Quaternary Science Journal - Über zwei bemerkenswerte russische pollenanalytische Arbeiten

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Ober zwei b e m e r k e n s w e r t e russische pollenanalytische Arbeiten Von

B U R K H A R D F R E N Z E L , Freising-Weihenstephan

Mit 2 Abbildungen im Text Der weite Bereich, der sich in Eurasien u n d N o r d a m e r i k a während der pleistozänen Eiszeiten südlich der Inlandeismassen erstreckte und in d e m die Vegetation unter dem Einfluß der damaligen Klimaungunst starke Veränderungen gegenüber dem heutigen und den interglazialen Verhältnissen erlitten hatte, liefert uns in zunehmendem M a ß e wichtige Erkenntnisse über die so verschiedenartigen und faszinierenden Probleme des Pleistozäns. Denn in diesem ehemals extraglazialen Gebiet haben sich a n geeigneten Stellen größere Schichtpakete in ungestörter Lagerung erhalten können, d i e es uns infolge ihres Fossilien­ gehaltes gestatten, Einblicke in den A b l a u f größerer Abschnitte des Pleistozäns zu ge­ winnen. In dieser Beziehung verdienen die Untersuchungen von I. A . D A N I L O V A (1959) und M . P . G R I C U K (1959) besondere Aufmerksamkeit, d a es einerseits D A N I L O V A gelang, in einem einzigen Profil lakustriner Sedimente die Vegetationsgeschichte Mittelrußlands seit Beginn des letzten Interglazials (Eem) in groben Zügen aufzudecken u n d d a anderer­ seits G R I C U K auf Grund sehr zahlreicher Pollenanalysen die Veränderungen des Pflanzen­ kleides Baikaliens seit der Grenze Pliozän/Pleistozän in ihren wichtigsten E t a p p e n rekon­ struieren konnte.

110 k m westlich M o s k a u s befindet sich im Quellgebiet der Severnaja B o d n j a ein fossiles Seebecken ( 1 0 0 — 1 2 5 m mal 300—320 m ) , d a s in einen Moränenrücken eingesenkt ist. Das Becken wird gegenwärtig von einem Cyperaceae-Sphagnum-Moor eingenommen. In diesem M o o r wurde die Bohrung X I 1 - 5 1 niedergebracht, die folgende Sedimente erschloß (vgl. auch A b b . 1; D A N I L O V A 1959). 1)

0,00— 0,85 m

2) 3)

0,85— 1,07 m 1,07— 1,75 m

4)

1,75— 2,30 m

5)

2,30— 2,60 m

6)

2,60— 3,00 m

7)

3,00— 3,82 m

8)

3,82— 4,10 m

9)

4,10—

4,67 m

10) 11)

4,67— 5,25 m 5,25— 8,00 m

12)

8,00— 9,62 m

13) 14)

9,62— 10,00 m 10,00— 10,50 m

15)

10,50— 10,87 m

16)

10,87— 11,50m 14 *

Schwach zersetzter Spbagnumtori, mit vielen schlecht zersetzten Wurzeln; hellbraun, nach unten dunkler. Brauner, toniger Torf; mit Pflanzenresten. Grauer Ton mit gelblich-graublauen Flecken, an der Luft gelblich-olivgrün werdend; homogen, plastisch, feinkörnig. Grauer Ton mit stahlblauen Flecken, an der Luft olivgrün werdend; homogen, feinkörnig, plastisch, dichter als Schicht 3. Dunkelgrauer Ton, mit olivgrünen bis bräunlichen Flecken; dicht, mir leicht fauligem Geruch; staubig-sandig, im unteren Teil mit Tonen, die reich an organischem Material sind. Faulschlamm, bräunlich bis dunkelgrau, mit olivgrünen Flecken; plastisch, dicht, riechend. Faulschlamm, graubraun, mit schwärzlichen Flecken; dicht, plastisch, riechend. Mineralisierter Torf, hellbraun, locker, riechend, mit unzersetzten Pflan­ zenresten. In 4,00 m Tiefe wurde ein Menyanthes-Same gefunden. Faulschlamm, graubraun mit olivgrünen Flecken; plastisch, feinkörnig, dicht. Torfiger Ton, bräunlich, mit Pflanzenresten, riechend. Mineralisierter Torf, dunkelbraun, locker, mit Pflanzenresten. In 6,25 m, 7,25 m und 7,50 m Tiefe Holzstückchen von Betula. Bräunlich-schwarzer Torf, dicht, riechend, mit Resten von Betula-Üolz.. Proben zwischen 8,25 und 8,75 m Tiefe bestehen fast ausnahmslos aus Holz; es wurde offenbar ein Baumstamm erbohrt. Brauner Faulschlamm, sehr dicht. Faulschlammiger Ton, bräunlich bis olivgrün, sehr dicht; im unteren Teil mit Einschlüssen feinkörnigen, hellgrauen bis dunkelgrauen Sandes. Hellgrauer Sand mit bläulichen Fled?en; fein- bis grobkörnig; wasser­ führend; geht allmählich in liegende Schicht über. Grauer Lehm mit bläulichen Flecken; dicht, mit kleinen Kalkstücken.


0

üesamt - Zusammensetzung 20 W SO 80% 0

Baumpollen 20 W SO 80% 0

Quercus Tilia 20 W 60% 0 i

Ulmus Corylus h/ichtbaumpollen 0 10 0 20 hO'/. 0 20 W SO 60'/. 0

Sporen 20 W 60

80

100%

r—r

Vereim

Pollenkörner

Ericaceae, Chenopoätactae, verschied

von

öramineae.Cyperaceae, Arlemisia

und

Kräutern

Abb. 1. Pollendiagramm lakustriner Sedimente im Quellgebiet derSevernajaBodnja (Bohrung XII-51), 110km westlich Moskaus. Aus: DANILOVA 1959. Die im Sedimentprofil stehenden Zahlen entsprechen denjenigen der Liste auf S. 211. E

Baumpollen (BP)

N

Alnus

Artemisia

e

Nichtbaumpollen (NBP)

^

Carpinus

Chenopodiaceae

v

Sporen

Baumpollen: °

Betula

*

Pinus

«=

A

Picea

o

®

Salix

<s

Eichenmischwald (EMW)

Sporen:

Nichtbaumpollen:

V

verschiedene Kräuter

T

Bryales Sphagnales

Cyperaceae

Filices

Gramineae

Lycopodiaceae

Ericaceae


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Die pollenanalytische Bearbeitung des Bohrkerns ergab das in A b b . 1 dargestellte B i l d . Die Schichten zwischen 1 1 , 5 0 und 1 0 , 0 0 m Tiefe werden durch ein anfängliches Birken­ m a x i m u m und einen darauffolgenden Pz'nws-Gipfel gekennzeichnet ( „ 1 . G r u p p e der S p e k ­ tren", D A N I L O V A ) . D a s V o r k o m m e n v o n Quercusu n d UIrius-Vollen (zusammen m a x i m a l 1 1 % ) , sowie v o n Corylus und vereinzelter Carpinus in diesen Schichten führte DANILOVA zu der Annahme, es handele sich hierbei um das A b b i l d eines Nadel-Laubmischwaldes des beginnenden Interglazials. D a s erwähnte merkwürdige erste Quercus-, Ulmus- und Cory/ « 5 - M a x i m u m , das für letztinterglaziale Sedimente Mittelrußlands v ö l l i g ungewöhnlich ist, wie auch das sporadische Auftreten von Carpinus bei gleichzeitiger starker Beteiligung von Chenopodiaceae u n d Artemisia a n der N B P - F I o r a lassen jedoch vermuten, daß hier sehr verschieden alte Pollen miteinander vermischt wurden, zumal d a der erste E M W Gipfel nicht in den lakustrinen Faulschlammen, sondern in Sanden u n d kalkskelettreichen Lehmen auftritt. Viel wahrscheinlicher als DANILOVAS Ansicht ist, d a ß die betreffenden Schichten die Pollenflora der ausklingenden Dneprovsk-Eiszeit (einschließlich M o s k a u Stadium) enthalten, nämlich Hinweise a u f eine unter einem trockenkalten K l i m a stehende Birken-Kiefern-, b z w . Kiefern-Birkenwaldsteppe (Artemisia, Chenopodiaceae, Ephedra.'), die schließlich ( a b 1 0 , 0 0 m) von edleren Laubwäldern verdrängt wurde. Die optimale Entwicklung des E M W , mit den für d a s Eem-Interglazial in Mittelruß­ land so charakteristischen hohen Qwerc^s-Werten u n d d e m späten Auftreten von Corylus spiegeln die Schichten in 9 , 5 0 und 9 , 0 0 m Tiefe wider ( „ 2 . Gruppe der Spektren", D A N I ­ LOVA). Ebenfalls für die Vegetationsfolge dieses Interglazials bezeichnend ist der auf d a s E M W - M a x i m u m folgende Carpinus-Gipfel ( 8 , 5 0 m T i e f e ) , an den sich die Picea-Phase anschloß, während der Carpinus, Quercus, Tilia und Corylus jedoch noch nicht ganz ver­ schwunden waren. D A N I L O V A nahm a n , daß die Picea-Phzse die Schichten von 8 , 7 5 bis 5 , 0 0 m T i e f e umfaßt ( „ 3 . G r u p p e d e r Spektren", D A N I L O V A ) . E S ist jedoch auffallend, d a ß mit dem Beginn der geschlossenen Artemisiaund Chenopodiaceae-Kurve in etwa 6 , 5 0 m Tiefe, d. h. ungefähr zu demselben Zeitpunkt, an d e m die Vorherrschaft der BryalesSporen gegenüber den Sphagnales-Sporen einsetzte, die K u r v e n von Picea, Alnus, Quercus, Tilia und Corylus, in gewissem S i n n e auch von Betula, einen spiegelbildlichen Verlauf z u demjenigen tieferer Horizonte nehmen und diese T e n d e n z mit Beginn der Bildung v o n Schicht 1 0 abrupt abbricht. Mit anderen Worten, es scheint so, als zeichne sich von etwa 6 , 5 0 m Tiefe der Beginn der Herrschaft eines trockenkalten Klimas a b , palynologisch j e ­ doch verdeckt durch Pollen einer anspruchsvolleren Vegetation, die sich an sekundärer Lagerstätte befinden. F ü r die Richtigkeit dieser D e u t u n g spricht, d a ß ein ähnlicher K u r ­ venverlauf in anderen Pollendiagrammen letztinterglazialer Sedimente meist nicht zu b e ­ obachten ist ( v g l . G R I C U K & G R I C U K 1 9 5 9 , C E B O T A R E V A 1 9 5 9 ) und d a ß S U K A C E V und M i t ­

arbeiter ( 1 9 5 9 ) 1 0 k m westlich M o s k a u s in offenbar gleichalten Sedimenten zusammen mit einer ähnlichen Pollenflora Makrofossilien von Salix herhacea, S. polaris, Betula cf. rortuosa, Alyssum s p . u n d der heute amphiatlantisch in T u n d r e n bzw. im nördlichsten B e ­ reich der N a d e l w a l d z o n e vorkommenden Draha cf. incana entdeckten. A n die Stelle der interglazialen W ä l d e r war damals somit die Strauchtundra getreten, in deren trockeneren Biotopen Kältesteppengesellschaften bereits Fuß gefaßt hatten. Die Spektren v o n 4 , 7 5 bis e t w a 1 , 0 0 — 1 , 5 0 m T i e f e rechnete D A N I L O V A zu ihrer „ 4 . G r u p p e der Spektren", die sie m i t Recht als A b b i l d letzteiszeitlicher Verhältnisse a n ­ sah, ohne allerdings eine Gliederung dieses Abschnittes des jüngsten Pleistozäns durch­ zuführen. A n H a n d einiger weiterer pollenanalytischer Arbeiten, d i e in Mittelrußland in letzter Zeit durchgeführt worden sind, soll hier jedoch versucht werden, das interes­ sante Profil weiter z u gliedern. I m Wandel der Vegetation, der sich im Fossiliengehalt der Sedimente zwischen 5 , 0 0 und etwa 0 , 8 0 m T i e f e widerspiegelt, fallen zwei Phasen geringerer Bedeutung des W a l d e s und recht starker Beteiligung offener Vegetationstypen auf, von denen die ältere ( 4 , 5 0 bis


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4,00 m Tiefe) viel weniger scharf ausgeprägt w a r als die jüngere (2,50 bis 1,50 m Tiefe). Beide Phasen wurden durch einen Zeitraum beachtlicher Vorherrschaft der B P voneinander getrennt (3,50 bis 2,75 m T i e f e ) . Die Phasen stärkerer Beteiligung der N B P werden durch sehr hohe "Werte der Kräuterpollen, der Bryales-Sporen, sowie durch Minima der Artemisia- u n d Chenopodiaceae-VoWen eingeleitet. Leider wissen w i r nicht, welche Pflanzen die Kräuterpollen lieferten. D i e starke Beteiligung der Bryales-Sporen, w i e auch die Minima in den Kurven d e r xerophilen Artemisien und Chenopodiaceen deuten jedoch auf eine relativ gute Durchfeuchtung des Bodens zu Beginn der beiden NBP-reichen Pha­ sen hin. E s ist bezeichnend, daß diese beiden Zeiten besserer Wasserversorgung jedoch von Episoden abgelöst wurden, in denen Chenopodiaceae und Artemisia eine außerordent­ lich große Rolle in der damaligen Vegetation spielten ( 4 , 0 0 — 3 , 5 0 m Tiefe u n d 1,50 bis 0,80 m Tiefe) bei gleichzeitig beträchtlicher Verminderung der Bedeutung der BryalesSporen u n d der Kräuterpollen. Es ist sehr naheliegend, in diesem Vegetationswechsel das Abbild eines zweimaligen Überganges von einer T u n d r a - in eine Kältesteppenzeit, bzw. von der Fließerde- in die Lößzeit zu erblicken. Hierbei w a r e n die erste T u n d r a - und Kältesteppenzeit sowohl w a s die Ausdehnung der offenen Pflanzengemeinschaften, als auch ihre Ausprägung anbetraf, weniger deutlich als die zweite. Beide NBP-reiche Phasen wie auch die zwischen ihnen gelegene B P - P h a s e wurden im Untersuchungsgebiet durch die Vorherrschaft von Betula gekennzeichnet, wobei jedoch unklar bleibt, welche Birkenart den Pollen während der einzelnen Abschnitte lieferte. Pinus spielte damals mit etwa 1 0 % der B P - M e n g e nur eine sehr untergeordnete Rolle, und Pfcea-Pollen traten s o g a r nur in wenigen Prozenten auf. E s ist allein nach diesem Profil fraglich, ob dem schwachen PiceaGipfel z . Zt. des hohen BP-Gipfels in 2,75 m T i e f e reale Bedeutung zukommt. Pollenanalytische Untersuchungen in benachbarten Gebieten Mittelrußlands lehren jedoch, daß die erwähnte BP-reiche Phase tatsächlich vielfach durch eine starke Zunahme d e r PiceaWerte gekennzeichnet w a r (Tabelle 1). Hierbei ist wichtig, d a ß Picea auch w ä h r e n d der älteren NBP-reichen Phase in allen betrachteten Gebieten prozentbildend vertreten war, obwohl diese Zeit durch heftige Solifluktionserscheinungen u n d eine Vergrößerung des Areals der ewigen Gefrornis bis Tabelle 1 Prozentwerte der Pollen einiger wichtiger Pflanzen in der letzteiszeitlichen BP-Phase Mittelrußlands Pflanzen

Lokalität km westl. Moskau 110

2)

1)

BP

km Unt.-u.Mittelwestl. Moskau lauf der Oka

Pljoss a. d. Wolga

Unterlauf d. Kama

3)

4)

5) 30—70

10

60—70

64

gleich bis

40—60

NBP

5—10

36

doppelt NBP

15—40

10—40

Betula

ca. 8 0

30—80

70—80

35—50

15—20

25—46

0—20

10—27

ca. 2 0

Pinus

ca. 1 5

ca. 4 0

30—70

Picea

ca.

2

bis 4 3

5—10(—30)

Alnus

ca.

2

5—15

Kräuter

50—60

Artemisia

15

Chenopodiaceae

10

bis 3

4—17 15—55

Ephedra!

30—70

40—50

1 L • 1 [ sehr viel j

10—50

10—30

0—

1—20

10—15

0—16

2

1 ) DANILOVA 1 9 5 9 ; 2 ) SUKACEV und Mitarbeiter 1 9 5 9 ; 3 ) ASEEV 1 9 5 9 ; 4 ) GRICUK & GRICUK 1 9 5 9 ; 5 ) MOSKVITIN 1 9 5 8 .


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an das N o r d u f e r des K a s p i - S e e s ausgezeichnet w a r (u. a. M O S K V I T I N 1958; weitere Litera­ tur bei F R E N Z E L 1960a). In der BP-reichen P h a s e dehnten sich aber die Fichtenwälder be­ trächtlich aus, allerdings erreichten sie nicht mehr das heute in der L a u b w a l d z o n e gele­ gene Brjansk ( V E L I C K O 1 9 5 7 ) . Diese Wälder, in denen die sibirische Picea obovata bis nach Moskau ( S U K A C E V und Mitarbeiter 1959) v o r d r a n g , vermochten jedoch selbst d a m a l s nie, Mittelrußland geschlossen z u überziehen, sondern die trockenen Standorte wurden weiter­ hin von Artemisiaund Cbenopodiaceae-Steppen eingenommen. Wenngleich somit das K l i m a in der BP-reichen Phase eine Ausdehnung der W ä l d e r ermöglichte, so blieb der Klimacharakter doch trocken-kontinental. E r s t die zweite NBP-reiche Phase, die die B P Phase ablöste, führte zu der fast vollständigen Vernichtung der Fichtenwälder (Pljoss, K a m a , M o s k a u , Unter- u n d Mittellauf der O k a ) , ein weiteres Zeichen dafür, daß die zweite NBP-reiche Phase wesentlich einschneidender als die erste war. Auch in der zweiten NBP-reichen Phase waren Solifluktionsvorgänge weit verbreitet ( F R E N Z E L 1 9 6 0 a ) . Diese zweite T u n d r e n - und Kältesteppenzeit in A b b . 1 wurde durch eine letzte P h a s e etwas stärkerer Bewaldung und einen geringen Picea-Vorstoß (1,75 m Tiefe) gegliedert und mündete schließlich in die postglaziale Waldgeschichte ein, deren Beginn in Profil X I I - 5 1 etwas oberhalb 0,80 m T i e f e erschlossen w u r d e und die D A N I L O V A an H a n d v o n Material einer zweiten Bohrung, die an derselben L o k a l i t ä t niedergebracht wurde, eingehender untersuchte. Wie es für viele mittelrussische Pollendiagramme charakteristisch ist, wird auch in A b b . 1 der Ü b e r g a n g vom Pleistozän zum H o l o z ä n durch erste Tilia- und CorylusGipfel gekennzeichnet ( H o r i z o n t der „ U n t e r e n Fichte"). Wahrscheinlich handelt es sich jedoch bei ihnen, ähnlich wie bei den entsprechenden ersten Gipfeln der edlen Laubhölzer an der Basis des Profils, um Pollen an sekundärer Lagerstätte, da die hohe Beteiligung der N B P an der gesamten Sporomorphenmenge der entsprechenden Horizonte, w i e auch der starke Anteil von Artemisiaund Cbenopodiaceae-PoWen nur schwer mit einem gleich­ zeitigen Tilia- und Corylus-Vorstoß zu vereinbaren ist ). E s zeigt sich also, daß es D A N I ­ LOVA tatsächlich gelungen ist, in einem einzigen Profil lakustriner Sedimente die wesent­ lichsten E t a p p e n des Jungpleistozäns und des H o l o z ä n s v o m E n d e der vorletzten Eiszeit bis in die Gegenwart zu erschließen. Besondere Beachtung hierbei verdient die von einer schwächeren älteren und einer stärkeren jüngeren NBP-reichen Phase eingeschlossene B P reiche Phase, die durch Ausbreitung der Fichtengehölze in Mittelrußland gekennzeichnet war. In A b b . 1 verschleiert die Betula-Kurve wahrscheinlich manche wichtigen Züge der Vegetationsentwicklung, d a die einzelnen Betida-Anen ja nicht sicher palynologisch von­ einander geschieden werden können. T r o t z d e m lassen der Kurvenverlauf in A b b . 1 wie auch die übrigen erwähnten pollenanalytischen Untersuchungen Mittelrußlands so viele Gemeinsamkeiten mit den von EMILIANI ( 1 9 5 5 , 1956, 1958) konstruierten T e m p e r a t u r ­ kurven, sowie mit den u . a . von W O L D S T E D T (1958) und G R O S S (1958) durchgeführten Gliederungsversuchen der letzten Eiszeit erkennen, daß ich die von den beiden Tundrenund Kältesteppenzeiten begrenzte Phase der Fichtenhaine innerhalb kühler Steppen als Abbild des „Göttweiger" Interstadials, die zweite T u n d r e n - und Kältesteppenzeit als das K ä l t e m a x i m u m der letzten Eiszeit ( E l a u p t w ü r m bzw. kältester Teil von Mittelwürm) und die erste Tundren- und Kältesteppenzeit als Ausdruck der während des Früh- oder Altwürms herrschenden Klimaverhältnisse ansehen möchte. 1

W ä h r e n d der pleistozänen Eiszeiten w a r e n in weiten Gebieten N o r d - E u r a s i e n s T u n ­ dren- und Kältesteppen, Strauchtundren u n d Mischformationen aus Waldtundren und Waldsteppen an die Stelle der verschiedenen Waldtypen der heutigen T a i g a z o n e getreten (für die letzte Eiszeit v g l . F R E N Z E L & T R O L L 1952; F R E N Z E L 1960 b). N u r an sehr wenigen geschützten Lokalitäten vermochten kleine Waldrefugien die ungünstigen eiszeitlichen ') Zur Problematik des Horizonts der „Unteren Fichte" vgl. FRENZEL 1960 b.


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Klimaverhältnisse zu überdauern. D a s einzige große Waldgebiet stellte während der letz­ ten Eiszeit das mittelsibirische Bergland dar, das jedoch während der ungünstigsten K l i m a ­ perioden durch einen Steppengürtel von dem stark verkleinerten mandschurischen W a l d ­ gebiet getrennt w a r ( F R E N Z E L 1 9 6 0 b). Es ist nun v o n hohem Interesse, auf Grund der Arbeiten von G R I C U K ( 1 9 5 9 ) und seinen Mitarbeitern erste Einblicke in die pleistozäne Geschichte dieses mittelsibirischen W a l d l a n d e s , und z w a r in der weiteren Umgebung von Irkutsk, zu gewinnen (Abb. 2). Es muß jedoch hervorgehoben werden, daß die genannten Autoren die Flußterrassen, aus denen die Proben entnommen wurden, bedauerlicherweise weder zu den zahlreichen Vereisungsspuren der Sajane, noch zu den Resten der in diesem Gebiet so verbreiteten paläolithischen Stationen in Beziehung gesetzt haben, sondern den Wandel der Vegetation nur aus dem Verlauf der Pollenkurven und der Höhenlage der Terrassen erschlossen, so daß Abb. 2 mit manchen Unsicherheiten behaftet ist. Den Übergang v o n den bei A l g a im Barguzintal (östlich des Baikalsees) beobachteten Vegetationsverhältnissen des jüngsten T e r t i ä r s (vgl. die beiden untersten Diagrammstücke in A b b . 2) zu den pleistozänen Bedingungen stellte die Phase 1 dar, in deren Mitte sich mit dem Verschwinden von Tsuga, Ilex, Juglans und Pterocarya, sowie mit Kurventief­ punkten von Picea und der edleren Kiefern eine erste K a l t z e i t abzeichnet, die im Berg­ land zur lokalen Ausbreitung von Artemisia-Cbenopodiaceae-Ephedra-Steppen führte. M i t dieser K a l t z e i t hatten die erwähnten Steppen zum ersten Male in nennenswertem Maße von Baikalien Besitz ergreifen können und wurden seither nie mehr vollständig verdrängt. G R I C U K sieht die besprochene Kaltzeit als die erste pleistozäne Eiszeit an, die von einem ausgedehnten Interglazial (Phase II) gefolgt wurde, in dem anspruchsvollere Waldtypen aus Picea, Abies und Pinus Sekt. Strobus d a s Bild beherrschten. D a s Areal

i n

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0

1

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111

SO 100%

Abb. 2 . Schematisiertes Pollendiagramm aus dem Flußgebiet der Angara, in der Umgebung von Irkutsk. Die Kurven stellen Mittelwerte zahlreicher, nur kürzere Abschnitte umfassender Pollen­ diagramme dar. Aus: GRIÖUK 1 9 5 9 .

Erklärung der Phasen im Text. N u : Neogen; Qi: Altquartär; Q u : Mittelquartär; Q m : Jung­ quartär; Q i v : Holozön. Werte des nördlichen Angaragebietes.


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der Steppen war d a m a l s gegenüber den Verhältnissen der vorangegangenen Kaltzeit sehr stark eingeschränkt worden. Mit dem Ü b e r g a n g zur nächsten Eiszeit ( G r e n z e der Phasen I I / I I I und Phase I I I ) stellten sich die für das heutige W a l d k l e i d dieses Gebietes charak­ teristischen Pflanzengemeinschaften ein. zusammen mit ausgedehnten Steppen. Der H ö h e ­ punkt dieser Eiszeit führte jedodi zu einer sehr starken Verarmung der Pollenflora. Phase I V bezeichnet offenbar ein Interglazial, während dessen in der U m g e b u n g von Irkutsk an mehreren Stellen L a u b w ä l d e r aus Quercus, Ulmus, Tilia u n d Corylus ge­ diehen. Diese Tatsache ist außerordentlich bemerkenswert, denn Tilia k o m m t heute nur in den nordwestlichen Vorbergen des Altai sowie im Ostteil Dahuriens und im Fernen Osten v o r ; ebenfalls in Dahurien erreichen Quercus mongolica und Corylus heterophylla als die am weitesten in den Kontinent von Osten her vorstoßenden Eichen- und H a s e l ­ arten die Westgrenze ihrer Verbreitung, und lediglich Ulmus propinqua, sowie U. pumila dringen von Osten bis in das Flußgebiet der Selenga v o r , erreichen jedoch Baikalien nicht mehr ( M E U S E L 1943; POPOV 1959). D i e pollenanalytischen Befunde zeigen somit, daß Tilia nicht erst im Postglazial von Osten her in die nordwestlichen V o r b e r g e des Altai eingewandert sein muß oder daß sie dort als Tertiärrelikt zu gelten habe (Literatur bei F R E N Z E L 1960 b), sondern daß noch im letzten Interglazial edle L a u b w ä l d e r zwischen dem A l t a i und dem Fernen Osten vermittelten. D a s erwähnte Interglazial wurde von einer weiteren K a l t z e i t (Phase V ) abgelöst, während der in Baikalien lediglich vereinzelte Pinus-, Larixund Betula-rlaine stockten. Eine g a n z ähnliche, an Kältesteppen reiche Vegetation kennzeichnete die letzte K a l t z e i t (Phase V I I ) , die schließlich zu den post­ glazialen Waldtypen überleitete. D i e beiden K a l t z e i t e n (Phasen V u n d V I I ) wurden durch eine E t a p p e stärkerer Bewaldung voneinander getrennt, während der die anspruchs­ volleren H o l z a r t e n Picea, Abies und Pinus sibirica ihr A r e a l vergrößerten. D a die Pollen­ spektren dieser Zeit ungefähr denjenigen der rezenten Oberflächenproben gleichen, muß das d a m a l i g e K l i m a dieses Raumes ungefähr dem heutigen entsprochen haben. D i e zeitliche Einordnung der von G R I C U K herausgearbeiteten Phasen der Vegetations­ geschichte bereitet einige Schwierigkeiten, d a , wie erwähnt, die Lagebeziehungen der einzelnen Fundhorizonte zu den glazigenen Sedimenten der Sajane sowie zu den p a l ä o lithischen Stationen und zu den Resten fossiler Großsäuger nicht berücksichtigt wur­ den. D a r a n , daß Phase V I I I das Postglazial umfaßt, besteht kein Zweifel. Aus der B e ­ schreibung der Fundorte geht außerdem hervor, daß die Proben, die zur Entdeckung der Phasen V , V I und V I I führten, letzteiszeitlichen T e r r a s s e n entnommen wurden; denn die betreffenden Terrassen verzahnen sich nicht nur im Oberlauf der Flüsse mit Moränen zweier Talvergletscherungen, die jünger als eine Vergletscherung von Inlandeischarakter in den Sajanen sind, sondern sie enthalten auch jungpaläolithische F u n d p l ä t z e (u. a. die Aurignacienstation M a l t a ; Literatur vgl. F R E N Z E L 1 9 6 0 a ) . Somit war die letzte Eiszeit in Baikalien in zwei Kältesteppenphasen mit Pinus-Larix-BetulaAAamen und in eine mittlere W a l d p h a s e , wahrscheinlich ein Interstadial ( „ G ö t t w e i g e r " Interstadial?), g e ­ gliedert. D a s voraufgegangene Interglazial (Phase I V ) dürfte jedoch dem Eem-Interglazial entsprechen, so daß GRICUK wahrscheinlich mit Recht die Phasen I V und V I I als das „ J u n g q u a r t ä r " ansieht. Ob jedoch tatsächlich der oberste Teil der P h a s e I, sowie die Phasen I I und I I I in das „Mittelquartär" zu stellen sind und nur der untere Teil der Phase I das „ A l t q u a r t ä r " bezeichnet, wie G R I C U K annimmt, erscheint fraglich. Denn einer­ seits deutet ein Vergleich der Spektren des unteren T e i l e s der Phase I mit den jungter­ tiären Spektren N I I (unterstes Diagrammstück) auf eine inzwischen eingetretene fühlbare Klimaverschlechterung v o r Beginn der Phase I, und andererseits ist es möglich, daß in dem als Q I I bezeichneten Abschnitt manche verschiedenalte Spektren der hochgelegenen und oft etwas undeutlichen Flußterrassen miteinander verknüpft wurden. T r o t z dieser Bedenken läßt Abb. 2 jedoch die wesentlichen E t a p p e n der Evolution der heutigen V e g e ­ tation dieses Raumes erkennen, und es wird deutlich, daß der heutige T a i g a t y p des S ü d -


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Burkhard Frenzel

teiles Mittelsibiriens sehr junger Entstehung ist und daß auch in dem mittelsibirischen W a l d l a n d die Einflüsse des mehrmaligen pleistozänen Klimawandels deutliche Spuren hinterlassen haben.

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