zoon politikon - Gott und die Welt

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ralistischen, weltanschaulich neutralen Gesellschaft zusammenleben, allgemeine Rechtsnormen, an erster Stelle die Menschenrechte als für sich verbindlich an. Das staatliche Verfassungsrecht, das die Menschenrechte kodifiziert, nicht jedoch ein Bündel partikulärer Werte oder religiöser Überzeugungen ist das Medium friedlichen Zusammenlebens.

Kirche im Kapitalismus

Friedhelm Hengsbach SJ ist ein deutscher Jesuit und emeritierter Professor in Christlicher Sozialwissenschaft der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main.

Bilder Theo Zierock, Ulla Baumgart

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Friedhelm Hengsbach SJ

«hinkende» Trennung zu einer «freundlichen Kooperation» geworden. Der Staat stattet die Kirche mit Sonderrechten aus, die zum Teil auf frühere Tauschgeschäfte nach den reformatorischen und napoleonischen Turbulenzen zurückgehen. Zu ihnen gehören das Recht, Staatsleistungen zu beanspruchen. Beispielsweise werden in Bayern die Bischöfe, Weihbischöfe und die Regenten der Priesterseminare direkt vom Freistaat bezahlt, während andere Länder Pauschalbeträge überweisen. Sach- und Personalkosten für den konfessionellen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen übernimmt der Staat, kirchliche Amtsträger, die bei der Bundeswehr, bei der Bundespolizei und in Justizvollzugsanstalten seelsorglich arbeiten, stehen im Staatsdienst und in dessen Sold. Unter den international einzigartigen Sonderrechten, die der Staat den deutschen Kirchen gewährt, gehört die Steuerhoheit. Für die meisten Bistümer sind die Kirchensteuern die Haupteinnahmequelle. Sie gelten allgemein als effizient und gerecht, insofern sie die Steuersubjekte nach ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit belasten, in die staatliche Einkommen- und Lohnsteuer eingekleidet sind und so den Steuerwiderstand senken. Das zentrale Erhebungsverfahren erleichtere, so wird behauptet, einen Finanzausgleich zwischen den Gemeinden und Bistümern, während das Staatsinkasso den Verwaltungsaufwand senke. Der katholischen Kirche droht eine Restauration zur Kultkirche. Gegen die von der Mehrheit der Kirchengemeinden akzeptierte Öffnung der Liturgie zu einer lebendigen Sprache und zur alltäglichen Lebenswelt melden politisch konservative und humanistisch ausgebildete Akademiker Vorbehalte an.

zoon politikon | februar 2011 | nr. 10

Autor

Eine «Kirche im Sozialismus» existiert in Europa nach dem Fall der Mauer nur noch als Reliquie jener Überzeugung evangelischer Christen und Christinnen in der ehemaligen DDR, die sich bewusst als Kirche nicht neben dem, sondern im real existierenden Sozialismus behaupten wollten. Die katholische Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, auf die sich exemplarisch meine Überlegungen beziehen, scheint sich die Frage nicht zu stellen, ob ihre Existenz im Kapitalismus bloss dem Wohnen in einem fremden Haus gleichkomme, in dem man sich allenfalls darüber verständigt, wer wann die Eingangstreppe reinigt. Zwar kennen Bischöfe und Kirchenmitglieder die Stimme des Evangeliums: «Ihr wisst, dass die Fürsten der Heiden sie beherrschen und die Großen über sie Macht ausüben. Bei euch soll es nicht so sein!». Aber hat das Lesen und Hören dieser Botschaft ihr Handeln in einer kapitalistischen Gesellschaft infiziert? Die katholische Kirche ist Arbeitgeberin. Insbesondere ihre karitativen Einrichtungen unterstellen sich den Funktionsregeln eines marktwirtschaftlichen Wettbewerbs, der sich zunehmend auch unter Anbietern personennaher Dienstleistungen ausbreitet. Sie bedienen sich einer betriebswirtschaftlichen Kalkulation, die einzelne exakt abgegrenzte Kostenelemente bestimmten Leistungseinheiten direkt zuordnet. Fürsorglich eingestellte Prälaten räumen ihre Sessel für dynamische Geschäftsführer. Personalabbau, Arbeitsverdichtung, unbezahlte Mehrarbeit und flexible Arbeitszeiten auf Abruf werden unter solchen «effizienten» Geschäftsführern als Trophäen gehandelt. Diese geben den Außendruck nach innen und nach unten weiter. Sie reduzieren das Personal in der Küche, in der Wäscherei sowie in der Reinigung und verdichten die Arbeitsleistung der dort Beschäftigten. Sie lagern Abteilungen aus, die angeblich nicht zum Kerngeschäft gehören und nötigen die Belegschaft, einer Lohnsenkung zuzustimmen und auf bisher gezahltes Weihnachts- und Urlaubsgeld zu verzichten. Sie gründen 100%ige Töchter als Leiharbeitsfirmen mit kirchennahen, kirchenfernen und nichtkirchlichen Belegschaften und abweichenden Entgelten. Der Grundsatz: «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!» ist im kirchlichen Dienst längst ausgehebelt. Die katholische Kirche in Deutschland ist als Körperschaft öffentlichen Rechts organisiert. Zwar sind Kirche und Staat in Deutschland getrennt, es gibt keine Staatskirche. Aber inzwischen ist die


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