FALTER Der Kampf um die Mahü

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FALTER

DER KAMPF UM DIE MAHÜ Ein Falter-Sonderheft zur Abstimmung über die Fußgängerzone

Nr. 8a/14

F U S S G Ä N G E R Z O N E , C A F É E U R O P A , S H O P, T R A F I K A N T P A P K E · F O T O S : C H R I S T I A N W I N D

Worum geht’s bei der Abstimmung? · Warum sind so viele Unternehmer dagegen? · Der internationale Stadtplaner Jan Gehl über den Abschied vom Auto · Joseph Gepp über die Geschichte der Mahü · Christopher Wurmdobler führt durch Bobostan

Erscheinungsort: Wien P.b.b. 02Z033405 W Verlagspostamt: 1010 Wien laufende Nummer 2437/2014


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Mariahilf und Neubau: Wohin steuern die Bezirke?

Inhalt

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Ja oder Nein? Worüber stimmen die Wiener ab? 30 Fragen zur Meinungserhebung

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Weltmetropolen Jan Gehl hat den Broadway autofrei gemacht. Ein Gespräch mit einem Visionär

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Begegnungszone Warum fällt es uns so schwer, einander auf Augenhöhe zu begegnen? Eine Erkundung

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Stadtplan Mahü Zum Ausschneiden und Aufhängen: die schrägsten Shops und Lokale zwischen Bobo und bürgerlich

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Zeitgeschichte Eine Reise in die schillernde Vergangenheit der Mariahilfer Straße Die Boheme der Mahü Wer sind die schrägen Vögel des Bezirks? Wo findet man die spannendsten Hinterhöfe?

Vorwort

Fotos: Christian Wind, Archiv

as Ergebnis der nun beginnenden „ Meinungserhebung Maria­h ilfer D Straße“ ist eine der größten stadtpo-

litischen Entscheidungen, die die Bürgerinnen und Bürger des sechsten und siebten Bezirks in den nächsten Wochen treffen werden. Wird die Mariahilfer Straße ein Boulevard der Fußgänger? Oder bleiben die Autos dominant? Das ist eine große stadtpolitische Frage, vergleichbar mit der Einführung der Fußgängerzone in der Innenstadt oder der Gestaltung der Donauinsel. Es wird eine Abstimmung zwischen jungen und alten Wienerinnen und Wienern, wie der Wahlforscher

Christoph Hofinger prophezeit. Die einen wollen ihren vertrauten Bezirk nicht verändert wissen, weil sie Angst haben, dass sie von Kampfradlern umgeworfen oder von den vielen neuen Einbahnen und Straßensperren verwirrt werden könnten. Die Mariahilfer Straße, argumentieren sie, funktioniert doch gut. Ein Umbau schade der Wirtschaft.

Die Befürworter hoffen auf mehr Freiraum und auf ein neues und ökologischeres Stadtgefühl. Wir vom Falter nehmen den „Straßenkampf “ zum Anlass, die Gegend rund um die Mariahilfer Straße in diesem Sonderheft genauer zu beleuchten – aus lokaler und internationaler Perspektive. Benedikt Narodoslawsky beantwortet die 30 wichtigsten Fragen zur

Klenk

Gepp

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Hamann

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Meinungserhebung. Unsere Reporterin Sibylle Hamann liefert eine Reportage aus der Begegnungszone. Martina Powell hat den dänischen Stadtplaner Jan Gehl interviewt, der bereits in New York und Kopenhagen Autos aus Innenstädten verbannte. Joseph Gepp erzählt anhand der Historie der größten Einkaufsmeile auch ein Stück österreichische Zeitgeschichte. Und Christopher ­Wurmdobler bietet Ihnen einen Überblick über das schräge, neue und hippe Bobostan. Fotografiert wurde dieses Heft von unserem Fotografen Christian Wind. In Falter Nr. 8/14 finden Sie weitere Analysen zur Umfrage. F l o r i an K l e nk

Impressum Falter 8a/14 Herausgeber: Armin Thurnher Medieninhaber: Falter Zeitschriften Gesellschaft m.b.H., Marc-Aurel-Straße 9, 1010 Wien, T: 01/536 60-0, F: 01/536 60-912, E: wienzeit@falter.at, www.falter.at Redaktion: Florian Klenk, Christopher Wurmdobler Layout: Raphael Moser Lektorat: Helmut Gutbrunner Anzeigen: Sigrid Johler Geschäftsführung: Siegmar Schlager Druck: Passauer Neue Presse Druck GmbH, 94036 Passau DVR: 047 69 86. Alle Rechte, auch die der Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz, vorbehalten. Die Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz ist unter www.falter.at/offenlegung/falter ständig abrufbar.


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M a r i a h i l f e r S t r a ss e

Die Entscheidung

Sollen Autos aus der größten Einkaufsstraße Österreichs verbannt werden? Wenn ja, was bedeutet das? 30 Fragen

Wo heute noch Busspuren verwirren, sollen bald Fußgänger flanieren Foto: Chr istian Wind


M a r i a h i l f e r S t r a ss e

& Antworten zur Mahü-Abstimmung

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Ü b e r sic h t : B e n e dikt N a r o d o slawsk y

S

ie haben den Überblick verloren über die vielen Facetten dieser Abstimmung? Sie fühlen sich von der Stadtregierung oder Opposition desinformiert. Der Falter bietet einen Überblick über die 30 wichtigsten Fragen zur Abstimmung über die Mariahilfer Straße stellen. Warum spricht ganz Österreich über die Mariahilfer Straße?

Na, weil’s diese Abstimmung darüber gibt, wie sie in Zukunft aussehen soll. Na und? Ist ja nur eine Straße ...

Eben nicht. Die Mahü zählt zu den bekanntesten Boulevards des Landes, im Schnitt spazieren auf ihr 55.000 Menschen pro Tag, zu Spitzenzeiten 200.000. Mehr als 1000 Unternehmen erwirtschaften jährlich rund eine Milliarde Euro – sie ist wichtigste Einkaufsstraße Österreichs. Außerdem gilt die Mahü samt ihrer Umgebung als eines der urbansten Grätzel der Republik. Deshalb wohnen ja auch viele Bobos dort. Die mit den schicken Umhängetaschen, die gern Chai Latte schlürfen?

Das ist zumindest das Klischee. Bobos ist die Abkürzung für Bourgeois Bohémien, also bürgerliche Künstlertypen. Der US-Autor David Brooks definiert sie als die Elite des Informationszeitalters, die idealistisch lebt und gleichzeitig einen Hang zum Materialismus hat. Bobos sind junge, urbane, gut gebildete Besserverdiener. In Wien gelten die Bezirke Mariahilf und Neubau an der Mahü als Bobo-Zentrum. Bei der Entscheidung über die Mahü sind sie ein wichtiger politischer Faktor. Und Mahü ist die Abkürzung für Mariahilfer Straße!

Ja, mit „hü“ statt „hi“, die Abkürzung ist ein bisschen österreichisch verwurschtelt. In den Zeitungsarchiven findet sie sich zum ersten Mal am 19. April 2000. Der Falter schrieb damals: „Die ‚Mahü‘ ist so eng, dass man sich auch zweirädrig nur schwer zwischen stehenden und parkenden Autos hindurchschlängeln kann.“ Klingt nach Stau?

Ja. Man sieht: Das Problem der Verkehrsüberlastung auf der Mahü gibt es schon lange. Die letzte große Umgestaltung liegt rund 20 Jahre zurück, das war in den frühen 90er-Jahren, als dort die U-Bahn gebaut wurde. Die Stadtregierung sagt jetzt, die Mahü gehöre endlich entlastet und müsse ohnehin bald wieder saniert werden. Deshalb der Umbau. Wie viel wird der kosten?

Rund 25 Millionen Euro. Die Straße soll für Fußgänger und Radler attraktiver wer-

den, da nur einer von zehn Mahü-Besuchern mit dem Auto kommt. Künftig soll es weniger Straße, dafür mehr Grünraum, Schanigärten und Verweilmöglichkeiten geben. Die Mahü soll nicht zuletzt auch deshalb erneuert werden, weil es immer mehr Einkaufszentren rund um Wien gibt, die der Einkaufsstraße im Zentrum das Geschäft abgraben könnten. Und seit wann ist die Mahü ein so großes Thema?

Das hat sich seit der Wien-Wahl langsam hochgeschaukelt. Im November 2010 einigten sich SPÖ und Grüne in Wien ja auf die erste gemeinsame Koalition. Drei Monate später gab die neue grüne Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou eine Studie für ein neues Verkehrskonzept der Mahü in Auftrag, 2011 präsentierte sie drei Varianten. Erstens eine Fußgängerzone. Zweitens eine Shared-Space-Lösung. Drittens eine Mischform aus Erstem und Zweitem. Variante drei ist seit vorigem Sommer im Probebetrieb und sorgt seither für gehörig Wirbel. Was bedeutet das: Shared Space?

Etwa gemeinsam benutzter Raum. Die Idee ist relativ neu und umstritten, sie geht auf das EU-Projekt „shared space“ zurück, das der niederländische Verkehrsplaner Hans Monderman in mehreren Städten umsetzte. Das Prinzip ist einfach: Verkehrsschilder und Ampeln abmontieren und die Autofahrer, Radler und Fußgänger sich selbst überlassen. Und das klappt?

Ja, zumindest in den Städten, die Monderman umgestaltet hat. Die Unfallzahlen sind deutlich zurückgegangen, weil jeder besser auf den anderen aufpasst, da es ja keine Schilder mehr gibt, auf die man sich blind verlässt. Man ist sogar schneller, weil sich zwar alle langsamer fortbewegen, aber niemand stoppen muss. Arg! Funktioniert das auch auf der Mahü?

Naja, die Grünen glauben schon. ÖVP und FPÖ sind ganz anderer Meinung, auch die SPÖ ist skeptisch. 2010 wurde jedenfalls im südsteirischen Gleinstätten Österreichs erster Shared Space eingeführt, in der kleinen Marktgemeinde hat sich die Verkehrssituation verbessert. Ein Jahr später hat Graz nachgezogen. Anfangs gab es dort zwar heftige Proteste, aber seitdem der Shared Space in eine Begegnungszone umgewandelt worden ist, scheinen alle zufrieden zu sein. Und wo liegt der Unterschied?

Die Begegnungszone ist quasi ein Shared Space mit Regeln: Es gilt die HöchstgeFortsetzung nächste Seite


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M a r i a h i l f e r S t r a ss e Szenen aus einem bunten Bezirk: werden die jüngeren Besucher des „Espresso“ den Ausschlag angeben, oder doch die Stammkunden des Bellaria-Kino?

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schilder widersprachen sich, die neuen Bodenmarkierungen mit allen Geboten und Verboten überforderten sowohl Passanten wie auch Autofahrer, in den Seitenstraßen der Mahü gab es große Verwirrung. Dann kamen auch noch Sonderregelungen dazu. Radfahrer durften etwa in die eine Richtung schneller fahren als in die andere, manchen war das Radlertempo sowieso zu schnell. Um es kurz zu machen: Es wurde ziemlich bald ziemlich unübersichtlich.

Aber all das kann ja nicht der Grund für den hitzigen Dauerstreit sein, oder?

Zum Teil. Aber da für den Probebetrieb noch nichts umgebaut wurde, fehlt vor allem das Feeling und die Vorstellung für die neue Mahü. Ein Beispiel: Der Gehsteig ist im Probebetrieb nach wie vor höher als die Straße, es gibt also noch keine gemeinsame Verkehrsfläche, wie bei einer echten Begegnungszone. Deshalb bleiben Passanten gewohnheitsgemäß auf den Gehsteigen und verirren sich nur vereinzelt auf die frei gewordene Asphaltfläche. Das Ganze wirkt derzeit wie die alte Mahü – nur mit weniger Autos. Und mit einer rot eingefärbten Busspur in der FuZo.

Ach, Neugestaltungen sind immer umstritten, das war schon bei der Kärntner Straße so. Die Prachtstraße im ersten Bezirk geriet in den 1950er-Jahren immer mehr zur Autoverkehrsader und verdrängte die Fußgänger zunehmend. Die Stadt steuerte in den 1970ern gegen und führte probeweise eine Fußgängerzone (FuZo) ein. Viele Geschäftsleute liefen dagegen Sturm. Heuer feiert die FuZo ihren 40. Geburtstag, und würde man sie heute abschaffen wollen, würden die Geschäftsleute wohl auf die Barrikaden steigen, um sie zu verteidigen. Also ist das Geplänkel eh ganz normal?

Naja, es ist schon richtig: Die Parteien streiten über die Mahü besonders leidenschaftlich. Nicht zuletzt deshalb, weil es ein Prestigeprojekt der Grünen ist und viele damit ihre Verkehrspolitik verbinden. Damit steht die Debatte auch für die erste rot-grüne Koalition in Wien. FPÖ und ÖVP machten die Wiener Straße sogar zum Thema im Nationalratswahlkampf. Sie werfen den Grünen Chaos und Pfusch vor. Haben Sie Recht?

Sie haben zumindest nicht Unrecht. Tatsächlich gab es bei der Durchführung laufend Adaptierungen und manches lief bei der Einführung ordentlich schief. Verkehrs-

Also Koalitionsstreit.

Johann Gudenus von der FPÖ wittert grünes Chaos und tritt für Autoverkehr ein

Sind die Unklarheiten mittlerweile beseitigt?

Manfred Juracka von der ÖVP kann sich mit der Fußgängerzone anfreunden

Durch die FuZO fährt ein Bus?

Nein, aber er fuhr einmal durch. Das Ganze war eine Bus-Posse: Ursprünglich sollte die Linie des 13A-Busses durch die Fußgängerzone führen, deshalb schuf man die rot eingefärbte Bodenmarkierung und errichtete Sperren aus Sitzbänken. Aber gleich nach der Einführung des Probebetriebs protestierte die Busfahrergewerkschaft und torpedierte die Pläne. Der 13A wurde wenige Tage nach der Einführung wieder aus der FuZo verbannt, bekam eine neue Streckenführung, gegen die wiederum die betroffenen Anrainer der Ausweichroute protestierten, weil es in ihren Gassen laut wurde. Irgendwann schaltete sich dann auch noch der rote Bürgermeister Michael Häupl ein und stellte die Pläne seiner grünen Verkehrsstadträtin öffentlich infrage.

Michael Häupl hält sich zurück. Er ist laut Regierungsabkommen für das Projekt Mahü

Zumindest ungute Turbulenzen. Die Grünen wollen ja, dass es so bleibt, wie es ist. Radeln soll auch in der Fuzo erlaubt sein, Autos sollen die Mahü nur bei der Stumpergasse/Kaiserstraße queren können. Die SPÖ verlangt nun wie der ÖVP-Wirtschaftsbund mehr Querungen und eine echte Fußgängerzone ohne Radler. Das die SPÖ hier Positionen von der Opposition übernommen hat, hat den Grünen nicht gerade geholfen, zumal der Gegenwind der Opposition ohnedies schon ziemlich stark ist. Die FPÖ fordert ja vehement den totalen Rückbau der Straße und ist der Meinung, die Fußgänger hätten immer schon genug Platz gehabt, sogar mehr als jene in der Kärntner Straße. Und gemeinsam mit ÖVP und Wirtschaftskammer klagen sie, dass seit dem Probebetrieb die Umsätze der Kaufleute in den beiden betroffenen Bezirken einbrechen. Gibt es dafür Beweise?

Die Wiener Wirtschaftskammer hat vor einer Woche die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage veröffentlicht, derzufolge 70 Prozent der Unternehmer in beiden Bezirken gegen die neue Mahü sind. Vor allem Handel, Handwerk, Gewerbe und Gastronomie lehnen die neue Verkehrslösung ab. Die Umsätze sollen bei 31 Prozent der Betriebe gesunken und bei zwölf Prozent gestiegen sein. Die Mehrzahl der Kaufleute fordert mehr Querungen, mehr Parkplätze und Haltemöglichkeiten. Dazu gibt es noch eine Unternehmerbefragung des ÖVP-Wirtschaftsbundes von Mitte November: Ihr zufolge verzeichnen Betriebe auf der Mahü einen durchschnittlichen Umsatzrückgang von minus drei Prozent und in den Seitenlagen ein Minus von fünf Prozent. Klingt nicht gut.

Maria Vassilakou muss in letzter Sekunde tausende junge Wähler mobilisieren

Die Grünen halten dem verschiedene Studien entgegen, die zeigen, dass sich die VerFortsetzung Seite 8

F o t o s : C h r i s t i a n W i n d ( 3 ) , A P A / T E c h t / Ne u b a u e r / P f a r r h o fe r / H o c h m u t h

schwindigkeit von 20 km/h. Autos dürfen Fußgänger und Radler nicht behindern, Fußgänger wiederum den Fahrzeugverkehr nicht mutwillig stören. Die Mahü ist streng genommen auch kein Shared Space, sondern die erste Begegnungszone Wiens. Sie reicht vom Westbahnhof bis zur Zweierlinie vorm ­Museumsquartier und wird in der Mitte durch eine Fußgängerzone rund um die U3-Station Neubaugasse unterbrochen – von der Andreasgasse bis zur Kirchengasse.


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M a r i a h i l f e r S t r a ss e Museumsquartier, Rosa-Lila-Villa, trendiger Shop: in einigen Grätzeln wird die neue Mahü die Anrainer verärgern, in anderen erfreuen

Fortsetzung von Seite 6

Und wo?

Laut Verkehrszählung der Stadt rollen insgesamt um rund 13.500 Autos weniger durch beide Bezirken als vor dem Probebetrieb, die Mahü wurde also wirklich entlastet. Ein Zivilbüro hat außerdem festgestellt, dass seit dem Probebetrieb ein gesünderer Wind durch beide Bezirken weht, vor allem in Mariahilf werden weniger Stickoxid, Benzol und Feinstaub in die Luft geblasen. Also doch alles super!

Nein. In einigen Gegenden der Bezirke hat sich die Lage verschlechtert, weil sich der Verkehr innerhalb von Neubau und ­Mariahilf verlagert hat. In der Gumpendorfer Straße, der Stollgasse oder der Hugo-Wolf-Gasse sind etwa bedeutend mehr Autos unterwegs als zuvor. Dürfen die Anrainer dort auch über die Mahü abstimmen?

Ja. Stimmberechtigt sind alle Österreicher und EU-Bürger, die ihren Hauptwohnsitz im sechsten und siebten Bezirk haben und 16 Jahre oder älter sind. Insgesamt sind das 50.000 Menschen. Cool, dass die Stadtregierung nicht so provinziell denkt und auch EU-Bürger befragt!

Naja, ganz so cool ist das nicht. Der renommierte Verfassungsrechtsprofessor Heinz Mayer hat die Befragung gerade aus dem Grund heftig kritisiert. Er sagt, die Befragung sei rechtswidrig. Laut dem Wiener Volksbe-

50.000

fragungsgesetz dürfen nämlich nur österreichische Staatsbürger abstimmen. „Das wäre eine schwere Sünde wider den Geist der direkten Demokratie“, sagt Mayer. Personen können

drauf an, welche Gruppe stärker von seinem Stimmrecht Gebrauch macht.

Da haben sich die Gegner der neuen Mariahilfer Straße wohl gefreut!

Nein, die beiden Gruppen stehen gar nicht so im Vordergrund. Die Sozialforschungsinstitut SORA hat herausgefunden, dass es viel eher ein Match zwischen Jung und Alt ist. „Die unter 30-Jährigen deklarieren sich um erstaunliche 50 Prozentpunkte häufiger für die Verkehrsberuhigung als die Bewohner ab 60“, erklärte SORA-Leiter Christoph Hofinger im Falter. Ihm zufolge lasse die Alterskluft das eigene Mobilitätsverhalten fast völlig in den Hintergrund treten. „Während Autofahrer bis 40 Jahre klar für die Fußgängerzone sind, stimmen ältere Öffi-Benutzer ohne Auto derzeit ebenso klar dagegen.“

mitstimmen. Mit einem juristischen Trick können die Grünen auch die Masse der EU-Bürger um ihre Meinung bitten

Klar, für die Opposition war Mayers Befund ein gefundenes Fressen. Die FPÖ geißelte gleich den „offenen Rechtsbruch“ und forderte eine Volksbefragung zur Mariahilfer Straße in der ganzen Stadt. Die Wiener Den Stimmzettel VP nannte die Befragung eine „rot-grüne mit dem genauen Bankrotterklärung“. Wortlaut der Und wie rechtfertigt die rot-grüne Stadtregierung die Kritik des Verfassungsrechtlers?

Sie sagt, die Befragung orientiere sich an der Bezirksvertretungswahl. Bei der sind alle EU-Bürger wahlberechtigt. Rechtlich sei dies möglich, da die Befragung nicht als Volksbefragung, sondern als „Meinungserhebung“ durchgeführt wird.

Meinungserhebung finden Sie im Politikteil des Falter

Hmmmm. Klingt irgendwie nicht ganz logisch. Warum soll das Alter eher ein Grund sein als das Mobilitätsverhalten?

Dreist.

Zumindest nicht ganz koscher. Man geht davon aus, dass die Stimmen der EU-Ausländer den Grünen nützt. Für die Partei geht es um viel, das sieht man schon allein an ihrem Einsatz. Zu den 850.000 Euro für die Mahü-Infokampagne aus der Stadtkassa schießen die Grünen aus eigener Tasche noch einmal eine Viertelmillion zu. Um Stimmung für ihr Prestigeprojekt zu machen, stellen sie sich öffentlich der Kritik in Cafés und im Internet, besuchen alle Haushalte der Bezirke, um Schokoherzen und Broschüren zu verteilen, und tanzen vor der Kamera auf der Mahü zum Hit „Happy“ von Pharrell Williams.

Die Busfahrer haben den ersten Mahü-Shitstorm inszeniert – wegen Personalvertreterwahlen

Hofinger hat dazu eine Theorie: Während die Bobos optimistisch in die Zukunft blicken und mit Veränderungen gut umgehen können, ist in der älteren Generation das Gegenteil der Fall. Sie sind verunsichert. Der Umbau der ihnen vertrauten Straße samt neuer Verkehrstafeln befördert dieses Gefühl noch. Hofinger meint, den meisten älteren Bewohnern gehe alles zu schnell. Das ist ja skurril. Die Verkehrsberuhigung führt zur Beunruhigung.

Genau so kann man das sehen.

Also könnte die Wahl spannend werden.

Zahlt sich ihr Einsatz aus?

Naja, der Tanz schon. Der wurde ein echter Youtube-Hit. Aber ob sie die Abstimmung gewinnen, bezweifeln die ­Bezirkschefs von Mariahilf (SPÖ) und Neubau (Grüne) mittlerweile. Es kommt jedenfalls ganz

Also ob mehr Autofahrer oder mehr Fußgänger abstimmen.

Die Anrainer der Capistrangasse protestieren gegen die neue Linienführung des 13A

Ja, aber in der Regel nehmen ältere Menschen ihr Stimmrecht ernster als Junge. Das würde bedeuten, es gäbe eine Mehrheit für den Rückbau der Mahü. Spannend würde es dann, wenn die rot-grüne Stadtregierung die jüngeren Semester motivieren kann, an der Befragung teilzunehmen. Wenn nicht, gibt es wieder die Mahü alt. F

F o t o s : C h r i s t i a n W i n d ( 3 ) , H e r i b e r t C o r n , A p a / H e r b e r t Pf a r r h o f e r

kehrsberuhigung in anderen Städten nicht negativ aufs Geschäft ausgewirkt hat, sondern den Kaufleuten langfristig sogar nützte (siehe auch Interview Seite 12). Zwei Drittel der Passanten auf der Mahü sprechen sich schon heute für die Verkehrsberuhigung aus, das zeigt eine Umfrage, die die Wirtschaftskammer gemeinsam mit der Stadt durchgeführt hat. Der Probebetrieb hat gezeigt, dass die Verkehrsberuhigung auch positive Auswirkungen hat.


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Mariahilfer strasse

„Fragen Sie den Bäck nebenan, wie es ihm geht“: 30 Prozent Umsatzrückgang beklagt Wolfgang Papke, seit seine Trafik in der Begegnungszone liegt

Herr Papke ist dagegen H

err Papke sagt, die Grünen seien noch nicht bei ihm gewesen. Mit ihren grünen „Herzerln“, sagt er, „trauen sa se eh ned eine bei mir“. Er würde ihnen etwas erzählen. Wolfgang Papke, 63, trägt ein Sweatshirt mit der Aufschrift „Tabak Trafik Papke“, darunter eine Goldkette, an der eine Tutanchamun-Maske hängt. „Berliner Nachname“, erklärt Papke, aber er wurde oben in der Schottenfeldgasse geboren, Betonung nicht auf dem „o“, sondern auf dem zweiten „e“, das in seiner Generation wie ein „ö“ ausgesprochen wird. Papkes Trafik liegt gleich am Beginn der Mariahilfer Straße, nur ein paar Meter vom Museumsquartier entfernt. Sein Laden misst drei mal vier Meter, und im ersten Stock, so erzählt er, hat er eine Toilette, die ist halb so groß. Papkes Reich ist das Gegenteil jener grünen Welt, die man derzeit in all den Wahlfoldern und auf den Plakaten bestaunen kann. Seine Mariahilfer Straße ist ein hartes Pflaster, kein hübsches. Es ist sein Unternehmen, er hat es selbst geschaffen. Er hat zwei Millionen Schilling investiert, das war im Jahr 1992, als die neue Mariahilfer Straße samt U-Bahn eröffnet wurde. Die Wiener klagten damals, dass es nun keine Straßenbahn mehr gibt und alles eingehen werde. Aber die darauffolgenden 20

Wieso lehnen so viele Unternehmer die Fuzo ab? Ein Besuch bei einem Neubauer Trafikanten, der den Grünen einiges erzählen würde. Wenn sie sich hertrauten B esuch : F l o r i a n K l enk

Foto: C h r i st i a n W i n d

Jahre waren gut, erzählt Papke. Er lebte in Wohlstand und Sicherheit. Bis der 16. August 2013 kam, der Tag, an dem die Grünen die Autos verbannten und die Begegnungszone ausriefen. Jetzt muss er seinem einzigen Angestellten kündigen. „Ich geb ihm die Nummer von Frau Vassilakou“, sagt Papke, „da kann er sich bedanken.“ 30 Prozent Umsatzrückgang verbucht Papke nun. Heute hat er dreimal die Krone und viermal den Kurier verkauft. Es gebe keine motorisierten Auspendler mehr, die vor seinem Geschäft parken, um Tschick und Zeitung zu kaufen und beim „Bäck“ nebenan das Frühstück, um es frühmorgens gemütlich im Auto zu verzehren. „Fragen Sie den Bäck“, sagt Papke, „fragen Sie, wie es ihm geht!“ Der Bäck nebenan sagt: Umsatzrückgang 30 Prozent. Herr Papke hat hinten im Geschäft einen Mik-

rowellenherd, eine Klimaanlage, eine Heizung. Er lebt hier, er studiert die Welt vor seinem Laden, er kennt seine Kunden und deren Sicht. Es würde den Politikern „des Gesicht runterfallen“, sagt Papke, wenn sie auch nur einen Tag und eine Nacht hier stünden und sehen könnten, was hier gerade passiert. Die Mariahilfer Straße werde gerade zerstört. Mutwillig zerstört. In der Nacht zum Beispiel: Papke sagt, die Leute fürchten sich auf einmal auf der

Mariahilfer Straße. Weil keine Autos mehr unterwegs seien, die mit ihren Scheinwerfern die Straßen beleuchten. Vor allem die Alten müssten nun zu Fuß gehen, sie können ja nicht radeln und die bequeme Buslinie 2A, die tagsüber fuhr, ist eingestellt worden. Es gebe keine Öffis mehr vom Ring. In der Nacht könnten zudem die „Pülcher und Einbrecher“ die „Gschäfter“ ausspionieren, weil sie aufgrund der fehlenden Autos genau sehen, dass keine Polizisten mehr da sind. Zweimal schon sei beim Nachbarn eingebrochen worden – und einmal hat man es in seiner Trafik versucht Aus der stolzen Mariahilfer Straße, wo noch „die Großmutter meiner Schwiegermutter den Kaiser zuwinkte“, sei die heruntergekommene grüne „Mahü“ geworden. „Mahü, wie das schon klingt“, sagt Papke. Statt florierender Unternehmen werde es nun „türkische Gschrappn in Plansch-Brunnen“ und „umasunstanes WLAN“ für die Studenten geben. Papke gefällt diese Vision nicht. Politiker und Stadtsoziologen könnten hier etwas lernen über die Wiener – über die älteren Wiener, um genau zu sein. Aber auch das Weltbild einer Generation von Autofahrern ist hier zu studieren. Die Grünen haben große Angst vor Anrainern wie Papke. Sie repräsentieren eine ältere Generation, die den modernen und ökologischen Wan-


M a r i a h i l f e r S t r a ss e    del Wiens nicht verstehen und auch nicht mittragen will. Die Generation Papke wird aber eine wahlentscheidende Gruppe sein: 80 Prozent der über 50-Jährigen werden über die neue Mahü abstimmen – und die alte Mariahilfer Straße mit stinkenden Autos und abgesetzten Gehsteigen zurückfordern. Die Generation Papke, aufgewachsen im Wien der 1950er, fürchtet, was hier angedacht wird: die Stadt von morgen. Es wird an den Jungen liegen, die Alten zu überzeugen oder zumindest zu überstimmen. Es ist paradox. Denn Papke kennt sie ja, die

autofreie Stadt. Er ist viel zu Fuß gegangen in seiner Kindheit, „zu viel“, wie er heute klagt. Er wurde 1951 nur wenige Gassen von hier geboren. Wenn es damals im November geschneit hat, erzählt er, sei „der Schnee bis März liegen geblieben“. Es gab keinen Schneepflug, der ihn wegräumte. „Wir Pampaletscherl rodelten damals von der Seidengasse bis zur Mariahilfer Straße hinunter.“ Es war eine übersichtliche Vorstadt, in der der Grätzelkieberer gewusst hat, wo der „Papke-Bua“ wohnt. Damals wurde hier nicht zum Zeitvertreib „geshoppt“, sondern gespart. An den Besitz eines eigenen Wagens war in jener Zeit nicht zu denken, ja selbst die 50 Groschen für die Bim hatte die Mutter aufgespart. Wenn man ins Grüne wollte, nach Baumgarten oder nach Neuwaldegg, dann ging die Familie zu Fuß und zur Belohnung durfte der kleine Wolferl mit einem Ringelspiel im Böhmischen Prater fahren. Papke sagt: „Damals waren wir eigentlich richtige Grüne.“

So war das in der Neubauer Begegnungszone der 1950er. Es war ein armes Leben, es gab nicht einmal Kühlschränke, sondern Eismänner, die Eisblöcke aus umliegenden Teichen zu den Eiskammern der Gasthäuser schleppten – ohne Autos, sondern mit Pferden. Wo heute Lofts stehen, gab es richtige Fabriken, etwa die Österreichischen Papierwerke, bei der Papkes Mutter schuftete, nachdem sie den Buben um sechs Uhr morgens in den Kindergarten gebracht hatte – natürlich zu Fuß. Gumpendorf, Neubau, Mariahilf: Das waren in den 1950ern Vorstädte der Arbeiter. Das Auto war deren Traum. Wolfgang Papke zückt seinen ersten Führerschein. Er hat ihn aufgehoben, obwohl er längst ungültig ist. Das Foto im Führerschein zeigt einen jungen Mann mit Koteletten. Ende der 1960er hatte Papke alle Fahrzeugklassen absolviert. Er war Tankwagenfahrer, er fuhr schwere Laster beim Militär. Später lieferte er Koks und Heizöl aus und war ein paar Jahre lang Buschauffeuer. Er fuhr einige Millionen Kilometer. Als er damit begann, Autos zu lenken, bildeten sich die ersten Bürgerinitiativen, die sich gegen den Ausbau des Autoverkehrs wehrten. Der Naschmarkt sollte damals einer Stadtautobahn weichen, der Spittelberg abgerissen werden. In jenen Zeiten erwachte ganz zart die Ökobewegung. Herr Papke war all das nicht wirklich wichtig. Er liebt es auch heute noch, die Stadt mit dem Auto anzufahren. Nein, er braucht kein Grün in der Stadt, er hat es

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doch in Stockerau, wo er heute an einem Badesee in einem hübschen Häuschen wohnt. Wenn er ehrlich ist, braucht er auch keine

„Wenn die Grünen flanieren wollen, sollen s’ gehen auf die Donauinsel. Da können s’ auch gleich demonstrieren“ Wolfgang Papke, Trafikant

Fußgängerzone. Wozu auch? In die Innenstadt fährt Herr Papke vielleicht fünfmal im Jahr – mit dem Auto. Da besucht er die Kammerspiele und parkt den Wagen in der Nähe. „Wenn die Grünen flanieren wollen“, sagt er, „sollen s’ gehen auf die Donauinsel. Da können s’ auch gleich demonstrieren.“ Herr Papke hat während des Gesprächs ein paar Schachteln Zigaretten verkauft. Aber viel ist tatsächlich nicht los in seiner Trafik. Vielleicht hat das aber auch damit zu tun, das die Leute weniger rauchen und die Zeitungen gratis bei den Öffis herumliegen. Er versteht dieses neue Wien nicht mehr. Er versteht nicht, wieso man hier in der Mariahilfer Straße nicht mehr parken darf. Er versteht nicht, wieso man draußen beim Wienerwald auf einmal gebührenpflichtige Kurzparkzonen errichtet hat. Die Politiker sollten doch froh sein, wenn die Wiener in den Wald fahren. Es ist ihm schleierhaft, dass die Stadt 25 Millionen Euro ausgibt, um jene Straße umzubauen, die ihm 20 Jahre lang die Kundschaft brachte. Was Herr Papke wählt? Die Blauen, die sich so für die Trafikanten der Mahü eingesetzt hatten? „San ned meins.“ Die Roten und Grünen? „Scho goa ned.“ Die Schwarzen mit ihrer Wirtschaftskammer? „Kannst eigentlich a ins Heisl schmeißen.“ Was also bleibt? Herr Papke zieht den Rollbalken runter und sagt: „Am End die Neos?“ F


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M a r i a h i l f e r S t r a ss e

Was Wien von New York noch lernen kann Die Städte des 21. Jahrhunderts gehören den Menschen, sagt der dänische Stadtplaner Jan Gehl. Er half, den Broadway verkehrsfrei zu machen, und zeigt, was in anderen Weltmetropolen möglich ist

Broadway, New York

„Wenn Fußgänger mehr Platz bekommen und einen Grund haben zu verweilen, machen die Unternehmen im Schnitt 70 Prozent mehr Umsatz! Jan Gehl

F o tos: D e pa r t m e n t o f T r a n sp o r t, N YC ; G e hl A rc h i t ec t s, A shle y B r i s tow e

Vorher (oben) und nachher (links): Vor vier Jahren wurde der Boulevard aufwendig umgestaltet. Knapp die Hälfte der 30 Meter breiten Straße ist nun Fußgängerzone. Auf einem farblich hervorgehobenen Streifen sind Radfahrer unterwegs, es gibt Straßencafés und Sitzgelegenheiten. Autos, Busse und Taxis dürfen nach wie vor fahren; allerdings ist das Verkehrsaufkommen viel geringer. Laut einer Studie von Gehl Architects ist nicht nur die Anzahl der Verkehrsunfälle um 63 Prozent gesunken. Auch die Fußgänger sind seit dem Umbau viel aufmerksamer geworden: Die Chance, dass sie bei Rot über die Straße gehen, hat sich um 80 Prozent verringert


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Interview: Martina Powell

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an Gehl ist dafür verantwortlich, dass immer mehr Stadtmenschen zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sind. Der dänische Architekt zählt zu den renommiertesten Stadtplanern der Welt. Metropolen wie London, New York oder Moskau fragen ihn um Rat, wenn es um neue Verkehrskonzepte geht. Und er weiß, wie man sie umsetzt. Auch für Wien hat Gehl Tipps. Zur Person Falter: Herr Gehl, Sie haben vor fünf

Jan Gehl, 77, ist Vordenker in Sachen Begegnungszonen. Seit vier Jahrzehnten setzt sich der dänische Architekt und Städteplaner für mehr urbane Lebensqualität und mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer ein. Er ist Mitbegründer von Gehl Architects, einer Beratungsfirma in Kopenhagen, und weltweit in Städten wie London, New York oder Moskau tätig

Jahren dafür gesorgt, dass Teile des New Yorker Broadways verkehrsberuhigt wurden. Bekommen Sie noch häufig wütende Anrufe erboster Anrainer? Jan Gehl: Das Broadwayprojekt startete 2009 als Experiment und war von Anfang an überraschend wenig umstritten. Die New Yorker wurden nicht gefragt, ob sie mit den Veränderungen einverstanden sind. Stattdessen haben die Verantwortlichen vorab umfassende Studien in Auftrag gegeben, dann die Pilotphase gestartet und anschließend die Ergebnisse kommuniziert. Der Bevölkerung wurde versprochen, dass, sollte das Projekt scheitern, der Broadway wieder geöffnet werden würde. Nach ein paar Monaten sprachen die Vorteile für sich. So wurde das Experiment ein Permanentzustand. 2013 erschien Gehls Was überzeugte die New Yorker? Gehl: Bei den Unternehmern war es der wirtschaftliche Aufschwung. Dieser Effekt von Verkehrsberuhigung konnte nicht nur für den Broadway nachgewiesen werden, sondern auch in Städten wie London: Wenn

jüngstes Buch „How To Study Public Life“

Fußgänger mehr Platz bekommen und einen Grund haben, zu verweilen, machen die Unternehmen im Schnitt 70 Prozent mehr Umsatz. Auch die Immobilienpreise steigen. Hinzu kommt, dass der Broadway und die umliegenden Straßen sicherer geworden sind. Es gibt weniger Unfälle, der Verkehr fließt. Fußgängerzonen verbessern die Lebensqualität in der Stadt. Und sie können auch Leben retten. Auch in Moskau kämpfen Sie dafür, Fußgängern mehr Platz zu verschaffen. Vor welchen Herausforderungen stehen Sie dort? Gehl: Das größte Problem in Moskau ist, dass Gehen gefährlich ist, Autos überall parken und Fußgängern den Platz wegnehmen. Die Stadt hat die Kontrolle über den Verkehr verloren. In Moskau wird gerade erst begonnen, die Situation auf einer der Hauptstraßen, der Twerskaja, zu verbessern. Auf unsere Empfehlung hin sollen eine ­Parkordnung eingeführt, Bänke aufgestellt und Bäume gepflanzt werden. Die Schritte sind klein. Aber langsam verändert sich etwas. In Wien wird seit Monaten über die Mariahilfer Straße debattiert. Das Projekt ist, anders als in New York, alles andere als unumstritten. Ist Wien ein Sonderfall? Gehl: Wenn eine Verkehrssituation verändert wird, gibt es immer Debatten, eine Menge Skepsis und Fehlinformationen. Das habe ich weltweit erlebt. Was ich aber auch im-

mer wieder beobachten konnte: Wenn der Verkehr erst einmal zugunsten von Fußgängern und Radfahrern umgestellt ist, ebbt die Diskussion überraschend schnell ab. Denn in einer kapitalistischen Marktwirtschaft sind jene Projekte erfolgreich, die den Unternehmern nützen. Und das konnte in vielen Fällen nachgewiesen werden. Dennoch gibt es Negativbeispiele von Straßen, die für Autos wieder freigegeben wurden. Was ging bei diesen Projekten schief? Gehl: Mir sind nur wenige Beispiele für gescheiterte Fußgängerzonen bekannt. Ich möchte keine Namen nennen, aber die meisten von ihnen liegen in Kleinstädten der USA. Sicher gibt es auch Beispiele für Europa. Der generelle Fehler ist, kein umfassendes Straßenkonzept für Fußgänger zu entwickeln, sondern einfach einen Abschnitt zu schließen und zu sagen: Hier ist nun unsere Einkaufsstraße. Im Endeffekt kommen dann die Leute nach wie vor mit ihren Autos, steigen aus und spazieren ein paar hundert Meter rauf und runter. Das ist nicht sehr ansprechend. Wie lautet Ihr Gegenvorschlag? Gehl: Positive Beispiele wie Kopenhagen, Melbourne, Straßburg oder München zeigen, dass man Straßen für Menschen entwickeln kann, die die Stadt zu einem besseren Ort fürs Gehen und Verweilen machen. Fortsetzung nächste Seite


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Oxford Street, London

Champs-Elysées, Paris

Swanston Street, Melbourne

Strøget, Kopenhagen

Über 130.000 Fußgänger sind täglich auf der Oxford Street unterwegs. Vor allem an der Kreuzung Regent Street ballen sich zu den Stoßzeiten die Menschenmassen. Seit 2009 soll dort der erste diagonal verlaufende Fußgängerübergang Londons die Situation verbessern. Der Erfolg ist mäßig. Während der Ferienzeiten wird die Straße für den motorisierten Verkehr geschlossen. Pläne, diesen Zustand beizubehalten, gibt es zwar seit Jahren, dass sie in den nächsten Jahren umgesetzt werden, ist allerdings unwahrscheinlich

Es gab eine Zeit, in der auf dem berühmtesten Boulevard der Welt fast nur Autos unterwegs waren. In den 1990er-Jahren wurde radikal umgebaut. So sind zwar noch immer Autos auf acht Spuren unterwegs, allerdings dienen nun zwei Baumreihen links und rechts der Fahrbahn als Puffer. 62 Prozent der Straßenfläche wurden in eine Fußgängerzone umgewandelt

2010 kündigte die Stadtregierung an, die Swanston Street komplett von Autos zu befreien. Zwei Jahre später waren die Umbauarbeiten trotz großer Proteste abgeschlossen: Nun gehören etwa 80 Prozent der Straßenfläche den Fußgängern. Der Rest ist den Straßenbahnen und Radfahrern vorbehalten, Lieferverkehr ist nur zu bestimmten Zeiten erlaubt

Seit 1962 ist Strøget, Hauptschlagader der Innenstadt, autofrei. Während Kritiker behaupteten, dass eine verkehrsberuhigte Einkaufsstraße nie Erfolg haben würde, waren Anrainer von Beginn an begeistert. Mit 3,2 Kilometern Länge ist Strøget mit seinen Nebenstraßen nun die älteste und größte Fußgängerzone der Welt. Das Modell war derart erfolgreich, dass nach und nach über 96.000 Quadratmeter der Kopenhagener Innenstadt in autofreie Zonen umgewandelt wurden. Dazu gibt es ein breites Netz an Begegnungszonen

Der Fokus liegt auf Cafés, Restaurants, kulturellen Veranstaltungen, Begegnung und Bewegung – nicht darauf, die Straße in ein Einkaufszentrum zu verwandeln. Wenn man diese Dinge beachtet, steigt die Lebensqualität im gesamten Viertel. In Melbourne beispielsweise treffen Radfahrer, Straßenbahn und Fußgänger aufeinander. Das Verkehrskonzept war anfangs sehr umstritten. Aber seitdem mehr und mehr Menschen die Straße nutzen, wird sie immer beliebter. Jetzt orientiert sich Sydney an diesem Projekt und möchte seine Innenstadt ähnlich umgestalten.

„Die Planer in Wien sollten die Straßen in einen größeren gesellschaftlichen Kontext setzen und sich fragen, in welche Richtung sich der Verkehr entwickeln soll“

Manche können sich aber nicht vorstellen, ihr Auto zu Hause zu lassen. Wie überzeugen Sie Skeptiker? Gehl: Der Erfolg eines Konzepts hängt von der Qualität der Planung ab, davon, wo die Straße liegt und welche Alternativen den Menschen geboten werden. Städte wie Kopenhagen, Melbourne oder New York, wo Verkehrsberuhigung funktioniert Jan Gehl und Radfahren immer beliebter wird, haben eine sehr klare Strategie. Dort wird alles getan, um die Menschen zum Gehen zu bewegen und Radfahren attraktiv zu machen. Warum wir das machen sollten, ist hinlänglich bekannt – wegen der besseren Luft, unserer Gesundheit und einer lebenswerteren Stadt. Wie radikal muss Verkehrsberuhigung ausfallen? Wie wichtig sind dabei Kompromisse? Gehl: Das hängt von der Straße ab, also ihrer Lage, Länge und Breite. Erst dann kann man entscheiden, ob neben Fußgängern auch Fahrzeuge sinnvoll sind. In Denver sind beispielsweise so viele Busse auf

der Straße unterwegs, dass man fast vergisst, dass dort eine Fußgängerzone ist. Mit diesem Mischkonzept haben Stadt und Bewohner nicht viel gewonnen. Andererseits kann so ein Mix funktionieren, wenn nicht zu viele Busse in einem nicht zu hohem Tempo unterwegs sind. Städte wie Straßburg oder Bordeaux sind der Beweis dafür. Gibt es Städte, in denen es Ihnen leichter fällt, Ihre Philosophie umzusetzen? Gehl: Natürlich ist es auf einem breiten Boulevard wie den Champs-Elysées leichter, sowohl für Fußgänger als auch für motorisierte Fahrzeuge Angebote zu schaffen. In einer Stadt wie London, wo die Straßen weniger breit sind, gibt es häufiger Interessenkonflikte. Deshalb bleiben dort seit Jahren Konzepte, wie beispielsweise die Oxford Street zu schließen, in der Schublade. Klar muss man realistisch bleiben: Es kann ein, zwei oder gar drei Jahre dauern, bis die Menschen die neuen Möglichkeiten entdecken und die Straße dementsprechend nutzen. Ich bin aber davon überzeugt, dass Verkehrslösungen für Fußgänger, wenn sie gut umgesetzt sind, überall Erfolg haben. Von der Stadtplanung des 20. Jahrhunderts halten Sie nicht viel. In einem Interview meinten Sie sogar, Erdbeben seien das Beste, was Stadtplanern heute passieren kann. Gehl: Wir gehen immer davon aus, dass die derzeitige Situation gottgegeben ist. Stattdessen ist sie von Menschen gemacht. Es dauert allerdings sehr lange, bis die Menschen es wagen, Fehler aus der Vergangenheit auszubessern. Seit über 50 Jahren werden Städte als Verkehrsknotenpunkte gese-

hen, als Orte, an denen Autos Vorrang haben sollten – eine veraltete Vorstellung, die bis heute katastrophale Auswirkungen auf die Stadtplanung hat. Wenn man die Situation mit dem Argument, es sei besser für die Bevölkerung, verändern will, provoziert man viele Diskussionen. Aber wenn die Veränderungen von außen kommen, wie z.B. durch ein Erdbeben, sind die Menschen gezwungen, frisch und kreativ zu denken. So wie in Christchurch, Neuseeland, wo 2011 ein Erdbeben Teile der Stadt zerstörte. Die Menschen begriffen diese Katastrophe als Chance und bauen ihre Stadt nun neu auf. Ein weiteres Beispiel ist San Francisco, wo eine Autobahn durch das Erdbeben 1989 zerstört wurde. Seitdem ist die Straße ein Boulevard, auf dem Straßenbahnen fahren. Weil man erkannte, dass ein Highway quer durch die Stadt überflüssig ist. Was ist mit Städten wie Wien? Wie sollen Planer dort vorgehen? Gehl: Die Städte des 21. Jahrhunderts gehören den Menschen und nicht den Autos. Es gibt zahlreiche Studien und Praxisbeispiele, die belegen, dass Verkehrslösungen zugunsten von Fußgängern und Radfahrern funktionieren und auch für die Wirtschaft Vorteile bieten. Die Planer in Wien sollten diese Argumente in Betracht ziehen. Und sie sollten die Straßen in einen größeren gesellschaftlichen Kontext setzen und sich fragen, in welche Richtung sich der Verkehr in der gesamten Stadt entwickeln soll. Dann kann man sich einzelnen Projekten widmen und ein System schaffen, wo sich Fußgänger und Radfahrer wohlfühlen und öffentliche Verkehrsmittel leicht zugänglich sind. Und wenn noch Platz übrig bleibt – überlasst ihn den Autos. F

Fotos: Atk ins Ltd, The Crown Es tate and Wes tmins ter Cit y Council; Gehl Architec t s

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D

ie Frau trägt eine blaue Haube, darunter lugen die weißen Kabel der Kopfhörer hervor. In der Hand hat sie ein Sackerl von Betten Reiter. Vielleicht hat sie ein neues Leintuch fürs Doppelbett gekauft, vielleicht überlegt sie eben, mit wem sie heute Nacht darauf liegen wird. Jedenfalls sind ihre Gedanken nicht ganz im Hier und Jetzt, als sie bei der Gehsteigkante ankommt. Sie schaut links, rechts, links, bevor sie auf die Fahrbahn hinuntersteigt. Links, rechts, links – so hat man es als Kind gelernt, so haben es einem Eltern, Lehrerinnen und Polizisten eingeschärft, so penetrant, dass es einem in Fleisch und Blut übergegangen ist. Aber an der Gehsteigkante auf der Mariahilfer Straße ist es jetzt eigentlich überflüssig. Die Frau stutzt kurz. Vielleicht fällt ihr alles gerade wieder ein – Verkehrsberuhigung, Bürgerbefragung, Vassilakou, Begegnungszone, große Streiterei, Mahü. Dann lächelt sie. Die Mariahilfer Straße im Winter 2014 – das ist eine Straße, auf der in jeder Minute kleine Irritationen stattfinden. Routinen sind außer Tritt geraten. Dass es gar nicht so einfach ist, sich von ihnen zu lösen, zeigt die Verteilung der Fußgänger im weitläufigen Straßenraum: Fast alle Passanten gehen, wie früher, immer noch auf den erhöhten Gehsteigen. Wer die Straßenseite wechselt, tut das meist im rechten Winkel. Auf dem kürzesten Weg zügig die Fahrbahn queren – genau so hat man es gelernt. Nur Einzelne probieren zaghaft neue Bewegungsvarianten aus. Geruhsam am Mittelstreifen entlangschlendern, plaudern, sich die Nase putzen oder SMS schreiben. Solche banalen Handlungen fühlen sich keck an, provokant sogar. Ähnlich wie nackt im Meer schwimmen, im Büro Schuhe und Strümpfe ausziehen und barfuß gehen oder im Sommergewitter den Regenschirm zuzumachen. Womit die Begegnungszone schon bei ihrer wichtigsten Bestimmung angelangt ist: Sie lässt darüber nachdenken, wofür der Straßenraum da ist; von wem und wofür er genutzt wird, welche Nutzungsarten und Verhaltensweisen wir dabei als „normal“ – und welche als „störend“ empfinden. „Normal“ auf der Mariahilfer Straße im Winter 2014, das ist der Winterschlussverkauf: minus 50 Prozent hier, minus 70 Prozent dort, alles muss raus. Was anders ist als sonst: dass nicht nur in den Regalen Leere gähnt, sondern auch auf der Straße. Mehr als das Fehlen fahrender Autos fällt das Fehlen stehender Autos auf.

Der Mariahilfer Schwebebus, ein zugegeben übertriebener Vorschlag unseres Illustrators Oliver Hofmann für den 13A in der Begegnungszone

Shared Space „Geteilter Raum“ heißt der englische Begriff für Begegnungszone übersetzt. Wichtigste Regel: Alle Arten von Fortbewegung sind gleichberechtigt, kein Bereich „gehört“ irgendjemandem

Teilen ist schwer Funktioniert die Begegnungs­zone auf der Mariahilfer­ Straße in der Praxis? be g eh u n g : S ib y l l e H ama n n

„Wenn Autos und Räder eine reservierte Zone haben, warum nicht auch Skater, Fiaker, Rollatoren?“

So viel Platz, was tun wir bloß damit? Dieser

Gedanke kann beunruhigen. Eine Ahnung, wie schwer sich Wien mit freien Flächen tut, kriegt man am oberen Ende der Begegnungszone Mariahilfer Straße am Christian-Broda-Platz. Dessen Errichtung wurde, wie ein Schild verrät, mit 478.800 Euro von der EU gefördert, zur „Stärkung der regionalen Wettbewerbsfähigkeit und integrativen Stadtentwicklung“. Der Platz: ein paar Bäume, die aus runden Betonwannen wachsen, Trinkbrunnen, Sitzbänke. Und dazwischen, hoch aufragend, ein Dutzend roter Stangen. Es hängt nichts dran, es wächst nichts drauf, es sind einfach hohe, rote Stangen ohne erkennbaren Zweck und ohne sichtbaren ästheti-

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I l l u s t r a t io n : O l ive r H ofma n n

schen Mehrwert. Man bekommt den Eindruck: Hier musste man ganz dringend Platz vollstellen, aus Angst, es könne zu viel davon frei bleiben. Womit wir bei der nächsten Gewissheit sind, die durch eine Begegnungszone herausgefordert wird. Wien ist es gewohnt, dass alles, was im Straßenraum passiert, ein fixes Territorium zugewiesen bekommt. Sitzen auf der Bank, gehen auf dem Gehsteig, parken auf dem Parkstreifen, fahren auf der Fahrbahn: So soll es sein, sagt die Verkehrspolitik. Du kriegst für deine Fortbewegungsart eine dafür vorgesehene Zone, links und rechts wird abmarkiert. Bleibst du innerhalb, darfst du fast alles; du musst bloß schauen, dass du deine Linie nicht überschreitest. Dieses Grundprinzip haben Wiener und Wienerinnen in vielen Jahrzehnten verinnerlicht. Es schlug sich in persönlichen Verhaltensweisen nieder. Nicht nur bei Autofahrenden, sondern auch bei den meisten anderen: „Meine Spur gehört mir“, „Komm mir nicht in die Quere“, „Ich darf das hier, denn das ist mein Territorium“. Im dichtbebauten Gebiet, auf Straßen wie der Mariahilfer, stößt das jedoch an Grenzen. Die Letzten, die innerhalb dieser Logik befriedigt werden konnten, waren die Radfahrer, denen man noch eine schmale Spur zwischen Fußgängern, parkenden und fahrenden Autos abzwackte. Dann jedoch war Schluss. Denn der Platz zwischen den Häuserfronten ist nicht beliebig erweiterbar, wenn neue Nutzer hinzukommen. Wenn Autofahrer und Radler eine für sie reservierte Zone haben, warum dann nicht auch die Skater, Fiaker, Menschen mit Rollatoren, Dreirädern, elektrischen Rollstühlen und Segways?

Zumal auch auf den sogenannten „Gehsteigen“ einer belebten Geschäftsstraße immer mehr passiert, was nicht „gehen“ im engeren Sinn ist: schauen, bummeln, konsumieren, sich zeigen. Essen, trinken, quatschen. Im Schanigarten sitzen, am Punschstand herumstehen, spielen, betteln, Hunde ausführen, demonstrieren, Unterschriften keilen, musizieren, Party feiern. Den Platz für all diese Tätigkeiten kann man nicht sauber abtrennen und markieren. Man kann ihn nur teilen – und sich, je nach Bedarf, mit der Nutzung abwechseln. Shared space, „geteilter Raum“, lautet der englische Ausdruck für „Begegnungszone“. Deren oberstes Prinzip ist: Alle Arten von Fortbewegung sind gleichberechtigt. Nichts „gehört“ irgendjemandem. Man muss langsam unterwegs sein, drauf achten, was die anderen tun, Rücksicht nehmen – auf was immer da kommen mag. Eigentlich ganz einfach, möchte man meinen.

Und doch so schwierig, wenn man es nicht gewöhnt ist. In der Mitte der Mariahilfer Straße leuchtet rot die Illustration für dieses Dilemma: die Busspur. Die Busfahrer der Wiener Linien trauten der gemischten Nutzung nicht, sie bestanden in der Testphase auf ihrem Territorium, doch nicht einmal die Markierung war ihnen Abtrennung genug, die Strecke wurde umgelegt. Seither liegt die rote Schneise verwaist und ungenutzt da. Sie markiert in etwa die Grenze zwischen dem sechsten und siebenten Bezirk, sie teilt die Mariahilfer Straße in zwei Hälften, sie durchschneidet die Fußgängerzone. Niemand betritt sie. Jeder, der sie überquert, schaut unwillkürlich links, rechts, links. Denn wer weiß, was da noch kommt? F


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Naschmarkt

Das Beste am sechsten Bezirk? Der Naschmarkt. Weil es hier die ganze Welt zu kaufen gibt 6., Linke Wienzeile 2

Café Drechsler

Kaffeehaustradition auf zeitgemäß. Hat leider nicht mehr die ganze Nacht durch offen 6., Linke Wienzeile 22

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M A r i a h i l f e r S t r ass e

Gebrüder Stitch

Eigentlich ist das doch auch nur eine einzige

In Mariahilf trägt man Maßjeans. Aus dem Hosenlabor der Jeans-Gebrüder 6., Mariahilfer Straße 101 (Hof) 13

Cooperative Fahrrad

Als noch kaum jemand geradelt ist, war die Cooperative schon in Sachen Rad unterwegs 6., Gumpendorfer Straße 111 14

Ciclopia

Mariahilf und Neubau trennt und verbindet die Ma als nur Einkaufsparadies: Eine Topografie zwischen

Mariahilfs zweites wichtiges Radgeschäft. Der Radldealer und -schrauber in the hood 6., Stiegengasse 20 15

Geburtshaus Kaufmann

Mariahilfs Bezirkschefin Renate Kaufman (SPÖ) hat ihr ganzes Leben im Sechsten verbracht 6., Hornbostelgasse

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Finkh

Im Kellergewölbe der Mariahilfer Kirche können sich Obdachlose aufwärmen 6., Barnabitengasse 14

Namnam

Für Cineasten wichtige Adresse. Mit Filmen in der Originalversion 6., Mariahilfer Straße 57

Hippes Restaurant der neuen Generation. Die Architekten sind gleich nebenan 6., Esterházygasse 12 5

Wiens modernster Inder. Falter-Zeichner Tex Rubinowitz und Bernd Püribauer waren auch da 6., Webgasse 3 6

Rosa Lila Villa

Mariahilf bewegt: In den 80ern besetzten Lesben und Schwule die Villa. Sie steht noch 6., Linke Wienzeile 102

Kaffeehaustradition ganz traditionell. Hier treffen Touristen noch auf Einheimische 6., Gumpendorfer Straße 11 4

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Café Sperl

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Gruft

English Cinema Haydn

Hafenjunge

Der Hafenjunge bringt Hamburger Lebensart nach Mariahilf. Das tut Mariahilf ganz gut 6., Esterházygasse 11

Café Jelinek

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Phil

Wiener Kinder lieben den Flakturm, weil da so lustige Fische und Schlangen drin wohnen 6., Fritz-Grünbaum-Platz 1 (Esterházypark)

Wer das mit den Hipstern immer noch nicht verstanden hat, muss einfach ein paar Stunden im ersten Büchercafé am Platz verbringen: 2nd-Hand-Möbel, gute Bücher und Szenelimo 6., Gumpendorfer Straße 10–12 10

Stadtsaal

Steman

Eines der ersten Neo-Wirtshäuser Wiens – in einem original Wirtshaus. Mit toller Schank 6., Otto-Bauer-Gasse 7 9

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Erst vor ein paar Jahren entdeckter Ballsaal, in dem nun wieder Kabarett zu Hause ist 6., Mariahilfer Straße 81

Saint Charles

Der Inbegriff von Bobos Körperpflege. Naturkosmetik in wunderschönem Ambiente 6., Gumpendorfer Straße 30

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Haus des Meeres

Gute Gegend: Nirgends in Wien ist die Szenelokaldichte so hoch wie im 6. und 7

Bortolotti Eissalon

Ab Ende Februar gibt es wieder Eis, Baby! Für viele das beste der Stadt 7., Mariahilfer Straße 22, 66 u. 94 22

Café Mentone

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Schräges Kaffeehaus mit bizarrem Kellersalon und Mehlspeisen von Aida 7., Kirchengasse 7 23

Café Europa

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Das Europa gab’s lang, bevor Österreich bei der EU war. Das Szenecafé ist eine Institution 7., Zollergasse 8 24

Maschu Maschu

Gentrifizierung galore: Bald hat der beliebte Falafel-Laden den ganzen Block okkupiert 7., Neubaugasse 20 11

Tanzcafé Jenseits

Schrullig, schäbig für durchgemachte Nächte. Seit Generationen, für Generationen 6., Nelkengasse 3

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Café Westend

Eines der prächtigsten Groß-Kaffeehäuser von Wien. Das letzte klassische in ganz Neubau 7., Mariahilfer Straße 128

Liebling

Hier ist Neubau sehr Berlin Mitte: neuestes Szenecafé im bewährten Bastlerdesign 7., Zollergasse 6

Aida

Eine der schönsten und am besten erhaltenen Filialen der Wiener Konditoreikette 7., Neubaugasse 64 26

Espresso

Aus alt mach neu: Ehemaliges Fifties-Grindlokal wurde zum urbanen Szenebeisl. Chapeau! 7., Burggasse 57 27

Le Troquet

Französischer wird 1070 nicht mehr. Beliebt auch der neue Nachbar nebenan 7., Kirchengasse 18

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Naturkost St. Josef

Dass Bio auch stilvoll geht, beweist St. Josef. Mittags ist das Buffet immer rappelvoll 7., Mondscheingasse 10 31

Tart’a Tata

Ein bisschen Marais für die Neubauer, mit französischen Torten und Kipferln 7., Lindengasse 35

Gr afik: Arge K arto; Fotos: christian wind (2), stadtsa al

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Gemütlich: Café mit Original-Kaffeehauspatina und dem tollsten Buller-Ofen der Stadt 6., Otto-Bauer-Gasse 5


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h alles hier Begegnungszone

ahü. Aber die beiden Wiener Bezirke können mehr n Hipster und Hippie, bürgerlich und boboesk

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Cos

Ganz neu in Neubau: H&M für Menschen mit Stil – und etwas mehr Geld. Passt 7., Neubaugasse 11 39

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Offener Bücherschrank

Vor genau vier Jahren wurde hier der erste offene Bücherschrank in Wien errichtet 7., Ecke Zieglergasse/Westbahnstraße

Citybiker

Trotz Stiegen im Durchaus: Hier kommen die ganzen Fahrräder im Grätzel her 7., Lerchenfelder Straße 13 40

IG Fahrrad

Radeln war schon früher: Neuübernahme eines alteingesessenen Fahrradgeschäfts. Gut so! 7., Westbahnstraße 28 41

Amerlinghaus

Wie der Spittelberg (in der 70ern) wurde, was er heute ist, sieht man im Kulturzentrum hier 7., Spittelberg 42

Denn’s Biosupermarkt

Typisch Neubau: Service für Menschen, die mit dem Rad unterwegs sind 7., Siebensternplatz

Herr und Frau Klein

Städtische Grätzelsauna, wo sich alle Schichten treffen, nicht nur die Bobos 7., Hermanngasse 28

An der Anzahl der Biosupermärkte lässt sich der Lifestyle der Bevölkerung ablesen 7., Lindengasse 13 43

52 Öffentliche FahrradLufttankstelle

Die Kleins haben (klein) angefangen mit dem Babyzubehör-Boom in Neubau. Ein Klassiker 7., Kirchengasse 7

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Hermannbad

Notre Dame de Sion

Hier befestigte der Bezirksvorsteher einen öffentlichen Brief an Terrorsprayer „Puber“ 7., Burggasse 37 55

Durchhaus Adlerhof

Die engste Fußgängerzone des Grätzels führt durch mehrere Höfe und verbindet die Burggasse „verkehrsberuhigt“ mit dem Siebensternplatz 7., Burggasse 51 56 44

Freitag

Felzl

Noch einmal Co-Working. Mit Kaminfeuer und gutem Kaffee 7., Kirchengasse 44

Lange bevor die Planentaschenmacher ein Geschäft eröffneten, gab’s im 7. Freitagtaschen 7., Neubaugasse 26 45

Der einzige Szenebäcker in Neubau, wo der Milchschaum zu Hause ist. Gutes Brot auch 7., Schottenfeldgasse 88; demnächst auch Ecke Lerchenfelder Straße

7. Bezirk. Nirgends arbeiten so viele Kreative, Designer und Architekten 46

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Victus & Mili

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35 Fotos: Sandr a-Nalepk a , wur mdobler (4)

Glanz&Gloria

Kreative Mischung aus Modedesign und Friseur, einer der ersten Shops dieser Art hier 7., Schottenfeldgasse 77

E35

Noch einmal Mode etwas vom Schuss. Aber für Männer. Also welche, die Besonderes suchen 7., Schottenfeldgasse 67 36

Lena Hoschek

Aktuell Wiens größter Modeexport. Und das kommt quasi vom Spittelberg 7., Gutenberggasse 17 33

Designqvist

Frau Designqvist sammelt und verkauft schönes Design aus Skandinavien 7., Westbahnstraße 21

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Birkenstock Shop

Den Shop gibt’s seit Jahrzehnten. Und plötzlich passt das Sortiment zum Grätzel Neubaugasse 44

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Co Space

Salatpiraten

Greißlerei Ott

Gemeinschaftsgarten nach Berliner Vorbild. Leider etwas hinter Mistkübeln versteckt 7., Kirchengasse 46

Brillenmanufaktur

Wenn’s schneit, können Neubauer Kinder hier „ins Tal“ hinunterrodeln 7., St.-Ulrichs-Platz

Momentan geschlossene WurstsemmelInstitution. Inklusive Facebook-Rettungsaktion 7., Neustiftgasse 58

Wo einst Hofratswitwen „beim Meinl“ kauften, kann man jetzt unprätentiös fein essen 7., Neustiftgasse 28

Loffice

Typisch Neubau: Co-Working-Arbeitsplätze, wenn man zu Hause keine Ruhe hat 7., Schottenfeldgasse 85/7

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Rodelbahn

Und hier kommen die ganzen Brillen der Neo-Neubauer her. Bzw. aus Berlin 7., Neubaugasse 18 48

Museumsquartier

Was wäre Neubau ohne das MQ? Es macht den Bezirk zum Museumsbezirk. Mit Enzis 7., Museumsplatz 49

Geburtshaus Blimlinger

Auch der grüne Bezirksvorsteher von Neubau ist in seinem Bezirk aufgewachsen. Hier 7., Stollgasse 50

Flash Mädchencafé

Jugendarbeit in einem Bezirk, der sonst keine großen sozialen Probleme hat. Auch wichtig 7., Zieglergasse 34

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Gebietsbetreuung

Die sehenswerte Reklamebuchstaben-Ausstellung „Stadtschrift“ läuft noch bis 13. März 7., Lerchenfelder Straße 141


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Die Perle der Wiener Vorstadt Handelsroute und Experimentierfeld einer neuen Warenkultur: Ein Blick in die Historie zeigt, warum die Mariahilfer

V

ielleicht sollte man die Geschichte der Mariahilfer Straße gar nicht auf der Mariahilfer Straße selbst beginnen. Sondern ganz woanders. In Krems zum Beispiel. Oder gar in München. Wer von Wien in diese Städte – und in viele andere – reisen wollte, der nahm bereits zu Zeiten des Römischen Reiches die große Ausfallstraße Wiens in den Westen: die Mariahilfer Straße. So entstand dank alter Handelsrouten eine Straße, die einzigartig ist in Wien. Bis

G es c h i c h t s ­ be r i c h t : J o se p h G e p p

heute prägt sie die Identität und das Bewusstsein der Städter, so wie etwa auch Prater, Ring oder Stephansplatz. Die Mariahilfer Straße ist jedem Wiener vertraut, nicht nur den Bewohnern von Mariahilf und Neubau. Jeder hat dann und wann etwas auf der Straße zu erledigen. Jeder hat seine Meinung zu dem, was dort geschieht – ob nun zum vorweihnachtlichen Shoppingwahnsinn oder, wie derzeit, zur Verkehrssituation.

Wer sich die Geschichte der Straße anschaut, versteht, wie es zu dieser besonderen Rolle kam. Und was heute noch übrig ist und unauffällig von alten Funktionen und Nutzungen erzählt, sofern man davon weiß. Doch um dies zu illustrieren, sollte man die Mariahilfer Straße erneut verlassen – wenn auch nicht gleich in Richtung München. Die Wiener Innenstadt, die am unteren Ende der Mariahilfer Straße beginnt, sah bis in die erste Hälfte des 19. Jahr-


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Alfred Abraham Gerngross gründete im Jahr 1879 sein Geschäft (heute Mariahilfer Straße 42–48). Es sollte wegweisend für eine neue Art des Konsums in Wien werden

Foto: Bezirksmuseum Mariahilf

Straße bis heute unter Wiens Straßen einzigartig ist hunderts noch völlig anders aus. Mächtige Festungsmauern mit vorgelagerten Gräben und Brachflächen umgeben die dichtbevölkerte „Stadt“, wie man sie bis heute nennt. Wer durch eines der acht Tore hineinwollte, musste Zölle entrichten und langwierige Formalitäten erdulden. Das zwang Händler und Soldaten vor den Toren zu einem Aufenthalt. Um das Jahr 1500 konnte dieser schon zwei bis drei Tage dauern, erklärt Erich Dimitz, Chef des Bezirksmuseums Mariahilf.

Besonders betroffen war die Mariahilfer Straße. Schließlich brandete hier der komplette West-Handel an Wiens Mauern. Dementsprechend entwickelten sich auf der Straße, vor allem aufseiten des Bezirks Mariahilf, bald zahlreiche Absteigen und Gasthäuser. Man liegt wohl nicht ganz falsch,

Die Mariahilfer Straße vor 400 Jahren war wohl schlammig, steil und verstellt wenn man mit Fuhrwerken

sich die Mariahilfer Straße von vor rund 400 Jahren als eine schlammige Landstraße vorstellt, ungepflastert, verstellt mit Fuhr-

werken, streckenweise so steil,. das die Wägen fast steckenblieben. Niedrige Häuser mit angebauten Ställen reichten damals ungefähr bis zur Höhe Neubaugasse. Dahinter begannen schon die Äcker und Weingärten. Später, im 19. Jahrhundert, verloren Stadtmauern und Zollschranken an Bedeutung. Im Jahr 1826 bekam die Mariahilfer Straße eine Pflasterung bis zum heuFortsetzung nächste Seite


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M a r i a h i l f e r S t r a ss e

Blick vom Mariahilfer Platz‘l in die Mahü. Hier lag zur Zeit der Monarchie ein Knotenpunkt vieler Straßenbahnliniern

Aus Absteigen wurden im 19. Jahrhundert prachtvolle Hotels – so wie das Hotel Kummer an der Ecke Neubaugausse

tigen Gürtel – als erste Straße in der Vorstadt. Mehr und mehr verwandelten sich nun die einst schlichten Einkehrhäuser in prachtvolle Hotels. Johann Strauß und Joseph Lanner spielten in den Festsälen dort auf. Das Hotel Kummer in der Mariahilfer Straße 71a beispielsweise hat die Zeit bis heute überdauert. Oder auch der Stadtsaal auf Nummer 81, ein denkmalgeschützter Prunkraum aus dem Jahr 1823. Heute wird hier Kleinkunst aufgeführt, einst gehörte der Saal zum Hotel Münchnerhof. Wenn die Gäste früher hinter dem Hotel Frischluft schnappten, konnten sie über ein noch unverbautes Wienflusstal auf die ganze Innenstadt blicken. Was das Renommee der Mariahilfer Straße allerdings bis heute prägt, sind nicht die noblen Hotels, sondern die großen Kaufhäuser. Sie entwickelten sich erst ein knappes Jahrhundert später. Die Industrialisierung brachte damals erstmals gleichförmige Waren in großer Zahl hervor, die zu Fixpreisen verkauft werden konnten – und nicht mehr, wie davor, über den Weg des Feilschens. Die luxuriösen Warentempel galten im späten 19. Jahrhundert als Höhepunkt dieser neuen Industrialisierungskultur, ähnlich wie Messehallen und Bahnhöfe. Im Gegensatz zu den Hotels ließen sich die Kaufhäuser nun vor allem auf der Neubauer Seite der Mariahilfer Straße nieder. Das brachte ihnen gleich zwei Vorteile: Nicht nur wartete auf der anderen Straßenseite in den schicken Hotels eine kaufkräftige Kundenschicht. Auch hatten sich in den Gassen des Bezirks Neubau zur Zeit der Frühindus­trialisierung zahlreiche Textil- und Seidenwebereien angesiedelt, die die Kaufhäuser belieferten. Der Weg von der Fabrik zum Kaufhaus und weiter zum Kunden war also nicht weit. Die Namen der Warenhäuser sind vielen bis heute ein Begriff. August Herzmansky, ein Kaufmann aus Schlesien, gründete seines im Jahr 1863 – es sollte bald zu den größten der Welt gehören. Im Jahr 1879 machte sich ein ehemaliger Lehrling Herzmanskys selbstständig, Alfred Abraham Gerngross. Dazu gesellten sich weitere, heute weniger bekannte Kaufhäuser, die dennoch im späten 19. Jahrhundert zu den wichtigsten in Europa zählten. Beispielsweise das Stafa nahe dem Westbahnhof. Es war zuletzt Einkaufszentrum und wird derzeit angeblich zu einem Hotel umgebaut. Oder das einstmals prächtige Esders, heute das Möbelhaus Leiner. Ihre Blütezeit durchlebten die Kaufhäuser in

der späten Donaumonarchie und in der Ersten Republik. Doch auch nach dem Zweiten Weltkrieg galten sie noch als Inbegriff großstädtischen Schicks, wie Heinz Jankowsky erklärt, Ex-Chef des Bezirksmuseums Neubau und Ausstellungskurator in Sachen Kaufhauskultur im alten Wien. Die Produktpaletten der Häuser waren breit, sie reichten von Kleidung über Teppiche bis zu Spielzeug. So manches Landkind erklomm in den 1960er-Jahren beim Herzmansky die erste Rolltreppe seines Lebens – damals noch hölzern. Die Gestaltung der Kinderschaufenster im Advent, in denen etwa MoBlick vom Karlsplatz auf die Stadtmauern um 1780. Reisende passierten das Kärntner Tor, abgerissen Ende der 1850er

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F o t o s: B e z i r k s m u s e u m M a r i a h i l f, B e z i r k s m u s e u m N e u b au, Ö N B , A r c h i v

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delleisenbahnen durch aufwendig gestaltete Miniaturlandschaften fuhren, besprachen sogar die Zeitungen. Sowohl Gerngross als auch Herzmansky wurden nach dem „Anschluss“ an Nazi-Deutschland ihren jüdischen Besitzern geraubt und später restituiert. Dennoch begann in den 1970er-Jahren der Niedergang der Warenhäuser. Nach etlichen Besitzerwechseln und vielen erfolglosen Versuchen, an die alte Blütezeit anzuschließen, übernahmen schließlich meist internationale Ketten die Geschäfte. Heute existiert Gerngross nur noch dem Namen nach, doch weder das ursprüngliche Gebäude von 1902 noch das Konzept des zusammenhängenden Warenhauses haben überdauert. Wo einst Herzmansky war, findet sich heute eine Filiale der deutschen Kette Peek & Cloppenburg. Nur nebenan, in der Stiftgasse 1, steht noch ein einstiges Nebengebäude des Herzmansky-Komplexes samt Original-Geschäftsaufschrift. Die Architektur mir den großenzügigen Fenstern lässt die alte Bedeutung von Herzmansky erahnen.

Ein Symbol großstädtischen Schicks: die Mariahilfer Straße in der Nachkriegszeit, schon damals viel befahren

Gedränge auf der Mariahilfer Straße 1933. Die Straßenbahnlinien 52 und 58 befuhren die Mahü, hier um 1910

Der 13A, damals noch doppelstöckig, in der Neubaugasse in den 70er-Jahren. Die U-Bahn-Baustelle in den 90ern

ße funktionierten, das hat sich seit der ­Blütezeit der Warenhäuser radikal gewandelt – nicht aber der Charakter des Straßenzugs als eine der höchstfre­quentierten Einkaufsmeilen Europas. Damit einher gingen seit jeher massive Verkehrsprobleme und Streits um die Nutzung des knappen und teuren Raums. Auch das ist nichts Neues – auch wenn man es angesichts heutiger Debatten vielleicht glauben mag. Bereits im Jahr 1830 verfügte die Mariahilfer Straße über eine Art Pferdebus, einen sogenannten „Stellwagen“ mit fixem Fahrplan. Doch dieser war höchst umstritten. Weil der Stellwagen zwischen Fuhrwerken oft nicht durchkam, begleiteten ihn stets berittene Polizisten, die den Weg freimachten. Deshalb sind nicht nur zahlreiche Beschwerden von Bürgern über die Privilegien des Stellwagens überliefert – auch eine einschlägige Phrase hat bis heute in der wienerischen Umgangssprache überlebt: Jemandem „mit dem Stellwagen ins Gesicht fahren“ bedeutet, etwas veraltet, über jemanden drüberzufahren oder ihn niederzumachen. So wie einst der Stellwagen. Einwände gegen die Verkehrsplanung auf der Mariahilfer Straße brachten nicht nur normale Bürger vor, sondern auch allerhöchste Instanzen: Als 1897 erstmals eine elektrische Straßenbahn installiert wurde, bezog diese ihren Strom unterirdisch statt wie üblich per Oberleitung. Das lag an den Präferenzen Kaiser Franz Josephs. Der schätzte keine Straßen, die mit Leitungen „verschnürlt“ waren. Erst im Jahr 1915 wurde die problemanfällige Unterleitung durch die Oberleitung ersetzt, die bis heute bei Straßenbahnen gängig ist. Bis schließlich in den 1990er-Jahren die U3 die Straßenbahnlinien 52 und 58 obsolet machte. Die Mariahilfer Straße war der Schlusspunkt einer uralten Handelsroute aus dem Westen, das einstige Nadelöhr vor den Stadttoren und das frühe Experimentierfeld einer industrialisierten Warenwelt. Und schließlich auch ein Ort ständiger Debatten darüber, wer die Stadt auf welche Weise nutzen darf. F

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Ironische Omamöbel, Caffè Latte und WLAN: Lokale wie das beliebte phil auf der Gumpendorfer Straße prägen das neue Bild der Bezirke Mariahilf und Neubau

A

lle reden über die Mahü. Dabei ist die Gumpi im Kommen. Sagt zumindest Moriz Piffl. Der Mann muss es wissen. Vor vier Jahren gründete er mit seinem Kollegen Michael Lanner eine Schneiderei für Maßjeans. Aus zwei „Marketingfuzzis“ wurden die „Gebrüder Stitch“, aus einem temporären Pop-upStore auf der Gumpendorfer Straße wurde ein Modeunternehmen. Die „Hosenlabor“ genannte Werkstatt, eine kunterbunte Arbeitswelt aus echten Maschinen und ironischen Omamöbeln für die digitale Boheme, ist nun fix im Hinterhof eines Durchhauses bei der Mariahilfer Straße, in dem noch viele weitere Kreativberufler eingemietet sind. „Als wir vor vier Jahren auf der Gumpendorfer waren“, erzählt Moriz, „hat es da ein, zwei lässige Lokale gegeben; ab dem Apollokino stadtauswärts gab’s nichts mehr.“ Inzwischen gehe es dort szenemäßig weiter. Ziemlich in Gürtelnähe eröffnete zuletzt die Spaßpizzeria Disco Volante, Ableger eines Lokals im zweiten Bezirk mit einem Pizzaofen wie eine Discokugel. Man könnte auch einfach mit dem Lift zur Aussichtsplattform des Flakturms im Mariahilfer Esterházypark fahren. Von hier

Das Leben der Mahü-Boheme Zwischen Gemütlichkeit, Improvisation, Innovation und Milchschaum: Die Bezirke unter- und oberhalb der Mariahilfer Straße verändern sich rasant GRÄTZELRUNDGANG: CHRISTOPHER WURMDOBLER

oben sind viele ausgebaute Dachböden zu sehen und ein Stück Wien im Wandel. Wo einst Handwerksbetriebe beheimatet waren, sind jetzt Designerinnen am Werk. In ehemaligen Hinterhof-Werkstätten sind nun Kindergärten, Fotostudios, Zentren für Ausdruckstanz oder Kraftsporthallen untergebracht. Wo früher Waren aller Art gelagert wurden, spielen jetzt Kinder, machen die Leute Pilates, Yoga oder Crossfit, Spezialisten reparieren Fahrräder. Statt Büros gibt es nun Co-Working-Spaces, wie man sie aus anderen Städten kennt, Arbeitsplätze in hübsch gestalteten Räumen, die man mieten kann. In ehemaligen Nähereien sind Agenturen für Werbung, Grafik oder Marketing und in Ladenlokalen tüfteln Architekten hinter Glas. Oder es werden Haare geschnitten: Arbeit in Auslage. In der Münzwardeingasse, einer ruhigen Sei-

tengasse der Gumpendorfer Straße, hat Claudia Mende vor sieben Jahren ihren Femme fatale Frisurensalon eröffnet, einen der entspanntesten Orte Wiens mit eleganten Vintagemöbeln, angenehmer Musik. Sogar ein Piano steht im Hinterzimmer F otos : C H R I S T ian W ind

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Neue Geschäfte (oben ein Sneakers-Store in Neubau) in alten Lokalen: Auch die Wirtschaft ändert sich, wo früher Handwerker waren, sind nun die Kreativen am Werk

Als wir vor vier Jahren auf der Gumpendorfer waren, hat es da ein, zwei lässige Lokale gegeben; ab dem Apollokino stadtauswärts gab’s überhaupt nichts mehr“ Moriz Piffl, „Gebrüder Stitch“

Blick vom Flakturm im Esterházypark (l.): Dachausbauten, sanierte Häuser, Dachterrassen, Lofts und Altbauwohnungen – die Bezirke 6 und 7 gehören zu Wiens teuren


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M a r i a h i l f e r S t r a ss e „Mariahilf ist ein bisschen wie ein Dorf, man grüßt sich auf der Straße oder im Café, man kennt so viele Menschen. Oft nur vom Sehen, aber es ist so eine Vertrautheit vorhanden“ Claudia Mende, „Femme fatale“

Mit Szenelokalen wie dem Café Europa auf der Zollergasse (l.) hat der Boom im Grätzel in den 80ern begonnen. Aber Neubau hat auch noch andere Seiten

des überraschend großen Lokales mit sorgsam komponiertem Ambiente. Hier arbeitet die Friseurin allein, hier probt sie regelmäßig mit ihrem Chor. Duft von Zitronengras und schwerem Parfüm liegt in der Luft,

und während bei einer Kundin das Haarfärbemittel wirkt, hat Frau Mende ein wenig Zeit, Fragen zu beantworten und von ihrem Lieblingswohn- und Arbeitsgrätzel zu schwärmen. Seit 15 Jahren lebt die Deutsche im Sechsten, sie mag den Dorfcharakter. „Ich

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kommen vom Land und hätte nie gedacht, dass ich in der Stadt leben könnte“, sagt die „Femme fatale“. Sie wohnt nur ein paar Gehminuten vom Salon entfernt, den Bezirk verlassen muss sie selten. Hier habe sie alles: ihre Ärzte, ihre Geschäfte, ihre Freunde und Lokale. Die zehnjährige Tochter ist Dank der Überschaubarkeit „recht schnell selbstständig“ geworden: „Vielleicht wäre das auch in der Josefstadt oder im dritten Bezirk so. Mariahilf ist wirklich ein bisschen wie ein Dorf, man grüßt sich auf der Straße oder im Café, man kennt so viele Menschen. Oft nur vom Sehen, aber es ist so eine Vertrautheit vorhanden.“ Ein Bezirk wie ein Dorf? Eine Stadt in der Stadt! Alles, was eine Metropole so ausmacht, findet sich in den zwei Bezirken sechs und sieben, die zu den beliebtesten Wiens zählen. Wer hier lebt, schätzt die Nähe zum Zentrum, die gute Erreichbarkeit, die gute Nahversorgung, die hohe Dichte toller Lokale von der improvisierten Szenehütte bis zum Gourmetrestaurant. Wer hier zu Hause ist, liebt die kulturelle Vielfalt vom Opernhaus bis zum Museum, von der Mainstream-Musical-Bühne bis zum rührigen Retro-Kino. Und natürlich auch: die Möglichkeiten zu wohnen. Sanierte Altbauten, schicke Lofts und Dachausbauten lassen erahnen, was das süße Leben hier kosten kann – eine Menge. Neubau und Mariahilf zählen zu den teuren Wohnbezirken Wiens. Beliebt sind sie nicht zuletzt auch wegen der Mariahilfer Straße; die Einkaufsstraße trennt und verbindet gleichermaßen. Und wenn sich am Umbau der Mahü zur Fußgänger- und Begegnungszone gerade alles spießt, liegt das auch daran, dass die Verkehrsberuhigung auch Auswirkungen auf den Rest der beiden Bezirke hat und hätte. Wie die Mariahilfer Straße die Bezirke teilt, teilt auch die Route der Autobuslinie 13A Neubau und Mariahilf. So exis-

Fotos: Christian Wind

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In Wiens wahrer Mitte lebt und arbeitet es sich gut: Simon Xie Hongs Restaurant On Market an der Wienzeile beim Naschmarkt (l.), Büro auf der Neubaugasse

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tiert ein „innen“ und „außen“, Gürtelnähe und Stadtnähe. Mit Gemeindebauten aus der Nachkriegszeit, eher ungemütlich wirkenden Betonsilos aus den 1970er-Jahren, Pensionistenheimen und sozialen Einrichtungen für Drogenkranke oder Menschen mit HIV und Aids. Zwischen den tristen

Peepshows und Striplokalen am Gürtel, dem bunten Weltkaufhaus Naschmarkt an der Wienzeile, zwischen der Verkehrshölle beim Westbahnhof oder dem malerischen Spittelberg mit seinen kopfsteingepflasterten Gässchen spielt sich das Leben der Mariahilfer und Neubauerinnen ab. Es

gibt Sportliche, die im Sommer den Flakturm von außen beklettern, verschrobene Typen, die beim Neubaugassenflohmarkt auf Schnäppchen hoffen, und Touristengruppen auf der Suche nach dem Klischee Fortsetzung nächste Seite

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M a r i a h i l f e r S t r a ss e Fortsetzung von Seite 27

von Alt-Wien hinterm Museumsquartier, dort, wo in den 1970er-Jahren der ganze Hype eigentlich erst begonnen hat. Damals wurde aus einem „Ratzenstadl“ das sanierte, biedermeierliche Schmuckstück, wie man es heute kennt. Natürlich prägen mittlerweile die neuen Bewohnerinnen und Bewohner das Bild von Mariahilf und Neubau. Es gibt zwar auch die Pensionistinnen, die am Augustinplatz am Brunnen mitten im Tosen der Neustiftgasse Tauben füttern, die Migranten, die dort in heißen Sommernächten ihre Zeit verbringen. Doch auf der anderen Straßenseite lernen junge Menschen im Nähsalon, wie super das Selbermachen ist, und im Restaurant Victus & Mili sitzen sie auf bunt angemalten Bänkchen im Schanigarten. Das angesagte Lokal ist in einer ehemaligen Meinl-Filiale untergebracht, die jahrelang leer gestanden war, es gibt italienisch-bayrische Hausmannskost, es schmeckt „wie selbst gekocht“.

Bernhard Cella hat mit seinem Salon für Kunstbuch in der Mondscheingasse eine Lücke gefüllt

Drinnen und draußen an der Gumpendorfer Straße in Mariahilf: typische Szene aus dem Café Sperl

Getränke und Wirte aus Frankreich wie im Le Troquet in der Kirchengasse (l.), Fensterkunst und Mode im „Park“

mit den Kindern, die entweder Lea, Finn oder Luka heißen und bei denen der richtige Kinderwagen genauso ein Statussymbol ist wie das richtige Singlespeed-Fahrrad. Die stilvoll Gekleideten, die korrekt konsumieren und ebenso korrekt entsorgen. Die mit den coolen Dachterrassen, auf denen sie Paradeiser und Pflücksalat ernten, die Studierenden mit den WGs, der Lust am Leben und am Caffè Latte. Die geschäftigen Kreativen, die in den Auslagen von Szenelokalen oder in Büros, die einmal Geschäfte waren, an ihren Apple-Computern sitzen und sich tolle Dinge ausdenken. Die mit den Yogamatten, den Nachbarschaftsgärten und den Freitagtaschen aus LkwPlane, den bunten T-Shirts aus Biobaumwolle, auf denen steht, wie wahnsinnig gerne sie ihr Grätzel haben. Hier haben Leute wie Bernhard Cella mit seinem Salon für Kunstbuch in der Mondscheingasse etwas auf die Beine gestellt und verändern das Gesicht des Grätzels nachhaltig. Besitzer von Geschäften, in denen es Dinge gibt, von denen wir vor zehn, fünfzehn Jahren noch gar nicht wussten, dass man sie braucht, räumen bei Sonnenschein Sessel auf die Straße, trinken Szenelimonade und plaudern mit ihren Nachbarn. Die Schriftzüge eines anonymen Sprayers, die hier in der Gegend sehr präsent sind, werden zum allgemeinen Ärgernis, weil jetzt auf der schönen Street-Art hässlich-frech „Puber“ steht; und wenn einmal ein alteingesessenes Feinkostgeschäft hinter einem Gerüst verschwindet, weil der Dachboden des Hauses ausgebaut wird, dann rettet die Kundschaft das Geschäft der betagten Greißlerin mit Transparenten und Onlinepetitionen. Dasselbe passiert, wenn es irgendwo zu wenig Radabstellplätze gibt. Die Forderung nach einer neuen U5 mit Station in der Neubaugasse, wird alle paar Monate laut. Die UBahn direkt im Bezirk wäre wohl ein neuer Motor für die Entwicklung hier. Natürlich ohne den Preis der Anonymität. Oder wie Georg Demmer sagt: „Das Grätzel hat einen hohen Stellenwert. Man kennt seine Nachbarn und die Anrainer.“

Fotos: Christian Wind

Hier sind die jungen Dynamischen zu Hause. Die


M a r i a h i l f e r S t r a ss e    Demmer betreibt gemeinsam mit seinem Partner Peter Fuchs mehrere Lokale im Siebten und in Mariahilf, in denen man Arbeitsplätze mieten kann. Co Space heißt das junge Unternehmen und die schönste Filiale befindet sich in einem ehemaligen Ladenlokal und Theater in der Kirchengasse/ Ecke Burggasse. Im Kamin prasselt das Feuer, zwischendurch muss jemand für Nachschub sorgen und Holz hacken – mitten im Lokal. Es gibt guten Kaffee einer Kleinrösterei, eine Extra-Telefonzelle für Handygespräche und eben Schreibtische, an denen man ungestört am Laptop sitzen und etwas arbeiten kann. Überraschend ruhig ist es hier, keine Musik, kein Geplapper. Wer braucht das? Menschen mit Kindern zum Beispiel, die so dem Trubel daheim entfliehen können, erklärt der Mann hinter der Kaffeemaschine und grinst. „Wir bieten community-orientierte Arbeitsräume auf Straßenniveau“, sagt Demmer. Der Spross einer Wiener Teehaus-Familie engagiert sich auch so im Quartier. Er ist Vizeobmann und Mitgründer des Vereins Salat Piraten, der gleich nebenan, etwas versteckt hinter Altglascontainern, einen Gemeinschaftsgarten betreibt. Vom mittlerweile legalen Guerillagarten ist jetzt im Winter bis auf ein ausrangiertes Gitterbett und ein paar trostlose Pflanzcontainer nicht viel zu sehen. Aber im Frühjahr geht das Garteln wieder los. „Alles geht sehr schnell, es gibt viele interessante Lokale und Shops“, sagt Dem-

„Jetzt muss endlich auch einmal wieder etwas original Wienerisches kommen, etwas eigenes“ Markus Handl, „Hafenjunge“

Der Autor hat selbst Jahre in Neubau und Mariahilf gelebt, wohnt inzwischen in der Vorstadt und wunderte sich bei seinem Rundgang über die neue Dynamik der Grätzel

mer, „genau das schätze ich auch am siebten Bezirk. Ständig kommt was Neues dazu und unsere Ecke entwickelt sich stark.“ Auch Markus Handl findet, dass die beiden Bezirke in Bewegung sind. Aus Fernweh hat der Grafiker vor vier Jahren in der unteren Esterházygasse in Mariahilf in einer ehemaligen Schlosserei sein Büro samt „Laden und Kneipe“ aufgemacht: Hafenjunge. Fernweh nicht nach dem Waldviertel, woher Handl kommt, sondern nach Hamburg, wo er länger gelebt hat. Handl sitzt vergnügt, rotbärtig und mit Seemannsmütze auf dem Kopf in seiner Kneipe, die er immer erst am späten Nachmittag aufsperrt – vorher muss er ­Grafikjobs erledigen. Doch um 17 Uhr knipst er den blauen Neonanker an der Fassade draußen an und drinnen gibt es Kaminfeuer, Cola, Bier und original Franzbrötchen aus Hamburg. Improvisierte Mischlokale wie den Hafenjungen gibt es in deutschen Städten viele. Nach Wien schwappt die Welle aus Milchkaffee, Musik und nachbarschaftlichem Miteinander erst. Gegenüber dem Hafenjungen sind schon ein Restaurant, Architekten in einer ehemaligen Tischlerei, der Biogreißler nebenan. Tatsächlich mögen auch alteingesessene Nachbarn den Treffpunkt; manche kommen regelmäßig auf einen Espresso vorbei; fast schon so etwas wie Kiez-Patriotismus sei hier entstanden, sagt Handl. „Aber es gibt natürlich, wie überall in Wien, immer einen, der querschießt.“ Außerdem findet er, dass jetzt

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endlich auch einmal wieder etwas „original Wienerisches“ kommen muss, etwas „eigenes“. Aus den Lautsprechern dringen Seemannslieder von Hans Albers. So lebt man im Sechsten und Siebten. So lebt

es sich gut. Weshalb auch so viele Menschen aus Rest-Wien am Leben der Mahü-Boheme teilnehmen wollen – ja habt ihr denn keine eigenen Szeneviertel? Doch, haben wir; aber nicht so lässige. Wir kommen gerne auf Besuch, sitzen bei Freunden auf deren tollen Dachterrassen oder vor Ladenlokal-Büros auf dem Gehsteig. Vietnamesisch, thailändisch, wienerisch, wir gehen jedenfalls gut essen oder fühlen uns superretro in der Aida und im Café Westend beim Westbahnhof. Wir hängen mit Dosenbier im Museumsquartier auf den Enzis rum und gehen dort ins Museum oder zu den Festwochen. Wir trinken Milchschaumgetränke aus stilvollen Tassen und machen es überhaupt so wie die in Neubau und ­Mariahilf: immer richtig. Moriz Piffl, einer der Gebrüder Stitch, ist nur noch selten im Mariahilfer HinterhofHosenlabor anzutreffen. Er arbeitet meist im Hub Vienna, einer großzügigen Büroetage in der Lindengasse auf der anderen Seite der Mahü. Dort finden weltweit vernetzten Mitglieder neben WLAN und Arbeitstischen vor allem Austausch untereinander, neue Ideen und Konzepte. Und alle haben immer ein neues Projekt im Kopf. „Die Lindengasse“, sagt Piffl, „die Lindengasse hat auch noch Potenzial.“ F

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