gefühl für Lieder besaß der Musiker, sondern er konnte auch die Möglichkeiten der Sänger erkennen. Als das Deutsche Schauspieltheater Temirtau ein Gastspiel in Kopejsk gab, gewann es sein Herz. Albert kam auf die Idee, ein deutsches Ensemble zu gründen und den Menschen mit deutscher Volksmusik Freude zu schenken. In der Gruppe „Kristall“, so der Name des Ensembles, versammelte Albert auch Teilnehmer, die talentiert waren, aber nicht unbedingt eine musikalische Ausbildung hatten. Der erste Auftritt fand 1987 im Dorf Dobrinka an der Wolga statt, wo sich damals vor 225 Jahren die ersten deutschen Kolonisten ansiedelten. Albert Berns war die Seele des Ensembles. Seine große Liebe zur Musik, sein sprühendes Engagement, seine Toleranz und großartige Geduld bei der Arbeit und im Umgang mit Menschen halfen ihm, in kürzester Zeit erstaunliche Fortschritte zu machen. Im Februar 1990 bekam „Kristall“ eine Einladung vom Deutschen Schauspieltheater nach Alma-Ata. Auch meine Gesangsgruppe „Morgenlicht“ aus Kasachstan war dabei. Es war ein unvergessliches Treffen, und so begann unsere Freundschaft. Das Schicksal führte uns oft zusammen (Festival der deutschen Kultur in Alma-Ata und Moskau, Unionsfestival der Volksmusik in Bolscheretschje, Omsk, Bundestreffen der Deutschen aus Russland in Stuttgart). Im Juni 1992 trafen wir uns beim Festival in Moskau, dann dank der Einladung der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland in Stuttgart. In kleinen Hotelzimmern in Moskau und Stuttgart versammelten wir uns alle zum Singen. Albert

nahm sein Akkordeon, und wir hielten den Atem an. Er bezauberte uns mit seinem Spiel und seinem unwiderstehlichen Lächeln. Seine Finger flogen über die Tasten, die Augen strahlten vor Freude. Seine Improvisationen waren einmalig, wir konnten nur staunen. Ein großes Erlebnis war es, als die Gruppe „Kristall“ zu uns in das Dorf Sowetskoje, Nordkasachstan, kam. Gemeinsame Proben, Konzerte in verschiedenen Dörfern - die Zuschauer waren begeistert. Eine wunderschöne Zeit! Das Wichtigste - wir alle waren gute Freunde geworden. Das alles hatten wir Albert zu verdanken, weil er seine Musiker und die Sängerin Irina Stauch überredet hatte, nach Nordkasachstan zu kommen. Wir waren damals wie eine große Familie, teilten Freude und Sorgen. Ich bewunderte sein Talent, seine organisatorischen Fähigkeiten, seinen feinfühligen Umgang mit Menschen. Immer offen und hilfsbereit, widmete er sein ganzes Leben der Musik. Er komponierte auch hier in Deutschland Instrumentalmusik, die er auf seiner CD „Altstadtfest“ präsentierte. Seine Gedanken und Gefühle kann man spüren und teilen, wenn man diese Melodien hört. Mein Lieblingsstück ist „Die Ballade für die Enkelin“. 18 Jahre lang leitete Albert Berns den kirchlichen Frauenchor in Holtorf und den kirchlichen Posaunenchor in Marktlohe, arbeitete in der Musikschule und leitete den Chor der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland in Nienburg, seiner Heimatstadt hierzulande. Dem Engagement von Albert Berns ist es zu verdanken, dass die Qualität und die gesanglichen Leistungen der Sängerinnen weiterentwickelt und gesteigert werden konnten. Ab 2001 wurde das "Nienburger Doppelquartett" von Albert Berns geleitet, der eine besondere Vorliebe für Jazzmusik hatte und selbst vierstimmige Liedersätze für das Quartett schrieb. Die Sänger des "Doppelquartetts" betonen: „Wir haben schon viel von Albert Berns gelernt.“ Mit ihrer klassischen und modernen Musik sowie geistlichem Liedgut begeisterten sie immer ihre Zuschauer. „Mit ganz großer Treue, Hingabe, Pünktlichkeit und Gewissenhaftigkeit hat er seine Arbeit getan", so charakterisierte ihn Pastor Horst Seivert von der kirchlichen Gemeinde. Die Mitglieder der Jazz-Band „Happy Jazz Paraders" werden Albert sicher am Klavier vermissen. Sie bildeten eine fröh-


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