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stadtlabor berlin. 30 Jahre Publikationen.

Mathias Heyden, Thomas Honeck und Michael LaFond kommentieren Über selbstbestimmte und gemeinschaftsorientierte Wohnprojekte und damit einhergehende Formen einer bottum-up geprägten Berliner Stadtentwicklung erschienen in den letzten drei Jahrzehnten zahlreiche Publikationen. Einige wurden mit Hilfe von Verlagen realisiert. Ebenso bedeutsam sind die zahlreichen Werke ohne ISBN-Nummer - so genannte graue Literatur. Als solche wurde sie beispielsweise von Bürgerinitiativen, durch Architekten- und Planernetzwerke, unterstützt von Wissenschaftlern oder mittels Stiftungen produziert. Und so runden wir das Heft ab mit einem aus unserer Sicht repräsentativen Querschnitt von thematischen Veröffentlichungen, ohne dabei einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Die im Folgenden besprochenen Schriften berichten von einer zivilgesellschaftlich geformten Stadtproduktion und -nutzung, von einer Kulturgeschichte des Berlin-Selbermachens, von Theorien und Praktiken, die zukünftig noch an Bedeutung gewinnen werden. Wir beginnen mit den frühen 80er Jahren und erinnern durch Veröffentlichungen aus der Zeit der Häuserkämpfe in Westberlin an damalige Missstände im Wohnungswesen und entsprechende Auseinandersetzungen und Alternativen. Bemerkenswert ist, wie unmittelbar die entsprechende Instandbesetzerbewegung die so genannte IBA-Alt prägte, die Sektion der Internationalen Bauausstellung Berlin 84/87, die sich gegen Kahlschlagund Flächensanierung von gründerzeitlichen Quartieren wandte, und die mittels „behutsamer Stadterneuerung“ vor allem in Berlin-Kreuzberg weltweit vorbildhaft wurde. So manche „alternative“ Publikation wurde in diesem Kontext realisiert und erzählt von einer seither bestehenden Stadtentwicklungsdialektik zwischen „oben“ und „unten“. Doch es ging auch anders: Das eine oder andere Projekt, wie beispielsweise die ufaFabrik-Kommune in Berlin-Tempelhof, sprach am liebsten für sich selbst. Mit Gleichgesinnten veröffentlichte man monatlich eine Betriebszeitung als Beilage der frisch gegründeten, selbstverwalteten Tageszeitung, die „taz“. Generell wurde das Aufkommen der Wohnprojekte-Bewegung durch eigene Sprachrohre begleitet, und auf experimentelle Wohnformen- sowie auf die weitere bottom-up-Stadtentwicklung spezialisierte Verlagshäuser sprossen aus dem Berliner Boden. Auch in der Zeit nach dem Fall der Berliner Mauer bestimmten Aufbruch und Veränderung die Wohnprojektebewegung. Erneut wurden weit über hundert leerstehende Häuser okkupiert und selbstbestimmt und gemeinschaftsorientiert ein antikapitalistischer Umgang mit Wohnraum reklamiert - diesmal im Osten der Stadt. Man fand sich in Netzwerken wie dem Arbeitskreis Berliner Selbsthilfegruppen im Altbau eV zusammen, und man publizierte auf Basis der Erfahrungen mit

öffentlichen Förderprogrammen im Westberlin der 80er Jahre und gab entsprechende Tipps und Tricks an die neuen Projekte weiter. Von dementsprechenden Für und Wider der Stadtentwicklungsdialektik zwischen „oben“ und „unten“ berichten beispielsweise Veröffentlichungen über die Räumung der Mainzer Straße oder über die Entwicklung der SelbstBau eG und dokumentieren so, wie nah Misserfolg und Erfolg in den 1990er Jahren lagen. Ab den 2000er Jahren verbreiterte sich die Debatte um das Recht auf Stadt insbesondere aufgrund der vielgestaltigen Zwischennutzungen von innerstädtischen Freiflächen. Für auf soziale Gerechtigkeit „gebuchte“ Wohnprojekte waren diese Jahre ernüchternd. Seit der Einstellung der Berliner Wohnungsbauförderung war es so gut wie ausschließlich privat finanzierbaren Wohnprojekten, den so genannten Baugruppen, vorbehalten, individuellkollektive Wohnvorstellungen zu verräumlichen. Im Zuge dessen stieß beispielsweise „Stadthäuser“, ein Buch von Hans Stimmmann, ehemaliger Senatsbaudirektor, anlässlich seiner Vision von einer „bauenden Bourgeoisie“, auf einigen Widerstand. Mit Wohnprojekten und Ähnlichem vertraute Architekten und Künstler schlossen sich als Team 11 zusammen und verweigerten ihre Teilnahme an der Publikation. Heutzutage sagt die eine oder der andere, sei Berlin eine Hauptstadt des Do It Yourself, des DIY oder sogar des DIT, des Do It Together. Und so berichten jüngste Veröffentlichungen, in der Regel öffentlich mitfinanziert, zweisprachig von den Errungenschaften der urbanen Selbstorganisation und Koproduktion: experimentcity berlin: selbstorganisiert!, Urban Pioneers, CoHousing Cultures, Selfmade City und jüngst Make_Shift City sind hierfür beispielhaft. Berlin als Stadtlabor hat eine beeindruckende Vielfalt an Lebens- und dem entsprechenden Wohnentwürfen hervorgebracht, die in einer nicht minder beeindruckenden Zahl von Publikationen für hiesige und Dritte an anderen Orten dokumentiert wurde. Ebenso wie wir hoffen, dass die im Folgenden besprochenen Druckerzeugnisse hinsichtlich der Geschichte des selbstbestimmten und gemeinschaftsorientierten Wohnens überraschen, hoffen wir, dass sie inspirieren bezüglich der Zukunft einer bottom-up geprägten Stadtentwicklung in Berlin und anderswo. Mathias Heyden, Architekt, ist freiberuflich tätig für ISPARA und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet für Städtebau und Urbanisierung TU Berlin. Thomas Honeck ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) und forscht zu Planungsinnovationen. Er ist aktives Mitglied von id22. Michael LaFond ist der Begründer von id22: Institut für kreative Nachhaltigkeit.

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