StiftungsReport 2007

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in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern noch relativ wenig populär? Die Tradition des Stiftens hat in Deutschland eine über tausendjährige Geschichte. Wir haben aber im 20. Jahrhundert so gut wie alles erlebt, was Stiftungen ruinieren kann: Zwei große Kriege, Inflation, Währungsreform, zwei Diktaturen. Diktaturen sind immer stiftungsfeindlich, weil Stiftungen Ausdruck des freien Bürgertums sind und somit wesensfremd zu totalitären Regimen. Auch die Wiederaufbauzeit nach dem Krieg, die Konsumwelle, all das, was die Menschen nachgeholt haben, hat nicht dazu beigetragen, dass viele Stiftungen entstanden sind. Jetzt aber haben wir auch eine moderne Welle von Stiftungsgründern, etwa aus der Software-Generation. Oder Franz Burda in Baden-Baden, der das Ideal des Stifters verkörpert: Er baut eine Kunsthalle auf Kosten seiner Stiftung. Aus den Erträgen der Stiftung kann der Betrieb der Kunsthalle auf Dauer finanziert werden und er stiftet seine gesamte Kunstsammlung, die er über sein ganzes Leben erworben hat. Die Idee, eine Sammlung zu stiften und die Stadt das Museum bauen zu lassen, ist das Modell von gestern. Heute gibt es nach vielen Jahrzehnten des materiellen Wohlstandes Menschen, die diese idealen Stiftungen initiieren können. Und ich glaube, dass die Zahl dieser Menschen in den nächsten Jahren noch wächst. Die Schwelle, große Summen zu spenden, liegt in den USA bei einem Privatvermögen von 20 Millionen Dollar. In Europa ist die Schwelle fünfmal so hoch. Gibt es im mittleren Segment der Vermögenden, also unterhalb der Ultrareichen, noch ein großes Potenzial? Der Vergleich mit den USA ist nicht angemessen. Hätten wir ein Erbschaftssteuerrecht wie in Amerika, gäbe es hierzulande eine andere Stiftungsszene. Sollte man also die Erbschaftssteuer zum Segen der Stiftungen auf 100 Prozent anheben? Verfassungsgemäß sollte es schon noch StiftungsReport 2007

sein. Wir haben aber in den USA eine generell andere Kultur. Vieles, was bei uns vom Staat geleistet wird, machen dort die Privaten. Um es auf den Punkt zu bringen: In den USA hat es keinen Bismarck gegeben und deshalb hat Deutschland keine Gates-Stiftung. Ich bin aber sicher, dass im deutschen Mittelstand ein großes Potenzial für Stifter besteht. Speziell bei der Frage der Unternehmensnachfolge – besonders bei kinderlosen Unternehmerpaaren. Oder bei Personen, die das Unternehmen sichern und gleichzeitig philanthropisch tätig werden wollen. Wie kommt es, dass in NordrheinWestfalen, wo es sicher eine Reihe wohlhabender Menschen gibt, erstaunlich wenige Stiftungen existieren? Auch hier gilt: Die heutige Situation beruht auf jahrhundertealten Entwicklungen. Hamburg und Frankfurt am Main sind die stiftungsreichsten Städte, weil sie als Hanse- oder freie Reichsstädte von den Bürgern über Jahrhunderte selbst regiert wurden. Da war kein Bischof, kein Herzog, da gab es keine obrigkeitsorientierten Strukturen, sondern die Kaufleute und Handwerker haben den Rat und damit die Politik bestimmt. Die Bürger haben ihre Universitäten und Museen selbst gegründet. Diese Mentalität lässt sich in Herne oder Wanne-Eickel nicht in ein, zwei Generationen schaffen. Unsere beiden Sorgenkinder sind das Ruhrgebiet und Ostdeutschland. Da müssen im ideellen und im materiellen Bereich die Voraussetzungen geschaffen werden, Stiftungen zu gründen. In den USA gibt es jährliche Rankings, auf denen die hundert spendierfreudigsten Philanthropen öffentlich präsentiert werden. Dort existiert ein regelrechter Wettstreit unter den Stifterinnen und Stiftern, wer am meisten spendet. Ist solch ein Vorführen der Großzügigkeit den Deutschen zu vulgär? Ich finde das überhaupt nicht vulgär. Man sollte regelmäßig öffentlich sagen: „Wer schafft die meisten Arbeitsplätze? Wer zahlt die meisten Steuern? Wer stiftet am


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