jetzt Uni&Job 2/2012

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BENJAMIN DÜRR / TEXT & EUDES DE SANTANA / FOTOS

Die Retter. Die Krise versetzt Europa in Angst, die Zukunft der Staatengemeinschaft ist ungewiss. Wo geht es hin mit Europa? Am drängendsten ist diese Frage für die Studenten des College of Europe. An dieser kleinen Elite-Universität in Brügge werden die zukünftigen Topbeamten, Diplomaten und Politiker der EU ausgebildet.

Die ersten Senioren schlurfen über das

Pflaster, noch fällt die Sonne flach und nur auf die höchsten Häuser und Türmchen. Der Straßenzug liegt im Schatten, die Bänke am Ufer des Kanals sind kalt. Gegenüber ein goldglänzendes Türschild auf rein-weißer Fassade, hohe Fenster, ein Balkon über dem Eingang, zwei Säulen rahmen die Glastüren ein: Dijver 11 – der Eingang zur Kaderschmiede der Europäischen Union. Europas beste Studenten und Dozenten kommen hierher. Das College of Europe in Brügge, eine Stunde mit dem Zug von Brüssel entfernt, bildet Europas Manager von morgen aus, Topbeamte, die in ein paar Jahren die EU führen und gestalten wollen. Die Glastüren schieben sich auf, im Foyer des Europacolleges lassen sich sieben Studenten in Ledersessel fallen. Vor ein paar Wochen haben sie hier mit dem Studium begonnen, es gibt viel zu besprechen. Sie tauschen sich über das Essen in der Mensa und die Einführungswoche aus – und darüber, wie es sich anfühlt, in einer der schwersten Krisen an Europas Zukunft zu denken. Die Frage ist, welche Perspektiven die künftigen Politiker, Manager und Diplomaten für die EU sehen – und für sich selbst. Und wie es ist, für ein Projekt zu arbeiten, das immer mehr Leute infrage stellen – und dessen Zukunft so ungewiss ist wie nie zuvor. Es ist ein Sonntagmorgen im September, kurz nach neun. Emanuele Manigrassi, 25,

aus Genua hat bis um vier Uhr früh gefeiert. Man denkt nicht immer an die Krise. Und natürlich bleibt trotz der vielen Kurse Zeit für Partys. Emanuele belegt Verhandlungsführung und Verfassungsrecht auf Französisch, Umweltpolitik und EU-Erweiterung auf Englisch, dazu Seminare über Interessenvertretung in Brüssel und Wirtschaftsbeziehungen mit der Welt. Er macht den Master in Politik und Verwaltung. Er ist erst seit Kurzem am College in Belgien – wie die meisten hat er im September angefangen. In zehn Monaten werden die Studenten einen Abschluss in Europäischem Recht, Wirtschaft, in Politik und Verwaltung oder Diplomatie machen. Das Studium ist zweisprachig, auf Englisch und Französisch, die Kurse finden regelmäßig samstags statt, manchmal auch sonntags. Weil das College of Europe kaum eigene Professoren beschäftigt, kommen die 160 Dozenten für die Vorlesungen aus ganz Europa eingeflogen. „Flying Faculty“, nannten das die Väter des Europacolleges. Es wurde 1949 von einem spanischen Staatsmann gegründet, gleich nachdem die ersten Ideen von einem vereinigten Europa entstanden waren. Finanziert wird die Schule in großen Teilen von der EU, mehreren Mitgliedsländern und der Stadt Brügge. Der Gedanke war, eine Schule zu schaffen, an der Professoren und Studenten aus ganz Europa zusammen arbeiten, lernen und leben.

Emanuele Manigrassi wohnt in einer von sieben Residenzen; die Uni serviert dort Frühstück, Mittag- und Abendessen, stellt Handtücher und Bettwäsche und beschäftigt Mitarbeiter für den Haushalt. Manchmal kreuzen sich ihre Wege nach ein paar Jahren wieder, in Brüssel, in Straßburg, vielleicht in Washington. Eine Jobgarantie gibt es zwar nicht, aber wer das College of Europe verlässt, hat sehr gute Chancen, bei der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank oder dem Gerichtshof unterzukommen. Helle Thorning-Schmidt, die Premierministerin Dänemarks, hat hier studiert, ebenso der Vizepremier Großbritanniens, Nick Clegg, der Präsident des Europäischen Gerichtshofs, der polnische und der luxemburgische Außenminister, ein Vizepräsident der Weltbank. Auf neun Seiten listet das Europacollege die Namen berühmter Absolventen auf. In Deutschland kennen diese Uni nur wenige, sagt Michèle Kiermeier aus Süddeutschland. In anderen Ländern hingegen habe das College einen Ruf wie Oxford und Cambridge. Emanueles Freunde reagierten mit drei Fragen, als sie hörten, dass er dort studieren werde: was es koste, ob er jetzt zur Elite gehöre, warum er Bürokrat werde. Er antwortete: 22 000 Euro Studiengebühr. Und versuchte dann, das Klischee des steifen Beamten zurechtzurücken, die Vorstellung von Brüssel als Hauptstadt von Bürokratie, Kra-

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