Neuntes Gesetz zur Änderungdes Bundesvertriebenengesetzes

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Die Landsmannschaft nimmt Stellung

Neuntes Gesetz zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes Regelung von Härtefällen im Spätaussiedleraufnahmeverfahren

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ur Sitzung der CDU-Aussiedlerbeauftragtenkonferenz am 30. März 2012 in Berlin fasste die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland in überarbeiteter und ergänzter Form ihre Argumentation zur Regelung von Härtefällen im Spätaussiedleraufnahmeverfahren gemäß dem Neunten Gesetz zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes wie folgt zusammen:

Wortlaut des Gesetzes: § 27 des Bundesvertriebenengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. August 2007 (BGBl. I S. 1902), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 6. Juli 2009 (BGBl. I S. 1694) geändert worden ist, wird wie folgt geändert: 2. Nach Absatz 2 wird folgender Absatz 3 eingeführt: „(3) Abweichend von Absatz 1 kann der im Aussiedlungsgebiet verbliebene Ehegatte oder Abkömmling eines Spätaussiedlers, der seinen ständigen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes hat, nachträglich nach Absatz 1 Satz 2 in den Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers einbezogen werden, wenn die Versagung der nachträglichen Einbeziehung eine Härte für den Spätaussiedler oder für seinen Ehegatten oder Abkömmling bedeuten würde und die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Eine Härte im Sinne von Satz 1 kann nur durch Umstände begründet werden, die sich nach der Aussiedlung des Spätaussiedlers belastend auf die persönliche oder familiäre Situation auswirken. Der Antrag auf Wiederaufgreifen eines unanfechtbar abgeschlossenen Einbeziehungsverfahrens nach den Absätzen 1 oder 2 ist nicht an eine Frist gebunden. § 8 Absatz 2 und § 9 Absatz 4 Satz 2 gelten für Familienangehörige der nach Satz 1 nachträglich einbezogenen Personen entsprechend.“

Vorbemerkung Die Landsmannschaft verkennt durchaus nicht die guten Absichten der Verfasser der Gesetzesänderungen, ist jedoch der Auffassung, dass dadurch nur ein kleiner Schritt auf dem Weg der Regelung von Härtefällen im Spätaussiedleraufnahmeverfahren getan wird und es auch weiterhin zu tragischen Fällen von Familientrennungen kommen wird. Nach Angaben des Bundesverwaltungsamtes ist mit rund 5.000 Anträgen zu rechnen, von denen „maximal 50 Prozent“ anerkannt werden. Damit werden gerade einmal 2,5 Promille der noch in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion lebenden Russlanddeutschen in den Genuss der angestrebten Regelung kommen. Nicht ablenken sollte die Diskussion um die Regelung der Härtefälle außerdem von zwei grundsätzlichen Forderungen der Landsmannschaft:


1. Überarbeitung des Zuwanderungsgesetzes, das ausdrücklich für „Ausländer und EU-Bürger konzipiert“ wurde, in dessen Geltungsbereich demnach Deutsche als Russland als Deutsche im Sinne des Grundgesetzes nicht gehören. 2. Verwirklichung der Richtlinien der Aussiedlerpolitik, die von CDU und CSU in ihrer Antwort auf die „Wahlprüfsteine der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland“ zur Bundestagswahl 2009 wie folgt formuliert wurden: „CDU und CSU wussten stets zwischen Aussiedlern einerseits und den vielen einzelnen Zuwanderergruppen andererseits zu unterscheiden. Die Familien der Aussiedler, die zu uns gekommen sind, hatten in der früheren Sowjetunion zu leiden, weil sie Deutsche waren. Sie sind eine Schicksalsgruppe unseres Volkes, für die wir eine besondere Verantwortung tragen. Deshalb haben die Aussiedler auch ein Recht, in unserem Land als Deutsche unter Deutschen zu leben. Dies bleibt das Fundament unserer verlässlichen Aussiedlerpolitik.“ Damit lässt sich der dramatische Rückgang der Spätaussiedlerzahlen seit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 nicht in Einklang bringen. In Ergänzung der uns vorliegenden ausführlichen Stellungnahmen des Bundes der Vertriebenen und des Deutschen Roten Kreuzes, die wir ausdrücklich begrüßen, haben wir unsere Bedenken hinsichtlich der aktuell vorgesehenen Härtefalleregelung wie folgt zusammengefasst: Insbesondere unterstützen wir diese in den Stellungnahmen von BdV und DRK enthaltenen Argumente: - Die Anforderungen an die erforderliche Härte dürfen nicht überspannt werden – „einfache Härte“! (DRK) - Vor dem Hintergrund zahlreicher Umstände und fehlender Informationen über rechtliche Konsequenzen, die eine alleinige Ausreise des Spätaussiedlers zur Folge hatten, ist die Feststellung „Der Spätaussiedler ist dann ohne Rücksicht auf die Einbeziehungsmöglichkeit ausgereist“ zu streichen. (DRK) - Rechtliche Unhaltbarkeit der Ablehnung einer Härte, wenn „anderweitige, außerfamiliäre Hilfe“ möglich ist. (DRK) - „Pflegestufe 1“ als Maßstab für dauernde Hilfsbedürftigkeit ist zu hoch angesetzt. (BdV und DRK) - „Hilflosigkeit“ als Maßstab für den Anspruch auf Versorgung im Widerspruch zu „einfacher Härte“ als Aufnahmevoraussetzung. (DRK, BdV) - Übernahme der Betreuung/Pflege ist nicht im vollen Umfang nötig. (DRK) - Warum eine gesundheitsbedingte Trennungsbelastung nur beim Spätaussiedler vorliegen und anerkannt werden kann, ist ebenso wenig nachvollziehbar wie die alleinige Berücksichtigung der Vereinsamung des Abkömmlings. Auch Spätaussiedler, die sich alleine in Deutschland aufhalten, können vereinsamen. (BdV) - Keine rechtliche Grundlage für eine Zuweisung in ein bestimmtes Bundesland. (BdV) - Mangelhafte Informationen durch das BVA. (BdV)

Erfordernis deutscher Sprachkenntnisse Grundsätzlich ist die Landsmannschaft seit jeher der Auffassung, dass die Überprüfung deutscher Sprachkenntnisse im Spätaussiedleraufnahmeverfahren ein sehr fragwürdiges Instrument ist. Als Kriterium sollte nicht der Grad der Sprachkenntnisse gelten, sondern die Bereitschaft des Bewerbers, sich diese als Grundlage für eine gelingende Integration in der Bundesrepublik Deutschland anzueignen. Bedauerlicherweise ist es jedoch in dem Gesetzentwurf neben den Erfordernissen der ausdrücklichen Beantragung der Einbeziehung und des Nichtvorliegens von Ausschlussgründen nach § 5 bei der generellen Forderung von Grundkenntnissen der deutschen Sprache beim Einzubeziehenden geblieben. Außer den vor allem für den Spätaussiedler selbst relevanten geschichtlichen Hintergründen (insbesondere die Schließung sämtlicher deutscher Bildungseinrichtungen in der Sowjetunion Ende der 1930er bzw. – im Wolgagebiet – Anfang der 1940er Jahre, wonach der Gebrauch der deutschen Sprache in der Öffentlichkeit mit erheblichen Gefahren verbunden war), die zum Verlust der deutschen Sprache bei den Deutschen in der ehemaligen Sowjetunion geführt haben und wesentlicher Bestandteil ihres kollektiven Kriegsfolgenschicksals


sind, sind in dieser Hinsicht die folgenden erheblichen Bedenken gegen die grundsätzliche Erfordernis deutscher Sprachkenntnisse beim Einzubeziehenden zu berücksichtigen: 1. Insbesondere für viele Bewohner ländlicher Gebiete ist der Erwerb deutscher Sprachkenntnisse ein unzumutbares Hindernis, das sich aufgrund beschränkter finanzieller Verhältnisse sowie mangelhafter Verkehrsverbindungen in Ländern, die durch eine geringe Bevölkerungsdichte und große Entfernungen gekennzeichnet sind, aufbaut. Solange die Entfernungen zu den Sprachkursangeboten nicht per Gesetz auf ein zumutbares Maß reduziert sind, halten wir das grundsätzliche Erfordernis deutscher Sprachkenntnisse beim Einzubeziehenden für eine unzulässige Härte. 2. Verschärft wird die Situation für diejenigen Einzubeziehenden, die aufgrund ihres Alters und des erheblich eingeschränkten Zugangs zu Ausbildungsgängen in der ehemaligen Sowjetunion nicht oder kaum in der Lage sind, unter den geschilderten Bedingungen auch nur Grundkenntnisse der deutschen Sprache zu erwerben. Für diesen Personenkreis sind gesetzliche Voraussetzungen zu schaffen, in denen eine Altersgrenze, die nach unserer Auffassung bei 50 Jahren liegt, festgelegt ist und die genannten Behinderungen im Ausbildungsprozess berücksichtigt sind. (Nach Angaben von Mitarbeitern der Landsmannschaft gibt es bedauerliche Fälle von Sprachkursbesuchen, die auch nach über 600 Stunden intensiven Sprachunterrichts keine bzw. nur äußerst geringe Fortschritte gemacht haben und damit trotz allen Engagements nicht in der Lage wären, einen Sprachtest gleich welcher Art zu bestehen.) 3. Ebenso wie der Besuch der Sprachkurse ist auch die Anfahrt zu den Sprachkursen in den häufig weit entfernten Goethe-Instituten mit einem unzumutbaren Aufwand an Zeit und Geld verbunden, der viele Aufnahmebewerber keineswegs freiwillig davon abhält, sich der Prozedur zu unterziehen. 4. Zudem ist der Test nach den uns zur Verfügung stehenden Informationen in der Praxis erst nach sechs Monaten wiederholbar, was bei akuten persönlichen oder familiären Problemen eine zusätzliche Hürde darstellt.

Entscheidungskriterien und -mechanismen Bezüglich der Kriterien und Mechanismen, die letztlich für die Genehmigung einer Einbeziehung in den Aufnahmebescheid von Bedeutung sind, haben sich für uns die folgenden Probleme ergeben, die in den Ausführungsbestimmungen eindeutig zu behandeln sind: 1. Der Gesetzentwurf läuft auf Einzelfallentscheidungen hinaus, die den Entscheidungsinstanzen einen ganz erheblichen Entscheidungsspielraum überlassen. Betroffene werden sich gegen strittige Entscheidungen nur mithilfe von Rechtsanwälten zur Wehr setzen können – ein Umstand, der weder mit ihren finanziellen Verhältnissen noch mit den Gegebenheiten in den Herkunftsländern zu vereinbaren ist. 2. Nach ersten Informationen werden von den komplizierten Entscheidungsmechanismen in erster Linie einige Rechtsanwälte profitieren, die sich auf dieses Gebiet spezialisiert haben. Es liegt uns das Schreiben eines Rechtsanwaltes vor, der vor dem Einstieg in einen konkreten Fall seinem Mandanten eine im Bearbeitungsfall zu erwartende Erstrechnung in Höhe von 1.500 Euro mitgeteilt hat. 3. Die Landsmannschaft hält es für nicht zulässig, Entscheidungsprozesse, die in erheblichem Maße das Schicksal von Menschen beeinflussen, in unscharfer Weise zu definieren. Wann liegt eine „einfache Härte“ vor und wann eine „besondere Härte“; wer wird in Grenzfällen genügend Kompetenz haben und die Verantwortung auf sich nehmen wollen und können; ist an die Einbeziehung von psychologisch geschultem Personal und qualifizierten Personen aus dem Kreis der Deutschen aus Russland gedacht? Entscheidungen, die sich lediglich an mehr oder weniger unscharfen Kriterien orientieren, werden in Einzelfällen großes Leid verursachen. (Wir erinnern an die eingangs erwähnte Zahl von maximal 50 Prozent positiven Bescheiden.)


4. Als Spezialfälle betrachten wir diejenigen Personen, denen aufgrund umstrittener Entscheidungen der Status eines Spätaussiedlers gemäß § 4 BVFG nicht zuerkannt wurde – Stichworte: angeblich „erworbene“ deutsche Sprachkenntnisse, Nervosität des Antragstellers. 5. Wenig verständlich ist, weshalb in den Geltungsbereich Gesetzes nur Spätaussiedler, nicht aber Aussiedler im Sinne des Gesetzes einbezogen wurden. Gerade unter Letzteren befinden sich zahlreiche alte und hilfsbedürftige Menschen, deren „Härtefall“ gewiss erst nach der Aussiedlung entstanden ist und denen mit dem Nachzug von Familienangehörigen auch nach über 20 Jahren noch zu helfen wäre.

Zusätzliches 1. Wir geben zu bedenken, dass die Integration der bereits hier lebenden Spätaussiedler gefährdet wird, wenn sie sich über eine lange Zeit und häufig vergebens um den dringend erforderlichen Nachzug von Menschen zu kümmern haben, die ihnen am nächsten sind, wobei sie als Rechtsunerfahrene auf unsicheres Terrain gezwungen werden. 2. Nach unserer Auffassung wird durch die Behinderung des Nachzuges von engsten Familienangehörigen der besondere Schutz der Familie gefährdet, der jedem Deutschen laut Grundgesetz garantiert wird. 3. Bei der Entscheidung über das Vorliegen eines Härtefalles ist erheblich stärker als bisher zu berücksichtigen, dass in den Herkunftsländern Grundprinzipien der Demokratie nach wie vor nicht oder nur in eingeschränktem Maße gelten, von Gebieten mit kriegsähnlichen Zuständen wie etwa Kirgistan ganz zu schweigen. 4. Einzuführen ist die Informationspflicht der Entscheidungsorgane allen Personen gegenüber, die gemäß dem Gesetzentwurf ein nicht befristetes Anrecht auf nachträgliche Einbeziehung in den Aufnahmebescheid haben. 5. Weshalb wurde bei der Formulierung des Gesetzes der Personenkreis der nachträglich auf § 4 Hochgestuften nicht berücksichtigt, die zwar keinen Aufnahmebescheid als Spätaussiedler besitzen, hier in Deutschland aber Spätaussiedlern gemäß § 4 gleichgestellt sind? Inwieweit sind hier Nachbesserungen zu erwarten? 6. Wie wird in ähnlich gelagerten Fällen verfahren, in denen ein Betroffener aufgrund unzulänglicher Beratung bzw. zur Beschleunigung des Verfahrens keinen eigenen Antrag auf Aufnahme gemäß § 4 BVFG gestellt hat, obwohl er dafür die Voraussetzungen erfüllt hätte?


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