CROSSOVER MAGAZIN

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BASKETBALL BEWEGT. DER SPORT UND DIE KULTUR.

MYTHOS URSPRINGSCHULE ............................................................... MBIMBA JON MAVINGA ............................................................... BASKETBALL VS. FUSSBALL ............................................................... NBA-BESUCH IN CHINA ............................................................... DAS LEBEN DES STEFAN KOCH ............................................................... CROSSOVER :: BASKETBALL BEWEGT. DER SPORT UND DIE KULTUR. AUSGABE 1 :: SOMMER 2010 :: CROSSOVER-ONLINE.DE :: € 2,50

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EDITORIAL

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INHALT

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HEIMAT

BASKETBALL BEWEGT Seit 1998 versorgen wir die deutsche Basketballgemeinde auf Crossover-Online.de mit Informationen aus der Welt des orangefarbenen Leders. Was sich anfangs nur aus gelegentlichen Portraits und Spielberichten zusammensetzte, hat sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt. CROSSOVER ist mittlerweile bei jeder größeren Basketball-Veranstaltung in Deutschland am Start. Wir berichten tagesaktuell über die NBA, NCAA, BBL und den europäischen Basketball und tun das alles mit einer Mannschaft, von der nicht mal die Hälfte dunken kann, die aber trotzdem basketballverrückt ist! Unsere Mission war von Anfang an klar: Wir wollen etwas bewegen in Deutschland. Basketball darf nicht länger stillstehen! CROSSOVER zählt zu den Evergreens der jüngeren Basketballgeschichte in Deutschland. Neben der Webseite wollten wir unserer Leidenschaft noch mehr Ausdruck verleihen. Das Ergebnis ist dieses Heft, das mit viel Ehrgeiz auf Kosten von Freizeit und Schlaf entstand: „CROSSOVER – das Magazin“ bringt den Geruch der Sporthallen, die Spannung vor dem letzten Spielzug und die Freude nach dem entscheidenden Wurf auf Papier. Wir wagen einen Blick hinter die Kulissen auf der Suche nach dem besonderen Etwas des Basketballsports.

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Aus diesem Grund besuchten wir Schelklingen, um zu erfahren, was es mit dem Mythos des UrspringInternats auf sich hat. In Köln diskutierten wir mit Mbimba Jon Mavinga über die Realität des deutschen Basketballs und sprachen ausführlich über die Entstehung des renommierten Germany‘s Reality Check. Natürlich schauen wir auch über die deutsche Grenze hinaus und bringen euch Basketballgeschichten aus Polen, China und den USA. Außerdem berichten wir über die Situation des Damenbasketballs hierzulande, nehmen Euch mit auf eine Baller-Tour durch Hamburg und haben noch eine Menge mehr im Gepäck. Für uns war es wichtig, ein Magazin zu erschaffen, das Aktualität und Zeitlosigkeit vereint. Deshalb gibt es im CROSSOVER-Magazin keine Spielerprofile und Berichte über einzelne Partien, sondern eben eine Menge über das Wie und Warum des Basketballsports und dessen Kultur. Wir holen Dich dort ab, wo Du bist. Wir nehmen Dich mit auf eine Tour durch Deine und unsere Welt. Erstmals in Papierform, von Fans für Fans. Wir hoffen, Du hast viel Spaß bei der Lektüre und gehst mit uns auf die Reise, denn Basketball bewegt! Thomas Käckenmeister, Chefredakteur

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DER HOF DER TRÄUME: DAS URSPRING BASKETBALLINTERNAT

14

ES KRIBBBELT WIEDER: DAS LEBEN VON STEFAN KOCH

18

DIE DEUTSCHE REALITÄT: EIN INTERVIEW MIT MBIMBA JON MAVINGA

26

EINE ANDERE LIGA: FRAUENBASKETBALL IN DEUTSCHLAND

32

IM SCHATTEN VON KÖNIG FUSSBALL: WARUM FUSSBALL IN DEUTSCHLAND SO MASSENKOMPATIBEL IST

LEBENSART 38

GEKNIPST: IMPRESSIONEN VON UNTERWEGS

42

STARS ON ICE: FILME, DIE MAN (NICHT) GESEHEN HABEN MUSS

43

NACHGEFRAGT: … BEI D-BO

44

SNEAK(ER) REVIEW: DIE GESCHICHTE DES BASKETBALLSCHUHS

48

SNEAKER HEADS AUF LEISEN SOHLEN: SPLEEN ODER SUBKULTUR?

52

DER NORDEN ROCKT (HEIMLICH): CITY-GUIDE HAMBURG

58

EIN HIMMEL, EINE LEIDENSCHAFT: INTERVIEW MIT FOTOGRAF LAURENT LAVEDER

WELTWEIT 62

ES WAR ENMAL IN CHINA: NBA-SPIELER ZU BESUCH IM REICH DER MITTE

66

WIE EIN MANN DEN BASKETBALL ERFAND: JAMES NAISMITH UND SEINE IDEE

68

DER AMERIKANISCHE TRAUM: BARACK OBAMA, DER BASKETBALLER

70

DER WAHNSINN MACHT SCHULE: DER BASKETBALL-AUSTAUSCH ZWISCHEN DEUTSCHLAND UND DEN USA

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AUF DER ANDEREN SEITE: BASKETBALL, DER GRENZEN ÜBERWINDET

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CROSSOVER-ONLINE.DE: DIE GESCHICHTE VON CROSSOVER CROSSOVER 5

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EDITORIAL

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INHALT

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HEIMAT

BASKETBALL BEWEGT Seit 1998 versorgen wir die deutsche Basketballgemeinde auf Crossover-Online.de mit Informationen aus der Welt des orangefarbenen Leders. Was sich anfangs nur aus gelegentlichen Portraits und Spielberichten zusammensetzte, hat sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt. CROSSOVER ist mittlerweile bei jeder größeren Basketball-Veranstaltung in Deutschland am Start. Wir berichten tagesaktuell über die NBA, NCAA, BBL und den europäischen Basketball und tun das alles mit einer Mannschaft, von der nicht mal die Hälfte dunken kann, die aber trotzdem basketballverrückt ist! Unsere Mission war von Anfang an klar: Wir wollen etwas bewegen in Deutschland. Basketball darf nicht länger stillstehen! CROSSOVER zählt zu den Evergreens der jüngeren Basketballgeschichte in Deutschland. Neben der Webseite wollten wir unserer Leidenschaft noch mehr Ausdruck verleihen. Das Ergebnis ist dieses Heft, das mit viel Ehrgeiz auf Kosten von Freizeit und Schlaf entstand: „CROSSOVER – das Magazin“ bringt den Geruch der Sporthallen, die Spannung vor dem letzten Spielzug und die Freude nach dem entscheidenden Wurf auf Papier. Wir wagen einen Blick hinter die Kulissen auf der Suche nach dem besonderen Etwas des Basketballsports.

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Aus diesem Grund besuchten wir Schelklingen, um zu erfahren, was es mit dem Mythos des UrspringInternats auf sich hat. In Köln diskutierten wir mit Mbimba Jon Mavinga über die Realität des deutschen Basketballs und sprachen ausführlich über die Entstehung des renommierten Germany‘s Reality Check. Natürlich schauen wir auch über die deutsche Grenze hinaus und bringen euch Basketballgeschichten aus Polen, China und den USA. Außerdem berichten wir über die Situation des Damenbasketballs hierzulande, nehmen Euch mit auf eine Baller-Tour durch Hamburg und haben noch eine Menge mehr im Gepäck. Für uns war es wichtig, ein Magazin zu erschaffen, das Aktualität und Zeitlosigkeit vereint. Deshalb gibt es im CROSSOVER-Magazin keine Spielerprofile und Berichte über einzelne Partien, sondern eben eine Menge über das Wie und Warum des Basketballsports und dessen Kultur. Wir holen Dich dort ab, wo Du bist. Wir nehmen Dich mit auf eine Tour durch Deine und unsere Welt. Erstmals in Papierform, von Fans für Fans. Wir hoffen, Du hast viel Spaß bei der Lektüre und gehst mit uns auf die Reise, denn Basketball bewegt! Thomas Käckenmeister, Chefredakteur

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DER HOF DER TRÄUME: DAS URSPRING BASKETBALLINTERNAT

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ES KRIBBBELT WIEDER: DAS LEBEN VON STEFAN KOCH

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DIE DEUTSCHE REALITÄT: EIN INTERVIEW MIT MBIMBA JON MAVINGA

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EINE ANDERE LIGA: FRAUENBASKETBALL IN DEUTSCHLAND

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IM SCHATTEN VON KÖNIG FUSSBALL: WARUM FUSSBALL IN DEUTSCHLAND SO MASSENKOMPATIBEL IST

LEBENSART 38

GEKNIPST: IMPRESSIONEN VON UNTERWEGS

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STARS ON ICE: FILME, DIE MAN (NICHT) GESEHEN HABEN MUSS

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NACHGEFRAGT: … BEI D-BO

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SNEAK(ER) REVIEW: DIE GESCHICHTE DES BASKETBALLSCHUHS

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SNEAKER HEADS AUF LEISEN SOHLEN: SPLEEN ODER SUBKULTUR?

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DER NORDEN ROCKT (HEIMLICH): CITY-GUIDE HAMBURG

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EIN HIMMEL, EINE LEIDENSCHAFT: INTERVIEW MIT FOTOGRAF LAURENT LAVEDER

WELTWEIT 62

ES WAR ENMAL IN CHINA: NBA-SPIELER ZU BESUCH IM REICH DER MITTE

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WIE EIN MANN DEN BASKETBALL ERFAND: JAMES NAISMITH UND SEINE IDEE

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DER AMERIKANISCHE TRAUM: BARACK OBAMA, DER BASKETBALLER

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DER WAHNSINN MACHT SCHULE: DER BASKETBALL-AUSTAUSCH ZWISCHEN DEUTSCHLAND UND DEN USA

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AUF DER ANDEREN SEITE: BASKETBALL, DER GRENZEN ÜBERWINDET

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CROSSOVER-ONLINE.DE: DIE GESCHICHTE VON CROSSOVER CROSSOVER 5

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HEIMAT:NACHWUCHS

DER HOF DER TRÄUME URSPRINGSCHULE EHINGEN. FAST JEDER BASKETBALLINTERESSIERTE IN DEUTSCHLAND HAT DIESEN NAMEN SCHON EINMAL GEHÖRT ODER EINEN SPIELER DIESER KADERSCHMIEDE AUF DEM PARKETT GESEHEN. WIE ES SICH IM BEKANNTESTEN BASKETBALLINTERNAT DER NATION LEBT, WIE HIER GESPIELT, GELERNT UND GEARBEITET WIRD, WISSEN NUR DIE WENIGSTEN. CROSSOVER VERBRACHTE VIER TAGE IN DER „BASKETBALL-AKADEMIE“ UND BLICKTE HINTER DIE KULISSEN.

TEXT: PETER BIEG FOTOS: SEBASTIAN EICKHOFF 6 CROSSOVER

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HEIMAT:NACHWUCHS

DER HOF DER TRÄUME URSPRINGSCHULE EHINGEN. FAST JEDER BASKETBALLINTERESSIERTE IN DEUTSCHLAND HAT DIESEN NAMEN SCHON EINMAL GEHÖRT ODER EINEN SPIELER DIESER KADERSCHMIEDE AUF DEM PARKETT GESEHEN. WIE ES SICH IM BEKANNTESTEN BASKETBALLINTERNAT DER NATION LEBT, WIE HIER GESPIELT, GELERNT UND GEARBEITET WIRD, WISSEN NUR DIE WENIGSTEN. CROSSOVER VERBRACHTE VIER TAGE IN DER „BASKETBALL-AKADEMIE“ UND BLICKTE HINTER DIE KULISSEN.

TEXT: PETER BIEG FOTOS: SEBASTIAN EICKHOFF 6 CROSSOVER

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Ralph Junge und Felix Czerny (rechts)

Sonntag, 17. Januar 2010, 15 Uhr, Halle der Urspringschule „Uuur-Spring! Uuur -Spring! Uuur -Spring!“ Nevylle Richter gibt den Ton an und schreit sich fast die Seele aus seinem beachtlichen Leib. Er gibt das „Uuur“ vor, während seine schwarzgekleideten, schweißüberströmten Mitspieler ihr Bestes geben, um in Sachen Lautstärke mitzuhalten, wenn sie das „Spring!“ intonieren. Ein Dutzend junger Männer im Alter zwischen 16 und 19 Jahren versucht, sich noch einmal richtig heiß zu machen, zum Ende dieser Auszeit im vierten Viertel eines längst entschiedenen Spiels in der Nachwuchsbasketball-Bundesliga (NBBL). Zu diesem Zeitpunkt führt das U19-Team der „Urspring Basketball Academy“ gegen komplett überforderte Gäste aus Trier längst deutlich. Die Mitschüler, Lehrer und Eltern sehen ein einseitiges Spiel in der schuleigenen Halle mit dem schönen Parkettboden, den hellen Neonlampen und den großen Holzpfeilern. Trotz der Führung erinnert Headcoach Felix Czerny jeden der drahtigen Recken noch einmal mit Nachdruck an „Jobs, die zu erledigen sind“. Czerny sitzt in der Hocke am Boden. Im schwarzen Dreiteiler, mit dunklen Lederschuhen, einem weißen Hemd und den exakt frisierten Haaren lebt er genau die Professionalität vor, die er von seinen Spielern permanent einfordert. Einige der Jungs fluchen, es wird hastig getrunken. Dennoch folgen alle Augenpaare den Anweisungen auf dem Taktikbrett, mit denen der 26-Jährige seine Vorstellungen zu illustrieren versucht. Dabei wirkt der ehemalige A2-Nationalspieler nicht wie ein junger Trainer, der noch jüngeren Spielern Grundlagen vermittelt: Wenn Czerny „seine Herren“, wie er seine Spieler gern bezeichnet, auf Potenziale und Fehler aufmerksam macht, bleibt keine Zeit für Schnörkel. Gelungene Aktionen wie ein krachender Dunking von Justin Raffington (Jg. 91, 2,05 Meter, Center) oder ein mustergültig he-

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rausgespielter Distanzwurf durch Gianluca Raebel (Jg. 91, 1,95 Meter, Shooting Guard) werden zwar beklatscht und lobend kommentiert, aber es gibt immer etwas zu verbessern. Die Einstellung, mit der Czerny und seine junge Mannschaft während der vierzig Minuten dieser Partie in der Division Süd beeindrucken, hat etwas Martialisches: Es geht darum, den Gegner pausenlos, ohne Gnade und Nachlässigkeit zu attackieren, an die Wand zu spielen, zu zerstören. Der Kantersieg gegen eine chancenlose Jugendmannschaft ist dabei aber nicht das eigentliche Ziel, das Endergebnis ist zweitrangig – ständige Verbesserung und Entwicklung sind die Maßgaben. Immer wieder erinnert Czerny seine Jungs daran, die Partie als Vorbereitung zu verstehen – Vorbereitung auf den Mai, wenn in Bamberg beim Final Four 2010 die Krone der NBBL ausgefochten wird. Donnerstag, 14. Januar 2010, 22 Uhr, Halle der Urspringschule Während sich „Team Urspring“ in den Jahren 2007 und 2008 die ersten Titel in der neu eingeführten Nachwuchsliga sichern konnte, erlitt die Talentschmiede im vergangenen Jahr als Favorit eine böse Überraschung und schied bereits im Halbfinale aus. Diese Schmach hat insbesondere Czerny, der schon selbst im Internat die Schulbank drückte, nicht vergessen. Niederlagen – mit diesem Phänomen musste sich der geborene Schwabe in seiner bisherigen Laufbahn bereits so intensiv beschäftigen, dass er diese Vokabel wohl am liebsten komplett aus seinem Wortschatz streichen würde. Verloren hat Czerny, der als Profi unter anderem für die Walter Tigers Tübingen und die deutsche A2-Nationalmannschaft auflief, vor allem den Kampf gegen seinen eigenen Körper: Bereits während er in Urspring an seinem Abitur arbeitete, zwang ihn eine chronische Daumenverletzung zum Pausieren. Eine Woche vor dem Wechsel ans College nach San Francisco brach er sich die Hand

und fiel sieben Wochen aus. In den USA kam nach dem ersten Jahr ein kapitaler Bandscheibenvorfall dazu, weil er, um seinen durch die Verletzungen entstandenen Rückstand aufzuholen, „wie ein Irrer trainiert hatte.“ Nach der Rückkehr nach Deutschland und einer Saison in Tübingen, die erneut mit einem Bandscheibenvorfall endete, zog der ehemalige Shooting Guard einen Schlussstrich unter seine Karriere als Profi-Basketballer. „Ich war als Spieler schon ein Trainer-Typ und habe während meiner Schulzeit hier schon die Oberliga trainiert“, erzählt er, als wir uns nach getaner Arbeit auf der Tribüne der Halle zum Gespräch niederlassen. Auch im Umgang mit der Presse ist Czerny alles andere als ein Amateur, wenngleich er nach Ende seines Studiums der Sportpublizistik in Tübingen wohl eher als Bundestrainer denn als Kicker-Redakteur enden wird. „Ich spüre immer mehr, dass mein Leben in Richtung Coaching geht“, sagt er selbst, und es fällt nicht schwer, sich diesen engagierten jungen Mann als zukünftigen Profi-Trainer vorzustellen. Ob beim offiziellen Anlass im Anzug oder in verschwitzten Trainingsanzügen beim abendlichen Training mit seinen Schützlingen – das Leuchten in den Augen, der fixierte und fixierende Blick, der leicht erhöhte Pulsschlag, die besondere Stimmlage – alles Indizien, dass hier seit Mitte der Saison 2006/2007 ein echter Vollblut-ProfiBasketball-Fanatiker an der Seitenlinie steht. Dabei beherrscht „der Felix“ das Wandeln auf dem äußerst schmalen Grat zwischen Freund und Autoritätsperson außerordentlich gut: Freitagmittags lässt er sich von seinen jugendlichen Schützlingen auf der Xbox vorführen, um einen besonders diskutierfreudigen Jungspund während der sonntäglichen Partie mit einem kräftigen „Halt’s Maul!“ an die Aufgabenverteilung während der Auszeiten zu erinnern.

„WIR SIND SEHR SELEKTIV UND NEHMEN NIEMANDEN, NUR WEIL ER NATIONALSPIELER IST. WIR HABEN AUCH SCHON NATIONALSPIELERN ABGESAGT.“ Freitag, 15. Januar 2010, 16 Uhr, Caféteria der Urspringschule Ein solches Durchsetzungsvermögen musste Ralph Junge bereits etliche Male beweisen – mit niemandem ist das Thema „Urspring“ so eng verbunden. Das betont auch Czerny: „Ralph ist der Initiator und hat dieses Projekt mit großer Sturheit und Willen durchgebracht. Basketball in Urspring ist sein Baby und ohne ihn wäre dies hier niemals möglich gewesen.“ Beim Kaffee mit dem mittlerweile 39-jährigen Gründer und Leiter des Basketballzweiges der Urspringschule wird schnell deutlich, was alles zusammenkommen musste, um dieses einzigartige Angebot entstehen zu lassen. „Ein richtiges Thema wurde das Internat bei einem Lehrgang in der Sportlerklause AlbstadtHaltingen. Unsere Baden-Württemberg-Auswahl der Jahrgänge 1982/83 war sehr talentiert, aber die Jungs kamen aus ländlichen Gegenden, in denen keine Basketballarbeit stattfand. Wir kamen dann auf die Idee, alle zusammen in ein Internat zu packen. Die Idee kam genau zur richtigen Zeit, weil ich gerade mit meinem Studium fertig war. Ich bin auf den neuen Schulleiter zugegangen, habe ihm ein Konzept vorgelegt und er war begeistert davon“, fasst der gebürtige Münchner die Entste-

hungsgeschichte des „Modells Urspring“ zusammen. Junge, der damals als Assistenztrainer für den Basketballverband in Baden-Württemberg tätig war, hatte sich bereits während seines Studiums der Wirtschaftsinformatik bei einem USA-Aufenthalt vom dortigen Campus-Leben inspirieren lassen und wollte ein neues Konzept zur Ausbildung junger Basketballer schaffen. Trotz vieler Widerstände und Zweifel schaffte es der Bayer mit Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit, das Basketballinternat aus der Taufe zu heben; 1998 zogen die ersten Spieler, zu denen auch Felix Czerny gehörte, in das ehemalige Kloster ein, das seit 1930 eine Schule ist. Geht es um die Besonderheiten „ihrer“ Bildungsstätte – denn auch Ralph Junge erlangte sein Abitur in der Urspringschule – so sind sich Junge und Ziehsohn Czerny schnell einig. Sie sprechen von einem „Gesamtpaket mit viel Leidenschaft und hoher Identifikation“, außerdem einer „optimalen Infrastruktur zum Trainieren“ und dem „Zusammengehörigkeitsgefühl mit familiärem Charakter“. Während es in den ersten Jahren viel Arbeit kostete, Spieler und Eltern vom Modell zu überzeugen, ist die Rekrutierung heute, nachdem Spieler wie Lucca Staiger, Nicolai Simon oder Christian Standhardinger in Urspring erfolgreich ausgebildet wurden, ein gutes Stück einfacher geworden. CROSSOVER 9

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Ralph Junge und Felix Czerny (rechts)

Sonntag, 17. Januar 2010, 15 Uhr, Halle der Urspringschule „Uuur-Spring! Uuur -Spring! Uuur -Spring!“ Nevylle Richter gibt den Ton an und schreit sich fast die Seele aus seinem beachtlichen Leib. Er gibt das „Uuur“ vor, während seine schwarzgekleideten, schweißüberströmten Mitspieler ihr Bestes geben, um in Sachen Lautstärke mitzuhalten, wenn sie das „Spring!“ intonieren. Ein Dutzend junger Männer im Alter zwischen 16 und 19 Jahren versucht, sich noch einmal richtig heiß zu machen, zum Ende dieser Auszeit im vierten Viertel eines längst entschiedenen Spiels in der Nachwuchsbasketball-Bundesliga (NBBL). Zu diesem Zeitpunkt führt das U19-Team der „Urspring Basketball Academy“ gegen komplett überforderte Gäste aus Trier längst deutlich. Die Mitschüler, Lehrer und Eltern sehen ein einseitiges Spiel in der schuleigenen Halle mit dem schönen Parkettboden, den hellen Neonlampen und den großen Holzpfeilern. Trotz der Führung erinnert Headcoach Felix Czerny jeden der drahtigen Recken noch einmal mit Nachdruck an „Jobs, die zu erledigen sind“. Czerny sitzt in der Hocke am Boden. Im schwarzen Dreiteiler, mit dunklen Lederschuhen, einem weißen Hemd und den exakt frisierten Haaren lebt er genau die Professionalität vor, die er von seinen Spielern permanent einfordert. Einige der Jungs fluchen, es wird hastig getrunken. Dennoch folgen alle Augenpaare den Anweisungen auf dem Taktikbrett, mit denen der 26-Jährige seine Vorstellungen zu illustrieren versucht. Dabei wirkt der ehemalige A2-Nationalspieler nicht wie ein junger Trainer, der noch jüngeren Spielern Grundlagen vermittelt: Wenn Czerny „seine Herren“, wie er seine Spieler gern bezeichnet, auf Potenziale und Fehler aufmerksam macht, bleibt keine Zeit für Schnörkel. Gelungene Aktionen wie ein krachender Dunking von Justin Raffington (Jg. 91, 2,05 Meter, Center) oder ein mustergültig he-

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rausgespielter Distanzwurf durch Gianluca Raebel (Jg. 91, 1,95 Meter, Shooting Guard) werden zwar beklatscht und lobend kommentiert, aber es gibt immer etwas zu verbessern. Die Einstellung, mit der Czerny und seine junge Mannschaft während der vierzig Minuten dieser Partie in der Division Süd beeindrucken, hat etwas Martialisches: Es geht darum, den Gegner pausenlos, ohne Gnade und Nachlässigkeit zu attackieren, an die Wand zu spielen, zu zerstören. Der Kantersieg gegen eine chancenlose Jugendmannschaft ist dabei aber nicht das eigentliche Ziel, das Endergebnis ist zweitrangig – ständige Verbesserung und Entwicklung sind die Maßgaben. Immer wieder erinnert Czerny seine Jungs daran, die Partie als Vorbereitung zu verstehen – Vorbereitung auf den Mai, wenn in Bamberg beim Final Four 2010 die Krone der NBBL ausgefochten wird. Donnerstag, 14. Januar 2010, 22 Uhr, Halle der Urspringschule Während sich „Team Urspring“ in den Jahren 2007 und 2008 die ersten Titel in der neu eingeführten Nachwuchsliga sichern konnte, erlitt die Talentschmiede im vergangenen Jahr als Favorit eine böse Überraschung und schied bereits im Halbfinale aus. Diese Schmach hat insbesondere Czerny, der schon selbst im Internat die Schulbank drückte, nicht vergessen. Niederlagen – mit diesem Phänomen musste sich der geborene Schwabe in seiner bisherigen Laufbahn bereits so intensiv beschäftigen, dass er diese Vokabel wohl am liebsten komplett aus seinem Wortschatz streichen würde. Verloren hat Czerny, der als Profi unter anderem für die Walter Tigers Tübingen und die deutsche A2-Nationalmannschaft auflief, vor allem den Kampf gegen seinen eigenen Körper: Bereits während er in Urspring an seinem Abitur arbeitete, zwang ihn eine chronische Daumenverletzung zum Pausieren. Eine Woche vor dem Wechsel ans College nach San Francisco brach er sich die Hand

und fiel sieben Wochen aus. In den USA kam nach dem ersten Jahr ein kapitaler Bandscheibenvorfall dazu, weil er, um seinen durch die Verletzungen entstandenen Rückstand aufzuholen, „wie ein Irrer trainiert hatte.“ Nach der Rückkehr nach Deutschland und einer Saison in Tübingen, die erneut mit einem Bandscheibenvorfall endete, zog der ehemalige Shooting Guard einen Schlussstrich unter seine Karriere als Profi-Basketballer. „Ich war als Spieler schon ein Trainer-Typ und habe während meiner Schulzeit hier schon die Oberliga trainiert“, erzählt er, als wir uns nach getaner Arbeit auf der Tribüne der Halle zum Gespräch niederlassen. Auch im Umgang mit der Presse ist Czerny alles andere als ein Amateur, wenngleich er nach Ende seines Studiums der Sportpublizistik in Tübingen wohl eher als Bundestrainer denn als Kicker-Redakteur enden wird. „Ich spüre immer mehr, dass mein Leben in Richtung Coaching geht“, sagt er selbst, und es fällt nicht schwer, sich diesen engagierten jungen Mann als zukünftigen Profi-Trainer vorzustellen. Ob beim offiziellen Anlass im Anzug oder in verschwitzten Trainingsanzügen beim abendlichen Training mit seinen Schützlingen – das Leuchten in den Augen, der fixierte und fixierende Blick, der leicht erhöhte Pulsschlag, die besondere Stimmlage – alles Indizien, dass hier seit Mitte der Saison 2006/2007 ein echter Vollblut-ProfiBasketball-Fanatiker an der Seitenlinie steht. Dabei beherrscht „der Felix“ das Wandeln auf dem äußerst schmalen Grat zwischen Freund und Autoritätsperson außerordentlich gut: Freitagmittags lässt er sich von seinen jugendlichen Schützlingen auf der Xbox vorführen, um einen besonders diskutierfreudigen Jungspund während der sonntäglichen Partie mit einem kräftigen „Halt’s Maul!“ an die Aufgabenverteilung während der Auszeiten zu erinnern.

„WIR SIND SEHR SELEKTIV UND NEHMEN NIEMANDEN, NUR WEIL ER NATIONALSPIELER IST. WIR HABEN AUCH SCHON NATIONALSPIELERN ABGESAGT.“ Freitag, 15. Januar 2010, 16 Uhr, Caféteria der Urspringschule Ein solches Durchsetzungsvermögen musste Ralph Junge bereits etliche Male beweisen – mit niemandem ist das Thema „Urspring“ so eng verbunden. Das betont auch Czerny: „Ralph ist der Initiator und hat dieses Projekt mit großer Sturheit und Willen durchgebracht. Basketball in Urspring ist sein Baby und ohne ihn wäre dies hier niemals möglich gewesen.“ Beim Kaffee mit dem mittlerweile 39-jährigen Gründer und Leiter des Basketballzweiges der Urspringschule wird schnell deutlich, was alles zusammenkommen musste, um dieses einzigartige Angebot entstehen zu lassen. „Ein richtiges Thema wurde das Internat bei einem Lehrgang in der Sportlerklause AlbstadtHaltingen. Unsere Baden-Württemberg-Auswahl der Jahrgänge 1982/83 war sehr talentiert, aber die Jungs kamen aus ländlichen Gegenden, in denen keine Basketballarbeit stattfand. Wir kamen dann auf die Idee, alle zusammen in ein Internat zu packen. Die Idee kam genau zur richtigen Zeit, weil ich gerade mit meinem Studium fertig war. Ich bin auf den neuen Schulleiter zugegangen, habe ihm ein Konzept vorgelegt und er war begeistert davon“, fasst der gebürtige Münchner die Entste-

hungsgeschichte des „Modells Urspring“ zusammen. Junge, der damals als Assistenztrainer für den Basketballverband in Baden-Württemberg tätig war, hatte sich bereits während seines Studiums der Wirtschaftsinformatik bei einem USA-Aufenthalt vom dortigen Campus-Leben inspirieren lassen und wollte ein neues Konzept zur Ausbildung junger Basketballer schaffen. Trotz vieler Widerstände und Zweifel schaffte es der Bayer mit Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit, das Basketballinternat aus der Taufe zu heben; 1998 zogen die ersten Spieler, zu denen auch Felix Czerny gehörte, in das ehemalige Kloster ein, das seit 1930 eine Schule ist. Geht es um die Besonderheiten „ihrer“ Bildungsstätte – denn auch Ralph Junge erlangte sein Abitur in der Urspringschule – so sind sich Junge und Ziehsohn Czerny schnell einig. Sie sprechen von einem „Gesamtpaket mit viel Leidenschaft und hoher Identifikation“, außerdem einer „optimalen Infrastruktur zum Trainieren“ und dem „Zusammengehörigkeitsgefühl mit familiärem Charakter“. Während es in den ersten Jahren viel Arbeit kostete, Spieler und Eltern vom Modell zu überzeugen, ist die Rekrutierung heute, nachdem Spieler wie Lucca Staiger, Nicolai Simon oder Christian Standhardinger in Urspring erfolgreich ausgebildet wurden, ein gutes Stück einfacher geworden. CROSSOVER 9

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HEIMAT:MEDIEN

ES KRIBBELT WIEDER! IN DEUTSCHLANDS WOHNZIMMERN SITZEN ÜBER 80 MILLIONEN POTENZIELLE FUSSBALL-BUNDESTRAINER UND -KOMMENTATOREN. JEDER GIBT SEINEN SENF DAZU, JEDER WEISS ES BESSER. WIE SIEHT DAS BEIM BASKETBALL AUS? WIE VIELE MENSCHEN KÖNNEN DORT MIT IHREM FUNDIERTEN FACHWISSEN GLÄNZEN? DIE ZAHL DÜRFTE WEITAUS NIEDRIGER AUSFALLEN – WIR HABEN EINEN MANN GETROFFEN, DER SICH ZU DIESER ILLUSTREN RUNDE ZÄHLEN DARF: STEFAN KOCH.

„Eine alte Sportlerweisheit besagt: Wer es als Spieler nicht schafft, wird Trainer, und wer als Trainer wenig taugt, wird Schiedsrichter“, erklärt Stefan Koch, während er sich auf seinem Kommentatorenstuhl Richtung Kamera dreht. „Ich bin sehr froh, dass mir die Schiedsrichterkarriere erspart blieb“, lächelt er verschmitzt in die Linse. Bis vor ein paar Jahren stand Koch noch gestikulierend in der Coaching Zone und gab seinen Spielern Anweisungen. Heute betrachtet er das Geschehen von seinem Journalistenplatz aus und gibt Einschätzungen zu Spielsituationen ab. Doch wie kommt es, dass er selbst nie in der Bundesliga gespielt hat? Immerhin ist sein Bruder Michael in den 1990er Jahren als 140-facher Nationalspieler und Europameister als einer der besten Basketballer Deutschlands in die Geschichte eingegangen. Warum ist seine Karriere nicht ähnlich verlaufen? Die ersten Schritte

TEXT: DENNIS KLAMMER FOTOS: STEFAN KOCH

Der Grund, warum Deutschlands Basketballfans nur einen Kochzögling im Parketteinsatz erlebten, liegt am alten Kontrahenten des Basketballs, König Fußball. Im Alter von elf Jahren zieht sich Stefan während eines Fußballspiels einen komplizierten Beinbruch zu. Die Folge: sechs Monate Gips, ewig lange Reha-Maßnahmen und komplettes Fußballverbot im Hause K. Während Michael sich dem Basketball zuwendet, kuriert Stefan seine schlimme Verletzung aus. Erst in der B-Jugend beginnt er schließlich die Korbjagd; immerhin reicht es für die Regionalliga. „Doch auch wenn ich früher angefangen hätte, wäre meine Karriere nicht so verlaufen wie die meines Bruders. Er verfügt ein-

fach über bessere athletische Fähigkeiten“, erklärt der 46-Jährige. „Ich werfe hin und wieder zwar noch ein paar Körbe, mit Basketball hat das allerdings nicht viel zu tun“, gibt er unumwunden zu. Michael Koch steigt alsbald in Deutschlands Basketballolymp auf. 1993 wird er mit der Nationalmannschaft Europameister und gewinnt insgesamt elf Titel. Stefan hingegen zaubert abseits des Feldes. Er tauscht das Leder gegen das Taktikbrett, kurze Shorts gegen einen schwarzen Anzug – und dies äußerst erfolgreich. „Ich habe von Anfang an versucht, mir meine eigenen Gedanken zu machen. Wenn sich deren Umsetzung als erfolgreich erwiesen hat, war das natürlich ein schönes Gefühl.“ Als wegweisend für sein Handwerk nennt Koch gleich zwei Mentoren. Der erste war der ehemalige NBA-Manager und Assistant Coach Lester „Les“ Habegger, der 1979 mit Seattle Meister wurde. Nach seiner Karriere in den USA ging er als Trainer nach Bayreuth, wo er auch Michael Koch unter seine Fittiche nahm. „Durch Besuche bei meinem Bruder kannte ich ihn und es ergab sich die Möglichkeit, ihn während der Playoffs bei seiner Arbeit zu begleiten.“ Prägender jedoch ist die Freundschaft mit Ettore Messina, einem der erfolgreichsten Trainer Europas. „Er ist für mich der beste Trainer, den ich erleben durfte. Alles bei ihm ist logisch aufgebaut.“ Messinas Teams beherrschen die Bewegung ohne Ball zur Perfektion. Neben dieser verloren gegangenen Kunst beeindruckt Koch vor allem die Konstanz seines Erfolges. „Im Vergleich zu Zeljko Obradovic, der in knapp 20 Jahren sieben Mal die Euroleague gewann, schaffte Messina nach seinen vier Euroleague-Titeln mit seinen

Mannschaften immer den direkten Wiedereinzug ins Finale“. Mit dem erlernten Fachwissen tritt Koch schließlich auf die Bühne der Bundesliga. Mit Frankfurt gewinnt er 2000 den Pokal, mit den permanent abstiegsbedrohten Gießenern dringt er 2005 sensationell bis ins Halbfinale gegen Bamberg vor. Prompt wird er nach 2000 zum zweiten Mal zum „Trainer des Jahres“ gewählt. Er weiß namhafte Spieler wie den späteren Eurocup-MVP Chuck Eidson in seinen Reihen und legt mit seiner Basketballphilosophie einen bedeutenden Grundstein für Eidsons erfolgreiche Karriere. In dieser Zeit wird Koch auch zum All-Star-Trainer des Südens gewählt. „Eine tolle Erfahrung. Du bereitest dich als Coach aber nicht sonderlich vor. Es wird höchstens ein Spielzug durchgegangen, der zum Alley-Oop führt. Hauptsächlich achtest du darauf, dass jeder der zwölf Akteure seine Spielanteile bekommt“, weiß Koch. „Kein Spiel gehört den Spielern mehr als das All-Star Game.“ Doch nicht nur in Deutschland, auch in Übersee wird seine Arbeit zu schätzen gewusst. Denn neben seiner Trainertätigkeit wird er damals Scout für die Vancouver Grizzlies. „Ich bin irgendwann einmal nach Vancouver gefahren, um dort zu hospitieren, das war im zweiten Jahr nach der Gründung des Clubs“, schildert Koch. „Dann hat der damalige Director of Personnel mich gefragt, ob ich nicht Interesse hätte, für sie den europäischen Markt im Auge zu behalten.“ Einmal im Jahr erwarteten die Grizzlies von ihm eine Liste mit den zehn besten Talenten jeder Position oder befragten ihn von Zeit zu Zeit nach einem Spieler. „Das war aber keine zeitfüllende Arbeit, das CROSSOVER 15

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HEIMAT:MEDIEN

ES KRIBBELT WIEDER! IN DEUTSCHLANDS WOHNZIMMERN SITZEN ÜBER 80 MILLIONEN POTENZIELLE FUSSBALL-BUNDESTRAINER UND -KOMMENTATOREN. JEDER GIBT SEINEN SENF DAZU, JEDER WEISS ES BESSER. WIE SIEHT DAS BEIM BASKETBALL AUS? WIE VIELE MENSCHEN KÖNNEN DORT MIT IHREM FUNDIERTEN FACHWISSEN GLÄNZEN? DIE ZAHL DÜRFTE WEITAUS NIEDRIGER AUSFALLEN – WIR HABEN EINEN MANN GETROFFEN, DER SICH ZU DIESER ILLUSTREN RUNDE ZÄHLEN DARF: STEFAN KOCH.

„Eine alte Sportlerweisheit besagt: Wer es als Spieler nicht schafft, wird Trainer, und wer als Trainer wenig taugt, wird Schiedsrichter“, erklärt Stefan Koch, während er sich auf seinem Kommentatorenstuhl Richtung Kamera dreht. „Ich bin sehr froh, dass mir die Schiedsrichterkarriere erspart blieb“, lächelt er verschmitzt in die Linse. Bis vor ein paar Jahren stand Koch noch gestikulierend in der Coaching Zone und gab seinen Spielern Anweisungen. Heute betrachtet er das Geschehen von seinem Journalistenplatz aus und gibt Einschätzungen zu Spielsituationen ab. Doch wie kommt es, dass er selbst nie in der Bundesliga gespielt hat? Immerhin ist sein Bruder Michael in den 1990er Jahren als 140-facher Nationalspieler und Europameister als einer der besten Basketballer Deutschlands in die Geschichte eingegangen. Warum ist seine Karriere nicht ähnlich verlaufen? Die ersten Schritte

TEXT: DENNIS KLAMMER FOTOS: STEFAN KOCH

Der Grund, warum Deutschlands Basketballfans nur einen Kochzögling im Parketteinsatz erlebten, liegt am alten Kontrahenten des Basketballs, König Fußball. Im Alter von elf Jahren zieht sich Stefan während eines Fußballspiels einen komplizierten Beinbruch zu. Die Folge: sechs Monate Gips, ewig lange Reha-Maßnahmen und komplettes Fußballverbot im Hause K. Während Michael sich dem Basketball zuwendet, kuriert Stefan seine schlimme Verletzung aus. Erst in der B-Jugend beginnt er schließlich die Korbjagd; immerhin reicht es für die Regionalliga. „Doch auch wenn ich früher angefangen hätte, wäre meine Karriere nicht so verlaufen wie die meines Bruders. Er verfügt ein-

fach über bessere athletische Fähigkeiten“, erklärt der 46-Jährige. „Ich werfe hin und wieder zwar noch ein paar Körbe, mit Basketball hat das allerdings nicht viel zu tun“, gibt er unumwunden zu. Michael Koch steigt alsbald in Deutschlands Basketballolymp auf. 1993 wird er mit der Nationalmannschaft Europameister und gewinnt insgesamt elf Titel. Stefan hingegen zaubert abseits des Feldes. Er tauscht das Leder gegen das Taktikbrett, kurze Shorts gegen einen schwarzen Anzug – und dies äußerst erfolgreich. „Ich habe von Anfang an versucht, mir meine eigenen Gedanken zu machen. Wenn sich deren Umsetzung als erfolgreich erwiesen hat, war das natürlich ein schönes Gefühl.“ Als wegweisend für sein Handwerk nennt Koch gleich zwei Mentoren. Der erste war der ehemalige NBA-Manager und Assistant Coach Lester „Les“ Habegger, der 1979 mit Seattle Meister wurde. Nach seiner Karriere in den USA ging er als Trainer nach Bayreuth, wo er auch Michael Koch unter seine Fittiche nahm. „Durch Besuche bei meinem Bruder kannte ich ihn und es ergab sich die Möglichkeit, ihn während der Playoffs bei seiner Arbeit zu begleiten.“ Prägender jedoch ist die Freundschaft mit Ettore Messina, einem der erfolgreichsten Trainer Europas. „Er ist für mich der beste Trainer, den ich erleben durfte. Alles bei ihm ist logisch aufgebaut.“ Messinas Teams beherrschen die Bewegung ohne Ball zur Perfektion. Neben dieser verloren gegangenen Kunst beeindruckt Koch vor allem die Konstanz seines Erfolges. „Im Vergleich zu Zeljko Obradovic, der in knapp 20 Jahren sieben Mal die Euroleague gewann, schaffte Messina nach seinen vier Euroleague-Titeln mit seinen

Mannschaften immer den direkten Wiedereinzug ins Finale“. Mit dem erlernten Fachwissen tritt Koch schließlich auf die Bühne der Bundesliga. Mit Frankfurt gewinnt er 2000 den Pokal, mit den permanent abstiegsbedrohten Gießenern dringt er 2005 sensationell bis ins Halbfinale gegen Bamberg vor. Prompt wird er nach 2000 zum zweiten Mal zum „Trainer des Jahres“ gewählt. Er weiß namhafte Spieler wie den späteren Eurocup-MVP Chuck Eidson in seinen Reihen und legt mit seiner Basketballphilosophie einen bedeutenden Grundstein für Eidsons erfolgreiche Karriere. In dieser Zeit wird Koch auch zum All-Star-Trainer des Südens gewählt. „Eine tolle Erfahrung. Du bereitest dich als Coach aber nicht sonderlich vor. Es wird höchstens ein Spielzug durchgegangen, der zum Alley-Oop führt. Hauptsächlich achtest du darauf, dass jeder der zwölf Akteure seine Spielanteile bekommt“, weiß Koch. „Kein Spiel gehört den Spielern mehr als das All-Star Game.“ Doch nicht nur in Deutschland, auch in Übersee wird seine Arbeit zu schätzen gewusst. Denn neben seiner Trainertätigkeit wird er damals Scout für die Vancouver Grizzlies. „Ich bin irgendwann einmal nach Vancouver gefahren, um dort zu hospitieren, das war im zweiten Jahr nach der Gründung des Clubs“, schildert Koch. „Dann hat der damalige Director of Personnel mich gefragt, ob ich nicht Interesse hätte, für sie den europäischen Markt im Auge zu behalten.“ Einmal im Jahr erwarteten die Grizzlies von ihm eine Liste mit den zehn besten Talenten jeder Position oder befragten ihn von Zeit zu Zeit nach einem Spieler. „Das war aber keine zeitfüllende Arbeit, das CROSSOVER 15

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HEIMAT:STRASSE

MBIMBA JON MAVINGA ORGANISIERT DEUTSCHLANDS GRÖSSTES STREETBALL-TURNIER, DEN GERMANY‘S REALITY CHECK. SEIN TURNIER UND AUCH SEIN LEBEN SIND GRADMESSER FÜR

TEXT: NICOLAS RACZ

DIE DEUTSCHE REALITÄT

FOTOS: MARCO HEINEN

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HEIMAT:STRASSE

MBIMBA JON MAVINGA ORGANISIERT DEUTSCHLANDS GRÖSSTES STREETBALL-TURNIER, DEN GERMANY‘S REALITY CHECK. SEIN TURNIER UND AUCH SEIN LEBEN SIND GRADMESSER FÜR

TEXT: NICOLAS RACZ

DIE DEUTSCHE REALITÄT

FOTOS: MARCO HEINEN

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HEIMAT:DAMEN

IN EINER ANDEREN LIGA

TEXT: NIKOLAUS RAAB

BEREITS SEIT 2001 EXISTIERT IN DEUTSCHLAND EINE PARALLELWELT ZUM GLAMOUR VON ALBA UND CO., VON DER NUR DIE EINGEFLEISCHTEN FANS ETWAS MITBEKOMMEN: DIE DAMEN-BASKETBALL-BUNDESLIGA. UNBEACHTET VON DEN MEDIEN WIRD DIE LIGA DURCH ENGAGIERTE NACHWUCHSARBEIT UND FINANZSTARKE TEAMS WIE WASSERBURG UND SAARLOUIS ZUNEHMEND ATTRAKTIVER. ABSEITS DER SCHEINWERFER RINGEN IMMER PROFESSIONELLERE VEREINE UM DEN TITEL. AUSGERECHNET DIE HAUPTSTADT DROHT DABEI DEN ANSCHLUSS

Foto: Ludwig Seibert

ZU VERLIEREN. EINE MOMENTAUFNAHME.

April 2009. René Spandauw schaltet das Radio ein. Der Headcoach der erfolgreichsten deutschen Damenbasketballmannschaft freut sich über die neueste Staumeldung in Saarlouis. Eine Meldung, an der er nicht ganz unschuldig ist. Vor dem Pokalendspiel seiner Mannschaft gegen den Erzrivalen Wasserburg ist die Allee vor der großen Halle mit Menschen verstopft. 2.000 Fans sind gekommen, um seine Saarlouis Royals zum Sieg zu jubeln. Ein paar Monate zuvor in Berlin. Andi Röblitz, Headcoach der Berlin Baskets in der zweiten Bundesliga, hat mich zum Heimspiel eingeladen. Keine Spur von Werbung auf dem gesamten Gelände des Sportforums in Hohenschönhausen. Mir fällt es schwer, überhaupt zum Spiel zu finden. Der Pförtner vor der Eislaufhalle schüttelt ahnungslos den Kopf. Er weiß nur, dass Alba im Jahnsportpark trainiert. Auf meinen Hinweis, dass ich doch eigentlich die Baskets suche, zuckt er desinteressiert mit den Schultern. So verpasse ich den Sprungball. Drinnen in der Halle herrscht gähnende Leere. Etwa 50 Verwandte und Bekannte haben sich am Spielfeldrand eingefunden und stehen mangels Sitzplätzen direkt am Spielfeldrand. Als ich mich zu ihnen geselle, unterbrechen die Schiedsrichter die Partie; nicht wegen mir, obwohl jeder weitere

Zuschauer hier ein Ereignis wäre, sondern wegen eines Fouls. Ich suche nach Andi und entdecke ihn unter dem gegnerischen Korb mit dem Wischmob in der Hand. Willkommen im Glamour der zweiten Liga! „In der Bundesliga spielen Spielerinnen, die dort einfach nicht hingehören.“ Die Landschaft der beiden Bundesligen bei den Damen ist bunt durchmischt. Engagierte Amateurvereine messen sich mit professionell organisierten Serienmeistern, deren Etats am sechsstelligen Bereich kratzen dürften. So sympathisch das auf den ersten Blick wirkt: Der finanzielle Unterschied zwischen den Teams macht sich auch auf dem Feld bemerkbar. Für René Spandauw, Headcoach des amtierenden Meisters Saarlouis, ist das Leistungsgefälle zu groß: „Ich möchte nichts Negatives sagen über die andere Vereine, die im Rahmen ihrer Bedingungen bestimmt versuchen, das Optimum herauszuholen. Wir haben auch irgendwo dort angefangen, aber durch sehr harte Arbeit, die sehr viel Zeit kostet, sind wir jetzt oben. Es ist also für jeden möglich! Aber wie sehr wollen es diese Teams? Eine Sache der Zielsetzung, finde

ich.“ Spandauw hätte nichts gegen weniger Mannschaften, die dafür auf konstant hohem Niveau agieren. Er schlägt vor, die Bundesliga auf acht Teams zu verkleinern und diese in einer Doppelrunde aufeinander treffen zu lassen. Das würde zugleich den Nachwuchs fördern, da junge Talente öfter den Verein wechseln müssten, um unter den besten Bedingungen trainieren zu können. Die Spiele wären spannender, der Erfolgsdruck wäre höher. Seine Meinung zum derzeitigen Niveau ist entsprechend kritisch: „Ich muss ehrlich sagen: In der Bundesliga spielen Spielerinnen, die dort einfach nicht hin gehören. Entweder fehlt das Talent, oder die Bereitschaft besser zu werden ist nicht ausreichend vorhanden.“ Peter Kortmann, Headcoach der Lions aus Halle, sieht den entscheidenden Bruch eher zwischen der ersten und zweiten Liga. Für ihn sind die Unterschiede in der ersten Liga akzeptabel. Immerhin kommt es manchmal zu Überraschungen, zum Beispiel dem Sieg von WWK Donau-Ries über Titelanwärter Wasserburg. Auch Aufsteiger wie der SG BBZ Opladen brauchen sich mit ihren Leistungen nicht zu verstecken. Wenn Kortmann mit seinen Damen in der Vorbereitung jedoch auf Mannschaften aus der zweiten Liga trifft, dann CROSSOVER 27

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IN EINER ANDEREN LIGA

TEXT: NIKOLAUS RAAB

BEREITS SEIT 2001 EXISTIERT IN DEUTSCHLAND EINE PARALLELWELT ZUM GLAMOUR VON ALBA UND CO., VON DER NUR DIE EINGEFLEISCHTEN FANS ETWAS MITBEKOMMEN: DIE DAMEN-BASKETBALL-BUNDESLIGA. UNBEACHTET VON DEN MEDIEN WIRD DIE LIGA DURCH ENGAGIERTE NACHWUCHSARBEIT UND FINANZSTARKE TEAMS WIE WASSERBURG UND SAARLOUIS ZUNEHMEND ATTRAKTIVER. ABSEITS DER SCHEINWERFER RINGEN IMMER PROFESSIONELLERE VEREINE UM DEN TITEL. AUSGERECHNET DIE HAUPTSTADT DROHT DABEI DEN ANSCHLUSS

Foto: Ludwig Seibert

ZU VERLIEREN. EINE MOMENTAUFNAHME.

April 2009. René Spandauw schaltet das Radio ein. Der Headcoach der erfolgreichsten deutschen Damenbasketballmannschaft freut sich über die neueste Staumeldung in Saarlouis. Eine Meldung, an der er nicht ganz unschuldig ist. Vor dem Pokalendspiel seiner Mannschaft gegen den Erzrivalen Wasserburg ist die Allee vor der großen Halle mit Menschen verstopft. 2.000 Fans sind gekommen, um seine Saarlouis Royals zum Sieg zu jubeln. Ein paar Monate zuvor in Berlin. Andi Röblitz, Headcoach der Berlin Baskets in der zweiten Bundesliga, hat mich zum Heimspiel eingeladen. Keine Spur von Werbung auf dem gesamten Gelände des Sportforums in Hohenschönhausen. Mir fällt es schwer, überhaupt zum Spiel zu finden. Der Pförtner vor der Eislaufhalle schüttelt ahnungslos den Kopf. Er weiß nur, dass Alba im Jahnsportpark trainiert. Auf meinen Hinweis, dass ich doch eigentlich die Baskets suche, zuckt er desinteressiert mit den Schultern. So verpasse ich den Sprungball. Drinnen in der Halle herrscht gähnende Leere. Etwa 50 Verwandte und Bekannte haben sich am Spielfeldrand eingefunden und stehen mangels Sitzplätzen direkt am Spielfeldrand. Als ich mich zu ihnen geselle, unterbrechen die Schiedsrichter die Partie; nicht wegen mir, obwohl jeder weitere

Zuschauer hier ein Ereignis wäre, sondern wegen eines Fouls. Ich suche nach Andi und entdecke ihn unter dem gegnerischen Korb mit dem Wischmob in der Hand. Willkommen im Glamour der zweiten Liga! „In der Bundesliga spielen Spielerinnen, die dort einfach nicht hingehören.“ Die Landschaft der beiden Bundesligen bei den Damen ist bunt durchmischt. Engagierte Amateurvereine messen sich mit professionell organisierten Serienmeistern, deren Etats am sechsstelligen Bereich kratzen dürften. So sympathisch das auf den ersten Blick wirkt: Der finanzielle Unterschied zwischen den Teams macht sich auch auf dem Feld bemerkbar. Für René Spandauw, Headcoach des amtierenden Meisters Saarlouis, ist das Leistungsgefälle zu groß: „Ich möchte nichts Negatives sagen über die andere Vereine, die im Rahmen ihrer Bedingungen bestimmt versuchen, das Optimum herauszuholen. Wir haben auch irgendwo dort angefangen, aber durch sehr harte Arbeit, die sehr viel Zeit kostet, sind wir jetzt oben. Es ist also für jeden möglich! Aber wie sehr wollen es diese Teams? Eine Sache der Zielsetzung, finde

ich.“ Spandauw hätte nichts gegen weniger Mannschaften, die dafür auf konstant hohem Niveau agieren. Er schlägt vor, die Bundesliga auf acht Teams zu verkleinern und diese in einer Doppelrunde aufeinander treffen zu lassen. Das würde zugleich den Nachwuchs fördern, da junge Talente öfter den Verein wechseln müssten, um unter den besten Bedingungen trainieren zu können. Die Spiele wären spannender, der Erfolgsdruck wäre höher. Seine Meinung zum derzeitigen Niveau ist entsprechend kritisch: „Ich muss ehrlich sagen: In der Bundesliga spielen Spielerinnen, die dort einfach nicht hin gehören. Entweder fehlt das Talent, oder die Bereitschaft besser zu werden ist nicht ausreichend vorhanden.“ Peter Kortmann, Headcoach der Lions aus Halle, sieht den entscheidenden Bruch eher zwischen der ersten und zweiten Liga. Für ihn sind die Unterschiede in der ersten Liga akzeptabel. Immerhin kommt es manchmal zu Überraschungen, zum Beispiel dem Sieg von WWK Donau-Ries über Titelanwärter Wasserburg. Auch Aufsteiger wie der SG BBZ Opladen brauchen sich mit ihren Leistungen nicht zu verstecken. Wenn Kortmann mit seinen Damen in der Vorbereitung jedoch auf Mannschaften aus der zweiten Liga trifft, dann CROSSOVER 27

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HEIMAT:GESCHICHTE DER BASKETBALLSPORT IN DEUTSCHLAND KÄMPFT SEIT JAHREN UM EINEN PLATZ IN DER ÖFFENTLICHKEIT. SEIT 1896 IST DIE SPORTART IN UNSEREN BREITEN BEKANNT, DOCH SO RICHTIG KAM DIE ENTWICKLUNG

IM SCHATTEN VON KÖNIG FUSSBALL TEXT: THOMAS KÄCKENMEISTER

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ZUNÄCHST NICHT IN SCHWUNG. ERST VOR UND NACH DEM ZWEITEN WELTKRIEG BEGANN DAS PFLÄNZCHEN NAMENS BASKETBALL ZU KEIMEN. DAS SPIEL MIT DEM KORB FRISTET ABER NACH WIE VOR EIN BÄUERLICHES DASEIN UND MUSS SICH SEITHER HIERZULANDE VOR KÖNIG FUSSBALL VERNEIGEN.

Ungleiche Entwicklungslinien Irgendwo zwischen Schutt und Asche rollt ein ab- Braunschweig als Wiege beider Sportarten gewetzter Ball. Kinder jagen das runde Leder, desDoch nicht nur diesem Zeitpolster ist es zuDas moderne Spiel begann erst zu keimen, sen Oberhaut schon ähnlich ramponiert ist wie die Straße, auf der sie spielen. Nach dem Ende des zurechnen, dass sich der Triumphzug des Fußball- als Hermann Niebuhr, der „Vater des deutschen Basketballs“, im Jahre 1933 den BasZweiten Weltkrieges zeichnen Deutschketballsport in Deutschland wieder aus lands Städte ein Bild zerstörter Häuser, „1953 besuchte Konrad Adenauer während einer USA-Reise ein Basketballspiel in Chider Versenkung emporhob. Zu dieser verwüsteter Straßenzüge und unZeit war die Entwicklung jedoch bedurchsichtigen Elends. Erst langsam cago. Der Kanzler war ein interessierter Zuschauer und meinte, das Spiel sollte auch schwerlich. Die Nationalsozialisten beginnen die Alliierten gemeinsam in Deutschland bekannt werden! Doch die Werbung nutzte nichts. Dieses Strohfeuer hatten anderes im Sinne, als einem bemit den Überlebenden, den viergeteil- erlosch genauso schnell wie sich die Meldung verbreitete.“ stimmten Sport Geltung zu verschaften Verliererstaat wieder aufzubauen. Ticker-Meldung in Basketball 4/1966 fen. Andere Ertüchtigungsformen wie Für die Kinder ist zu dieser Zeit Boxen, Ringen, Schießen und Gelänvor allem eine Tätigkeit angesagt: Fußball. Für Stunden sind die Jungspunde abge- spiels bis heute ungebremst fortsetzt. Beide Sport- delauf rückten in den Vordergrund. Sport wurde lenkt von ihrer Not, schließen Freundschaften, arten weisen von der gesellschaftlichen Prägung vom Hitler-Regime als politisches Propagandahaben Spaß an der Bewegung und mit Gleichalt- her enorme Differenzen auf. So war Fußball seit mittel entdeckt und nationalsozialistischen Zielen rigen. Das Jagen nach dem Ball, die Dynamik des jeher ein Sport für Männer, während Basketball wie der Wehrertüchtigung untergeordnet. BasDribbelns und das Tor als Krönung faszinieren ursprünglich für Frauen vorgesehen war. „Das ketball war zunächst als Korbball im Deutschen Spiel bietet gewissermaßen dem weiblichen Ge- Turner-Bund aufgeführt, später zählte der Sport die Deutschen seit über 100 Jahren. Das Spiel, das einerseits durch Einfachheit be- schlecht einen Ersatz für Fußball, denn Fußball zum Handball, denn „Basketball wurde nämlich sticht, andererseits aber auch einen unvergleichlichen wird wohl niemals von Mädchen gespielt werden“, auch mit den Händen gespielt“ (Niebuhr). Anders verlief die Entwicklung des Fußballs. Zauber ausstrahlt, hat beide Kriege überlebt und urteilte Hermann damals. Zudem hemmten das erlebt seit jeher eine schier unglaubliche Popula- deutsche Nationalbewusstsein, der Nationalstolz Bereits im wilhelminischen Reich war der Fußrität. Woran liegt das? Franz-Josef Brüggemeier, sowie die Vaterlandsliebe zur Jahrhundertwende ballsport Bestandteil der Militärausbildung, was Professor an der Universität Freiburg für Geschichte eine Verbreitung des amerikanischen Sports mit seine Verbreitung weiter förderte. War der Rasendes modernen Sports, hat eine simple Antwort auf dem aufgehängten Wurfziel. Ohnehin musste Her- sport von den Turnern zu Beginn des 20. Jahrdie Frage formuliert, weshalb Fußball nach wie mann sich den deutschen Namen Korbball ein- hundert als „Fußlümmelei“ verschrien, breitete vor der Deutschen liebster Sport ist: „Fußball ist fallen lassen, um dem neuen Sport öffentliche Be- sich der Sport in den 1920ern wie ein Lauffeuer so beliebt, weil er sowohl ganz einfach wie auch achtung zu gewähren. Doch damit nicht genug: aus. Die Abspaltung vom Deutschen Turnerbund überaus kompliziert ist. Er ist leicht zu durchschau- Hermann waren die Regeln von Erfinder James erfolgte beim 13. Bundesturntag 1921. Das FußNaismith vermutlich nicht bekannt, obwohl er ballspiel wurde fortan als gleichberechtigte Sparte en und bietet endlose Überraschungen.“ das neue Spiel von seinem Sohn Ernst übermittelt anerkannt. Die Einführung einer eigenen Kassenbekam. Der Sohn des Braunschweiger Pädagogen organisation, die Abspaltung von Bezirks- und Wolkenkratzer gegen Einfamilienhaus arbeitete Ende des 19. Jahrhunderts als Sportdi- Kreisebene sowie Fördermaßnahmen und die Während der Fußballsport hierzulande seit rektor an einer Schule in Boston. Dort wurde er kommerzielle Aufbereitung während der WeiJahren die Nummer eins ist, hinkt Basketball seit auf das Spiel aufmerksam und berichtete seinem marer Republik bewirkten den steilen Aufstieg der Gründung des Deutschen Basketball-Bundes Vater davon. Doch August Hermann nutzte nur des Fußballs. Die Sportart mit den einfachen (DBB) 1949 hinterher wie der Hase dem schlauen die Spielidee und entwarf daraufhin eigene Richt- Regeln (bis auf die Abseits-Regel) wurde dank Igel im bekannten Märchen der Gebrüder Grimm. linien. Er sparte in seinen Regeln verschiedene verbesserter Infrastruktur im Sinne von Stadien Fußball hat einen zeitlichen Vorsprung in seiner Elemente aus. Das Resultat: Der Korb maß eine und Fußballfeldern sowie aufgrund des sozialen Charakters immer beliebter. Hinzu Entwicklung genossen, dessen Früchte heute nicht nur zahlreichen Gemütern „Ich möchte den Jungen sehen, der es übers Herz brächte, während der Hofpause nicht kam die Aufmerksamkeit der Medischmecken, sondern auch den Großteil zu versuchen, ob er nicht mit einem Papierball oder mit einem Gummiball ins Netz trifft!“ en für den Fußball. Als Deutschland der deutschen Sportlandschaft ernähHermann Niebuhr (1904-1968), „Vater des deutschen Basketballs“ 1954 mit Aufkommen des Fernsehens durch das „Wunder von Bern“ Weltren. Fußball wohnt in einem pompömeister wurde, war der Triumphzug sen Wolkenkratzer, der ständig höher gebaut wird, während der Basketballsport eher in Höhe von 2,50 Meter, stand fünf Meter von der des Fußballs endgültig nicht mehr aufzuhalten. einem Einfamilienhaus ohne Fassade beheimatet Grundlinie entfernt ohne Brett im Spielfeld. Da- Das Phänomen mit den 22 Männern, die einen rüber hinaus wurde um den Korb ein Kreis mit Ball verfolgen, strahlt gestern wie heute magneist – zumindest in Deutschland. Die Geschichte beider Sportarten in Deutschland einem Radius von fünf Metern gezogen, der nur tisierende Wirkung aus. Warum das so ist, verrät könnte unterschiedlicher nicht sein, wenngleich von einem Spieler der verteidigenden Mannschaft die Fußballforscherin Prof. Dr. Nina Degele: „Vor vom gemeinsamen Ursprung einmal abgesehen wird: betreten werden durfte. Außerdem übernahm Her- allem viele Männer glauben, was ganz wichtiges Der Braunschweiger Pädagoge August Hermann mann das Dribbeln nicht in seine Form des Spiels. zu etwas ganz Wichtigem sagen zu können, das war es, der seine Schüler zuerst mit beiden Ball- Das alles hatte wenig mit dem rasanten Basketball mit einem Ball, zwei „Mann“schaften und dem Schießen von Toren zu tun hat.“ sportarten vertraut machte. Während das Spiel mit heutiger Zeit zu tun. dem Tor im Jahre 1874 einen ersten Schub in der öffentlichen Wahrnehmung erfuhr, hielt der Sport mit dem Korb erst 1896 Einzug in Deutschland.

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HEIMAT:GESCHICHTE DER BASKETBALLSPORT IN DEUTSCHLAND KÄMPFT SEIT JAHREN UM EINEN PLATZ IN DER ÖFFENTLICHKEIT. SEIT 1896 IST DIE SPORTART IN UNSEREN BREITEN BEKANNT, DOCH SO RICHTIG KAM DIE ENTWICKLUNG

IM SCHATTEN VON KÖNIG FUSSBALL TEXT: THOMAS KÄCKENMEISTER

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ZUNÄCHST NICHT IN SCHWUNG. ERST VOR UND NACH DEM ZWEITEN WELTKRIEG BEGANN DAS PFLÄNZCHEN NAMENS BASKETBALL ZU KEIMEN. DAS SPIEL MIT DEM KORB FRISTET ABER NACH WIE VOR EIN BÄUERLICHES DASEIN UND MUSS SICH SEITHER HIERZULANDE VOR KÖNIG FUSSBALL VERNEIGEN.

Ungleiche Entwicklungslinien Irgendwo zwischen Schutt und Asche rollt ein ab- Braunschweig als Wiege beider Sportarten gewetzter Ball. Kinder jagen das runde Leder, desDoch nicht nur diesem Zeitpolster ist es zuDas moderne Spiel begann erst zu keimen, sen Oberhaut schon ähnlich ramponiert ist wie die Straße, auf der sie spielen. Nach dem Ende des zurechnen, dass sich der Triumphzug des Fußball- als Hermann Niebuhr, der „Vater des deutschen Basketballs“, im Jahre 1933 den BasZweiten Weltkrieges zeichnen Deutschketballsport in Deutschland wieder aus lands Städte ein Bild zerstörter Häuser, „1953 besuchte Konrad Adenauer während einer USA-Reise ein Basketballspiel in Chider Versenkung emporhob. Zu dieser verwüsteter Straßenzüge und unZeit war die Entwicklung jedoch bedurchsichtigen Elends. Erst langsam cago. Der Kanzler war ein interessierter Zuschauer und meinte, das Spiel sollte auch schwerlich. Die Nationalsozialisten beginnen die Alliierten gemeinsam in Deutschland bekannt werden! Doch die Werbung nutzte nichts. Dieses Strohfeuer hatten anderes im Sinne, als einem bemit den Überlebenden, den viergeteil- erlosch genauso schnell wie sich die Meldung verbreitete.“ stimmten Sport Geltung zu verschaften Verliererstaat wieder aufzubauen. Ticker-Meldung in Basketball 4/1966 fen. Andere Ertüchtigungsformen wie Für die Kinder ist zu dieser Zeit Boxen, Ringen, Schießen und Gelänvor allem eine Tätigkeit angesagt: Fußball. Für Stunden sind die Jungspunde abge- spiels bis heute ungebremst fortsetzt. Beide Sport- delauf rückten in den Vordergrund. Sport wurde lenkt von ihrer Not, schließen Freundschaften, arten weisen von der gesellschaftlichen Prägung vom Hitler-Regime als politisches Propagandahaben Spaß an der Bewegung und mit Gleichalt- her enorme Differenzen auf. So war Fußball seit mittel entdeckt und nationalsozialistischen Zielen rigen. Das Jagen nach dem Ball, die Dynamik des jeher ein Sport für Männer, während Basketball wie der Wehrertüchtigung untergeordnet. BasDribbelns und das Tor als Krönung faszinieren ursprünglich für Frauen vorgesehen war. „Das ketball war zunächst als Korbball im Deutschen Spiel bietet gewissermaßen dem weiblichen Ge- Turner-Bund aufgeführt, später zählte der Sport die Deutschen seit über 100 Jahren. Das Spiel, das einerseits durch Einfachheit be- schlecht einen Ersatz für Fußball, denn Fußball zum Handball, denn „Basketball wurde nämlich sticht, andererseits aber auch einen unvergleichlichen wird wohl niemals von Mädchen gespielt werden“, auch mit den Händen gespielt“ (Niebuhr). Anders verlief die Entwicklung des Fußballs. Zauber ausstrahlt, hat beide Kriege überlebt und urteilte Hermann damals. Zudem hemmten das erlebt seit jeher eine schier unglaubliche Popula- deutsche Nationalbewusstsein, der Nationalstolz Bereits im wilhelminischen Reich war der Fußrität. Woran liegt das? Franz-Josef Brüggemeier, sowie die Vaterlandsliebe zur Jahrhundertwende ballsport Bestandteil der Militärausbildung, was Professor an der Universität Freiburg für Geschichte eine Verbreitung des amerikanischen Sports mit seine Verbreitung weiter förderte. War der Rasendes modernen Sports, hat eine simple Antwort auf dem aufgehängten Wurfziel. Ohnehin musste Her- sport von den Turnern zu Beginn des 20. Jahrdie Frage formuliert, weshalb Fußball nach wie mann sich den deutschen Namen Korbball ein- hundert als „Fußlümmelei“ verschrien, breitete vor der Deutschen liebster Sport ist: „Fußball ist fallen lassen, um dem neuen Sport öffentliche Be- sich der Sport in den 1920ern wie ein Lauffeuer so beliebt, weil er sowohl ganz einfach wie auch achtung zu gewähren. Doch damit nicht genug: aus. Die Abspaltung vom Deutschen Turnerbund überaus kompliziert ist. Er ist leicht zu durchschau- Hermann waren die Regeln von Erfinder James erfolgte beim 13. Bundesturntag 1921. Das FußNaismith vermutlich nicht bekannt, obwohl er ballspiel wurde fortan als gleichberechtigte Sparte en und bietet endlose Überraschungen.“ das neue Spiel von seinem Sohn Ernst übermittelt anerkannt. Die Einführung einer eigenen Kassenbekam. Der Sohn des Braunschweiger Pädagogen organisation, die Abspaltung von Bezirks- und Wolkenkratzer gegen Einfamilienhaus arbeitete Ende des 19. Jahrhunderts als Sportdi- Kreisebene sowie Fördermaßnahmen und die Während der Fußballsport hierzulande seit rektor an einer Schule in Boston. Dort wurde er kommerzielle Aufbereitung während der WeiJahren die Nummer eins ist, hinkt Basketball seit auf das Spiel aufmerksam und berichtete seinem marer Republik bewirkten den steilen Aufstieg der Gründung des Deutschen Basketball-Bundes Vater davon. Doch August Hermann nutzte nur des Fußballs. Die Sportart mit den einfachen (DBB) 1949 hinterher wie der Hase dem schlauen die Spielidee und entwarf daraufhin eigene Richt- Regeln (bis auf die Abseits-Regel) wurde dank Igel im bekannten Märchen der Gebrüder Grimm. linien. Er sparte in seinen Regeln verschiedene verbesserter Infrastruktur im Sinne von Stadien Fußball hat einen zeitlichen Vorsprung in seiner Elemente aus. Das Resultat: Der Korb maß eine und Fußballfeldern sowie aufgrund des sozialen Charakters immer beliebter. Hinzu Entwicklung genossen, dessen Früchte heute nicht nur zahlreichen Gemütern „Ich möchte den Jungen sehen, der es übers Herz brächte, während der Hofpause nicht kam die Aufmerksamkeit der Medischmecken, sondern auch den Großteil zu versuchen, ob er nicht mit einem Papierball oder mit einem Gummiball ins Netz trifft!“ en für den Fußball. Als Deutschland der deutschen Sportlandschaft ernähHermann Niebuhr (1904-1968), „Vater des deutschen Basketballs“ 1954 mit Aufkommen des Fernsehens durch das „Wunder von Bern“ Weltren. Fußball wohnt in einem pompömeister wurde, war der Triumphzug sen Wolkenkratzer, der ständig höher gebaut wird, während der Basketballsport eher in Höhe von 2,50 Meter, stand fünf Meter von der des Fußballs endgültig nicht mehr aufzuhalten. einem Einfamilienhaus ohne Fassade beheimatet Grundlinie entfernt ohne Brett im Spielfeld. Da- Das Phänomen mit den 22 Männern, die einen rüber hinaus wurde um den Korb ein Kreis mit Ball verfolgen, strahlt gestern wie heute magneist – zumindest in Deutschland. Die Geschichte beider Sportarten in Deutschland einem Radius von fünf Metern gezogen, der nur tisierende Wirkung aus. Warum das so ist, verrät könnte unterschiedlicher nicht sein, wenngleich von einem Spieler der verteidigenden Mannschaft die Fußballforscherin Prof. Dr. Nina Degele: „Vor vom gemeinsamen Ursprung einmal abgesehen wird: betreten werden durfte. Außerdem übernahm Her- allem viele Männer glauben, was ganz wichtiges Der Braunschweiger Pädagoge August Hermann mann das Dribbeln nicht in seine Form des Spiels. zu etwas ganz Wichtigem sagen zu können, das war es, der seine Schüler zuerst mit beiden Ball- Das alles hatte wenig mit dem rasanten Basketball mit einem Ball, zwei „Mann“schaften und dem Schießen von Toren zu tun hat.“ sportarten vertraut machte. Während das Spiel mit heutiger Zeit zu tun. dem Tor im Jahre 1874 einen ersten Schub in der öffentlichen Wahrnehmung erfuhr, hielt der Sport mit dem Korb erst 1896 Einzug in Deutschland.

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LEBENSART:GEKNIPST

4 Calle de Menorca, Valencia, Spanien (Foto: Sebastian Eickhoff)

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4 Calle de Menorca, Valencia, Spanien (Foto: Sebastian Eickhoff)

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LEBENSART:SNEAKER

SNEAK(ER) REVIEW

TEXT: CHRISTIAN GERNE

ZUSAMMENHÄNGE SIND NICHT IMMER LEICHT ZU ERKENNEN, AUCH WENN SIE KLAR AUF DER HAND LIEGEN. ES GIBT EINE GESCHICHTE, GESCHRIEBEN VOM LEBEN, DEREN STATISTEN BERÜHMTE PERSÖNLICHKEITEN WIE EX-AUSSENMINISTER JOSCHKA FISCHER, CHEMIKER CHARLES GOODYEAR, BASKETBALLLEGENDE MICHAEL JORDAN, COMIC-HASE BUGS BUNNY, DIE MUSIKER VON RUN DMC UND WEIT ÜBER EINE MILLIARDE MENSCHEN SIND. AUCH WIR SIND TEIL DIESER GESCHICHTE, DIE VOR ÜBER 150 JAHREN, GENAUGENOMMEN 1839 IN ROXBURY, MASSACHUSETTS MIT DER ERFINDUNG DES GUMMIS DURCH CHARLES GOODYEAR IHREN ANFANG NAHM UND SICH BIS HEUTE FORTSETZT. SIE BEGINNT WIE JEDE GUTE GESCHICHTE.

Es war einmal vor langer Zeit, viele Jahre bevor James Naismith den Basketball als Sportart erfand. Erstmals in der Geschichte der Menschheit wurden Leinenschuhe mit Gummisohlen versehen. Bereits wenige Jahre später begann die Firma United States Rubber Company die Massenproduktion, die sie im Jahr 1917 mit den sogenannten keds auf Sportschuhe ausweitete. Die frühen Jahre – Über 40 Jahre Dominanz Der All Star der Converse Rubber Shoe Company erblickte als erster Basketballschuh in der heute bekannten Form ebenfalls im Jahr 1917 das Licht der Welt. Etwa ein Jahr später lief zum ersten Mal der All American Highschool-Spieler Chuck Taylor, der während seiner Karriere für die Celtics, Buffalo Germans und Akron Firestones spielte, in den All Stars auf und verlieh ihnen ihren bis heute bekannten Namen. Es war der Namensgeber selbst, der zum Botschafter für den Schuh wurde. 1921 gewann Converse Taylor als Mitarbeiter. Er beteiligte sich fortan aktiv an der Verbesserung von Stabilität und Traktion des von ihm getragenen Sneakers. Der Lohn: Neben seiner Vergütung wurde Taylor 1923 die Ehre zuteil, dass seine Unterschrift bis zum heutigen Tage das All-Star-Emblem ziert. Den endgültigen Siegeszug traten die Chucks an, als sie von der amerikanischen Basketballnationalmannschaft zum offiziellen Teamschuh erkoren wurden. Von diesem Zeitpunkt an waren sie aus der Geschichte des Basketballs nicht mehr wegzudenken und eroberten im Sturm die Basket44 CROSSOVER

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ball Association of America und die National Basketball League. Eine Ära geht zu Ende Die Blütezeit der Chucks auf dem Parkett reichte über 40 Jahre bis in das Jahr 1969, als Adidas mit dem Adidas Superstar, dem ersten niedrigen Basketballschuh der Geschichte, Converse den Kampf ansagte. Innerhalb kürzester Zeit verdrängten sie die Chucks aus den Basketballhallen der Vereinigten Staaten von Amerika. Schon wenige Jahre nach der Markteinführung trugen fast Auf der politischen Bühne Deutschlands hielten die Basketballschuhe 1984 Einzug, als der damalige Grünen-Abgeordnete und spätere Außenminister Joschka Fischer zu seiner Vereidigung in einem weißen Paar Nike Legend erschien. 75 Prozent der NBA-Spieler den Superstar. Besonders an ihm waren vor allem seine Zehenkappen aus Gummi, die sogenannten shell-toes, die ihren Weg auch in aktuelle Modelle wie das Pro-Model fanden. Bereits ein Jahr zuvor brachte Puma den Puma Suede auf den Markt. Ähnlich wie beim Adidas Superstar handelte es sich dabei um einen äußerst niedrigen Basketballschuh. Der Puma Suede wurde 1973 für die Basketballlegende Walt „Clyde“ Frazier überarbeitet, da ihm der Schuh zu eng geschnitten war. Das Ergebnis war ein Meilenstein der Sneaker-Geschichte: der Puma Clyde, der nicht

nur als Basketballschuh, sondern auch in der gerade aufkommenden Rap- und Hip-Hop-Kultur großen Anklang und zahlreiche Abnehmer fand. Walt Frazier war somit Pionier in der Geschichte der Basketballschuhe, da er de facto der erste Spieler mit einem eigenen „Signature-Schuh“ war. Swoosh – Nike stürmt den Court Unter dem Motto „Choose your weapon“ kämpfte Converse Mitte der 1980er weiter um seine schwindenden Marktanteile und brachte die Converse Weapons-Serie auf den Markt, die unter anderem von der Celtics-Legende Larry Bird und dem Lakers-Idol Magic Johnson getragen und beworben wurde. Die Marketing-Kampagne erreichte ihren Höhepunkt in einem Fernsehspot, in dem zahlreiche NBA-Akteure mehr oder minder erfolgreich ihr Talent als Rapper offenbarten. 1982 landete Nike den ersten großen Coup im wachsenden Geschäft mit Basketballschuhen. Der Nike Air Force 1 revolutionierte den Markt mit einer innovativen Idee: Im Bereich der Ferse brachte Nike eine mit Luft gefüllte Kammer in die Sohle ein, welche dem Schuh neben größerem Komfort auch eine bessere Stabilität verleihen sollte. Der bekannteste Spieler, der dem Schuh seinen Weg in die NBA ebnete, war seiner Zeit Moses Malone. Über 25 Jahre später ist der Air Force 1 einer der meist verkauften Sportschuhe aller Zeiten und durch Rasheed Wallace auch weiterhin in der NBA vertreten.

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LEBENSART:SNEAKER

SNEAK(ER) REVIEW

TEXT: CHRISTIAN GERNE

ZUSAMMENHÄNGE SIND NICHT IMMER LEICHT ZU ERKENNEN, AUCH WENN SIE KLAR AUF DER HAND LIEGEN. ES GIBT EINE GESCHICHTE, GESCHRIEBEN VOM LEBEN, DEREN STATISTEN BERÜHMTE PERSÖNLICHKEITEN WIE EX-AUSSENMINISTER JOSCHKA FISCHER, CHEMIKER CHARLES GOODYEAR, BASKETBALLLEGENDE MICHAEL JORDAN, COMIC-HASE BUGS BUNNY, DIE MUSIKER VON RUN DMC UND WEIT ÜBER EINE MILLIARDE MENSCHEN SIND. AUCH WIR SIND TEIL DIESER GESCHICHTE, DIE VOR ÜBER 150 JAHREN, GENAUGENOMMEN 1839 IN ROXBURY, MASSACHUSETTS MIT DER ERFINDUNG DES GUMMIS DURCH CHARLES GOODYEAR IHREN ANFANG NAHM UND SICH BIS HEUTE FORTSETZT. SIE BEGINNT WIE JEDE GUTE GESCHICHTE.

Es war einmal vor langer Zeit, viele Jahre bevor James Naismith den Basketball als Sportart erfand. Erstmals in der Geschichte der Menschheit wurden Leinenschuhe mit Gummisohlen versehen. Bereits wenige Jahre später begann die Firma United States Rubber Company die Massenproduktion, die sie im Jahr 1917 mit den sogenannten keds auf Sportschuhe ausweitete. Die frühen Jahre – Über 40 Jahre Dominanz Der All Star der Converse Rubber Shoe Company erblickte als erster Basketballschuh in der heute bekannten Form ebenfalls im Jahr 1917 das Licht der Welt. Etwa ein Jahr später lief zum ersten Mal der All American Highschool-Spieler Chuck Taylor, der während seiner Karriere für die Celtics, Buffalo Germans und Akron Firestones spielte, in den All Stars auf und verlieh ihnen ihren bis heute bekannten Namen. Es war der Namensgeber selbst, der zum Botschafter für den Schuh wurde. 1921 gewann Converse Taylor als Mitarbeiter. Er beteiligte sich fortan aktiv an der Verbesserung von Stabilität und Traktion des von ihm getragenen Sneakers. Der Lohn: Neben seiner Vergütung wurde Taylor 1923 die Ehre zuteil, dass seine Unterschrift bis zum heutigen Tage das All-Star-Emblem ziert. Den endgültigen Siegeszug traten die Chucks an, als sie von der amerikanischen Basketballnationalmannschaft zum offiziellen Teamschuh erkoren wurden. Von diesem Zeitpunkt an waren sie aus der Geschichte des Basketballs nicht mehr wegzudenken und eroberten im Sturm die Basket44 CROSSOVER

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ball Association of America und die National Basketball League. Eine Ära geht zu Ende Die Blütezeit der Chucks auf dem Parkett reichte über 40 Jahre bis in das Jahr 1969, als Adidas mit dem Adidas Superstar, dem ersten niedrigen Basketballschuh der Geschichte, Converse den Kampf ansagte. Innerhalb kürzester Zeit verdrängten sie die Chucks aus den Basketballhallen der Vereinigten Staaten von Amerika. Schon wenige Jahre nach der Markteinführung trugen fast Auf der politischen Bühne Deutschlands hielten die Basketballschuhe 1984 Einzug, als der damalige Grünen-Abgeordnete und spätere Außenminister Joschka Fischer zu seiner Vereidigung in einem weißen Paar Nike Legend erschien. 75 Prozent der NBA-Spieler den Superstar. Besonders an ihm waren vor allem seine Zehenkappen aus Gummi, die sogenannten shell-toes, die ihren Weg auch in aktuelle Modelle wie das Pro-Model fanden. Bereits ein Jahr zuvor brachte Puma den Puma Suede auf den Markt. Ähnlich wie beim Adidas Superstar handelte es sich dabei um einen äußerst niedrigen Basketballschuh. Der Puma Suede wurde 1973 für die Basketballlegende Walt „Clyde“ Frazier überarbeitet, da ihm der Schuh zu eng geschnitten war. Das Ergebnis war ein Meilenstein der Sneaker-Geschichte: der Puma Clyde, der nicht

nur als Basketballschuh, sondern auch in der gerade aufkommenden Rap- und Hip-Hop-Kultur großen Anklang und zahlreiche Abnehmer fand. Walt Frazier war somit Pionier in der Geschichte der Basketballschuhe, da er de facto der erste Spieler mit einem eigenen „Signature-Schuh“ war. Swoosh – Nike stürmt den Court Unter dem Motto „Choose your weapon“ kämpfte Converse Mitte der 1980er weiter um seine schwindenden Marktanteile und brachte die Converse Weapons-Serie auf den Markt, die unter anderem von der Celtics-Legende Larry Bird und dem Lakers-Idol Magic Johnson getragen und beworben wurde. Die Marketing-Kampagne erreichte ihren Höhepunkt in einem Fernsehspot, in dem zahlreiche NBA-Akteure mehr oder minder erfolgreich ihr Talent als Rapper offenbarten. 1982 landete Nike den ersten großen Coup im wachsenden Geschäft mit Basketballschuhen. Der Nike Air Force 1 revolutionierte den Markt mit einer innovativen Idee: Im Bereich der Ferse brachte Nike eine mit Luft gefüllte Kammer in die Sohle ein, welche dem Schuh neben größerem Komfort auch eine bessere Stabilität verleihen sollte. Der bekannteste Spieler, der dem Schuh seinen Weg in die NBA ebnete, war seiner Zeit Moses Malone. Über 25 Jahre später ist der Air Force 1 einer der meist verkauften Sportschuhe aller Zeiten und durch Rasheed Wallace auch weiterhin in der NBA vertreten.

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LEBENSART:HAMBURG

DER NORDEN ROCKT (HEIMLICH) TEXT: JAN HIERONIMI

DIE TIGERS SIND WEG, DAS BBL TOP FOUR AUCH. ADE, PROFISPORT – BASKETBALL SCHEINT IN HAMBURG DIE WAFFEN GESTRECKT ZU HABEN. FALSCH, SAGT JAN HIERONIMI. UM ZU BEWEISEN, DASS DIE MILLIONENSTADT TROTZ ALLEM NOCH EINE MENGE BASKETBALL-KULTUR VERSTECKT HÄLT, HAT ER EIN GANZES WOCHENENDE DANACH GESUCHT. Ein Wochenende im März. Das erste Frühlingswochenende der neuen Dekade. Überall in der Hansestadt sind Bauarbeiter derzeit damit beschäftigt, die Spuren des ewigen Winters zu beseitigen. Nun wagen sich die ersten Sonnenstrahlen aus der Deckung, und ganz Hamburg strömt hinaus: auf die Straßen, in die Cafés, an die Elbe, an die Alster, auf die Räder, auf die Blades. Wo Sommer so spärlich gesät ist, wiegt jeder warme Tag doppelt schwer. Ich bin mittendrin zwischen den Sonnenhungrigen, da ich in diesen zweieinhalb Tagen eine lange Liste abzuarbeiten habe. Wochenlang habe ich die Kollegen und Kumpels genervt, habe Tipps gesammelt und Szeneführer gewälzt. Das Resultat ist das vollgekritzelte Stück Papier in meiner Tasche voller Empfehlungen und „Hot Spots“ für den perfekten Wochenendtrip, maßgeschneidert auf … nun, uns. Uns Basketballer, uns Streetballer, uns BasketballFans und -Freaks, für die bei einem Besuch in der „schönsten Stadt der Welt“ (sagt Radio Hamburg) mehr drin sein muss als „König der Löwen“ und Kiez-Suff. Und zwar unter anderem ein bisschen Profibasketball, eine Shopping-Tour durch SneakerLäden und ein paar Partien Freiplatz-Zock. Basketball-Tourismus eben. Das war die Idee für diesen City-Guide; die Umsetzung war aber weiß Gott nicht einfach. Denn Hamburg ist ganz anders als

die Stadt, in der ich aufgewachsen bin, das kleine, verschlafene Städtchen Bonn. Nicht nur wegen der offensichtlichen Unterschiede: die Metropole vs. die kleine süße Unistadt, norddeutscher Ernst vs. rheinische Frohnaturen und so weiter. Sondern auch und vor allem wegen der Art und Weise, wie beide Städte mit der schönsten Sportart der Welt umgehen. Bonn ist schließlich für drei Dinge berühmt: 1) War mal Hauptstadt, 2) Beethoven, 3) Telekom Baskets. Basketball wird dort am Frühstückstisch diskutiert. Hamburg dagegen? An jeder Straßenecke wetteifern hier größere Sportarten um die Zuschauergunst. Es gibt Erstliga-Fußball und Champions League beim HSV, politisch korrekten Zweitliga-Kick mit Kiez-Anbindung bei St. Pauli. Es gibt Bundesliga-Eishockey bei den Freezers oder Bundesliga-Handball (wiederum) mit dem HSV. Zudem gibt es reihenweise Randsportarten von Baseball bis Rugby in der höchsten deutschen Spielklasse, und im Sommer spielt die Tennis-Elite am Hamburger Rothenbaum die German Open aus. Auch sonst ist all das, was wir „Basketball-Kultur“ nennen würden, unterhalb des Mainstreams versteckt. HipHop-Parties, Sneaker-Stores, Ligaspiele, Freiplätze. Man muss in Hamburg wissen, wo man sie zu suchen hat.

Freitag, 19:00 Uhr: Party on Das perfekte Wochenende beginnt mit der Pflicht. Denn zu jedem guten Wochenendtrip – insbesondere in Doppel-H – gehört eine gepflegte Ruinade im Club. Party-Verstärkung Thomas und ich starten darum in der Wendelhalle des Hamburger Hauptbahnhofs mit je einem 9er Chicken Wings bei Kentucky in den Abend und diskutieren die weiteren Stationen. Die Planung ist schwierig, wahrscheinlich kann sich in Deutschland alleine Berlin mit der Vielseitigkeit dieser Millionenstadt messen. Zwei Beispiele: Hamburg hat die meisten Millionäre aller deutschen Städte, und gilt trotzdem als eher „links“ dank der diversen alternativen Künstlerund Szeneviertel und der langen Geschichte als Hafenstadt. Oder: Kaum zwei Kilometer trennen hier die Hochkultur der Elbphilharmonie vom zotigen Kiez mit Straßenstrich und Drogenszene. Das Spektrum an Angeboten ist riesig, „da geht was“, haben schon die Beginner gewusst. Aber wo geht was? Angesagt ist hierzulande neben den obligatorischen Indie-Partys vor allem Elektro in allen Spielarten. „Basketballer hören HipHop“, argumentiert Thomas jedoch, und wir beschließen darum, dass wir heute quer durch die Stadt nach Beats und Reimen suchen. Immerhin CROSSOVER 53

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LEBENSART:HAMBURG

DER NORDEN ROCKT (HEIMLICH) TEXT: JAN HIERONIMI

DIE TIGERS SIND WEG, DAS BBL TOP FOUR AUCH. ADE, PROFISPORT – BASKETBALL SCHEINT IN HAMBURG DIE WAFFEN GESTRECKT ZU HABEN. FALSCH, SAGT JAN HIERONIMI. UM ZU BEWEISEN, DASS DIE MILLIONENSTADT TROTZ ALLEM NOCH EINE MENGE BASKETBALL-KULTUR VERSTECKT HÄLT, HAT ER EIN GANZES WOCHENENDE DANACH GESUCHT. Ein Wochenende im März. Das erste Frühlingswochenende der neuen Dekade. Überall in der Hansestadt sind Bauarbeiter derzeit damit beschäftigt, die Spuren des ewigen Winters zu beseitigen. Nun wagen sich die ersten Sonnenstrahlen aus der Deckung, und ganz Hamburg strömt hinaus: auf die Straßen, in die Cafés, an die Elbe, an die Alster, auf die Räder, auf die Blades. Wo Sommer so spärlich gesät ist, wiegt jeder warme Tag doppelt schwer. Ich bin mittendrin zwischen den Sonnenhungrigen, da ich in diesen zweieinhalb Tagen eine lange Liste abzuarbeiten habe. Wochenlang habe ich die Kollegen und Kumpels genervt, habe Tipps gesammelt und Szeneführer gewälzt. Das Resultat ist das vollgekritzelte Stück Papier in meiner Tasche voller Empfehlungen und „Hot Spots“ für den perfekten Wochenendtrip, maßgeschneidert auf … nun, uns. Uns Basketballer, uns Streetballer, uns BasketballFans und -Freaks, für die bei einem Besuch in der „schönsten Stadt der Welt“ (sagt Radio Hamburg) mehr drin sein muss als „König der Löwen“ und Kiez-Suff. Und zwar unter anderem ein bisschen Profibasketball, eine Shopping-Tour durch SneakerLäden und ein paar Partien Freiplatz-Zock. Basketball-Tourismus eben. Das war die Idee für diesen City-Guide; die Umsetzung war aber weiß Gott nicht einfach. Denn Hamburg ist ganz anders als

die Stadt, in der ich aufgewachsen bin, das kleine, verschlafene Städtchen Bonn. Nicht nur wegen der offensichtlichen Unterschiede: die Metropole vs. die kleine süße Unistadt, norddeutscher Ernst vs. rheinische Frohnaturen und so weiter. Sondern auch und vor allem wegen der Art und Weise, wie beide Städte mit der schönsten Sportart der Welt umgehen. Bonn ist schließlich für drei Dinge berühmt: 1) War mal Hauptstadt, 2) Beethoven, 3) Telekom Baskets. Basketball wird dort am Frühstückstisch diskutiert. Hamburg dagegen? An jeder Straßenecke wetteifern hier größere Sportarten um die Zuschauergunst. Es gibt Erstliga-Fußball und Champions League beim HSV, politisch korrekten Zweitliga-Kick mit Kiez-Anbindung bei St. Pauli. Es gibt Bundesliga-Eishockey bei den Freezers oder Bundesliga-Handball (wiederum) mit dem HSV. Zudem gibt es reihenweise Randsportarten von Baseball bis Rugby in der höchsten deutschen Spielklasse, und im Sommer spielt die Tennis-Elite am Hamburger Rothenbaum die German Open aus. Auch sonst ist all das, was wir „Basketball-Kultur“ nennen würden, unterhalb des Mainstreams versteckt. HipHop-Parties, Sneaker-Stores, Ligaspiele, Freiplätze. Man muss in Hamburg wissen, wo man sie zu suchen hat.

Freitag, 19:00 Uhr: Party on Das perfekte Wochenende beginnt mit der Pflicht. Denn zu jedem guten Wochenendtrip – insbesondere in Doppel-H – gehört eine gepflegte Ruinade im Club. Party-Verstärkung Thomas und ich starten darum in der Wendelhalle des Hamburger Hauptbahnhofs mit je einem 9er Chicken Wings bei Kentucky in den Abend und diskutieren die weiteren Stationen. Die Planung ist schwierig, wahrscheinlich kann sich in Deutschland alleine Berlin mit der Vielseitigkeit dieser Millionenstadt messen. Zwei Beispiele: Hamburg hat die meisten Millionäre aller deutschen Städte, und gilt trotzdem als eher „links“ dank der diversen alternativen Künstlerund Szeneviertel und der langen Geschichte als Hafenstadt. Oder: Kaum zwei Kilometer trennen hier die Hochkultur der Elbphilharmonie vom zotigen Kiez mit Straßenstrich und Drogenszene. Das Spektrum an Angeboten ist riesig, „da geht was“, haben schon die Beginner gewusst. Aber wo geht was? Angesagt ist hierzulande neben den obligatorischen Indie-Partys vor allem Elektro in allen Spielarten. „Basketballer hören HipHop“, argumentiert Thomas jedoch, und wir beschließen darum, dass wir heute quer durch die Stadt nach Beats und Reimen suchen. Immerhin CROSSOVER 53

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WELTWEIT:NACHWUCHS

ES WAR EINMAL IN CHINA 1979 DURFTEN DIE WASHINGTON BULLETS ALS ERSTES NBA-TEAM ÜBERHAUPT IN DIE VOLKSREPUBLIK CHINA REISEN. DREI JAHRZEHNTE SPÄTER KEHRTE DAS TEAM UNTER ANDEREM NAMEN UND NEUEN VORZEICHEN ZURÜCK UND FAND EIN SICH RASANT WANDELNDES LAND VOR.

Die einstündige Fahrt mit einem der grüngelben Pekinger Taxis vom Zentrum hinaus nach Chaoyang im Osten der Stadt kommt der Reise in eine andere Welt gleich. Irgendwann verschwinden die modernen Glasbauten am Horizont, später auch die klobigen Wohnblocks, die in anderen Teilen der Millionenmetropole wie Pilze aus dem Boden schießen. Vom vierten Autobahnring ab führt eine staubige Straße nach Chaoyang, einem Arbeiterviertel. Trotz strahlend blauen Himmels liegt der Geruch von Kohle in der Luft. Wer hier wohnt, schuftet viel und hart, um seinem Kind eine bessere Zukunft zu bieten. „Es ist schwer, die Eltern einmal zu Gesicht zu bekommen“, erzählt Scott, der Basketballprojekte für die mehr als tausend Schüler der Chaoyang Hongshan Grundschule organisiert, an der es sonst nur einen einzigen Sportlehrer gibt. An diesem Morgen sitzen viele der etwa fünf bis zehn Jahre alten Kinder in Reih und Glied auf einem der beiden Basketballfelder, die den Mittelpunkt des Schulhofs bilden. Auf dem Boden schimmert in fetten Lettern das Logo der NBA in der Vormittagssonne. Ein roter Banner über dem Eingangstor der Schule kündigt den heutigen Gast an: die Washington Wizards. Pingpong-Diplomatie

TEXT UND FOTOS: CONRAD ZIESCH

Es ist nicht das erste Mal, dass das NBA-Team aus der US-Hauptstadt nach China kommt. Im August 1979 reisten die Bullets, damals frisch gebackener NBA-Champion, ins Reich der Mitte, um hier Basketballdiplomatie zu betreiben. Seitdem die Volksrepublik im Jahr 1949 gegründet

wurde, bestanden so gut wie keine diplomatischen Kontakte zwischen China und den USA. Die Systemfrage, das Taiwan-Problem, der Vietnam-Krieg: Etliche Konflikte lasteten schwer auf den Beziehungen beider Großmächte. Ausgerechnet ein kleiner Tischtennisball brachte die verfeindeten Seiten einander näher. Auf Einladung Mao Zedongs reiste die amerikanische Tischtennisnationalmannschaft 1971 als erste offizielle Gesandtschaft ihres Landes in die Volksrepublik China und prägte so den Begriff der „Pingpong-Diplomatie“. Mit dem Tod Mao Zedongs im Jahr 1976 brach für China eine neue Zeit an. Maos Nachfolger Deng Xiaoping öffnete seinem Land die Tür in Richtung Westen und beendete damit eine Jahrzehnte andauernde Eiszeit zwischen der Volksrepublik und den Vereinigten Staaten. Mehr als Basketball Deng Xiaoping war es auch, der die Washington Bullets um Star-Spieler Wes Unseld nach China einlud und einige Freundschaftsspiele gegen Mannschaften aus Peking und Shanghai austragen ließ. Es war das erste Mal, dass ein NBA-Team chinesischen Boden betreten durfte. Den USPräsidenten Jimmy Carter und seinem Vorgänger Richard Nixon war sehr an einer Partnerschaft mit Peking gelegen. 1970 hatte Nixon in einem TimeInterview erklärt: Wenn es etwas gäbe, was er sich noch wünschen dürfte im Leben, dann sei es, einmal China zu besuchen. Heute dauert es keine fünfzehn Stunden Flug, um die elftausend Kilometer zwischen Washington und Peking zu überwinden. Ein riesiger, dunkler Bus fährt vor der Chaoyang

Hongshan Schule vor. Neben dem Eingang, an dem ein Wärter mit einem Thermometer Fieber misst, stehen Schüler mit roten Halstüchern und blauen Trainingsanzügen, auf deren Rücken „Hongshan“, der Name der Schule, aufgenäht ist. Ein Raunen geht durch die Kinderreihen, als sich Gheorghe Muresan, mit seinen 2,31 Metern Körperlänge der größte NBA-Spieler aller Zeiten, aus der Bustür schält wie aus einer Konservenbüchse. Nach ihm betreten Randy Foye, Wes Unseld Jr. und Ed Tapscott die Bühne des Schulhofs, hinter der ein überdimensionales rotes Poster mit der Aufschrift „Beyond Basketball, Beyond Love“ zu lesen ist. Sportart Nummer eins Mit der einwöchigen Reise feiern die Washington Wizards den 30. Jahrestag ihres ersten Besuchs in China. Nach Shanghai und Peking stehen die Städte Guangzhou und Chengdu auf dem Reiseplan. „Shanghai ist so groß, die Stadt kann es mit New York, Los Angeles und Chicago zusammen aufnehmen“, schreibt Ed Tapscott in einem Blog über seine ersten Eindrücke. Wes Unseld hat eine andere Sicht auf das Land. Er ist der einzige der Delegation, der auch vor dreißig Jahren schon hier war. Er könne sich an kaum etwas erinnern, so sehr habe sich das Stadtbild Pekings gewandelt. Wo vor dreißig Jahren noch alte Hutongs, die engen Altstadtgässchen der Stadt, standen, ragen heute glitzernde Glasfassaden in den Himmel. So hoch wie die Wolkenkratzer Pekings oder Shanghais, so hoch sind auch die Erwartungen der NBA, auf dem chinesischen Markt CROSSOVER 63

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WELTWEIT:NACHWUCHS

ES WAR EINMAL IN CHINA 1979 DURFTEN DIE WASHINGTON BULLETS ALS ERSTES NBA-TEAM ÜBERHAUPT IN DIE VOLKSREPUBLIK CHINA REISEN. DREI JAHRZEHNTE SPÄTER KEHRTE DAS TEAM UNTER ANDEREM NAMEN UND NEUEN VORZEICHEN ZURÜCK UND FAND EIN SICH RASANT WANDELNDES LAND VOR.

Die einstündige Fahrt mit einem der grüngelben Pekinger Taxis vom Zentrum hinaus nach Chaoyang im Osten der Stadt kommt der Reise in eine andere Welt gleich. Irgendwann verschwinden die modernen Glasbauten am Horizont, später auch die klobigen Wohnblocks, die in anderen Teilen der Millionenmetropole wie Pilze aus dem Boden schießen. Vom vierten Autobahnring ab führt eine staubige Straße nach Chaoyang, einem Arbeiterviertel. Trotz strahlend blauen Himmels liegt der Geruch von Kohle in der Luft. Wer hier wohnt, schuftet viel und hart, um seinem Kind eine bessere Zukunft zu bieten. „Es ist schwer, die Eltern einmal zu Gesicht zu bekommen“, erzählt Scott, der Basketballprojekte für die mehr als tausend Schüler der Chaoyang Hongshan Grundschule organisiert, an der es sonst nur einen einzigen Sportlehrer gibt. An diesem Morgen sitzen viele der etwa fünf bis zehn Jahre alten Kinder in Reih und Glied auf einem der beiden Basketballfelder, die den Mittelpunkt des Schulhofs bilden. Auf dem Boden schimmert in fetten Lettern das Logo der NBA in der Vormittagssonne. Ein roter Banner über dem Eingangstor der Schule kündigt den heutigen Gast an: die Washington Wizards. Pingpong-Diplomatie

TEXT UND FOTOS: CONRAD ZIESCH

Es ist nicht das erste Mal, dass das NBA-Team aus der US-Hauptstadt nach China kommt. Im August 1979 reisten die Bullets, damals frisch gebackener NBA-Champion, ins Reich der Mitte, um hier Basketballdiplomatie zu betreiben. Seitdem die Volksrepublik im Jahr 1949 gegründet

wurde, bestanden so gut wie keine diplomatischen Kontakte zwischen China und den USA. Die Systemfrage, das Taiwan-Problem, der Vietnam-Krieg: Etliche Konflikte lasteten schwer auf den Beziehungen beider Großmächte. Ausgerechnet ein kleiner Tischtennisball brachte die verfeindeten Seiten einander näher. Auf Einladung Mao Zedongs reiste die amerikanische Tischtennisnationalmannschaft 1971 als erste offizielle Gesandtschaft ihres Landes in die Volksrepublik China und prägte so den Begriff der „Pingpong-Diplomatie“. Mit dem Tod Mao Zedongs im Jahr 1976 brach für China eine neue Zeit an. Maos Nachfolger Deng Xiaoping öffnete seinem Land die Tür in Richtung Westen und beendete damit eine Jahrzehnte andauernde Eiszeit zwischen der Volksrepublik und den Vereinigten Staaten. Mehr als Basketball Deng Xiaoping war es auch, der die Washington Bullets um Star-Spieler Wes Unseld nach China einlud und einige Freundschaftsspiele gegen Mannschaften aus Peking und Shanghai austragen ließ. Es war das erste Mal, dass ein NBA-Team chinesischen Boden betreten durfte. Den USPräsidenten Jimmy Carter und seinem Vorgänger Richard Nixon war sehr an einer Partnerschaft mit Peking gelegen. 1970 hatte Nixon in einem TimeInterview erklärt: Wenn es etwas gäbe, was er sich noch wünschen dürfte im Leben, dann sei es, einmal China zu besuchen. Heute dauert es keine fünfzehn Stunden Flug, um die elftausend Kilometer zwischen Washington und Peking zu überwinden. Ein riesiger, dunkler Bus fährt vor der Chaoyang

Hongshan Schule vor. Neben dem Eingang, an dem ein Wärter mit einem Thermometer Fieber misst, stehen Schüler mit roten Halstüchern und blauen Trainingsanzügen, auf deren Rücken „Hongshan“, der Name der Schule, aufgenäht ist. Ein Raunen geht durch die Kinderreihen, als sich Gheorghe Muresan, mit seinen 2,31 Metern Körperlänge der größte NBA-Spieler aller Zeiten, aus der Bustür schält wie aus einer Konservenbüchse. Nach ihm betreten Randy Foye, Wes Unseld Jr. und Ed Tapscott die Bühne des Schulhofs, hinter der ein überdimensionales rotes Poster mit der Aufschrift „Beyond Basketball, Beyond Love“ zu lesen ist. Sportart Nummer eins Mit der einwöchigen Reise feiern die Washington Wizards den 30. Jahrestag ihres ersten Besuchs in China. Nach Shanghai und Peking stehen die Städte Guangzhou und Chengdu auf dem Reiseplan. „Shanghai ist so groß, die Stadt kann es mit New York, Los Angeles und Chicago zusammen aufnehmen“, schreibt Ed Tapscott in einem Blog über seine ersten Eindrücke. Wes Unseld hat eine andere Sicht auf das Land. Er ist der einzige der Delegation, der auch vor dreißig Jahren schon hier war. Er könne sich an kaum etwas erinnern, so sehr habe sich das Stadtbild Pekings gewandelt. Wo vor dreißig Jahren noch alte Hutongs, die engen Altstadtgässchen der Stadt, standen, ragen heute glitzernde Glasfassaden in den Himmel. So hoch wie die Wolkenkratzer Pekings oder Shanghais, so hoch sind auch die Erwartungen der NBA, auf dem chinesischen Markt CROSSOVER 63

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WELTWEIT:POLEN

AUF DER ANDEREN SEITE

TEXT UND FOTOS: CONRAD ZIESCH

EINE GRENZE ZU ÜBERWINDEN, KANN JAHRE DAUERN ODER MINUTEN, JE NACHDEM, OB SIE IM KOPF EINES MENSCHEN ODER ALS FLUSS ZWISCHEN ZWEI STÄDTEN VERLÄUFT. EIN KURZER FUSSWEG NUR, DANN HAT MAN DIE NEISSE ÜBERQUERT, DIE DAS DEUTSCHE GÖRLITZ VOM POLNISCHEN ZGORZELEC TRENNT: ZWEI STÄDTE, DIE EINMAL EINS WAREN UND NUN DARUM KÄMPFEN, WIEDER ZUSAMMENZUWACHSEN. Unser Weg beginnt auf der alten Grenzbrücke zwischen Deutschland und Polen, die der Winter in Watte gepackt zu haben scheint. Wo bis vor zwei Jahren Grenzposten mit strengen Blicken Ausweise kontrollierten, stapfen Fußgänger unbehelligt durch den kniehohen Schnee. Autos, auf deren Kühlerhauben grünschwarze Bullenköpfe kleben, wühlen sich schnaubend vorwärts. Vorbei an den kleinen Wechselstuben und Zigarettenläden biegen sie ab in die Warszawska, an deren Straßenrändern graue Wohnblöcke wie überdimensionale Streichholzschachteln in den Abendhimmel von Zgorzelec ragen. Die Hala Sportowa, vor der sich Jugendliche in dicken Daunenjacken Zigaretten anzünden, gleicht einem Auge, dessen verschneite Wimpern Stützpfeiler aus Beton darstellen. Dreißig Zloty, umgerechnet sieben Euro, kostet die Karte für ein Ligaspiel von PGE Turów Zgorzelec, dem ganzen Stolz des Dreißigtausend-SeelenStädtchens im Westen Polens. In den 1970er Jahren zählte die Halle zu den modernsten ihrer Art, erklärt Jaroslaw, der in Görlitz lebt und arbeitet, dessen Herz aber für die Grünweißen von Turów schlägt. Mit den nummerierten Sitzbänken aus Holz und dem braunen, gewölbten Hallendach lässt sich der Scharm der Siebziger noch immer mit Händen greifen. Kichernd betrachten junge Mädchen die betont knappen Hosen der alten Helden, die im Eingangsbereich neben Pokalen von Schwarzweißfotos lächeln. Sportlich gesehen sind in Zgorzelec längst neue Zeiten angebrochen. Der Verein gehört mit namhaften Profis wie Ex-Alba Michael Wright und Spielen im Eurocup längst zu den sportlichen Aushängeschildern des polnischen Basketballs. In

der Schublade von Turów-Präsident Jan Michalski warten bereits Pläne für eine mehrere Millionen Zloty teure neue Heimstätte, in der sich auch Fans aus dem benachbarten Deutschland wohlfühlen sollen. Kurz vor dem Spiel gegen Ligakonkurrent Trefl Sopot haben Heimfans ihr Revier mit Jacken abgesteckt, die auf der Balustrade hinter dem Korb hängen. Begleitet von bummernder Technomusik verkündet der Hallensprecher mit den langen blonden Haaren die Startaufstellung des Heimteams, das seinen Namen einem riesigen Braunkohlekraftwerk verdankt, dem mit Abstand größten Arbeitgeber der Region. Viele, die tagsüber in den Gruben malochen, sitzen und stehen heute Abend hier. Unter dem Beifall der 1.500 Fans sprintet Konrad Wysocki auf das Parkett und lässt sich von seinen Mitspielern feiern. Mittlerweile ist er einer von ihnen geworden: ein gebürtiger Pole, dessen Name man polnisch mit einem „c“ spricht, der in der Landessprache brilliert und, was besonders wichtig ist, die polnische Küche zu schätzen weiß. Einen Tag nach dem 83:67-Sieg seines Teams gegen Sopot lässt Wysocki genüsslich eine Gabel Piroggen, mit Fleisch gefüllte Teigtaschen, in seinem Mund verschwinden. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht lässt er sein neues Leben zwischen Polen und Deutschland Revue passieren. „Ich denke, dass man große Vorteile hat, wenn man die Sprache spricht und den Leuten zeigt, dass man die gleichen Rituale hat“, erzählt der 28-Jährige und bestellt wie zum Beweis in fließendem Polnisch einen Teller Borschtsch. Mit seinen Eltern spricht er noch heute Polnisch, genau wie mit der Oma, die in seinem Geburtsort Rzeszów unweit

der ukrainischen Grenze lebt. Als Konrad vier war zog es die Familie nach Deutschland, wo Vater Chrystof, selbst polnischer Nationalspieler, fortan für Gießen in der Bundesliga seine Basketballschuhe schnürte. Nun hat sein Sohn Konrad den umgekehrten Weg eingeschlagen und diesen Entschluss nicht bereut: „Ich hätte vor der Saison nie gedacht, dass ich nach Polen wechseln würde. Es ist schön, sein Geburtsland so noch einmal neu zu entdecken.“ Im Sommer 2009 stand der studierte Architekt vor der Wahl, sein Basketballtrikot endgültig gegen einen Business-Anzug zu tauschen. Nachdem ernstzunehmende Angebote aus der Bundesliga oder von anderen europäischen Clubs ausblieben, war für den Small Forward die Europameisterschaft in seinem Geburtsland Polen die Gelegenheit, auch auf dem Radar der hiesigen Spielerscouts aufzutauchen. Da in der polnischen Ekstraliga immer zwei einheimische Spieler auf dem Parkett stehen müssen und Wysocki seine polnische Spieler-ID schnell in der Tasche hatte, streckte auch Zgorzelec die Fühler nach dem deutschen Nationalspieler aus. Mittlerweile wandelt Wysocki regelmäßig zwischen den Welten. Er wohnt in Görlitz „in der mit Abstand schönsten Wohnung“ seiner Basketballkarriere, nur einen Dreipunktwurf von der deutsch-polnischen Grenze entfernt. Er kann das alte Handy behalten und so oft es geht seine Freundin in Ulm besuchen, die dort eine Ausbildung macht. Und er hat damit begonnen, in einer Görlitzer Musikschule Klavierstunden zu nehmen, um „ein bisschen Zeit zu vergeuden“, wie er zugibt. „Auf der anderen Seite kann ich in Polen Einkaufen oder Essen gehen und zahle teilweise weniger, als wenn ich selbst

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WELTWEIT:POLEN

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TEXT UND FOTOS: CONRAD ZIESCH

EINE GRENZE ZU ÜBERWINDEN, KANN JAHRE DAUERN ODER MINUTEN, JE NACHDEM, OB SIE IM KOPF EINES MENSCHEN ODER ALS FLUSS ZWISCHEN ZWEI STÄDTEN VERLÄUFT. EIN KURZER FUSSWEG NUR, DANN HAT MAN DIE NEISSE ÜBERQUERT, DIE DAS DEUTSCHE GÖRLITZ VOM POLNISCHEN ZGORZELEC TRENNT: ZWEI STÄDTE, DIE EINMAL EINS WAREN UND NUN DARUM KÄMPFEN, WIEDER ZUSAMMENZUWACHSEN. Unser Weg beginnt auf der alten Grenzbrücke zwischen Deutschland und Polen, die der Winter in Watte gepackt zu haben scheint. Wo bis vor zwei Jahren Grenzposten mit strengen Blicken Ausweise kontrollierten, stapfen Fußgänger unbehelligt durch den kniehohen Schnee. Autos, auf deren Kühlerhauben grünschwarze Bullenköpfe kleben, wühlen sich schnaubend vorwärts. Vorbei an den kleinen Wechselstuben und Zigarettenläden biegen sie ab in die Warszawska, an deren Straßenrändern graue Wohnblöcke wie überdimensionale Streichholzschachteln in den Abendhimmel von Zgorzelec ragen. Die Hala Sportowa, vor der sich Jugendliche in dicken Daunenjacken Zigaretten anzünden, gleicht einem Auge, dessen verschneite Wimpern Stützpfeiler aus Beton darstellen. Dreißig Zloty, umgerechnet sieben Euro, kostet die Karte für ein Ligaspiel von PGE Turów Zgorzelec, dem ganzen Stolz des Dreißigtausend-SeelenStädtchens im Westen Polens. In den 1970er Jahren zählte die Halle zu den modernsten ihrer Art, erklärt Jaroslaw, der in Görlitz lebt und arbeitet, dessen Herz aber für die Grünweißen von Turów schlägt. Mit den nummerierten Sitzbänken aus Holz und dem braunen, gewölbten Hallendach lässt sich der Scharm der Siebziger noch immer mit Händen greifen. Kichernd betrachten junge Mädchen die betont knappen Hosen der alten Helden, die im Eingangsbereich neben Pokalen von Schwarzweißfotos lächeln. Sportlich gesehen sind in Zgorzelec längst neue Zeiten angebrochen. Der Verein gehört mit namhaften Profis wie Ex-Alba Michael Wright und Spielen im Eurocup längst zu den sportlichen Aushängeschildern des polnischen Basketballs. In

der Schublade von Turów-Präsident Jan Michalski warten bereits Pläne für eine mehrere Millionen Zloty teure neue Heimstätte, in der sich auch Fans aus dem benachbarten Deutschland wohlfühlen sollen. Kurz vor dem Spiel gegen Ligakonkurrent Trefl Sopot haben Heimfans ihr Revier mit Jacken abgesteckt, die auf der Balustrade hinter dem Korb hängen. Begleitet von bummernder Technomusik verkündet der Hallensprecher mit den langen blonden Haaren die Startaufstellung des Heimteams, das seinen Namen einem riesigen Braunkohlekraftwerk verdankt, dem mit Abstand größten Arbeitgeber der Region. Viele, die tagsüber in den Gruben malochen, sitzen und stehen heute Abend hier. Unter dem Beifall der 1.500 Fans sprintet Konrad Wysocki auf das Parkett und lässt sich von seinen Mitspielern feiern. Mittlerweile ist er einer von ihnen geworden: ein gebürtiger Pole, dessen Name man polnisch mit einem „c“ spricht, der in der Landessprache brilliert und, was besonders wichtig ist, die polnische Küche zu schätzen weiß. Einen Tag nach dem 83:67-Sieg seines Teams gegen Sopot lässt Wysocki genüsslich eine Gabel Piroggen, mit Fleisch gefüllte Teigtaschen, in seinem Mund verschwinden. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht lässt er sein neues Leben zwischen Polen und Deutschland Revue passieren. „Ich denke, dass man große Vorteile hat, wenn man die Sprache spricht und den Leuten zeigt, dass man die gleichen Rituale hat“, erzählt der 28-Jährige und bestellt wie zum Beweis in fließendem Polnisch einen Teller Borschtsch. Mit seinen Eltern spricht er noch heute Polnisch, genau wie mit der Oma, die in seinem Geburtsort Rzeszów unweit

der ukrainischen Grenze lebt. Als Konrad vier war zog es die Familie nach Deutschland, wo Vater Chrystof, selbst polnischer Nationalspieler, fortan für Gießen in der Bundesliga seine Basketballschuhe schnürte. Nun hat sein Sohn Konrad den umgekehrten Weg eingeschlagen und diesen Entschluss nicht bereut: „Ich hätte vor der Saison nie gedacht, dass ich nach Polen wechseln würde. Es ist schön, sein Geburtsland so noch einmal neu zu entdecken.“ Im Sommer 2009 stand der studierte Architekt vor der Wahl, sein Basketballtrikot endgültig gegen einen Business-Anzug zu tauschen. Nachdem ernstzunehmende Angebote aus der Bundesliga oder von anderen europäischen Clubs ausblieben, war für den Small Forward die Europameisterschaft in seinem Geburtsland Polen die Gelegenheit, auch auf dem Radar der hiesigen Spielerscouts aufzutauchen. Da in der polnischen Ekstraliga immer zwei einheimische Spieler auf dem Parkett stehen müssen und Wysocki seine polnische Spieler-ID schnell in der Tasche hatte, streckte auch Zgorzelec die Fühler nach dem deutschen Nationalspieler aus. Mittlerweile wandelt Wysocki regelmäßig zwischen den Welten. Er wohnt in Görlitz „in der mit Abstand schönsten Wohnung“ seiner Basketballkarriere, nur einen Dreipunktwurf von der deutsch-polnischen Grenze entfernt. Er kann das alte Handy behalten und so oft es geht seine Freundin in Ulm besuchen, die dort eine Ausbildung macht. Und er hat damit begonnen, in einer Görlitzer Musikschule Klavierstunden zu nehmen, um „ein bisschen Zeit zu vergeuden“, wie er zugibt. „Auf der anderen Seite kann ich in Polen Einkaufen oder Essen gehen und zahle teilweise weniger, als wenn ich selbst

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