Mythos digitale Innovation

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serie falsche mythen (2/3) INNOVATIONEN

INNOVATION – DAS UNBEKANNTE “ME TOO” Was sind wir wieder innovativ – wer klopft sich da nicht gern auf die Schulter. Aber was bedeutet Innovation wirklich? Der Frage geht Gastautor Christian Hoffmeister im zweiten Teil seiner Serie über Sinn und Unsinn digitaler Mythen auf den Grund.

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LEAD digital 07_2013

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nnovation gilt seit Schumpeter als Quelle zurückverfolgen auf das erste komplette CHRISTIAN HOFFMEISTER nachhaltiger Wettbewerbsvorteile. Wer ingrafische User Interface Sketchpad (leadnovativ ist, sichert sich eine Innovationsdigital.de/sketchpad). Auf Technologieseirente durch die Exklusivität seines Angebots. te war das Konzept bereits ein MassenphäEinzigartigkeit führt zu einzigartigem Umsatz. nomen, lange bevor es zu einem dominanApple zeigt, wie es geht. In der Konsequenz ten Produktdesign wurde und dann einen liegt Apple nach Meinung vieler Manager und Massenmarkt erschuf. Kein Unternehmen, Fachmedien in Bezug auf Innovationskraft weder Microsoft noch Apple, hat eine völlig ganz weit vorne, denn mit dem iPhone und neue Anwendung geschaffen. Vielmehr iPad wurden völlig neue Produkte gelauncht. werden bekannte Konzepte und TechnoloMit der von ihm gegründeten Aber diese Sichtweise ist die eigentliche Probgien in die eigenen Produkte integriert: Bulletproof Media berät lematik des Innovationsmanagements geradurch eigene Entwicklung oder Zukauf. Christian Hoffmeister Unternehde in disruptiven Märkten. Innovation ist, was Vieles, was wir heute bei Google, Apple men im Bereich der Produktim Markt als neuartig wahrgenommen wird oder Amazon als besonders innovativ und Geschäftsmodellentwicklung an der Schnittstelle und wirtschaftlich erfolgreich ist. wahrnehmen, sind adaptierte Lösungen, zwischen klassischen und neuen Aber wie bitte schön soll man Innovation die die meisten bis zum Einsatz bei den Big Medien. Die „Entmythologisieplanen können, wenn die Durchsetzung am Playern nicht kannten. Die Touch-Technorung“ der Digitalbranche, über Markt der Maßstab für Innovation ist? Am logie des iPhones basiert auf dem Zukauf die Hoffmeister in einer Besten durch eine Parallelverschiebung. Aus von FingerWorks, Google Analytics ist die dreiteilige Serie für LEAD digital schreibt, ist auch Thema seines Neuheit am Markt wird Neuheit des AngeboIntegration der Lösung von Urchin, Kindle Buchs „Digitale Geschäftstes. Damit wird Innovation als etwas völlig fußt auf dem Mobipockets-Format. Die Lismodelle richtig einschätzen“, Neues, Unbekanntes gesehen und gleichgete ließe sich noch deutlich verlängern. das im Sommer im Hanser-Versetzt mit genialen Einfällen, so wie der Apfel, Innovation ist Selektion aus Bekanntem, lag erscheinen wird. der Newton auf die Idee der GravitationstheoAdaption an neue Rahmenbedingungen rie brachte und sich im Apple-Logo wiederfinund Integration in vorhandene Strukturen, det. Nur leider ist diese Sichtweise ungeeignet, denn Innovation ist nicht die Suche nach dem Unbekanntem oder absolut Neuen. Daeigentlich das bessere MeToo bekannter Lösungen. Man kann die- her muss sich das Managementdenken in Bezug auf die Suche und se Vorgehensweise auf ein Zitat Karl Valentin reduzieren: „Es ist Bewertung von Innovation ändern. Dazu gehört unter anderem: zwar schon alles gesagt, nur noch nicht von allen.“ Nicht anders gehen Apple, Google und Amazon in vielen Fällen vor. Statt Neues INVENTION NICHT MIT INNOVATION VERWECHSELN zu erfinden, wird Bekanntes umgesetzt. Da die meisten die Lösun- Erfindungen sind ein kleiner Teil von Innovationen, aber nicht der entscheidende. Apple zum Beispiel verfügt nur über relativ wenige gen aber gar nicht kennen, erscheinen diese als neuartig. Die Idee und Umsetzung einer grafischen Benutzeroberfläche Patente im Bereich der Mobiltelefonie (zirka ein Viertel von Nokia), (GUI), die oft Apple zugeschrieben wird, stammt von Xerox Parc, hat aber die besseren Produkte in diesem Segment. Wer also nur die auch 1981 den ersten Computer mit einer GUI auf den Markt nach Erfindungen sucht, verengt das Handlungsfeld extrem und brachten. Das Konzept lässt sich bis zum Beginn der 60er Jahre schafft nicht unbedingt Innovationen.


„NICHT KENNEN“ IST NICHT GLEICH „UNBEKANNT“ Oft wird geglaubt, etwas sei bahnbrechend, weil man es nicht kennt. Verbunden mit der Erwartung, dass man mit dieser Neuartigkeit schnell am Markt sein muss, um diese wirtschaftlich nutzen zu können (siehe First Mover Mythos; LEAD digital 5/2013), investiert man eigentlich in schon bekannte Produkte. Daher muss zuerst intensiv gesucht werden, ob man es selbst nur nicht kennt, oder ob es wirklich generell ein neues Thema ist. Damit muss sich auch die Erwartungshaltung insofern ändern, dass nicht das als gut beurteilt wird, was unbekannt ist, sondern das innovativ ist, was die eigenen Produkte verbessert. Zu oft wird heute nur auf disruptive oder radikale Innovationen geschaut.

Es ist vielleicht kein Zufall, dass die erfolgreichen amerikanischen Unternehmen wie Apple oder Google sowie Amazon von den Gründern gelenkt werden/wurden. Manager müssen wissen, was früher erdacht und heute entwickelt wird und vor allem welche Bedeutung diese Entwicklungen für das eigene Geschäft haben. Gerade wenn es wirklich um neue Anwendungen geht, die noch keinen Massenmarkt ansprechen, ist visionäre Führung gefragt, denn es ist schlicht unmöglich, Märkte quantitativ zu beurteilen, die noch nicht existieren. Fazit: Am Ende mag es dann Zufall sein, was sich als Innovation am Markt durchsetzt. Aber dieser Zufall bedarf der gezielten und konsequenten Steuerung. Christian Hoffmeister, Bulletproof

NICHT ANDERS DENKEN – SONDERN ÜBER ANDERES Häufig wird empfohlen, anders zu denken, aber es ist einfacher über andere Dinge zu denken. Die meisten Lösungen sind schon bekannt nur eben woanders. Der magnetische Stecker des Mac Books wurde von japanischen Rieskochern adaptiert und Ameisen dienen als Vorlage für viele Unternehmen zur Optimierung von Routenplanungen (der sogenannte Ameisenalgorithmus). Dazu muss man den eigenen Lösungsraum möglichst weit verlassen und nicht nur in naheliegenden Bereichen zu suchen.

VISIONARY CRAFTSMAN WERDEN In der Konsequenz bedeutet dies, dass Manager heute exzellente Handwerker, Entdecker und Visionäre in einer Person sein müssen. LEAD digital 07_2013

SERIE „FALSCHE MYTHEN“ Teil 1 (LEAD digital 5/2013, 6.3. 2013): Es geht nicht darum, um jeden Preis der Erste zu sein. Richtiges Timing ist die neue Geschwindigkeit. Teil 2 (LEAD digital 7/2013, 3.4. 2013): Die Unmöglichkeit, innovativ zu sein – oder warum Apple auch nur Me-too macht. Teil 3 (LEAD digital 9/2013, 2. 5. 2013): „Don’t follow the free“ – oder warum Google und Facebook nichts kostenlos anbieten.

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