Vesna Aleksic, Ich heiße Jelena Schumann, Leseprobe, GolubBooks

GolubBooks Edition Green Gables Band 8

Vesna Aleksić

Ich heiße Jelena Schumann Aus dem Serbischen von Tamara Golubović

GolubBooks

Deutschsprachige Neuausgabe © 2014 GolubBooks, Karlsruhe Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten Die Originalausgabe erschien unter dem Titel „Ja se zovem Jelena Šuman“ bei Rad: Belgrad, 1998; © Vesna Aleksić 1. deutschsprachige Ausgabe © 2010 GolubBooks, Karlsruhe Übersetzung: Tamara Golubovic Lektorat: Martina Leiber, Linda Schädler Logo: V-print B.V., Niederlande Autorenfoto: © Vesna Aleksic Umschlagillustration: © Marija Golinger Illustrationen: © Marija Golinger Covergestaltung: BGV, Karlsruhe Satz: BGV, Karlsruhe Druck: WmD GmbH, Backnang, DE ISBN 978-3-942732-15-4 www.golub-books.de Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

STATT EINES VORWORTS ODER EINER LANDKARTE In diesen Geschichten geht es um eine Treppe unter den Sternen und um ein paar Kinder, die gerne dort sitzen. Gewöhnliche Kinder, eine gewöhnliche Treppe vor einem vierstöckigen Wohnhaus, gewöhnliche Sterne und völlig gewöhnliche Geschichten. Erzählt werden sie von mir, Jelena Schumann. Ich erzähle sie und lebe in ihnen, und ich wiederhole mich so oft und stelle mich so oft vor, dass ich wenigstens am Anfang versuchen werde, auch die anderen vorzustellen. Über mich selbst werde ich nur anmerken, dass ich gerade das Erwachsenwerden übe, aber nicht besonders ernsthaft. Es gibt viele Gründe für Gemächlichkeit in dieser Disziplin (ich werde sie unter „E“ wie „Erwachsene“ vorstellen). Zurzeit ist es nur ein Spiel, über das ich lache

und ich kann wundervoll lachen.

DJORDJIJE

Djole genannt. Er kann auch wundervoll

lachen. Und schweigen. Und alle möglichen und vor allem unmöglichen Dinge verstehen. Djole lebt im zweiten Stock des Wohnhauses, zu dem die Treppe gehört, und er ist schon seit Urzeiten mein Freund. Seit dem Anfang der Welt.

Wir sind zusammen in den Kindergarten gegangen, wo wir gelernt haben, welche Hand die rechte ist und welche die linke, wie ein Schattentheater funktioniert und dass eine Freundschaft lange halten kann. „Die Freundschaft hält lange 7

an …“ Wahrscheinlich formuliert man es deshalb immer so.

Sie hat diese Haltbarkeit, bei der es aber überhaupt nicht wichtig ist, das eingeprägte Datum erkennen zu können.

Das habe ich mir wirklich gut ausgedacht! Nicht einmal Alja hätte einen Einwand vorzubringen … Ah ja, genau, Alja!

Alja, die Weise!

ALJA

die lebt im dritten Stock, genau über Djole. Sie

hat uns als Freunde auserkoren, was bereits auf die Schärfe dieses jungen Verstandes hinweist. Alja ist sechs Jahre alt, stark wie eine Kopfnuss und so ernst wie ein Mathematikprofessor an einer Universität. Abgesehen davon bildet sich Alja ein, sie sei unsere Mutter, weshalb sie regelmäßig mit uns schimpft und uns Ratschläge erteilt. Sie trägt eine kleine Brille mit runden Gläsern, hat schwere, schwarze Locken und manchmal denke ich, dass so ein Engel aussieht. Bis sie anfängt zu reden, natürlich!

BLACKY

Blacky ist unser gemeinsamer Hund. Er hat

uns irgendwo auf der Straße aufgegabelt und konnte uns nicht mehr loswerden. Er ist groß und weiß, und die Tatsache, dass wir ihn Blacky nennen, zeugt nicht etwa von einem Mangel an Fantasie. Im Gegenteil! Blacky hat etwas Schwarzes. Er hat einen schwarzen Fleck mitten auf der Stirn und schwarze, schwarze Augen. Sie sind riesig und tief. Voller Weltraumfinsternis, sagt Djole, und Djole hat wirklich Ahnung von Weltraumfinsternis.

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Blacky hat manchmal Flöhe, öfter jedoch Schmeißfliegen. Er bildet sich ein, dass er auf uns aufpasst, aber eigentlich passen wir auf ihn auf. Er schläft bei mir im Garten, gegenüber dem Gebäude mit der Treppe. Manchmal nehme ich ihn heimlich mit in mein Dachzimmer. Das gefällt Blacky zwar, aber meiner Mutter nicht

was durchaus ihr Problem ist

und auf keinen Fall Blackys.

MILOSCH

Gymnasiast, Abiturient. Verdient hat er es

überhaupt nicht, auf der Liste zu sein, denn er ist aus einem ganz anderen Film, auch wenn er mein Bruder ist. Er spielt sich fürchterlich auf, weil er denkt, wir seien nur kümmerliche Kinder, die abends auf irgendeiner Treppe herumlungern. Seine guten Eigenschaften sind: sein Musikgeschmack, eine große Sammlung an Comics und die Gnade, mit der er uns geradezu überschüttet, wenn er uns mal ein Heft ausleiht. Manchmal gibt er uns einen Asterix- oder Dylan-DogComic und Djole starrt ihn dann anhimmelnd an. Und das ist alles. Milosch hat auch eine echte Freundin. Ab und zu läuft er mit ihr an uns vorbei und grüßt uns „so als ob“. Blacky läuft dann sofort hinter ihnen her, weil Blacky ein unverbesserlich sentimentaler Hund ist und der Liebe „Respekt erweist“. Die Liebe jedoch ist eine anstrengende Erscheinung, weil sie mit absoluter Hygiene gleichzusetzen ist.

Das habe ich aus diesem Milosch geschlossen, der andauernd duscht und sich vier- bis fünfmal am Tag die Zähne putzt, besonders nach (bestimmten) Süßigkeiten. Wenn ich 9

mehr darüber nachdenke, komme ich zu dem Schluss, dass dieser Typ fast schon erwachsen ist!

ERWACHSENE

genau die! Erwachsene! Erwachsene!

Es kommt in diesen Geschichten auch der eine oder andere Erwachsene vor, was allerdings nicht weiter wichtig ist. Erwachsene sind unbeholfen genug, um an die Kindheit zu glauben, sogar noch mehr als wir

aber in Wirklichkeit ha-

ben sie vollkommen vergessen, wie sie aussieht. Als hätten sie nie selbst in der Kindheit festgesteckt. Abgesehen davon haben sie letztendlich sogar vergessen, wie man Geschichten erzählt, und zum Sie-sich-Anhören haben sie keine Zeit. Erwachsene sind fein, gebügelt, fleißig, in Eile und besorgt.

Erwachsene sind langweilig. Sie sehen sich Nachrichten an.

All das kann man ihnen auch bei dieser Gelegenheit nicht verzeihen.

DIE TREPPE

genauer: sechs Stufen vor der Eingangs-

tür eines Wohnhauses. Eine große Welt. Vor ihnen ein Parkplatz und davor die Wolf-Karadschitsch-Straße. Natürlich fahren auch abends Autos die Straße entlang, und während wir da sitzen, folgen unsere Augen ihren Scheinwerferlichtern. Alle reisen irgendwohin, fahren vorbei und fahren weg, alle haben es eilig. Nur wir sind nicht in Eile. Alja, Djole und ich genießen die Tatsache, dass wir es nirgendwohin eilig haben

nur wir und die Sterne.

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Vesna Aleksić wurde 1 5 in einer kleinen serbischen Stadt nahe Belgrad geboren. Nach dem Studium wurde sie Schulpsychologin und arbeitet heute als Fachberaterin für Kindergartenpädagogik. Sie lebt mit ihrer Familie bei Belgrad. Ihr erstes Kinderbuch veröffentlichte sie im Jahr 1994.

Inzwischen sind über 25 Romane und Erzählbände erschienen, die Vesna Aleksić zu einer der populärsten Kinderund Jugendbuchautorinnen Serbiens gemacht haben. Sie war Gast des Internationalen Literaturfestivals Berlin 2006.

Marija Golinger wurde 1983 in Belgrad geboren. Sie beendet gerade das Masterstudium an der Universit채t der Bildenden K체nste in Belgrad. Ihre Werke waren in mehreren Gruppenausstellungen in Belgrad und einer in Italien zu sehen. Derzeit fertigt sie haupts채chlich Illustrationen an. Sie hat eine achtj채hrige Tochter Sofija.