ZUSAMMEN:ÖSTERREICH 2014/2

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SCHWERPUNKT: INTEGRATION VOR ORT

SCHWERPUNKT: INTEGRATION VOR ORT

Titelgeschichte

Kommentar

Martina Potts (rechts) leitet in Mittersill einen Deutschkurs für türkischstämmige Mütter. Hülya Harman unterstützt sie dabei und dolmetscht bei Bedarf.

EX P ER TEN MEI N U N G

Was Gemeinden tun können

Bruck eingeladen. Der Integrationskoor­ dinator des Österreichischen Integrations­ fonds berät Gemeinden, Vereine und Zu­ wanderer in ganz Salzburg. „Wichtig ist, dass in der Integrationsplattform alle Sprach- und Kulturkreise mit einem An­ sprechpartner vertreten sind“, empfiehlt er Hochwimmer. „Ein Türke kann nicht unbedingt für Serben oder Kroaten in der Gemeinde sprechen.“ Trojers Expertise ist mittlerweile im ganzen Bundesland ­gefragt. „Immer mehr Gemeinden, auch kleine, wollen das Thema Integration ge­ zielt angehen“, sagt der gebürtige KosovoAlbaner, der einst als Student nach Öster­ reich gekommen ist.

Doch wie vielfältig ist ein ländlicher Be­ zirk wie der Pinzgau überhaupt? Ein Blick auf die Statistik zeigt: Gut 14 Prozent der

Bevölkerung sind ausländischer Herkunft. Die größten Zuwanderergruppen sind aus Deutschland und den Staaten des ehema­ ligen Jugoslawiens (siehe Diagramm un­ ten). „Wir haben eine größere Vielfalt, als

STATISTIK

WOHER KOMMEN DIE ZUWANDERER IM PINZGAU?

Gut 14 Prozent der Pinzgauer Bevölkerung sind ausländischer Herkunft. Die größten Gruppen sind Zuwanderer aus Deutschland und dem ehemaligen Jugoslawien. Deutschland

4,4 %

Ehemaliges Jugoslawien

4,4 % 3,1 %

Restliches Europa

Türkei

1,2 %

Rest der Welt

1,2 %

0 %

008

1 %

Zusammen:Österreich

2 %

3 %

4 %

auf den ersten Blick erkennbar ist“, meint Trojer. Zusammenleben am Land, das bedeute weniger Anonymität und mehr ­ Kontakt zu Nachbarn, Arbeitskollegen und anderen Menschen, die einen im All­ tag umgeben. „Zuwanderer finden es in kleinen Gemeinden oft leichter, dazuzu­ gehören und Wurzeln zu schlagen“, sagt der Integrationskoordinator.

BÜRGERMEISTER PRÄGEN STIMMUNG

QUELLE: STATISTIK AUSTRIA

5 %

Auch mit geringem Budget sei viel mög­ lich, sagt die Expertin. „Oft reicht es, wenn es auf Gemeinde- oder Bezirksebene Ansprechpartner gibt, die so­ wohl für Zuwanderer Bahri Trojer, als auch Einheimische Integrationskoordinator da sind.“ Konkrete in Salzburg Integrationsprojekte, ob gemeinsame Aus­ flüge, Kochnachmittage oder interkultu­ relle Feste, leben oft vom Engagement Freiwilliger, wie zahlreiche erfolgreiche Initiativen in Dörfern und Kleinstädten zeigen. „Vor Ort gibt es meist viele Men­ schen, die sich engagieren wollen und die man nur ansprechen muss“, weiß Gruber aus Erfahrung.

Integration in der Gemeinde ist das Spezi­ algebiet von Marika Gruber, die an der Fachhochschule Kärnten arbeitet und zwei Bücher zum Thema verfasst hat. Ih­ rer Erfahrung nach prägt vor allem das Engagement einzelner Akteure das Zu­ sammenleben vor Ort: „Das können Eh­ renamtliche sein, aber auch die Bürger­ meister.“ Letztere prägen vor allem die Stimmungslage in der Bevölkerung. „Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sollten sachlich informieren und Pro­ bleme offen diskutieren“, meint Gruber. „Ihr Ziel sollte es sein, dass nicht über ‚die Ausländer‘ gesprochen wird, sondern da­ rüber, wie alle in der Gemeinde gut zu­ sammenleben können.“

DEUTSCHKURSE VOR ORT

FOTOS: WWW.WEINFRANZ.AT; ILLUSTRATION: MATTHIAS MOSER

GRÖSSERE VIELFALT ALS ERWARTET

Immer mehr Gemeinden, auch kleine, wollen das Thema Integration gezielt angehen.

FREIWILLIGE GEZIELT ANSPRECHEN

Ein Thema, das auch in kleinen Orten oft wichtig ist, sind Sprachkenntnisse. Doch Kurse werden häufig nur in größeren Städten angeboten – und damit zu weit weg, wie Gruber in einem Forschungspro­ jekt herausgefunden hat. „Aus dem Bezirk Hermagor fahren Zuwanderer nicht zum Deutschkurs nach Villach. Das dauert ein­ fach zu lange und ist oft nicht mit Berufs­ tätigkeit oder Kinderbetreuung verein­ bar.“ In solchen Regionen, so Grubers Rat, müsse es Kursangebote vor Ort geben.

UNTERSTÜTZUNG VOM IMAM In der Praxis reicht es aber nicht, Integra­ tionsprojekte zu organisieren, wie Bahri Trojer aus Erfahrung weiß: „Man muss die Menschen dort abholen, wo sie s­ tehen, und überzeugen, mitzumachen.“ Genau das ist im Pinzgauer Mittersill gelungen.

Immer mehr Kommunen erkennen die Bedeutung einer erfolgreichen Integrationspolitik – und das ist gut so. TEXT

Heinz Faßmann

Integration geschieht vor Ort – und das bereits seit langem. Schon länger, als Bund und Länder sich mit dem Thema Integration befassen, lösen die Gemeinden offene Fragen des Zusammenlebens. Oft reagieren sie dabei auf Konflikte vor Ort. Die Gemeinden müssen reparieren, haben aber keine offiziellen Kompetenzen, um selbst Integrationspolitik gestalten zu können.

versuchen, räumliche Segregationsprozesse zu mildern und sie kann über ein intelligentes Besiedlungsmanagement einen sozialen und ethnischen Mix vor Ort erreichen. Schließlich kann die Gemeinde sich darum bemühen, gezielt Mitarbeiter mit Migrationshintergrund in die Verwaltung aufzunehmen, um so Beschäftigungschancen für alle Bürger ihrer Gemeinde einzuräumen.

In welchen Bereichen können die Gemeinden dennoch eigenverantwortlich aktiv werden? Sie können sich etwa bemühen, ein integratives Klima der Freundlichkeit zu schaffen. Das kann entscheidend dafür sein, wie in der Realität das Zusammenleben wahrgenommen wird. Ein anderer Bereich, in dem die Gemeinden aktiv werden können, sind Stadtteil- und Quartiersmanagement sowie Wohnen. Eine Gemeinde kann bauliche und soziale Impulse setzen, sie kann vor Ort moderieren und Konflikte begrenzen. Auch kann sie Schulen, die als Problemschulen gelten und von der ortsanwesenden Bevölkerung gemieden werden, besonders gut ausstatten, um sie attraktiver zu machen. Im Bereich des Wohnens kann die Gemeinde steuern, indem sie die Vergabe der kommunalen Wohnungen nützt oder mit den gemeinnützigen Wohnbauträgern entsprechende Vereinbarungen schließt. Die Gemeinde kann

Die Gemeinden, die große und die kleinen, fühlen sich zunehmend mitverantwortlich für eine gelungene „Integration vor Ort“. Sie nehmen dafür finanzielle Belastungen auf sich, obwohl dieser Bereich nicht zu ihren Pflichtaufgaben zählt. Sie erkennen, dass eine erfolgreiche Integrationspolitik zum erstrebenswerten kommunalen Portfolio gehört wie eine effiziente Wirtschaftspolitik oder ein gutes Stadtmarketing. Und das ist gut so. Denn eine gute Integration hat drei Voraussetzungen: Erstens müssen die Zugewanderten zu ihr bereit sein. Zweitens muss die ortsanwesende Bevölkerung sie ermöglichen. Und drittens muss die Politik – auch auf Ebene der Gemeinden – für Rahmenbedingungen sorgen, die Integration fördern.

Heinz Faßmann

ist Vizerektor der Universität Wien und Vorsitzender des Expertenrats für Integration.

Zusammen:Österreich

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