JP Grätzelbericht 2014

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AUSGABE 3 / H E R B S T 2014

J P I M MO B I L I E N P R Ä S E N T I E R T

VON DER Z IEGL ERGA S SE BIS Z U M D ONAU K A NA L

Der Grätzel Bericht

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Zieglergasse

Mariannengasse & Altes AKH

DONAU KANAL

fi Idyllische Plätzchen im Siebten fi Alles glänzt – Silberschmiede fi Bücher tauschen, Beat kaufen fi Gastronomische Highlights

fi Medizinische Versorgung allgegenwärtig fi Keine Wiener Mehlspeise fi Unscheinbare, kleine Gasse fi Neue U-Bahnlinie

fi Schweden in Wien fi Tradition wird fortgesetzt fi Kulinarische Genüsse fi Architektur am Donaukanal


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EINLEITUNG

Wiener Grätzel  MASSANZÜGE FÜR DIE SEELE

Lebensgefühl lässt sich kaum beschreiben. Es lässt sich erleben, es atmet, es öffnet das Herz. Ein Grätzel, dieses kleine Stück Heimat inmitten der großen, anonymen Stadt, steht für ein solches Lebensgefühl. Seine Bewohner fühlen sich in ihm zu Hause, sie identifizieren sich mit ihm und gestalten es laufend mit. Was sich nicht beschreiben lässt, dem musst du dich annähern. Das versuchen wir mit dem „Grätzelbericht“, indem wir die Straßen Wiens durchwandern, unseren Blick schweifen lassen, mitunter vom geraden Weg abweichen und mit den Menschen vor Ort plaudern, um Einblick in das Leben in ihrem Bezirk – ihrem Grätzel – zu gewinnen.

Begleiten Sie uns in drei Wiener Grätzel! Auch im vorliegenden dritten Grätzelbericht sind wir wieder mit gutem Schuhwerk, Notizblock und Kamera auf Entdeckungsreise gegangen. Drei „Gegenden“ haben es uns diesmal angetan: das Alte AKH, der Campus und die Mariannengasse im neunten Bezirk, die Zieglergasse im Siebten und der lange Weg entlang des Donaukanals, wo wir uns „Leben, Arbeiten und Freizeit am Wasser“ angeschaut haben.

Die Grätzel, die wir für Sie abgegangen sind, könnten unterschiedlicher nicht sein. Und doch verbindet sie eines: Sie gehören ihren Bewohnern, atmen deren Lebensäußerungen. Das Grätzel ist umgekehrt ein Maßanzug für die Seele der Menschen aus luftigem Stoff und mit perfektem Schnitt. Der alteingesessene Medizintechniker aus der Mariannengasse, der renommierte Wirt in der Zieglergasse, der bekannte Eissalon am Schwedenplatz – sie alle sind unverzichtbarer Teil ihres Grätzels, wo sie ihr Publikum gefunden und ihre Umgebung geprägt haben. Begleiten Sie uns also in drei Wiener Grätzel: Wir haben uns für Sie bemüht, Lebensgefühle einzufangen und zu beschreiben.


EINLEITUNG

Der Grätzelbericht DIE ENTSTEHUNGSGESCHICHTE UND DAS TEAM DAHINTER

Das Redaktionsteam: Supervisor: Martin Müller, GF JP Immobilien Grätzel-Entdeckerin, Texterin und Gesamtleitung: Mag..a Petra Menasse-Eibensteiner Assistenz: Alexandra Krämer, JP Immobilien Fotografin: Alexandra Kromus Lektorat: Mag..a Nina Wildzeisz-Rezner

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s war im Herbst 2011, als die Idee geboren wurde, manch altbekanntes Wiener Grätzel auf neue Weise darzustellen und in weniger bekannten Gegenden Wiens auf Entdeckungsreise zu gehen, um auch sie einer ausführlichen Würdigung zu unterziehen. Denn das eigene Grätzel, dieser unverwechselbare Teil der Wiener Stadt, ist den Bewohnern der Metropole Identität und Ort der Lebensfreude. Kein Grätzel ähnelt dem anderen, jedes ist ein Unikat, passt sich den Menschen an und formt sie seinerseits. Genauso ist es mit den Wienern – alle leben sie in derselben Stadt und doch unterscheidet sie die ganz spezielle Atmosphäre ihrer unmittelbaren Umgebung. Wir wollen bei unseren Entdeckungsreisen vor allem auf Veränderungen der Stadt und auf das Entstehen neuer Grätzel eingehen. Doch Reisen alleine macht keine Freude. Wir wollen unsere neu gewonnenen Erfahrungen mit anderen teilen. Was wäre also näher gelegen, als die zusammengetragenen Informationen, angereichert mit Berichten, Interviews und Fotos aus den jewei-

v.l.n.r.: Alexandra Krämer, Martin Müller, Petra Menasse-Eibensteiner

ligen Grätzeln, in Form einer einmal im Jahr erscheinenden Zeitung der Öffentlichkeit zu präsentieren? Jedes Jahr Ende Februar/Anfang März legen wir, das Redaktionsteam, die Themen für die kommende Ausgabe fest. Schon Wochen davor schwirren Ideen durch den Raum, diskutieren Teammitglieder darüber, was sie für interessant halten, und beginnen indi-

viduelle Recherchen. Bei einer ersten Redaktionssitzung werden die Überlegungen im Detail präsentiert, ausführlich besprochen und um zusätzliche Blickwinkel erweitert. Ja, und manchmal wird auch die eine oder andere Idee verworfen. Als Nächstes folgt die ausführliche Recherche. Der genaue Umfang des jeweiligen Grätzels wird bestimmt , seine Infrastruktur, Besonderheiten und aktuelle Entwicklungen werden festgehalten. Nachdem die Redakteurin meist im April die ersten Ausflüge in die Grätzel unternommen hat, um das besondere Flair vor Ort in sich aufzunehmen, Gespräche mit Anrainern, Geschäftsleuten und Passanten zu führen, sich Notizen zu machen und ein paar Fotos zu schießen, wird gemeinsam mit der Fotografin der grobe Zeitplan für die eigentliche „Grätzeltour“ erstellt. Grob deswegen, weil die Kunst des Bildereinfangens eine besonders wetterabhängige Angelegenheit ist. Im Juni bei Schönwetter ziehen die Redakteurin und die Fotografin um die Häuser, oder besser, sie erkunden die jeweiligen Grätzel, schauen sich die Gassen und Plätze genau an, spüren Interviewpartner auf und unternehmen da und dort einen zuvor nicht geplanten

Ausflug in Hinterhöfe, verborgene Werkstätten, Parkanlagen oder Wirtshäuser. Das Wichtigste aber ist das Gespräch mit den Menschen, die im Grätzel leben. Durch sie erfahren wir die kleinen Geheimnisse der Gegend, lernen die unbekannten Plätze, die besten Lokale und die interessantesten Geschäfte kennen. Die Menschen formen das Grätzel, das Grätzel formt die Menschen. Mit einem Rucksack voller Informationen, toller Eindrücke und Fotos kehrt die Redakteurin an ihren Schreibtisch zurück, schreibt, was sie erlebt und erfahren hat, und wählt die passenden Fotos aus. Bei einem weiteren Termin bespricht das Redaktionsteam sämtliche Details zu Texten und Fotos. Danach kommt die Lektorin an die Reihe. Nach erfolgter Korrektur werden die ausgewählten Texte und Fotos an die Grafik geschickt und dort ins Layout gesetzt. Es folgen weitere kleinere Korrekturen, ein letzter Schliff an Wort und Bild. Schließlich ist es soweit: Ein neuer Grätzelbericht geht in den Druck. So geschehen auch bei dieser dritten Ausgabe, die ganz frisch vor Ihnen liegt und Einblicke in Grätzel gewährt, die für Sie möglicherweise neu und jedenfalls interessant sein werden. Viel Spaß beim Lesen!

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ZIEGLERGASSE

Die Zieglergasse VON DER MARIAHILFER STRASSE BIS ZUR LERCHENFELDER STRASSE. ZIEGELEIEN IN DER WIENER VORSTADT.

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och lange bevor im 19. Jahrhundert die Einführung von dampfbetriebenen Ziegeleien den Hausbau revolutionierte, gab es kleine Ziegeleien in der Wiener Vorstadt. Die Zieglergasse im 7. Wiener Gemeindebezirk trägt dieses Gewerbe sogar in ihrem Namen. Begibt man sich auf einen Spaziergang durch die Zieglergasse und startet damit auf Höhe der Mariahilfer Straße bei der Station der U3, so holt man sich am besten zu Beginn in der Vollwertbäckerei Gradwohl eine Stärkung für den langen Weg. Hier gibt es schmackhafte Bio-Salzbrezerl oder herrlich süße Zimtschnecken, die einen die rund einen Kilometer lange Strecke genussvoll bewältigen lassen. Auf dem Weg vorbei an alten Häusern lohnt es, immer wieder einen Blick in die Hinterhöfe zu werfen. Wie in vielen Teilen des Bezirks findet man im Inneren der Häuser unvermutet große Bäume und so manches idyllische Plätzchen. Wir überqueren die Apollogasse, bei der nichts mehr an den 1808 eröffneten Apollosaal erinnert, einen Vergnügungssaal für 8.000 Besucher, der nur rund dreißig Jahre in Betrieb war und später in eine Kerzenfabrik umgewandelt wurde. Apollo machte hier seinem Ruf alle Ehre – nicht nur als Gott der Künste, sondern auch als Sühnegott: Dem unglücklichen Besitzer des Apollosaals hat er jedenfalls kein Glück gebracht, er ging bald in Konkurs.

Einen Blick in die Hinterhöfe zu werfen, lohnt sich

Häuserzeile in der Zieglergasse


ZIEGLERGASSE

Jarosinski & Vaugoin DIE SILBERSCHMIEDE

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wischen Lindengasse und Seidengasse auf der rechten Seite schräg gegenüber der Ganztages-Volksschule Neubau befindet sich in einem wunderschönen Biedermeierhaus die Silberschmiede Jarosinski & Vaugoin. Die seit 1847 bestehende Schmiede wird in sechster Generation von Jean-Paul Vaugoin geführt.

Einen derart perfekten, authentischen und ästhetischen Arbeitsbereich kann man nur selten finden. Die Schaufenster und das alte, gepflegte Eingangsportal mit dem Schriftzug „Silberwaren Fabrik“ machen neugierig, und enttäuschen den Eintretenden nicht: Vitrinen, gefüllt mit Besteck, Serviettenringen, Taufgeschenken, Vasen und Gefäßen in Silber geben einem das Gefühl, einen großartigen

Schatz entdeckt zu haben. Alles glänzt – Silber, wohin man auch schaut. Früher gab es mehrere Handwerksbetriebe in der Gegend, so Jean-Paul Vaugoin. Die Namen der umliegenden Gassen, wie Seidengasse oder Bandgasse, zeugen davon. In den alten Biedermeierhäusern wurde ebenerdig in den Geschäften beziehungsweise Werkstätten gearbeitet und in den oberen Stockwerken gewohnt. Ihre Spezialisierung auf die Erzeugung von Silberbestecken mit über 200 verschiedenen Besteckmustern macht Jarosinski & Vaugoin mit acht Mitarbeitern weltweit zu einem einzigartigen Unternehmen in dieser Branche. Geführt sowohl als Einzel- als auch als Großhandel verkauft das Unternehmen seine Silberprodukte im In- und Ausland. Zwei Drittel der Ware wird in der hinter dem Verkaufslokal gelegenen Werkstätte angefertigt. Eine Werkstätte, die das Herz jedes in der Gold- und Silberschmiedekunst erfahrenen Experten höher schlagen lässt. Einen derart perfekten, authentischen und ästhetischen Arbeitsbereich kann man nur selten finden. Alte, speckige Werkbänke aus Birnenholz, das Surren der Hängebohrmaschinen, der Geruch nach Metall, Teer

und Polierpaste sowie der Anblick glänzender Silbergegenstände lassen Redakteurin und Fotografin für einen Moment staunend verweilen. Auf einer Werkbank stapeln sich Platzteller, auf einer anderen liegen japanische Essstäbchen, angefertigt aus Silber und Wenge, einem der edelsten Hölzer der Welt. Jean-Paul Vaugoin freut sich über den staunenden Enthusiasmus seiner Besucherinnen und empfiehlt ihnen das Silberschmiede-Museum im Nebenhaus, das man nach Voranmeldung besichtigen kann.

Die Seidengasse, die wir jetzt überqueren, verdankt ihren Namen den vielen Seidenfabrikanten, die hier ihren Sitz hatten. Zur Zeit Josefs II. gab es rund 30 große Seidenwebereien mit rund 300 Webstühlen. Dem Berufsstand ist ein altes Wienerlied gewidmet, in dem die Vorzüge eines Lebens als Sohn eines Seidenfabrikanten besungen werden. Unter anderem heißt es dort: „Wann vom Arbeiten g'redt wird, da kieg'n ma an Grant, weil unser Vater war a Hausherr und a Seidenfabrikant, unser Vater war a Hausherr und a Seidenfabrikant.“

Bücher tauschen, Beat kaufen

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Der Offene Bücherschrank

ir kreuzen die Westbahnstraße, auf der die Straßenbahnlinie 49 verkehrt, und begegnen einem engagierten Projekt zum Thema „Warentausch“. Auf einem kleinen Platz in der Zieglergasse steht ein Schrank voller Bücher. Was hat es damit auf sich, wie funktioniert das? Der Offene Bücherschrank ist ein Ort der Kommunikation außerhalb des Konsums. Jeder kann sich Bücher nehmen und Bücher geben – ganz ohne Kosten oder Anmeldung. Rund um die Uhr findet ein stetes Hineinstellen und Herausnehmen statt. Die neu eingestellten Bücher werden abgestempelt, als deutliches Zeichen dafür, dass es sich um Tauschware handelt, die nicht mehr in den Verkauf gelangen soll und darf. Der erste Offene Bücherschrank wurde 2010 auf Initiative von Frank

Gassner ins Leben gerufen und wird zum überwiegenden Teil von ihm finanziert. Den verzinkten, mit Sicherheitsglas versehenen Schrank entwarf der Maler und Aktionskünstler Hermann Nitsch. Friedrich Plöckinger hilft dem Projekt, indem er immer wieder einen Blick auf das vor seinem Laden aufgestellte Stadtmöbel wirft und aufpasst, dass nichts zerstört wird. Plöckinger betreibt in der Zieglergasse 40 „Das Market“, ein Geschäft für Vinyl-Schallplatten im Bereich House/Disco/Re-Edits/Dance. Er bezeichnet sich als graue Eminenz der Wiener Dancefloors und bietet Beats vom Feinsten. Der zweite Offene Bücherschrank in Wien steht übrigens an der Ecke Grundsteingasse/Brunnengasse am Ottakringer Brunnenmarkt, ein weiterer befindet sich direkt am Margaretenplatz im 5. Bezirk.

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ZIEGLERGASSE

Die Stadt Krems in der Stadt Wien und andere gastronomische Highlights

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er lange geht, muss tüchtig essen. Und da bietet die untere Zieglergasse beste Küche für jeden Geschmack. Seit

& Funk. Auf der gastronomischen Seite verbindet man hier Bistro, Bar und Grill, und verspricht „unkomplizierte, geschmackvolle Speisen für Genießer“.

mehr als 150 Jahren bewirtet in der Zieglergasse 37 das Gasthaus „Zur Stadt Krems“ seine Gäste. Sein erster Besitzer kam aus eben jener Stadt in Niederösterreich und hat seinen Geburtsort nachhaltig auf der Landkarte der Stadt Wien verewigt. Was so lange besteht, muss seine Gäste immer und bis heute überzeugt haben. Auch hier findet sich ein Innenhof, der im Sommer als Gastgarten dient. Hervorzuheben ist Wiens älteste, noch betriebene Kegelbahn. Dort auf alle Neune zu gehen, hilft immens, wenn es gilt, die Kalorien eines wunderbaren Backhendels wieder abzubauen. Ein paar Schritte weiter, auf Hausnummer 52, befindet sich das „St. Ellas“, das auf seiner Homepage ein Zitat von Woody Allen verewigt hat: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Nach einer Weile braucht er einen Drink.“ Na bitte, dem lässt sich im St. Ellas abhelfen. Das Konzept des Lokals unterscheidet sich fundamental vom Gasthaus-Betrieb der „Stadt Krems“. Hier legt ein einfühlsamer DJ auf und untermalt das Essen und Trinken mit Rhythm & Blues, Soul

Im Nebenhaus gelangt man zum „großen Bruder“ des St. Ellas, dem „Gaumenspiel“. Der Gault Millau hat ihm zwei Hauben verliehen und lobt neben der Qualität von Speis und Trank den schönen Garten im Sommer und die durch den Kamin im Winter hervorgerufene heimelige Atmosphäre. „Man würde gern hier gleich ums Eck wohnen“, heißt es fast euphorisch, was die Spaziergänger durch die Zieglergasse nur bestätigen können. In diesem Bereich dürfte es seit jeher gutes Essen und Trinken geben,

Unkomplizierte, geschmackvolle Speisen für Genießer hat doch die Kandlgasse, die wir gerade überquert haben, ihren Namen einem Hausschild mit der Aufschrift „Zur goldenen Kanne“ zu verdanken.


ZIEGLERGASSE

Im Gespräch mit Manfred Haas, Gasthaus „Zur Stadt Krems“

Das St. Ellas – der große Bruder des „Gaumenspiel“

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ZIEGLERGASSE

WestLicht – ein Ort für Fotografie


ZIEGLERGASSE

Klassizismus, Daguerreotypie und Kameras

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n der Ecke Zieglergasse/Westbahnstraße steht die Pfarrkirche St. Laurenz der Pfarre Schottenfeld, die auf Anordnung von Joseph II. ab 1783 vom Architekten Andreas Zach im Stil des klassizistischen Barocks errichtet wurde. Nach dem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wirkenden Schottenfelder Pfarrer Urban Loritz wurde eine Station der U-Bahnlinie U6 bei der Einmündung der Burggasse in den Gürtel, nahe der Wiener Stadthalle, benannt. Es lohnt sich, an dieser Kreuzung die Zieglergasse zu verlassen und ein paar Schritte stadtauswärts bis zur Westbahnstraße 40 zu gehen. Dort befindet sich seit dem Jahr 2001 die Fotogalerie „WestLicht“. Hier hat sich dank einer Initiative von Liebhabern und Kamerasammlern ein Ort für Fotografie etabliert, wie es ihn davor in Wien nicht gegeben hat. Die Fotografie war bis dahin ein Stiefkind unter den Künsten, es gab keinen Raum für Ausstellungen, Archivierung und Forschung.

Heute beherbergt das Fotomuseum WestLicht rund 40.000 Objekte in allen fotografischen Herstellungstechniken, von Plattenfotografien und Glasdiapositiven bis zu vielen verschiedenen Printverfahren. Anhand von Beispielen werden die apparativen Voraussetzungen, wie historische Kameras und Betrachtungsgeräte, bis hin zu neueren Technologien gezeigt. Dazu kommen verschiedene Zugänge zur Fotografie aus künstlerischer, zeitgeschichtlicher und kultureller Perspektive. Der Galerie wurden seit ihrem Bestehen eine Reihe von Teilnachlässen und Werkblöcken wichtiger Fotostudios und Künstler übertragen. Im Jahr 2011

gelang dem Leiter der Galerie, Peter Coeln, die ebenso spektakuläre wie kunsthistorisch bedeutsame Übernahme der „Polaroid-Sammlung“, die beim Konkurs eines Schweizer Museums verloren zu gehen drohte. Die 4.400 Werke von 800 Fotografen und anderen Künstlern – von Ansel Adams bis Andy Warhol – wurden gerettet und dem Publikum zugänglich gemacht. Die Galerie WestLicht verfügt auch über eine bedeutsame Sammlung von Daguerreotypien. Es handelt sich dabei um Werke aus der Anfangszeit der Fotografie ab 1839. Das aufwändige Verfahren wurde später von neuen, preisgünstigeren Technologien abgelöst. Immer wieder werden die historisch wertvollen Schätze in Ausstellungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Wer Interesse hat, kann sich zu einer Führung anmelden. Die Galerie, die sich in einer früheren Glasfabrik befindet, wurde vom Architektenteam „Eichinger oder Knechtl“ in dem für sie typischen feinen, unaufdringlichen Stil umgebaut. Zurück in der Zieglergasse überqueren wir die Burggasse, über welche in früheren Zeiten die Beamten des Kaisers in gerader Linie ihren Arbeitsplatz in der Hofburg erreichten. Heute führt die Autobuslinie 48A zum Wiener Museumsquartier und der umliegenden Museumsmeile. Wir überqueren weiters die Bernardgasse, die nach einem der Fabrikanten benannt ist, von denen es am „Schottenfeld“ sehr viele gegeben habe dürfte, und kreuzen sodann die Badhausgasse, die nach einem vor bald hundert Jahren geschlossenen Bad, dem Marienbad, benannt ist. Der Weg endet bei der Lerchenfelder Straße, der Grenze vom siebten zum achten Wiener Gemeindebezirk, mit der neu erworbenen Erfahrung, dass auf einem Kilometer Zieglergasse ein überreiches Angebot an Gastronomie, Kultur und bestem Wohnkomfort vorherrscht.

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Die Mariannengasse KLEINE GASSE MIT GESCHICHTSTRÄCHTIGEN GEBÄUDEN

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ie unscheinbare, kleine Gasse gegenüber dem Alten AKH auf der anderen Seite der Spitalgasse weist einige geschichtsträchtige Gebäude auf. Gleich am Anfang auf Hausnummer 4–6 befand sich viele Jahre hindurch die Direktion der Wiener E-Werke, die später im Unternehmen „Wien Energie“ aufgingen. Viele Wienerinnen und Wiener erinnern sich noch an Besuche im ehrwürdigen Haus, wo man Anträge auf Versorgung mit Strom abgab oder sich die Stromrechnung erklären ließ. Vor dem Krieg hatte ein eigener Fußballverein der E-Werksdirektion hier seinen Sitz und auch eine der drei Werkskapellen der Wiener E-Wirtschaft traf sich dort zu Proben und pflegte hier ein geselliges Beisammensein im Rahmen der Blasmusik. Im Jänner 2013 wurde das Haus aus dem Eigentum der E-Wirtschaft an die Medizinische Universität Wien ver-

Ehemalige Direktion der Wiener E-Werke

kauft. Auch wenn noch nicht bekannt ist, was mit dem Gebäude in Zukunft geschehen soll, so wird es jedenfalls die medizinische Komponente der Umgebung weiter verstärken. In unmittelbarer Nachbarschaft befand sich früher die „Poliklinik“. Sie hat als „Elisabethinum“ durch Arthur Schnitzler literarischen Ruhm erlangt. In seinem „Professor Bernardi“ schildert er die bornierte Verblendung in den bürgerlichen Kreisen seiner Zeit. Schnitzlers Vater Johann war Mitbegründer und einer der Direktoren der Klinik, Arthur Schnitzler selbst arbeitete dort als Arzt. Nach der Schließung des Spitals wurden Anfang der 2000er-Jahre der Althausbestand sorgfältig saniert und neue Gebäude errichtet. Neben exklusiven Wohnungen befindet sich hier nun auch ein Zentrum für RefluxMedizin. Die medizinische Versorgung ist in diesem Stadtteil tatsächlich allgegenwärtig.

Wendeltreppe aufs Baumhaus

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urch das Haus Nummer 12 der Mariannengasse gelangt man an der Rückseite der Gebäude in den „Viktor-Frankl-Park“. Die Attraktion des Areals mit seinen Eschen, Winterlinden, Eichen und Rosskastanien ist ein Baumhaus, das über eine Wendeltreppe erreichbar ist. Der rund 3.000 m2 große Park soll Kinder zum freien, kreativen Spielen anregen und ein gemütlicher Begegnungsraum mitten in der Stadt sein. Namensgeber des Parks ist der in Wien geborene Neurologe und Psychiater Viktor Frankl, der die Frage nach dem Sinn des Lebens in das Zentrum seiner Arbeiten stellte. Er begründete die Logotherapie und wollte mit seinen Erkenntnissen dazu beitragen, das Leiden als Teil des Lebens zu werten und zu ertragen. „Das Leiden, die Not gehört zum Leben dazu, wie das Schicksal und

der Tod. Sie alle lassen sich vom Leben nicht abtrennen, ohne dessen Sinn nachgerade zu zerstören. Not und Tod, das Schicksal und das Leiden vom Leben abzulösen, hieße, dem Leben die Gestalt, die Form nehmen. Erst unter den Hammerschlägen des Schicksals, in der Weißglut des Leidens an ihm, gewinnt

Gemütlicher Begegnungsraum mitten in der Stadt das Leben Form und Gestalt.“ Viele lebensüberdrüssige Menschen haben Viktor Frankl zu verdanken, dass sie neuen Sinn im Leben erkannten.

Baumhaus im Viktor-Frankl-Park


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Die Poliklinik

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Medizintechnik für Diagnose und Therapie

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uf der gegenüberliegenden Seite hat die Carl Reiner GmbH ihren Sitz – und selbstverständlich hat auch sie etwas mit Medizin zu tun. Es ist ein Unternehmen, im Bereich der Medizintechnik für Diagnose und Therapie tätig, das auf eine mehr als hundertjährige Tradition zurückblicken kann. Ganz in der Nähe befindet sich eine zum Betrieb gehörende Manufaktur für chirurgische Instrumente. Heinrich Reiner, dessen Großvater das Unternehmen gegründet hat, schätzt die Nähe zum Allgemeinen Krankenhaus und zu anderen im Grätzel befindlichen Spitälern: „Die Lage ist echt ideal, auch wenn der Auszug des Allgemeinen Krankenhauses aus dem heutigen Campus-Bereich ein kleiner Nachteil ist. Denn früher holten sich die Leute aus den Stationen schnell mal ein feh-

lendes Instrument. Das passiert heute eher selten.“ Dabei ist der Einkauf von Instrumenten im Geschäftslokal im Haus Mariannengasse 17 ein echtes Erlebnis. Aus der Auslage schaut uns ein großes Auge unbeweglich an. Pinzetten, Messer und auch das anatomische Modell eines menschlichen Schädels zieren das Geschäft. In alten Vitrinen und Kästen liegen Schätze aus längst vergangenen Zeiten, darunter so manches Operationsbesteck aus der Vorkriegszeit, mit dem man heutzutage lieber nicht operiert werden will. Heinrich Reiner verkauft allerdings ausschließlich auf dem letzten Stand der Medizin basierende Instrumente und Geräte. So beliefert er unter anderem Kunden in Russland, Polen, Deutschland und in den skandinavischen Ländern mit modernen Beatmungsgeräten.

Operationsbesteck

Rosa oder türkis E

Die Alserstraße

in paar Schritte weiter, bei der Pelikangasse, wenden wir uns nach links, um die parallel zur Mariannengasse verlaufende Alserstraße zu erreichen. Hier verkehren die Straßenbahnlinien 43, die meist frequentierte Linie Wiens, und die Linie 44. Ab dem Jahr 2018 wird in diesem Bereich die neue U-Bahnlinie U5 gebaut, die planmäßig 2023 das Alte AKH erreichen soll. Die Wienerinnen und Wiener wurden im Sommer dazu aufgerufen, zu entscheiden, ob die neue U-Bahnlinie im Fahrplan die Farbe Rosa oder Türkis zugewiesen bekommen soll. Türkis konnte sich dabei mit 65% von insgesamt 143.000 Stimmen durchsetzen. Zurück in Richtung Wiener Innenstadt kommen wir am Gebäude der Österreichischen Nationalbank vorbei, wo die „Hüter des Geldes“ ihren Sitz haben. Mitunter dünkt uns allerdings, dass unser Geld vielleicht zu wenig behütet ist. Aber das ist wohl eine andere Geschichte.


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CampusLeben IM UND UM DAS ALTE AKH

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etritt man das Alte AKH von der Alserstraße 4 aus, so begrüßt einen zuerst der Widmungsspruch aus dem Jahr 1784 – „Saluti et solatio aegrorum“/„Zum Heil und Trost der Kranken“ – und sodann der entschlossen blickende Dr. Theodor Billroth mit aufgekrempelten Hemdsärmeln und fest verschränkten Händen. Ihm verdanken wir die moderne Bauchchirurgie. Heute jauchzen vor seinem Denkmal kleine Kinder und krabbeln auf ihren Bäuchen durch den Sand. Die große ehemalige Krankenhausanlage mit Anfängen im 17. Jahrhundert ist

Dr. Theodor Billroth – ihm verdanken wir die moderne Bauchchirurgie.

inzwischen Campus für Studierende, Spielecke für Kinder der Umgebung und beliebter Treffpunkt für die entspannten Stunden nach der Arbeit. Der Großteil des Lebens im weitflächigen Grünbereich des Alten AKH spielt sich im ersten Hof ab. In der „Stiegl-Ambulanz“ treffen wir eine Gruppe von Studierenden, die hier oft zusammensitzen: „Wir kommen teilweise aus Kärnten und aus Oberösterreich“, sagt uns die Lehramtsstudentin Andrea, „und freuen uns, wenn wir uns hier in Wien inmitten einer Grünfläche treffen und plaudern können.“ Sie wohnt mit

zwei Kolleginnen in einer Wohngemeinschaft gleich in der Nähe des AKH und zahlt für ihr WG-Zimmer 300 Euro im Monat.

Die Gegend ist nicht billig, aber dank der Nähe zur Universität und der Anbindung an den öffentlichen Verkehr ideal für mobile, junge Menschen. Andrea ist zufrieden, in diesem hippen Teil von Wien gelandet zu sein.

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Nichts Süßes: der „Guglhupf“

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m Alten AKH finden sich einige Sehenswürdigkeiten. Politisch unkorrekte Wiener pflegen zu einem verwirrt scheinenden Menschen zu sagen: „Gleich kommst in den Guglhupf.“ Diese Bezeichnung verdankt der sogenannte „Narrenturm“ seiner äußeren Form, die in ihrer speziellen Rundbauweise besagter Wiener Mehlspeise ähnelt. Heute beherbergt das Gebäude ein Museum – die „Pathologisch-anatomische Sammlung“ –, das vom Naturhistorischen Museum Wien betrieben wird. Auf der Homepage lesen wir, dass „der Narrenturm, als er 1784 fertig gestellt wurde, die erste Anstalt Europas war, die ausschließlich zur Behandlung Geisteskranker errichtet wurde. Damals unterschied man zwischen verschiedenen Krankheitsformen wie Melancholie, Tollheit oder Unsinnigkeit. Heilungsversuche unternahmen die Ärzte mittels Aderlass, Brechmitteln oder Ähnlichem, um die Säfte des Körpers ins Gleichgewicht zu bringen.“ Glücklicherweise ist die Medizin heute doch schon etwas weiter, und es wird mit dem Begriff der Geisteskrankheit weniger Schindluder getrieben.

Medizin im Universitätsbräuhaus Zurück im 1. Hof lädt das „Universitätsbräuhaus“ zum Verweilen ein. Der mittlerweile auch als Winzer bekannte Gastronom Stefan Hajszan hat hier 1995 mit seinem Vater und Onkel begonnen, in der ehemaligen Anstaltsapotheke ein Bierlokal aufzubauen, das sich mittlerweile zu einem Hotspot im an Lokalen reichen Alten AKH entwickelt hat. Die Medizin, die heute hier serviert wird, schmeckt ungleich besser als Aspirin und Hustensaft.

Erinnerung

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m Hof 6 des Alten AKH befindet sich eine kleine Synagoge, die 1903 im neugotischen Stil erbaut, während des Novemberpogroms 1938 schwer beschädigt und in den Nachkriegsjahren in einen Transformatorraum umgebaut wurde. Die Universität Wien veranlasste um die Jahrtausendwende eine Neugestaltung. Auf dem

Boden des früheren Bethauses ist unter einer Glasplatte ein vergrößerter Architekturplan des Grundrisses zu sehen, der die ehemaligen Sitzplätze in Originalgröße zeigt. Heute dient das Gebäude auch der Erinnerung an die Vielzahl jüdischer Ärzte, die zum Ruf der medizinischen Forschung in Wien beigetragen haben.


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Facultas am Campus

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in paar Schritte weiter, beim Ausgang zur Spitalgasse, befindet sich die Fachbuchhandlung „Facultas am Campus“, die sich dem Studienangebot im Alten AKH entsprechend auf Sprach- und Geisteswissenschaften spezialisiert hat. Die Gegend rund um die Spitalgasse, ihre Fortsetzung im achten Bezirk, die Lange Gasse, und die umliegenden Straßenzüge sind reich an Arztpraxen und medizinischen Einrichtungen. In den Geschäften werden die Kunden daher gerne zur Sicherheit mit „Grüß Sie, Herr Doktor!“, oder „Was darf es sein, Frau Medizinalrat?“ angesprochen. „Nutz´s nix“, so der Wiener pragmatisch, „so schad´s nix“. Einem guten Kunden ist eben auch gute Ehre zu erweisen.

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Wohnen, Arbeiten und Freizeit am Wasser


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Der Donaukanal

VIERMAL DONAU – EINE GESCHICHTE

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s ist eine der schwierigsten Aufgaben für einen Wiener Stadtführer, den Gästen die vielen Namensvariationen der Donau zu erklären. Da gibt es die „Alte Donau“, die „Neue Donau“, DIE „Donau“ und schließlich den „Donaukanal“.

Die in der heimlichen österreichischen Hymne als blau besungene, die „echte“ Donau, war bis in das 19. Jahrhundert ein nicht regulierter Fluss. Die heute nördlich des Wassers gelegenen Stadtteile, aber auch die südlich angrenzende Leopoldstadt, wurden ständig von Hochwassern des ausufernden Flusses geplagt. Bereits ab dem Jahr 1810 wurden verschiedene Ideen für eine Regulierung vorgelegt, doch erst 1850 setzte Kaiser Franz Joseph das ein, was die Politik auch heute gerne wichtigen, rasch zu treffenden Entscheidungen voranstellt: eine Kommission. Die „Donauregulierungskommission“ ließ sich satte zwanzig Jahre für ihre Beratschlagungen Zeit. Dann erst startete der Bau eines eingefassten, 280 Meter breiten Wasserlaufs. Zusätzlich wurde ein 450 Meter breiter Auslauf für das Wasser geschaffen, das sogenannte Überschwemmungs- oder Inundationsgebiet. Ein großer Seitenarm der Donau im Norden blieb erhalten und wur-

de bald zur „Alten Donau“. Dort kann man heute das Segeln erlernen, vom Ruderboot aus gemächlich die Skyline der Stadt bewundern oder in eines der Strandbäder zum Schwimmen gehen. Weil es aber trotz des Ausbaus der Donau immer wieder zu Überschwemmungen kam, wurde 1972 ein Entlastungsgerinne gegraben. Mit dem Aushub schuf man eine Insel zwischen diesem neuen, durch Wehranlagen vom Fluss abgetrennten Arm und der Donau. Es entstand die Donauinsel. Bei Hochwasser können die Wehre geöffnet werden, sodass der Fluss genügend Platz im neuen Gerinne, auf der Insel und im alten Flussbett findet. Seither hat Wien auch in den wasserreichsten Jahren keine Probleme mit dem Hochwasser mehr. Der neue Arm heißt „Neue Donau“, dem fließenden Teil blieb der ursprüngliche Name „Donau“ – von „blau“ übrigens keine Spur. Die Donauinsel erstreckt sich über rund 21 Kilometer. Sie ist ein Bade- und Freizeitparadies, wie man es in anderen Städten Zentraleuropas kaum findet. Man könnte sagen, Wien ist mit der Donauinsel ein wenig ans Meer herangerückt. Bleibt noch der Donaukanal, dem hier unser Hauptinteresse gelten soll. Er war im Mittelalter der Hauptarm der Donau. Später verlagerte sich der Lauf des Flusses. Um 1700 entstand für diesen stadtnahen Wasserlauf die Bezeichnung „Donaukanal“. Er zweigt heute bei einer Schleusenanlage in Nußdorf vom Hauptfluss ab und verbindet sich am Praterspitz wieder mit seinem großen Bruder.

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Der Donaukanal DER „EDELSTEIN“ DES RINGS

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ie Stadt Wien erstreckt sich über 23 Bezirke und rund 415 Quadratkilometer. Sagt der Wiener aber „Ich fahre in die Stadt“, so meint er nur ihren kleinsten Bezirk, den ersten nämlich, der den stolzen Titel „Innere Stadt“ trägt. Dieses Pars pro Toto gilt auch für den Donaukanal. Er zweigt zwar bereits bei Nußdorf von der Donau ab und mündet beim Prater wieder in sie hinein, doch im Fokus der Wiener steht in erster Linie der Abschnitt zwischen dem Ringturm und der Urania. Diesem Teil des Flusslaufs hat die Ringstraße auch zu verdanken, dass sie sich mit Recht „Ring“ nennen darf. Erst der Kanal macht aus dem weit gestreckten U ein O und verschließt den offenen Kreis wie ein eingefasster Edelstein den wertvollen Ring. Beginnen wir also unsere Reise entlang des Donaukanals am Schwedenplatz, dem verkehrstechnisch hervorragend erschlossenen Zentrum, und gehen sodann den Weg in Richtung des neunten Bezirks, um dort umzukehren und bis in den Prater vorzustoßen. Ein Weg von wenigen Kilometern mit einer Fülle von Sehenswürdigkeiten und Besonderheiten. Los geht’s!

Was machen die Schweden in Wien? D

er prominente Schwedenplatz verdankt seinen Namen der Mildtätigkeit. Es war Schweden, das unterernährte Wiener Kinder nach dem Ersten Weltkrieg aufnahm und wieder aufpäppelte. Heute befindet sich auf dem nach den Wohltätern benannten Platz ein Verkehrsknotenpunkt mit zwei U-Bahn- und Straßenbahnlinien. Wirklich prominent ist der Schwedenplatz jedoch wegen des Eisgeschäfts der Familie Molin Pradel, in dessen unmittelbarer Nähe sich vor einigen Jahren eine zweite Eisdiele angesiedelt hat. Der erste Molin Pradel, ein Holzfäller aus der Region Belluno in Italien, gründete bereits 1886 eine „SpeiseeisErzeugung“. Somit kamen die Wiener dank der hier ansässigen Italiener erstmals in den Genuss der kalten Köstlichkeit. Die Kaffeesieder und Konditoren der Stadt waren jedoch nur mäßig begeistert, machten ihnen doch die Eishändler mit ihren kleinen Wägelchen arge Konkurrenz. So ordnete Kaiser Franz Joseph an, dass der Eisverkauf fortan ausschließlich in festen Geschäftslokalen stattzufinden hätte. Nach verschiedenen Zwischenstationen ließ sich ein Teil der inzwischen weit verzweigten Molin-Pradel-Familie schließlich auf dem Schwedenplatz nieder und sorgt auch heute noch dafür, dass die Kinder in Wien mit hervorragendem Eis „aufgepäppelt“ werden. Sie lieben es. Für junge und auch ältere Erwachsene hingegen gilt: Wanderer, kommst

Eine kurze Pause am Donaukanal

du auf den Schwedenplatz, achte auf den geraden Weg! Nur wenige Schritte entfernt, beginnt das „Bermudadreieck von Wien“. Anfang der 1980er-Jahre entstand in der damals noch verschlafenen Stadt, in der das Nachtleben um zehn Uhr abends endete, eine lebendige Beisel-Szene. Den Namen „Bermudadreieck“ erhielten die kleinen Straßen rund um den Schwedenplatz und in der Nachbarschaft der Synagoge, weil so mancher „Tanker“, im Sinne von jemandem, der zu viel „getankt“ hat, kurzfristig in diesem Ozean der alkoholischen Genüsse verloren schien.

Wer hingegen brav seines Weges geht, sieht am Hügel oberhalb des Schwedenplatzes die Ruprechtskirche, die älteste erhaltene Kirche von Wien. Über die Marienbrücke oder die Schwedenbrücke lässt sich das andere Kanalufer erreichen. Aber bereits der Blick hinüber genügt, um ein ganz anderes Wien zu sehen. Hier sind in den letzten Jahren neue, höhere Gebäude entstanden, die einen reizvollen Kontrast zur Innenstadt bilden. Hervorstechend sind der vom österreichischen Architekten Hans Hollein geplante „Media Tower“ und der 2010 eröffnete Hotelturm des französischen Stararchitekten Jean Nouvel, der als „Sofitel Vienna Stephansdom“ betrieben wird und auch ein Designkaufhaus umfasst.


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Blick zur Ruprechtskirche

Bermudadreieck – berühmt, aber nicht berüchtigt

Blick über den Donaukanal – reizvoller Kontrast zur Innenstadt

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Das Leben links und rechts vom Ufer

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as neue Leben entlang des Donaukanals zeigt sich direkt neben dem Wasserlauf. Am Uferbereich, links und rechts vom Kanal, hat sich eine neue Szene etabliert. Was jahrelang von der Stadtverwaltung intendiert wurde, jedoch nicht und nicht gelingen wollte, ist plötzlich zur urbanen Realität geworden. Bereits im Jahr 1995 übersiedelte das Musiklokal „Flex“ auf seinen heutigen Platz in einem stillgelegten U-Bahnschacht. Zu dieser Zeit war es noch ein wahres Abenteuer, bei den Abgängen der Brücken in die schlecht beleuchtete und vernachlässigte „Unterstadt“ hinabzusteigen, um zum Flex zu gelangen. Heute steht das Lokal für angesagte

alternative Musik und aktuelle DanceKultur. Bei sommerlichen Temperaturen sitzt man draußen, entspannt sich und hört sich an, was gerade Sache in der Musikszene ist.

Ungefähr gleichzeitig mit der Übersiedlung des Flex an den Donaukanal gab die Stadtverwaltung ganze Mauerreihen am Uferrand für die GraffitiSzene frei. So wurden die Sprühkünstler der Stadt aus der Ecke der Kriminalisierung herausgeholt und ihnen die Chance auf Kunstausübung inmitten der Stadt gegeben.

Baden am Schiff M it der Jahrtausendwende ging es an den Ufern des Kanals richtig los. Das „Badeschiff“ wurde eröffnet und setzte eine versunken geglaubte Tradition fort, an die sich nur mehr die ältesten Wienerinnen und Wiener erinnern konnten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die Wohnungen noch kaum mit Bädern ausgestattet waren, ging die Stadtverwaltung daran, Volksbäder einzurichten. Das waren die so genannten Tröpferlbäder, die man gegen ein geringes Entgelt zum wöchentlichen Duschen aufsuchte, oder man leistete sich gar ein etwas teureres Wannenbad. Am Donaukanal bei der damaligen Sophienbrücke, der heutigen Rotundenbrücke, wurde zu dieser Zeit ein Frachtkahn vertaut, der nach außen geschlossen war, denn eine

Dame im Badekleid war damals noch eine echte Sensation und musste vor den Blicken der Voyeure geschützt werden. Im Inneren gab es Kabinen und einen Rundlauf rund um das Becken. Gebadet wurde tatsächlich in Donaukanal-Wasser. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Baden im Kanal aus hygienischen Gründen nicht mehr möglich und so geriet das System der Badeschiffe in Vergessenheit. Bis die Idee neu aufflammte, zwei umgebaute Frachtkähne mit großen Schwimmbecken, diesmal gefüllt mit klarem Wasser, am Ufer des Kanals festzumachen, Liegestühle aufzustellen und Speisen und Getränke anzubieten. Das „Wasser auf dem Wasser“ im neuen Badeschiff erfreut sich seither großer Beliebtheit.

Versunken geglaubte Tradition erfreut sich großer Beliebtheit – das Badeschiff


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Kulinarische Genüsse, kontemplative Ausblicke oder sportliche Aktivitäten E

ine weitere Verbindung zwischen Fluss und Gastronomie wurde bei der Schiffsanlegestelle des Twin City Liners geschaffen. Dort, wo Katamarane von Wien aus nach Bratislava starten, hat sich das „Motto am Fluss“ etabliert. Ein Restaurant und ein Café bieten dort Speis und Trank auf höchstem Niveau sowie kontemplative Ausblicke auf den Wasserlauf, die Skyline und das Treiben am Schwedenplatz.

Der Donaukanal lässt sich auf vielfältige Weise aber auch sportlich erschließen. Vom Schwedenplatz aus kann man – je nach körperlicher Fitness – weit nach Westen laufen, etwa bis Heiligenstadt oder Nußdorf, wo sich die Einkehr bei einem Heurigen anbietet. In der Gegenrichtung winken bald schon das Riesenrad und der grüne Prater mit seinen vielfältigen Spazierwegen und Grünflächen.

Per Schiff, Fahrrad oder doch zu Fuß

Auf der kurzen Strecke zwischen der Urania, auf die wir noch zu sprechen kommen, und dem Ringturm am anderen Ende des inneren DonaukanalAbschnitts, befinden sich drei Stationen der „Citybikes Wien“, eine davon direkt am Schwedenplatz. Wer sich einmalig via Internet registriert, kann an jeder der rund hundert Stationen in der Stadt ein Rad ausleihen und es an jeder beliebigen Station wieder retournieren.

Kontemplativ oder doch körperliche Fitness

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Zaha-Hadid-Haus

Architektur am Donaukanal


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Architektur entlang des Donaukanals

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chwingen wir uns also auf ein Rad und fahren vom Schwedenplatz aus gen Westen. An der Ecke zur Ringstraße steht das zweithöchste Gebäude der Inneren Stadt, der „Ringturm“. Er wird nur vom Turm des Stephansdoms überragt und wurde noch während der sogenannten Besatzungszeit erbaut. Der neunte Bezirk, dem wir uns jetzt nähern, gehörte damals zum amerikanischen Sektor, der Bereich auf der gegenüberliegenden Donaukanal-Seite zum russischen. Der Bau des Ringturms sollte ein Symbol für den Wiederaufbau sein und gleichzeitig die überlegene Innovationskraft des Westens zum Ausdruck bringen – ein städtebaulicher Stachel im Fleisch der Sowjets. Wer heute die Signale der zwanzig Meter über dem Turm aufragenden Lichtsäule zu dechiffrieren imstande ist, kann auf einen Blick erkennen, wie sich das Wetter entwickeln wird. Einen wirklichen Mehrwert besitzt diese Anzeige in Zeiten des Internets allerdings nicht. Gleich nach dem Ringturm folgt ein Gebäude, das viel Angst und Schrecken verbreitet hat: die Rossauerkaserne. Der markante rote Ziegelbau entstand als Reaktion auf die 1848er-Revolution. Die Innenstadt und damit die Herrschaftszentrale des Kaisers sollte vor aufmüpfigen Bürgern geschützt werden. Es folgten keine weiteren Aufstände mehr, jedoch wurden die Erbauer der Kaserne von Spott und Hohn getroffen. Die Wiener erzählten sich, dass der Einbau von WC-Anlagen vergessen worden wäre und sich der Architekt deswegen sogar erschossen hätte. Eine Kaserne ohne Klos macht gleich viel weniger Angst. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie wieder zum Ort der Furcht. Die Aspiranten

auf einen Führerschein mussten dort ihre Prüfung ablegen, und so manch einer kam wütend oder traurig ohne den rosa Schein aus dem roten Haus. Zurzeit beherbergt die Kaserne Teile des Verteidigungsministeriums und ist Stützpunkt von PolizeiEinsatzkommandos. Heute müssen sich also nur noch böse Gesellen vor dem imposanten Haus fürchten. Im neunten Bezirk entlang des Kanals beeindrucken die großen herrschaftlichen Häuser, wie man sie auch in anderen Bezirken findet, die an die Innere Stadt angrenzen. Bald folgt die Station Rossauerlände der U4, jener Linie, die den Donaukanal entlangfährt.

Herrschaftliche Häuser zieren den Donaukanal im 9. Bezirk Am Ufer des Flusses befindet sich seit bald zwanzig Jahren die „Summer Stage“, ein Gastronomiebetrieb mit einer wunderschönen Terrasse direkt am Ufer und einem Glaspavillon für kühlere Tage, der auch für Veranstaltungen gebucht werden kann. Am Schicksal der nun folgenden Brücke kann vieles von der jüngeren Geschichte Wiens abgelesen werden. Hier befindet sich seit rund zweihundert

Jahren ein Übergang in die Brigittenau. Die Brücke wurde 1926 neu gebaut und erhielt den Namen „Friedensbrücke“. Das aggressive NS-Regime konnte mit dieser Bezeichnung nicht viel anfangen und benannte die Brücke in der Zeit seines Angriffskriegs in „Brigittenauer Brücke“ um. Sie wurde im Kriegsverlauf, wie die meisten anderen Donaukanalbrücken auch, von der Wehrmacht gesprengt, um der bereits vor und in Wien stehenden Roten Armee das Vordringen zu erschweren. Nach der Befreiung Wiens kam es dann zu einem politischen Signal. Die Russen machten die Brücke, deren Mittelteil stehen geblieben war, rasch wieder begehbar und gaben ihr den Namen „Friedensbrücke“ zurück. In den heute friedlichen Zeiten kann man von ihr aus den Lauf des Kanals und die imposanten Häuser im neunten Bezirk, dem Alsergrund, betrachten. Den Wendepunkt unseres Ausflugs in den Westen des Donaukanals bildet das „Zaha-Hadid-Haus“. Es steht auf einer aufgelassenen Trasse der Stadtbahn und imponiert durch seine markante Architektur. Die Hoffnung, dass es zur Belebung eines bis dahin brachliegenden Stadtteils beitragen könne, hat sich allerdings kaum erfüllt. An diesem Ort muss die Stadtverwaltung wohl noch mehr an Ideen und Projekten einbringen. An sonnigen Tagen kann man von hier die goldene Umfassung des hohen Rauchfangs der Müllverbrennungsanlage Spittelau leuchten sehen. Friedensreich Hundertwasser hat deren Außenfront gestaltet – und so wurde aus einer simplen technischen Anlage ein Sightseeing-Ort für Kunstliebhaber.

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Von Hundertwasser zu Hundertwasser A

uf dem geduldigen Papier lassen sich die rund elf Kilometer von der „HundertwasserMüllverbrennungsanlage“ im neunten Bezirk zu dem 1979 entstandenen und mit Friedensreich Hundertwasser untrennbar verbundenen „Kunst Haus Wien“ nahe dem Donaukanal im dritten Bezirk blitzschnell zurücklegen. Von hier aus wird uns der Weg später zurück zum Schwedenplatz führen. Das Kunst Haus Wien mit seinem Hundertwasser gewidmeten Museum und das nur knapp 400 Meter entfernte „Hundertwasserhaus“, ein vom Künstler gestaltetes Wohnhaus in der Kegelgasse, sind Anziehungspunkt für tausende Touristen jährlich. Der

Inhaber des Souvenirgeschäfts beim Wohnhaus, Kumar Sanjay, ist wie jeder gute Kaufmann trotz der hohen Frequenz nicht ganz zufrieden: „Ich bin schon seit zwanzig Jahren mit diesem Geschäft auf diesem Platz, jeden Tag von neun Uhr morgens bis sechs Uhr abends. Der Umsatz ist zurückgegangen. Es gibt zwar genug Touristen, aber die Leute geben nicht mehr so viel Geld aus wie früher.“ Wie heißt es in einem alten jüdischen Witz? Frage an den Kaufmann: „Wie geht das Geschäft?“ Der Kaufmann: „Wer redet von gehen? Tragen muss man es!“ Wenig Geld trotz großem Trubel, da gehen wir, wie die Wiener sagen, „ein Häuserl weiter“. Auf der Weißger-

Grüne Oasen entlang des Donaukanals

Mosaik aus den 60er-Jahren

ber Lände, die darauf hinweist, dass früher am Strom die Gerber ihrem Beruf nachgingen, treffen wir Gabriele. Der Platz am Wasser ist ruhig und beschaulich: „Wenn ich in der Früh ein bisschen Zeit habe, gehe ich gerne hierher zum Wasser, setze mich auf eine Bank und genieße die Ruhe.“ Die Frau wohnt in einem der obersten Stockwerke der schönen Gebäude entlang des Donaukanals und hört daher nur wenig vom Straßenlärm. Im Grünbereich am Wasser mag sie den stadtauswärtigen Bereich besonders gerne, da es dort noch fast keine Infrastruktur gibt. „Ich lese und jogge hier auch – hinunter auf die Uferpromenade, und schon kann ich viele ungestörte Kilometer abspulen.“

Auf Nummer 58 bewundern wir einen Friseur-Salon, dessen aus Mosaiken bestehende Fassadenverkleidung noch aus den 1960er-Jahren stammt.

„Wie geht das Geschäft?“ Der Kaufmann: „Wer redet von gehen? Tragen muss man es!“

Hundertwasser-Wohnhaus

Souvenirs, Souvenirs …


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Urania, Strandbar Herrmann und die grüne Pracht vor dem Hotel Urania

Muse Urania DIE SCHUTZGÖTTIN DER STERNKUNDE

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n der Ecke zum Stubenring und vis-à-vis dem imposanten, gläsernen Bürogebäude der Uniqa-Versicherung, das in der Nacht auf seiner Fassade mit schönsten Lichtspielen aufwartet, erreichen wir wieder den inneren Bereich des Donaukanals. Einen markanten Eckpunkt bildet ein Gebäude, das der Muse Urania, der Schutzgöttin der Sternkunde, gewidmet ist. Seit mehr als hundert Jahren steht es da mit seiner Sternwarte und als Haus für Volksbildung. Auch ein Kino, das Wiener Kasperltheater und ein Kaffeehaus laden ein. Von dessen Terrasse aus bietet sich ein schöner Blick auf die Einmündung des aus dem Westen kommenden Wienflusses in den Donaukanal. Am anderen Ufer des Wienflusses erblickt man die „Strandbar Herrmann“, die mit einer „Königsidee“ entscheidend zur Belebung des DonaukanalStrandbereichs beigetragen hat. Mit aufgeschüttetem Sand, Liegestühlen und „coolen“ Getränken wurde eine Urlaubsatmosphäre mitten in Wien geschaffen, die alsbald viele Besucher anzog und andere Gastronomen inspirierte. Eingebettet ist die Strandbar in den Herrmannpark, der seinen Namen

Emanuel Herrmann, dem Erfinder der Postkarte, verdankt. Da setzen wir uns hin, senden sogleich die freundlichsten Urlaubsgrüße aus Wien und schlürfen einen Cocktail. Unser Blick fällt auf das Hotel Urania, nahe der Volksbildungsstätte an der Einmündung zur Ringstraße. Dort begegnen wir Lubiza Jovanovic und ihrer Freundin Eva Auer. Lubiza, wie sie genannt werden will, hat vierzig Jahre lang im Hotel gearbeitet, wohnt im Nebenhaus und kann sich nicht wirklich vom Hotel trennen. Zu lange hat sie sich um das Frühstück und das Wohlbefinden der Gäste gekümmert. Heute ist sie selbst Gast im Kaffeehaus und trifft sich mit ihrer Freundin Eva, die nach wie vor im Hotel arbeitet. Lubiza erinnert sich an lange zurückliegende Zeiten: „Früher war das Wasser ganz sauber, da sind wir auch darin geschwommen.“ Das machen wir heute nur noch beim Badeschiff, welches wir passieren, um schließlich wieder bei unserem Ausgangspunkt, dem Schwedenplatz, zu landen. Von hier aus unternehmen wir noch einen kleinen, eher nostalgischen Ausflug auf die andere Seite des Kanals, die Leopoldstadt.

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Die „Mazzesinsel“ M

it der Regulierung der Donau und des Donaukanals entstand in Wien zwischen den beiden Wasserläufen eine Insel. Sie umfasst die Leopoldstadt und die Brigittenau, also den zweiten und zwanzigsten Bezirk. Vor dem Jahr 1938 lebte dort ein Großteil der rund 200.000 Juden Wiens. Die Wiener nannten diesen Stadtteil zu jener Zeit „Mazzesinsel“, bezugnehmend auf das ungesäuerte Brot, das beim jüdischen Pessach-Fest gegessen wird. Um die Jahrhundertwende waren Juden aus allen Teilen der Monarchie in die Hauptstadt gekommen, fanden Unterschlupf bei früher zugereisten Verwandten und blieben oft in der Nähe ihrer ersten Station in der großen, fremden Stadt. Der österreichische Schriftsteller Joseph Roth schrieb in seinem Essay „Juden auf Wanderschaft“ im Jahr 1927: „Am Nordbahnhof sind

sie alle angekommen, durch seine Hallen weht noch das Aroma der Heimat, und es ist das offene Tor zum Rückweg“. Die ersten Generationen der Immigranten lebten zum Großteil in bitterer Armut. Nochmals Joseph Roth: „Die Leopoldstadt ist ein armer Bezirk. Es gibt kleine Wohnungen, in denen sechsköpfige Familien wohnen. Es gibt kleine Herbergen, in denen fünfzig, sechzig Leute auf dem Fußboden übernachten“. Erst die Kinder der Erstankömmlinge konnten die Vorteile der Bildungschancen in der neuen Heimat nutzen und gutbürgerliche Berufe ergreifen. Die tragische Geschichte der Juden von 1938 bis 1945 ist bekannt. Heute gibt es wieder eine kleine, vielleicht 3.000 Menschen umfassende jüdische Gemeinde in der Leopoldstadt. Der zweite Bezirk ist dank gelun-

gener Wohnbaupolitik der Stadt und wegen seiner Nähe zur Inneren Stadt inzwischen jedoch kein armer Bezirk mehr, sondern im Gegenteil ein „angesagtes“ Wohngebiet geworden. Zurück zum Schwedenplatz und zum Ende unserer Tour. Beim Eisgeschäft Molin Pradel, unserem Ausgangspunkt, treffen wir eine Gruppe von Kindern aus der Steiermark, die sich auf „Wien-Woche“ befinden. Auch sie sind von der Stadt begeistert: „Ich mag am liebsten den Stephansturm“, sagt die eine. „Die U-Bahn“, meint die andere. „Und ich Himbeer und Vanille“, darauf die Dritte. Was wir jetzt jedenfalls wissen, ohne uns auch noch an den Ufern der Donau, der Neuen Donau und der Alten Donau ergangen zu haben: Wien bietet viel Platz für Wohnen, Arbeiten und Freizeit am Wasser.


FILM AB!

Der zweite Bezirk ist dank gelungener Wohnbaupolitik der Stadt und wegen seiner Nähe zur Inneren Stadt ein „angesagtes“ Wohngebiet geworden.

Filmab! ALS DIE GRÄTZELBILDER LAUFEN LERNTEN …

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er erste Grätzelbericht war ein Versuch. Er ist auf Anhieb gut gelungen. Geführt hat er durch die Bezirke Landstraße, Wieden, Rudolfsheim-Fünfhaus und Ottakring. Der zweite Grätzelbericht konnte bereits getrost als Fortsetzung eines erfolgreichen Weges bezeichnet werden. Mit ihm gingen wir ins Detail, sprich ins Sonnwendviertel, in die Rüdiger- und die Schlossgasse, die Aufhofstraße und ins Servitenviertel. Die vorliegende dritte Ausgabe gilt nun bereits als gute Tradition. Und sie bekommt eine Aufwertung. Die Spaziergänge durch die Mariannengasse und das Alte AKH, die Zieglergasse und entlang des Donaukanals haben wir nicht nur ausführlich schriftlich festgehalten – erstmalig wurde auch ein Film produziert, der unseren Weg durch die Grätzel nachzeichnet. Wenn der Roman über den „Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ auf die Leinwand kommt, warum sollen dann nicht auch die „Dreißig- bis Vierzigjährigen, die durch die Grätzel steigen und gerne da bleiben“ ihre bewegten Bilder erhalten? Der verfilmte Grätzelbericht zeigt die Schönheiten der alten Wiener Häuser, die moderne Architektur rund um den Donaukanal, kleine Geschäfte und ihre feinen Auslagen, Ladenschilder und vor allem die Bewohner, die einen Grätzelbericht erst zu einem lebendigen Dokument machen. Eine Redakteurin, zwei Kameraleute und ein Regisseur fingen mit großer Geduld und viel Zuneigung zu den Besonderheiten der Stadt Wien Sujets ein, die den geschriebenen Bericht ergänzen und erweitern. Viele, die ihnen am Weg begegnet sind, haben zum Gelingen des Filmprojekts beigetragen. So etwa der Chef der Silberschmiede in der Zieglergasse, JeanPaul Vaugoin, der uns voller Begeisterung sein Handwerk darlegte. Unsere Redakteurin musste in seiner Werkstatt Nerven aus Stahl beweisen, als er sie ein Modelliereisen, das im Fachbegriff „Stampf“ heißt, und einen zu bearbeitenden Löffel halten ließ. Denn der gelernte Silberschmied hob, um das schwierige Handwerk zu demonstrieren, einen schweren Hammer auf, schwang ihn nach oben und schlug damit auf das mit zitternder Hand gehaltene Eisen. „Guat is gangen, nix is gschehn!“, heißt es in Wien, und wenn man sich nun die Szene im neuen Grätzelfilm ansieht, merkt man kaum, dass alle doch ein klein wenig nervös waren. Die Filmer befinden sich in solchen Situationen in einer deutlich besseren Lage. Denn hinter der Kamera ist es meist ungefährlicher als davor. Wirklich beruhigt hat sich die Berichterstatterin erst im nahe der Silberschmiede gelegenen Gasthaus

„Die im Dunklen sieht man nicht“

„Zur Stadt Krems“, als das legendäre Backhendl samt Erdäpfelsalat für sie und das Filmteam serviert wurde. Auch wenn dort weiterhin jene traditionellen Speisen angeboten werden, die der Stammgast so sehr liebt, haben die neuen Besitzer doch einiges verändert. So wurde das ursprüngliche Mobiliar samt alter Schank in renovierter Form reaktiviert, um auf diese Weise dem Inneren des traditionsreichen Gasthauses wieder das alte, authentische Ambiente zu verleihen. Die Kamera hat die stimmige Ästhetik vor Ort eingefangen. Somit gibt es nunmehr auch bewegte Bilder, die Lust auf Genuss und Plauderstunden in der Zieglergasse machen. Viel Gastronomie und ein reges Studentenleben zeichnet das Alte AKH und den dortigen Campus der Universität Wien aus. Am Beginn des Weges, der uns von dort in die Mariannengasse führte, begrüßte uns der bekannte Wiener Mediziner Theodor Billroth, der mit eindrucksvoller Geste zeigt, welch durchsetzungsfähiger Arzt er war. Unter seinen Füßen, die bequem auf einem Podest stehen, spielen heute kleine Kinder oder sitzen junge Leute auf Bänken, um zu studieren – sei es in Büchern oder in den Augen ihrer Partner. Auch die große Spannweite an Architektur am Donaukanal lässt sich mit bewegten Bildern am besten einfangen. Am Schwedenplatz bilden die mittelalterlichen Häuser im Hintergrund und die moderne Architektur auf der anderen Flussseite einen schönen baulichen Kontrast und vereinen gekonnt das alte mit dem modernen Wien. Auch hier sind uns Menschen begegnet, die dieses Grätzel wie ihre Westentasche kennen, es lieben und uns an ihrem Erfahrungsschatz teilhaben ließen. Der verfilmte Grätzelbericht ist also fertig. Und wie hieß es ganz oben? Der erste Grätzelbericht war ein Versuch. Er ist auf Anhieb gut gelungen. Hoffentlich gefällt Ihnen der nun vorliegende Grätzelfilm ebenso gut – uns hat das Einfangen der Bilder jedenfalls großen Spaß gemacht.

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Das Grätzel macht den Wert I

st das nicht eine wunderbare Vision: Zentral in der Zieglergasse umgeben von feiner gastronomischer Vielfalt, aufstrebenden Kultureinrichtungen und alter Handwerkskunst befände sich ein moderner Neubau. Eine lichtdurchlässige, klare Architektur und edles Design würden den Charakter des Objektes bestimmen. Wir stellen uns vor, dass es aus 26 modern ausgestatteten Wohnungen und vier großzügigen Townhäusern besteht, die sich perfekt in das Gesamtensemble einfügen. Ja, so eine Vision ist vorstellbar. Genau so, wie es eine wunderbare, gastronomische Versorgung in der Zieglergasse gibt, lässt sich dort auch hochwertige und außerordentliche Architektur verwirklichen. Mehr erfahren Sie unter W W W. J P I . AT oder durch einen Anruf bei Martin Müller unter +43 1 596 60 20

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