Gesllschafft Form

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GESELL SCHAFFT FORM

AUSSTELLUNGS KATALOG




FORMING HISTORY | TINO SEUBERT

AUFGEMERKT! | JAKOB MAURER

APPLAUS | CINDY STROBACH

PERMUTATIONS | PAUL VOGGENREITER

DARWIN | WERNER GASSER

WWW | VIKTOR MATIC

SUPERFURNITURE | THOMAS EGGER

ZEITRAUM | RUPERT ADLMAIER

WorldWide Carpets | DAVID HANAUER


Formen wir die Gesellschaft, oder schafft die Gesellschaft Formen? Wer hat Einfluss und unter welchen Einflüssen stehen wir? Die kritische Auseinandersetzung mit unserem alltäglichen Umfeld ist Mittelpunkt der Ausstellung, in welcher das klassische „Design-Produkt“ als solches nicht mehr absolut ist, sondern der Vermittlung gesellschaftlicher Umstände dient. Es wird zum Diskussions– Objekt, vielmehr als ein industrielles Massenprodukt oder marktorientiertes Konsumgut. So wie die Gesellschaft, unterliegt auch das Design dem stetigen Wandel, in welchem sich sowohl Ausdrucksformen als auch Aufgaben des Designers ändern. „Gesellschafft Form“ will verwundern, will Kontexte und Kategorien aufbrechen und damit Interesse wecken, Inspiration bieten und Bewusstsein schaffen. Design als selbstironische Unterhaltung mit Diskussionsbedarf.


Johannes Niederhauser

„Gesellschaft überwinden – der moderne Mensch auf der Suche” Über Gesellschaft zu schreiben verlangt eigentlich nach einer breiten Diskussion der verschiedenen Theorien. Es könnte beispielsweise argumentiert werden, dass eine Gesellschaft, wie die eines Volkes innerhalb eines Nationalstaates, vornehmlich durch einen gemeinsamen Feind zusammengehalten wird; frei nach Carl Schmitt. Das heißt die Fantasie einer grundlegenden Gemeinsamkeit wird erst durch das böse Andere kreiert. Die Frage nach Gesellschaft ist auch verbunden mit der Frage nach dem Individuum. Wenn wir Gesellschaft als Kollektiv verstehen, also als einen Verbund von Einzelnen, die ihre persönlichen Interessen und Ziele zurückstecken oder gänzlich aufgeben für das eine, höhere Ziel der Gemeinsamkeit, dann befinden wir uns im theoretischen Sozialismus. Natürlich formuliert auch der moderne Staat (durch die Volksvertreter auch der einzelne Bürger) gemeinsame Ziele wie Wohlstand oder Gleichheit vor dem Gesetz. Jeder von uns ist unmittelbar auch geboren in eine Welt, die, auf der


sozialen Ebene, vom Gesellschaftsvertrag geprägt ist.

geformt durch die Handlungen der Einzelnen, und der Ein-

Diese Idee formt nicht nur das gesetzliche Zusammen-

zelne formt wiederum seine Wert- und Lebensvorstellun-

leben, sondern durch die kulturelle Wertvermittlung in

gen durch die Formen, die er in der Gesellschaft verankert

Familie, Schule und anderen Verbünden, werden wir als

sieht. So kann die Gesellschaft zum Beispiel eine Leis-

Individuen geformt. Dennoch erwachen in uns Ideen und

tungsgesellschaft sein, oder zunehmend auf Aufmerksam-

Vorstellungen von unserem Leben, und wie es sein soll,

keit setzen. Auch alternative Lebensformen entstehen und

die wir für unsere ureigenen halten. Die Frage nach Ge-

bestehen grundsätzlich nur im Widerspruch und Kontrast

sellschaft zieht also auch die Frage nach der Freiheit des

zur Gesellschaft, und dem ‚was man so macht.’ Solche

Individuums nach sich. Absolute Freiheit, wie sie eigent-

Lebensformen bilden dann ihr eigenes „man“ heraus und

lich Kant formuliert, hieße das völlige Losgelöst-sein von

sind ebenso konventionell. Die Forderung der Moderne

der Umwelt. Die Anthropologie zeigt uns ein anderes Bild.

und damit die Anforderung an den modernen Menschen

Vielleicht ist es sinnvoller weder von einem gänzlichen

aber ist es, jede Form von „man“ zu überwinden. Heute

Determinismus (wie etwa bei Marx) noch von einer abso-

spricht man in der Gesellschaftstheorie von Schwarmintel-

luten Freiheit des Einzelnen auszugehen. Überhaupt sollte

ligenz, was immer das ist – früher wäre das als Pöbel be-

eine tiefe Diskussion über Gesellschaft und den Einzelnen

zeichnet worden. Was jeder macht, muss gut sein, gilt hier.

die Frage stellen, ob denn das Individuum überhaupt ein

Der Einzelne erscheint dann als Abbild der Vorstellungen

bestimmtes ‚Ich’ oder stabiles ‚Selbst’ besitzt. Das würde

des Lebens, wie es sein soll. Erfahren wird dadurch eine

hier etwas zu weit führen, aber der Denkanstoß ist durch-

innere Aushöhlung – Sinnlosigkeit ist das Thema unserer

aus wichtig innerhalb der Fragestellung der Ausstellung

Zeit. Das Klammern am „man“ soll helfen, verspricht dem

und ist dem Besucher nahegelegt. Im Rahmen dieser Aus-

Dasein Sinn, formt so gesehen den Einzelnen, oder eher:

stellung und der Fragen, die sie stellt, ist vermutlich die

er lässt sich formen. Der Mensch aber ist ein schöpferi-

Annahme eines ewigen Wechselspiels zwischen Ganzem

sches Wesen. Er will erschaffen und damit Sinn suchen.

und Einzelnem, wie es sich und das Andere formt und wie-

Wird ihm Sinn vorgegeben, nimmt er ihn nur äußerlich an,

derum geformt wird, die trefflichste. Gesellschaftstheorie

während er innerlich zerbirst. Der moderne Mensch muss

nach Adam Smith (great society), Hegel (Zivilgesellschaft),

sich seinen Sinn selbst erschaffen in der Sinnlosigkeit, das

oder modern-liberal nach Friedrich von Hayek, sieht das

heißt in der Akzeptanz, dass das Leben so ist, wie es ist.

Individuum zunächst in der Familie verankert. Dort werden

Ideen der Gesellschaft, Vorstellungen des „man“, also der

gemeinsame Ziele formuliert. Auf Ebene der Gesellschaft

Durchschnittlichkeit, tangieren ihn dann nicht länger. Es ist

aber – hier sind sich die drei Denker einig – können keine

ein ewiges Suchen und Fragen, eine ungewisse Gewissheit,

gemeinsamen Ziele formuliert werden. Menschen verfol-

Reflexion bis zur Bosheit. Aber Freiheit im höheren Sinne,

gen ausschließlich ihre eigenen Interessen. Vor allem bei

entfernt von den Wünschen und Vorstellungen der Allge-

Hayek ergibt sich aus den unzählbaren Einzelinteressen

meinheit. Geformt zwar durch sie, aber das Eigene weiter

die Gesellschaft in all ihrer Mannigfaltigkeit. Sie wird

ausformend nur aus sich.




TINO SEUBERT FFF – Function fucks form? 1896 wurde der Hochhausarchitekt Louis Sullivan mit seiner Aussage „FFF – Form follows function“ berühmt. Die Form von Gebäuden, Möbeln, Einrichtungsgegenständen und allgemein von Objekten sollte sich aus deren Funktion ergeben. Verzierungen und Ornamente wurden als störend empfunden und hatten in der Moderne nichts mehr zu suchen. Dieser Grundsatz hielt sich in der Architektur und dem Design bis in die 70er Jahre und bei vielen Verfechtern teilweise noch bis heute. 2012 sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir Objekten viel mehr abverlangen als rein funktionserfüllend zu sein. Sie dürfen uns mit Witz, Charme oder Ernst auf einer emotionalen und intellektuellen Ebene erreichen und anregen - oder sollten das sogar, um für uns interessant zu scheinen. Ein rein funktionales Objekt langweilt uns, so lange es sich nicht gerade um einen Designklassiker handelt. Gegenstand bleibt nicht Objekt, sondern wird zum Subjekt, dass sich aktiv in das Leben der Menschen eingliedert. Die Ausstellung „Gesellschafftform“ beschäftigt sich mit einer Sparte dieses Phänomens – in wiefern können sich gesellschaftliche Entwicklungen und Beobachtungen in der Formsprache von Objekten niederschlagen. Ich persönlich beteilige mich daran mit meinem Projekt „Forming History“, in welchem ich geschichtsträchtige Momente hernehme, die fotografisch dokumentiert wurden und aus ihnen Möbel baue, die diesen einen Moment festhalten sollen. Forming History – Die Geschichte gibt dem Möbel seine Form.


„Chinas Regierung ist es zwar gelungen, den Stuhl Liu Xiaobos leer zu halten. Doch in Abwesenheit Lius spricht dieser Stuhl Bände.“ (Salil Shetty)


In meinem Projekt „Forming History“ wähle ich wichtige Momente aus der Geschichte aus, in welche Möbel involviert waren und entwickle aus der jeweiligen Situation eine neue Form für ein Möbelstück. Dabei beziehe ich mich immer auf jeweils eine Fotografie, in der die Szene festgehalten wurde. Die stattgefundenen Geschehnisse sind später noch wie abstrakte Schatten, Verformungen oder Spuren

FORMING HISTORY

auf den neu entworfenen Objekten sichtbar. Das Möbel friert den Moment ein und hält ihn fest. Somit gibt die Geschichte den Möbeln ihre Form

– „History is forming furniture“. Mit den Möbelstücken möchte ich erreichen, dass sich der Betrachter mit der Geschichte auseinandersetzt und Bewusstsein darüber fördern. Außerdem soll auf unsere eigene Verantwortung für politische Entwicklungen um uns herum aufmerksam gemacht werden. Wir können uns selbst auf den Platz von Friedensnobelpreisträgern setzen, auf die Strafbank von angeklagten Regime–Führern, oder an den Verhandlungstisch des Vietnamkriegs. Der Benutzer wird somit selbst zum Akteur einer weltbewegenden Szene – „Me, you, us forming history“.





JAKOB MAURER Zur Gestaltung der Welt einen Beitrag machen; in egal welcher Richtung ob Euro, ob Drachmen. Sich Aufgaben stellen, auf Verzagen verzichten; das Dunkel erhellen, das Versagen vernichten.. ...Drama ist wichtig in unsrer Gesellschaft selbst wenn man nur flĂźchtig, hĂśchst selten was selbst schafft. Optimismus dagegen, in Ehren gehalten, schafft Ehrgeiz und Mut doch mit zu gestalten!


„ZU HAUF MERKT MAN AUF, AUF SCHALL UND RAUCH,

WAS WICHTIG IST GEHT OFTMALS DRAUF!“


Hallo liebe Rinder, seid ihr alle da? Die ganze Welt ist ein Theater, auf deren Kugelbühne ein jeder das Kasperle mimt. Gleichzeitig verhält sich der Kasper der Gesellschaft wie ein Rind in der Herde, macht mit in kommentarloser Fremdregie, kaut wieder und ist über-

AUFGEMERKT!

fordert davon wirklich DA zu sein. Denn das DA–Sein kann man nicht fristen, es erfordert Konzentration und ist weitaus mehr als die rein physische Präsenz. Vielmehr ist es die

bewusste Auseinandersetzung mit den Dingen, die uns umgeben und jenen, die uns innewohnen. Am Beispiel der Daseinsberechtigung wird deutlich, dass es essenziell ist zu hinterfragen, nach einer Antwort auf die Fragen des eigenen (Er-)Lebens zu streben. So bedarf es gerade in der heutigen Welt einer genauen Vorstellung dessen was man sowohl passiv konsumieren als auch aktiv zum Konsum beitragen will. Ein maßgeschneiderter Filter, der hilft sich auf die wichtigen Dinge zu konzentrieren und davor bewahrt in der Informationsflut unterzugehen. Denn Aufmerksamkeit und Konzentration sind begrenzte Güter die es nicht zu verschwenden gilt.


AUSZUG: AUFGEMERKT! Bauer oder Ehrmann? Welcher macht mich mehr an? Dr. Oetker, Mövenpick? Spielt die ganze Welt verrückt? Wer soll denn den ganzen Joghurt essen? Und vor allem welchen esse ich? Dabei ist das Joghurt-Regal im Supermarkt bei weitem nicht die einzige Absurdität, bei der man sich in Entscheidungsproblemen verlieren kann. Der Überfluss an Angeboten ist bei sämtlichen Produkten, Veranstaltungen, Trends etc. vorhanden. Alles und jeder schreit nach Aufmerksamkeit, wird inszeniert oder inszeniert sich selbst. Ein Spektakel jagt das andere und wird dabei immer lauter, provokanter und aggressiver. Die Gesellschaft des Spektakels Geschichtlich betrachtet ist die Gesellschaft des Spektakels ein alter Hut. Schon die Römer wussten durch Brot und Spiele das Volk in Zaum zu halten und befriedigten in dekadenter Weise dessen niedere Gelüste. Die industrielle Revolution seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die damit einhergehende gesellschaftliche Entwicklung und später die Globalisierung brachten uns auf sicherem Wege dorthin, wo wir uns heute befinden. Man könnte sagen in eine - zumindest westliche - Wohlstandsgesellschaft der freien Marktwirtschaft und der unbegrenzten Möglichkeiten. Theoretisch kann ein jeder das machen was er will, was er für richtig und wichtig hält. Genauer betrachtet jedoch, führen die unendlichen Möglichkeiten, die hundertfach verschiedenen Joghurtsorten und Angebote zu einer weit verbreiteten Ratlosigkeit. Und das spiegelt sich in dieser Gesellschaft des Spektakels wieder. (...)


zwischenmenschlich


konsumorientiert

selbstrefernziell


CINDY STROBACH Design erfüllt heute nicht mehr nur Bedürfnisse des Konsums, sondern es hinterfragt die Sachverhalte. Es geht immer mehr darum, die richtigen Fragen zu stell bevor der Prozess des Designs beginnt. Nur so kann man Zusammenhänge verstehen, Probleme lösen und sich tiefgründig mit Nachhaltigkeit und Gesellschaftsformen auseinandersetzten. Auf der Suche nach Antworten, versuche ich in meinen Arbeiten an die Grenzen von menschlicher Auffassung der Normalität zu gelangen und zu überschreiten, um in einen Zustand der Ekstase zu gelangen. Ekstase im Allgemeinen sehe ich als Phase der sowohl körperlichen als auch geistigen Erkenntnis. In ihr sehe ich die Herausforderung und Faszination. In ihr liegt die Möglichkeit eine neuartige Verbindung von Mensch und Objekt zu erschaffen.


„je mehr ein Ort dem freien Spiel überlassen wird, desto mehr beeinflusst er das Verhalten der Menschen, und um so gröSSer ist seine Anziehungskraft.“ (Iwan Chtcheglov)


Kein Mensch, kein Ding kann unabhängig von seiner Umwelt betrachtet werden. Sowohl gesellschaftliche, als auch physikalische Kräfte treffen auf sie ein. In meiner

APPLAUS

Atsarbeit trete ich ein in einen Raum, der ein Stück abseits der Realität liegt. Dort kann ich unabhängig von Grenzen der Wirklichkeit Parameter neu definie-

ren. Ich bin auf der Suche nach physikalischer Erkenntnis, da in ihr die Möglichkeit der unmittelbaren Verblüffung und des Staunens liegt. Mich reizt der Moment des Risikos. Ich möchte ein Wagnis eingehen und die Schwerkraft herausfordern. Ich provoziere ein Ungleichgewicht um gewohnte Sicherheit und Stabilität in Frage zu stellen. Denn einzig im Ungleichgewicht bewegt sich etwas – Ungleichgewicht aktiviert Neuordnung. Man hat die Möglichkeit der Veränderung – und die Gelegenheit über sich hinauszuwachsen.



PAUL VOGGENREITER Design wie Sand am Meer. Design für alles und für jeden. Der Begriff wurde die letzten Jahre so inflationär verwendet, dass es mir manchmal schwer fällt ihn ernst zu nehmen. In einer Zeit, in der es einem vorkommt es existiere alles im Überfluss, stellt sich die Frage, was man selbst noch beitragen will. Gesellschaftliche Ereignisse und Strukturen beobachten und hinterfragen, anstatt zu optimieren und zwanghaft Neues zu produzieren. Starten bei Themen, die anfangs weit weg von einem Gebrauchsgegenstand scheinen und zunächst auch nix damit zu tun haben. Die „Ergebnisse“ sind dennoch Objekte, die durchaus benutz- und erlebbar sein sollen. Dabei geht es mir nicht in erster Linie um die klassische Problemlösung, sondern um den Prozess und den daraus entstandenen Formen.


stuhl, stulh, sthul, sthlu, stluh, stlhu, sutlh, suthl, suhlt, suhtl, sulht, sulth, shtul, shtlu, shutl, shult, shltu, shlut, slthu, sltuh, sluht, sluth, slhut, slhtu, tsluh, tslhu, tsulh, tsuhl, tshlu, tshul, tulhs, tulsh, tushl, tuslh, tuhsl, tuhls, thlsu, thlus, thslu, thsul, thuls, thusl, tlhus, tlhsu, tlsuh, tlshu, tlush, tluhs, ushlt, ushtl, uslht, uslth, usthl, ustlh, uthsl, uthls, utlsh, utlhs, utslh, utshl, uhtls, uhtsl, uhlts, uhlst, uhstl, uhslt, ultsh, ulths, ulhst, ulhts, ulsht, ulsth, hstul, hstlu, hsutl, hsult, hsltu, hslut, htslu, htsul, htuls, htusl, htlus, htlsu, hustl, huslt, hutsl, hutls, hulst, hults, hlsut, hlstu, hltus, hltsu, hluts, hlust, lshtu, lshut, lsthu, lstuh, lsuht, lsuth, lthus, lthsu, ltsuh, ltshu, ltush, ltuhs, luhst, luhts, lusht, lusth, luths, lutsh, lhuts, lhust, lhstu, lhsut, lhtsu, lhtus


Das deutsche Wort Stuhl hat fünf Buchstaben. Es gibt 120 Möglichkeiten diese Buchstaben zu kombinieren, jedoch nur einen korrekten Weg das Wort zu schreiben. Wie lesbar Worte sind, hängt von der Kombination der Bauteile ab. In manchen Fällen können wir noch erkennen was gemeint ist, selbst wenn die Anordnung nicht 'normal' ist. Andere

PERMUTATIONS

Kombinationen sind so entstellt, dass keine Assoziation mehr möglich ist. Ebenso schwierig ist es, einen Stuhl als Stuhl wahrzuneh-

men wenn seine Bauteile falsch platziert sind. Seine Benutzung und äußere Erscheinung folgen klaren Regeln. Die verschiedenen Bauteile haben eine festgelegte Anordnung und genormte Maße, ähnlich wie die Buchstaben in der Rechtschreibung. Die Arbeit „Permutations“ bewegt sich zwischen richtig und falsch, zwischen benutzbar und nutzlos. Das Prinzip der Rechtschreibung wird auf die Funktion des Stuhles übertragen und im Experiment ausgereizt.





WERNER GASSER Ist Design Kunst, oder soll es Fragen beantworten? Für mich ist Design vor allem die Auseinandersetzung mit Themen, die mich beschäftigen. Design ist für mich also eine Art Selbsttherapie und ein nie aufhörender Prozess der Weiterentwicklung meiner selbst. Dabei steht nicht die Form der am Ende entstandenen Objekte im Vordergrund, sondern die Geschichte die sie erzählen. Die Objekte unterstreichen die aufgestellte These und versuchen sie besser verständlich zu machen. Dingen einen Sinn geben heißt also nicht nur Sinn im Sinne der Funktion oder Form, sondern vor allem Fragen einen Sinn geben.


Picasso und der Fahrradsattel „Eines Tages nehme ich einen Fahrradsattel und eine Lenkstange, setze sie aufeinander; ich mache einen Stierkopf. Sehr gut. Was ich aber sofort danach hätte tun sollen: den Stierkopf wegwerfen. Ihn auf die Straße, in den Rinnstein, irgendwohin werfen, aber wegwerfen. Dann käme ein Arbeiter vorbei, läse ihn auf und fände, daß man aus diesem Stierkopf vielleicht einen Fahrradsattel und eine Lenkstange machen könnte. Und er tut es. . . Wundervoll wäre das.“ (Pablo Picasso)


Wie sehr darf, bzw. soll der Zufall die Gestaltung von Zuständen beeinflussen? Entwickeln Zustände erst dann ihre schöpferische Kraft, wenn sie irritieren, sich Routinen entgegen stellen und sich einem nicht sofort erschliessen? Der Ursprung des Zufalls liegt in der Entwicklung der Natur, wo er Veränderung und dadurch Evolution provoziert.

DARWIN

Durch ständiges Experimentieren entstehen neue Formen die ausgezeichnet funktionieren. Diese Methode des Experimentierens wurde auf die

Gestaltung von Möbeln übertragen, um neue Ideen zu generieren. Aus einer Liste von Möbeln wurden daraufhin - wie bei der Ziehung der Lottozahlen - einzelne Möbelstücke heraus genommen und zufällige Paare gebildet. Wie in der Evolution setzten sich bei diesen Paarungen gewisse Eigenschaften der „Elterngeneration“ durch und gaben so den Objekten ihre Form. Es entstand die Möbelreihe Darwin.





VIKTOR MATIC Das Design im Wandel der Kontexte, in dem alles in Echtzeit passiert. Das 21. Jahrhuntert als stetige Aneinanderreihung von Daten und der Auseinandersetzung mit Privatsphäre und Vergänglichkeit. Form follows 2.0 – publish yourself und Netzwerk. 24 Stunden Erreichbarkeit contra Ressourcenknappheit. Der Mensch und seine Umgebung als Device, das Leben als App, publiziert auf Facebook. Zeit als Faktor für Auseinandersetzung mit Inhalten. Es geht um das Ergötzen am Bild. Die stetige Digitalisierung des Bildes führt zu Mangel an Einzigartigkeit oder Originalität. Wir leben in einer Remix-Kultur. Wie DJ’s selektieren wir Artefakte (digitale & analoge) des Alltages, liken und sharen sie bis sie uns auch schon nicht mehr stimulieren. In ist was Neu ist. Out ist was besprochen wurde. Reiz an Unverfälschtem und Schockierendem. Das Internet als Aggregator von Stilen. Demokratisierung des Geschmacks. Es gibt keine Stilfragen mehr. In ist was gefällt. Zwang nach Indivisualisierung oder Verortung durch Stilzugehörigkeit. Als Gestalter fähig sein „Umgebungen“ (Environments) zu schaffen, in welchen sich der User bewegen kann. Wo der Augenblick, der Zeitgeist eingefroren wird; wo der Benutzer sich ausleben kann (unter einer Oberfläche). Durch die Digitalisierung entstehen reale, halb-virtuelle Echtzeitwelten. Es verändert sich die Art und Weise unserer Sprache und Wahrnehmung. Der Gestalter als Ordner der Unordnung.


VERÄNDERUNG IST

DER IST - ZUSTAND


In unserer westlichen Gesellschaft findet heute ein Großteil des Daseins in Form von digitaler Vernetzung und Kommunikation statt. Das Web 2.0 ist zu unserem Alltag

WWW

geworden und die permanente ‘EchtZeit’ - Verbindung verändert uns, unsere Umwelt und die Wahrnehmung dieser. An der Schwelle zur postdigitalen Gesellschaft

werden die Grenzen von Raum und Zeit aufgehoben. Die Entmaterialisierung des Physischen ist eine reale Folge. Das Bauhaus–Industrieobjekt ist dabei obsolet geworden. Hybrid–Objekte werden zu Medien, Oberflächen werden zu Räumen und Räume werden zu unscharfen Verläufen. In einem beschleunigten Zeitalter voller Formfreiheiten und der Veränderung als Ist–Zustand entwerfe ich ein Objekt, welches selbst keinen Fixzustand hat und dabei stets in Interaktion mit dem Benutzer und seiner Umwelt tritt. „www“ ist eine Interpretation des Archetyps Regal. Zwischen Form und Funktion, zwischen Raum und Dimension, zwischen einem noch-nicht und einem nicht-mehr kreiert es reelle Möglichkeiten und spezifische Assoziationen. Durch die Teile und Einheiten entsteht nicht nur ein modulares System, sondern auch eine Art Installation im veränderten Raum.



THOMAS EGGER Der Designprozess ist ein Dekodieren der Gesellschaft. Gestaltete Objekte hingegen, beinhalten den Code der Gesellschaft, die Flausen der Zeit, Irrwege und Korrekturen. Aktuell wird der Mensch immer mehr zum Bild. Der Mensch ist erst er selbst, wenn er sich abbildet – der Mensch wird erst Mensch, wenn er sein Abbild mit anderen teilt. Das Objekt erlebt somit eine Wandlung. Es muss zunehmend mit Werten aufgeladen werden, da es Teil des Kosmos ist, in welchem das menschliche Abbild erzeugt wird. Objekte müssen mehr denn je Werte intellektueller Natur transportieren. Somit zählt nicht mehr nur das physische Objekt allein, sondern auch dessen Abbild und die Aussage des Abbildes. In diesem Zusammenhang müssen wir „Objekteschaffer“ uns verstärkt mit genau diesen Abbildern beschäftigen. Willkommen im Graphizismus!


„Das groSSe Bild gibt sich nicht als Bild zu erkennen: es ist.

Oder genauer: du befindest dich darin.“ (Antoine de Saint-Exupéry)


Bei dem Projekt „Superfurniture“ wird die Technik der Sanierung in den Gestaltungsprozess von Design-Objekten verwoben. Anhand eines Experiments haben 10 namhafte Gestalter 10 verschiedene Design-Sanierungen an einem Stuhl vorgenommen. Durch die schritt-

SUPERFURNITURE

weise Überarbeitung entstand das „Übermöbel“. Dabei wurde stets das Bestehende in den Gestaltungsprozessmit einbezogen und der Stuhl so

zu einem exzessiv bearbeiteten Darstellungsobjekt, welches Mediator, Multiplikator und Inspirationsquelle zugleich ist. Das Übermöbel gleicht in gewisser Hinsicht einem Palimpsest bei dem verschiedene Ideen – wenn auch nur bruchteilhaft – übereinander liegen. Die Basis wird nicht zerstört, sondern restauriert und erweitert.


1 | Volker Albus 2 | Paolo Ulian 3 | Ingrid Hora 4 | Daniel Salomon 5 | Sven Anvar Bibi 6 | Miki Astori 7 | Alberto Meda 8 | James Irvine 9 | Duilio Forte 10 | Giulio Iacchetti


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RUPERT ADLMAIER

Für mich ist Design die Disziplin, ein möglichst breites Spektrum dieser Welt in all ihren Facetten wahrzunehmen und zu analysieren. Durch die individuellen, unterbewussten Filter, mit welchen jeder Mensch durch die Welt geht, entsteht für jeden eine eigene, persönliche Realität. Diese Realitäten mögen sich vielleicht berühren, werden aber nie deckungsgleich sein. In meinen Augen ist die Aufgabe eines Designers diese unterschiedlich wahrgenommenen Realitäten zu erkennen und für ein breites Publikum zugänglich zu machen.


„Ich trage nie eine Uhr. Uhren sind Peitschen für all jene, die sich als Rennpferde missbrauchen lassen.“ François Mitterand (1916-1996)


Zeit entspringt nicht einfach der Uhr. Sie entsteht in unserem Bewusstsein und unserer Erinnerung: Die Art und Weise wie wir durch unser Leben gehen, entscheidet darüber wie viel Zeit wir tatsächlich Er-leben. Druchlebt ein Mensch einen Großteil seiner Lebenszeit stets im selben Alltagstrott, so wird er nur wenige neue Erinnerun-

ZEITRAUM

gen abspeichern. Unser Gehirn „gewöhnt“ sich an wiederholt Erlebtes. Eine Reise zu neuen Orten, sei sie auch nur 3 Tage lang, birgt oft weit mehr Zeit als 3 Wochen Alltag. Meine

Installation illustriert interaktiv die Abhängigkeit der Erinnerung von unserer Aufmerksamkeit: Intensivere Erfahrungen und Erlebnisse dehnen die wahrgenommene Zeit, die wir jenen in unseren Erinnerungen zusprechen. Umso mehr Aufmerksamkeit meiner Arbeit geschenkt wird, desto stärker wird die im Objekt dargestellte Zeit gebremst. So werden Details sichtbar, die sich den Betrachtern ansonsten nicht offenbaren würden.



DAVID HANAUER In welchem Verhältnis stehen wir heutzutage zu Objekten und Strukturen, deren Umgang allseits bekannt ist? Was hat der Zustand der Reizüberflutung in unserer heutigen Gesellschaft bewirkt? Meine Arbeiten sollen als Antwort auf diese Fragen gelten und ein Statement für die Jetztzeit abgeben - einerseits streng zeitgenössisch, andererseits Lösungen für eine mögliche Zukunft aufzeigen, eine Aussicht auf ein zukünftiges Leben. Dinge und Gewohnheiten werden auf das Äußerste reduziert, wobei es darum geht, ein bewussteres Leben und einen bewussteren Umgang mit Objekten zu erzielen. Die Arbeiten brechen mit gewohnten Strukturen. Die Herausforderung ist es, auf richtige Weise mit dieser Kontextstörung umzugehen, Grenzen aufzuzeigen und somit innovative und aussagekräftige Resultate zu präsentieren. Dabei geht es jedoch nicht darum, mit Absicht anders zu sein things that need to function need the function.


„TAKE BACK WHAT YOU OWN ANYWAY“


Das Projekt „WorldWide Carpets“ nimmt Bezug zu fotografischen Luftbildern, wie sie durch das Softwareprogramm Google Earth im Internet präsentiert werden. Vorwiegend Ansichten amerikanischer Städte wie Las Vegas oder Los Angeles, deren Strukturen bereits einem komponierten Schema folgen, werden dabei aus ihrem Kontext

WorldWide Carpets

heraus gegriffen. Abhängig von dem Standpunkt des Betrachters wird die anfangs herangezogene Struktur bis hin zu einer Störung

ihres Kontextes aufgelöst und überführt die ursprüngliche Aufnahme in ein Muster. In Anlehnung an die Ornamentstruktur von Perserteppichen zeigt sich die Symmetrie in der Spiegelung des gewählten Bildausschnittes, ebenso wie in der auf Wiederholung und Abweichung basierenden Konzeption der abgebildeten Städte selbst. „WorldWide Carpets“ sind so nicht nur Gebrauchsobjekte: sie berichten vom zeitgenössischen Menschen selbst, der sie benutzt.



IMPRESSUM FORMING HISTORY | TINO SEUBERT Betreuer: Steffen Kaz und Jörg Gleiter www. tinoseubert.com | tino.seubert@gmail.com AUFGEMERKT! | JAKOB MAURER Betreuer: Steffen Kaz und Anniina Koivu www.jakobmaurer.de | jakob_maurer@web.de APPLAUS | CINDY STROBACH Betreuer: Steffen Kaz und Armin Blasbichler www.cindystrobach.com | info@cindystrobach.com PERMUTATIONS | PAUL VOGGENREITER Berteuer: Steffen Kaz und Gerhard Glüher www.paulvoggenreiter.eu | info@paulvoggenreiter.eu DARWIN | WERNER GASSER Betreuer: Steffen Kaz und Armin Blasbichler www. wernergasser.eu | info@wernergasser.eu WWW | VIKTOR MATIC Betreuer: Steffen Kaz und Walter Nydermaier www.viktormatic.com | hello@viktormatic.com SUPERFURNITURE | THOMAS EGGER Betreuer: Steffen Kaz und Antonino Benincasa www.superfurniture.org | thomasegger@live.de ZEITRAUM | RUPERT ADLMAIER Betreuer: Burkard Vetter, Michael Jostmeier, Christoph Schaden www.rupertadlmaier.com | hello@rupertadlmaier.com WorldWide Carpets | DAVID HANAUER Betreuer: BLESS und Armin Linke www.davidhanauer.de | mail@davidhanauer.de


KONZEPTION: PAUL VOGGENREITER JAKOB MAURER GESTALTUNG: PAUL VOGGENREITER JAKOB MAURER RUPERT ADLMAIER INTERNET-AUFTRITT: RUPERT ADLMAIER VORWORT : Johannes Niederhauser DANKE AN: ANDRÉ MEIER ELLA SINDS LOCHT 43 UNI BZ GERHARD GLÜHER KUNO PREY STEFFEN KAZ WUPWUP




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