Intro #175

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Musik

funden, dafür geht die Sonne aber selbst noch über der dunkelsten Ecke von Brooklyn auf. Hätten wir gewusst, dass wir am nächsten Abend ganze sechs Stunden mit den Jungs geschenkt bekommen, der Zeitdruck wäre in diesem Moment nicht so absurd groß geworden. So aber gilt: Fakten, Fakten, wir brauchen Fakten. Sicher, Digger. Also sprechen wir über die Kollaborationen des Albums. Angesprochen auf den Nas-Track, machen sie sich über Fans in Cargo-Hosen lustig, lassen generell wenig Gutes am Look ihres Publikums und entwerfen in der ihnen typischen Pingpong-Konversation den Plan, in Zukunft in Ledermänteln auf die Bühne zu gehen. Mal sehen, wie sich das auf die Kommentare der Fans auswirkt. Denn so drastisch, wie sie sich über diese äußern, wird auch andersherum ausgeteilt. »Ich muss mir immer anhören, dass ich wie ein Anwalt rumlaufe. Geht’s noch? Da will man doch nur kontern mit einem ›Und du wie ein Verlierer‹ – das mache ich dann aber doch nicht.« Und dann ist es auch schon so weit: Die Zeit ist um. Allerdings wollen sie uns nicht gehen lassen. Horovitz will einfach nicht locker lassen und diesen Felix haben – und Yauch ist angefixt von der Idee, doch noch spontan von uns in die deutsche Küche eingeführt zu werden. Leere Worthülsen, denken wir, doch die Band besteht darauf: Wir zeigen euch unsere andere Seite, wenn ihr für uns kocht. Zurück in der anderen Welt Felix Scharlau ist nervös. Angespannt kaut der HipHopCrack der Intro-Redaktion auf dem Tabak. Seitdem die Beastie Boys am frühen Morgen das »Kochen mit«-Date bestätigt haben, ist klar: Scharlau muss mit ran. Felix muss präsentiert werden. Aber warum? Er selbst ist sich sicher: Es muss mit seinem Verriss des letzten Albums zu tun haben. Er war gnadenlos, aber gerecht – und wurde natürlich kein bisschen gelesen von den Beastie Boys. Horovitz lacht, als er die Geschichte erzählt bekommt. Sein Felix war nur eine dieser typischen Einbahnstraßen der Beastie-Boys-Kommunikation, wie sie sie ohne Ende in Interviews raushauen. Nicht aber in der privaten Atmosphäre. Hier sprechen sie, wie wir bereits den ganzen Abend erleben dürfen, mit einem ganz anderen Duktus und geordnet über Kunst, Sport, Musik und sehr viel Lokales. So wollen sie alles zum Absinken des Kölner Stadtarchivs hören, lassen sich über

den Unterschied zwischen digital erfasstem Wissen und Originalquellen aus, hinterfragen die mystische Welt des Kölner Karnevals, erzählen vom bizarren demokratischen Punkmovement in den USA, der noch bizarreren Regelung von Adoptionen in Amerika, die besagt, dass man finanziell unterstützt wird, weswegen es Gangster gibt, die sogenannte Kinderfarmen halten – und schneiden letztlich natürlich auch ihre eigenen politischen Ambitionen an, die von sehr frühen »Free Tibet«-Aktionen über sehr deutliche Worte zum zweiten Irakkrieg (»In A World Gone Mad«, 2003) bis zur Muslimfrage geht. (Mit Letzterer setzten sie sich bereits 1998 anlässlich der Ereignisse in den Botschaften von Kenia und Tansania auseinander.) Über die überraschende Frage der Band nach den Spermbirds und die ausführliche Diskussion der diversen Musiksozialisationsgeschichten am Tisch landen wir beim New Yorker Hardcore der 80er-Jahre. Yauch erzählt, dass er gerade erst einen Klappentext für das Buch des ehemaligen Cro-Mags-Sängers Harley Flanagan, »The Evolution Of A Cro-Magnon«, geschrieben habe. Eine News, die so heiß ist, dass selbst die beiden anderen sie noch nicht kennen – und das, obwohl das Buch sogar im Proberaum rumliegt. Allzu oft scheinen sie da nicht zusammen abzuhängen. Anyway. Yauch taucht tiefer in die Vergangenheit ein und berichtet von lustigen Aktionen wie dem Verkauf von Fake-LSD vorm Madison Square Garden, seinen letzten verstreuten Besuchen im CBGB, bevor dieses geschlossen wurde, den Lebenswegen diverser alter Hardcore-Protagonisten. (Wobei die Schere zwischen tragisch und erfolgreich nicht größer sein könnte: Während der eine in der Gosse verreckt ist, ist der andere heute erfolgreicher Kameramann in Hollywood ...) Und so könnte es noch Stunden weitergehen. Einzig Linus Volkmann weiß die Band an die Grenze ihres Interesses zu bringen. Wie immer, wenn unser Neo-Punk zu viel getrunken hat, versucht er auch heute, seinen Backkatalog an Wissen über Deutschpunk an die Band zu bringen. Beseelt wird von Slime bis zu Abstürzende Brieftauben Musik rausgehauen und ähnlich abseitiges Insidertum platziert. Doch zu viel deutsche Folklore – die Boys unterdrücken ein Gähnen. Es sei ja schon sehr spät, sie hätten sehr frühe Flüge, man müsse mal gehen. Aber sie gehen nicht ohne das Versprechen, dass sie das nächste Mal, wenn sie in Köln sind, italienisch für uns kochen. Word up, bros.

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Cro-Mags New Yorker Hardcore-Band, die zur Zeit der Veröffentlichung ihrer legendenumrankten 10-Inch »The Age Of Quarrel« als härteste Band der Szene galt – ein Diskurs so blöd wie öde. Im Laufe ihrer Geschichte machte die Band einige personelle Veränderungen durch: Zu Beginn sang John Joseph, später Harley Flanagan. Cro-Mags waren – wie Youth Of The Day, die andere wegweisende Band dieser Epoche – eng mit der HareKrishna-Bewegung asoziiert.

Zu viel deutsche Folklore Um sich Linus Volkmann interessanter zu imaginieren, zieht Ad Rock den optischen Vergleich zu einem seiner Freunde, dem Comedian Neal Medlyn, der mitunter in Unterwäsche »Coming In The Air Tonight« von Phil Collins nachvertont. Der Blick ins Internet lässt rätseln, wie viel Wohlwollen diese Bezugnahme in sich trägt. Urteilen Sie selbst: www.myspace.com/nealmedlyn.

Beastie Boys Hot Sauce Committee Pt. 1 CD/Vinyl // Capitol / EMI VÖ: auf unbestimmte Zeit verschoben


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