Interstadiale Torfe in würmeiszeitlichen Schmelzwassersanden Nordfrieslands

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Interstadiale Torfe in würmeiszeitlichen Schmelzwassersanden Nordfrieslands V o n Ernst D i 11 m e r , Husum. Mit 1 A b b . i m Text Z u s a m m e n f a s s u n g . Aus würmzeitlichen Schmelzwassersanden Nordfries­ lands werden Interstadial-Torfe beschrieben. A u f die Bedeutung für die Gliederung des schleswig-holsteinischen Jungpleistozäns und die Bodenbildungen des Mittelpleistozäns wird hingewiesen. Abstract. In Northern Friesland (Schleswig-Holstein) fluvioglacial deposits of Würmian age contain an interstadial peat layer. It belongs to a warmer phase (with Betula, Pinus etc.) between two advances of the Würm-glaciation. In this warmer retreat-phase no melting-water was going to the west, whereas in the foregoing and in the following stages the fluvioglacial sands in Northern Friesland were deposited.

I m nördlichen Nordfriesland, zwischen S o h o l m e r A u und Wiedau, liegen s o ­ w o h l die Oberflächen des letzten Interglazials bei vielfach nahezu vollständiger Erhaltung d e r gesamten Eemserie als auch d e r würmzeitlichen Schmelzwasser­ sande sehr hoch. A l s Niebüller Geestinsel durchragen die glazifluviatilen B i l d u n ­ gen sogar d i e Marsch u m einige Meter. Eine besonders hochliegende Schwelle zieht sich v o n hier zur Insel Föhr herüber, während in südwestlicher u n d b e ­ sonders in nordwestlicher Richtung die Mächtigkeiten des Holozäns rasch z u ­ nehmen u n d in der Gegend des H i n d e n b u r g d a m m s bereits 10 m erreichen.

m Pleislozän (Hochfläche und Würmsander)

Vorkommen von würminterstadialen Törten

Abb. 1. Lageskizze der interstadialen Torfvorkommen in Nordfriesland. Das Holozän ist weiß gelassen.


Interstadiale Torfe in Nordfriesland

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Zahlreiche neue Bohrungen in diesem Gebiet, die das E e m durchteuften, h a ­ ben die frühere Ansicht (DITTMER 1 9 4 1 ) bestätigt, daß entgegen der A n n a h m e v o n HECK ( 1 9 3 6 ) Teilgebiete Nordfrieslands nicht in jungpleistozäner Zeit verschie­ den tektonisch beansprucht w o r d e n sind. D i e Vorgänge, die z u r A b l a g e r u n g d e r w ü r m g l a z i a l e n Schmelzwassersande führten, u n d die nacheiszeitliche F l u ß g e ­ schichte lassen für die hohe L a g e des Sanders eine einfache Erklärung zu. D i e altund mittelpleistozänen Inseln Sylt, Föhr u n d A m r u m lenkten die Schmelzwässer des Wiedau-Süderau-Systems in nordwestliche Richtung ab, die der S o h o l m e r A u nach S W . D i e Lecker Au, wahrscheinlich i m Gegensatz zu d e n übrigen rißzeitlich angelegten Flüssen erst i m Jungpleistozän entstanden, w a r unbedeutend und vereinigte sich i m übrigen m i t der S o h o l m e r A u . Zwischen d e n Schmelzwasser­ strömen entstand ein toter Winkel, in d e m d i e letztinterglaziale Oberfläche g e ­ schützt lag u n d die jungglazialen Sanderkegel zusammenwuchsen. Die postgla­ ziale Erosion — die Flüsse W i e d a u und S o h o l m e r A u schnitten bis zu 2 0 m tiefe Rinnen in i h r e eigenen S a n d e r und in das E e m — blieb i m wesentlichen auf die Flußtäler beschränkt. Der Niebüller S a n d e r b l i e b davon unberührt. Die Schmelzwassersande d e r W ü r m - V e r e i s u n g werden an der gesamten schles­ wig-holsteinischen Westküste als tragfähiger Baugrund angesehen. Da sie i m all­ gemeinen eine erhebliche Mächtigkeit haben, w e r d e n zur Erkundung d e r h o l o zänen Schichtstärke daher P r o b e b o h r u n g e n i m allgemeinen bald nach Durchteufung des Basistorfs eingestellt. B e i d e r Ausführung m e h r e r e r Tiefbauten, b e i denen eine Grundwasserabsenkung erforderlich w a r , zeigte es sich jedoch, d a ß innerhalb reiner Schmelzwassersande, an deren jungglazialem A l t e r kein Z w e i ­ fel w a r u n d die mit scharfer Grenze d e m E e m auflagen, T o r f e oder M u d d e n auf­ traten, die m e r k w ü r d i g e r w e i s e wenig zersetzt u n d oft w e n i g verdichtet waren. Eine Durchsicht älterer Schichtenverzeichnisse, die mangels P r o b e n nicht hatten geologisch bearbeitet w e r d e n können, e r g a b weitere H i n w e i s e für einen „ i n t e r glazifluviätilen" Torfhorizont des Würm-Pleistozäns. Endlich gelang es anläß­ lich der V o r a r b e i t e n für die Bedeichung des Vorlandes südlich v o m H i n d e n b u r g d a m m in allen Bohrungen, d i e den jungglazialen Schmelzwassersand durchteuf­ ten, die Torfschicht zu erfassen und einige K e r n p r o b e n zu gewinnen. L e i d e r w a r es noch nicht möglich, geschlossene Profile z u erhalten. Z u r Veranschaulichung der Lagerungsverhältnisse sei nachstehendes Schichtenverzeichnis einer B o h r u n g bei H u n w e r t h h u s u m wiedergegeben: B o h r a r c h i v Westküste. A r c h i v - Nr. 1 2 4 / 8 5

r = 7 7 , 6 1 h = 7 6 , 7 6 ca + 1,0 m N N

bis

5 , 9 0 G r a u e r Feinsand

= Holozän

6 , 4 0 B r a u n e r Flachmoortorf (Basistorf)

=

1 0 , 0 0 G r a u e r Feinsand

= Würm-Glazifluviatil

1 0 , 4 0 Brauner, schwach sandiger, w e n i g zersetzter Sphagnumtorf 1 1 , 7 0 G r a u e r Feinsand

=

Würm-Interstadial

= Würm-Glazifluviatil

1 2 , 5 0 Graugrüner, sandiger Ton = Eem „ (17,00) Graugrüner toniger Fein- bis M e h l s a n d mit Fauna d e r Olander = Eem Schichten Das E e m ist an dieser Stelle nicht vollständig erhalten. 5 — 6 m sind durch Erosion, d i e n u r durch Schmelzwässer erfolgt sein kann, v e r l o r e n gegangen. Die unteren glazifluviatilen Schichten d e r W ü r m - V e r e i s u n g sind 1 , 1 0 — 2 , 2 0 m mächtig. Meist handelt es sich u m Fein- bis Mittelsande, es k o m m e n jedoch auch L a g e n v o n Grobsand vor.


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Ernst Dittmer

Der eingeschaltete T o r f h o r i z o n t hat eine Mächtigkeit, die in den einzel­ nen B o h r u n g e n zwischen 2 0 und 4 0 c m schwankt. O b die ganze Folge erhalten ist, läßt sich ohne pollenanalytische Bearbeitung eines Gesamtprofils nicht erkennen. Es lassen sich zwei A r t e n v o n Torfen unterscheiden, S p h a g n u m t o r f e u n d R a d i z e l l e n t o r f e . Besonders der S p h a g n u m t o r f hat ein für sein diluviales Alter erstaunlich frisches Aussehen. Getrocknete P r o b e n zeigen die Konsistenz eines jungholozänen Moostorfs. D e r geringe Zersetzungsgrad läßt sich w a h r ­ scheinlich dadurch erklären, d a ß d e r Torfhorizont bald nach der Bildung v o n Sanden überlagert wurde, für viele Jahrtausende dem Dauerfrost ausgesetzt war und in d e r Nacheiszeit unter Luftabschluß stand. Die Radizellentorfe lassen auf eine N i e d e r u n g s m o o r g e s e l l s c h a f t schließen, die hauptsächlich aus Seggen u n d Süßgräsern bestand. A l l e P r o b e n haben einen ± hohen A n t e i l v o n Mehl- und Feinsand. Verschiedene P r o b e n ent­ halten auch Diatomeen. Die o b e r e n glazifluviatilen Sande haben eine zwischen 3 , 0 und 5,8 m schwan­ kende Mächtigkeit. Die K o r n g r ö ß e liegt i m allgemeinen mit d e m M a x i m u m z w i ­ schen 0.1 u n d 0,2 m m . In einer Bohrung w u r d e n jedoch auch Lagen m i t einem erheblichen Grobsand- u n d Feinkiesanteil beobachtet, eine Schichtung durch glimmerreiche Lagen ist vielfach deutlich. Über d e m Pleistozän liegt die n o r m a l e h o l o z ä n e S c h i c h t e n s e r i e , beginnend mit d e m B a s i s t o r f , der bis z u 1,4 m mächtig w e r d e n kann. Darauf folgen ± kleiige und kleistreifige brackisch-marine Sande b z w . Klei des F 1 a n d r i e n s . Die Mächtigkeit n i m m t nördlich v o n Horsbüll erheblich zu. Die Schich­ tenfolge enthält bereits südlich v o m H i n d e n b u r g d a m m eine der Fauna des Dithmarscher Altholozäns entsprechende Gesellschaft mit Corbula gibba und Brachystomia ambigua. Nur die obersten Schichten über einem schwer erkennbaren Abrasionshorizont sind jungholozänen Alters, das durch massenhaftes V o r k o m ­ men v o n Mya arenaria b e l e g t wird. Nach d e n Lagerungsverhältnissen ist ein spätinterglaziales Alter d e r T o r f e ausgeschlossen. Ebensowenig kann eine spät- oder postglaziale Einstufung v o r ­ g e n o m m e n werden, da sie v o n Sanden eindeutig glazifluviatiler Entstehung ü b e r ­ lagert sind. Es kann sich demnach nur u m Bildungen eines W ü r m - I n t e r s t a d i a l s handeln. Für eine eingehende pollenanalytische Untersuchung reicht das bisher g e ­ wonnene Probenmaterial noch nicht aus. Doch gibt die A n a l y s e v o n Einzelproben aus verschiedenen Bohrungen recht gut übereinstimmend wichtige Hinweise für die klimatischen Verhältnisse. In allen P r o b e n zeigt sich eine ausgesprochene D o m i n a n z der B i r k e ü b e r die Kiefer und die S u m m e aller Baumpollen. Die Pflanzendecke kann noch nicht geschlossen g e w e s e n sein, w i e das V o r k o m m e n von Pediastrum und Myriophyllum sowie d e r mehr oder w e n i g e r starke S a n d ­ gehalt anzeigt. Der Sphagnumtorf enthält Sphagnum cf. cuspidatum als Haupt­ art, außerdem wenig L a u b m o o s e , Eriophorum und Eriaceenradizellen. Die S u m ­ me der Nichtbaumpollen liegt niedriger als in Steppengebieten, aber höher als i n geschlossenen W a l d b e s t ä n d e n . D i e Ü b e r e i n s t i m m u n g m i t d e r v o n SELLE ( 1 9 5 2 )

beschriebenen Birkenphase aus Interstadialen d e r Weichselvereisung ist recht gut. Da in geringen Mengen auch Fichtenpollen vorhanden sind, wird der strati­ graphische Befund, der eine spätglaziales A l t e r ausschließt, w e i t e r gestützt. A u c h eine allerödzeitliche Datierung k o m m t nicht in Betracht. F ü r ein kühles K l i m a sprechen auch die Diatomeenarten, deren Untersuchung H e r r Dr. D . KÖNIG freundlicherweise übernahm. Bleibt auch die Entwicklungsgeschichte dieses Interstadials in Nordfriesland i m Einzelnen noch ungeklärt, s o ergeben sich doch bereits wichtige Hinweise für


Interstadiale Torfe in Nordfriesland

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die G l i e d e r u n g und die M o r p h o l o g i e des Jungpleistozäns auf schleswig-holstei­ nischem Gebiet. Schreiben w i r die unter d e m Interstadial liegenden S a n d e einem ersten W ü r m - V o r s t o ß zu, die darüberliegenden einem zweiten, so m u ß während beider P e r i o d e n das Inlandeis auf schleswig-holsteinischem Gebiet g e l e g e n ha­ ben, da Sander gebildet wurden. Zwischen beiden Eisvorstößen muß sich aber zu­ mindest i m nördlichen Schleswig-Holstein das Eis bis in das Ostsee-Gebiet zu­ rückgezogen haben, da nach Westen abfließende Schmelzwässer die B i l d u n g v o n M o o r e n verhindert hätten. Die Existenz v o n lichten Birkenwäldern mit geringer Beteiligung der Kiefer spricht sogar für einen s t a r k e n Rückzug des Eises. W e n n aber die Würmvereisung aus mindestens 2 derartigen großen Stadien b e ­ steht, d a n n ergeben sich zahlreiche Fragestellungen. W i e w e i t drang das Eis w ä h ­ rend des einen, w i e w e i t während des anderen Vorstoßes v o r ? Sind vielleicht die W ü r m I - M o r ä n e n v o m W ü r m II-Eis vollständig überfahren w o r d e n ? ) Ist die heu­ tige M o r p h o l o g i e des schleswig-holsteinischen Jungmoränengebietes das E r g e b ­ nis eines oder zweier Stadiale? K a m e n b e i d e Vorstöße aus derselben Richtung, haben sie b e i d e denselben Geschiebeinhalt? Auch für die oft schwierigen P r o ­ bleme der periglaziären B ö d e n i m Mittelpleistozän des Westens dürften sich neue Erklärungsmöglichkeiten finden, da Decksande, Steinsohlen und B r o d e l b ö d e n nicht m e h r einer einheitlichen Glazialperiode zugeordnet w e r d e n müssen, s o n ­ dern auf z w e i durch subarktisches K l i m a unterbrochene Zeiten verteilt w e r d e n können. J

DITTMER, E.: Das nordfriesische Eem. Ein Beitrag zur Geschichte der junginterglazialen Nordsee. - Kieler Meeresforschungen 1 9 4 1 . HECK, H . - H . : Die nordfriesische neuzeitliche Küstensenkung als Folge diluvialer T e k ­ tonik. - Jb. preuß. geol. Landesanst. Berlin 1 9 3 6 . SEIXE, W . : Die Interstadiale der Weichselvereisung. - Eiszeitalter u. Gegenwart 2 , 1 9 5 2 . WOLDSTEDT, P.: Die „Äußere und die „Innere" Baltische Endmoräne in der westlichen Umrandung der Ostsee. - Centralbl. f. Min. etc., Abt. B Nr. 2 , 1 9 2 5 . Manuskr. eingeg. 2 4 . 4 . 1 9 5 4 . Anschr. d. Verf.: Dr. Ernst Dittmer, Husum, Nissenhaus.

l

) Die beiden Eisvorstöße dürften den jütischen Moränen C und D entsprechen, die ebenfalls durch ein Interstadial getrennt sind. Sie sind mit den „Äußeren" und „In­ neren" Moränen WOLDSTEDT'S identisch, der bereits 1 9 2 5 nachzuweisen glaubte, daß im Schleswigschen im Bereich der Förden ein lokales Übergreifen der jüngeren über die ältere Endmoränenstaffel stattfindet (WOLDSTEDT 1 9 5 2 ) .


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