Equal Pay Day 2011

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Journal des Nationalen Aktionsb端ndnisses zum

equal pay day

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Partner des Nationalen Aktionsb端ndnisses


Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Grußwort der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Kristina Schröder . . . . . . . . . . . . 4 Forderungskatalog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Equal Pay Day . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Interview mit der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Kristina Schröder . . . . . . . . . . . . . 8 Geschlechterstereotype . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Auf dem Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Frauen auf dem Arbeitsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Unklare Rollenleitbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Spitzenpositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Gender-Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Mundipharma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Gehaltsverhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Bündnispartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

Impressum

Auflage: 17.000 Chefredaktion: Nicole Beste-Fopma, Tel.: 06023 993081, info@beste-fopma.de V.i.S.d.P.: Henrike von Platen, Präsidentin BPW Germany e.V. c/o BPW Geschäftsstelle (s. Seite 28) Korrektorat: Birgit Kirchner, ECS – Euro-Communication-Service, Stockstadt/Main, ecs@eso.de Gestaltung: deernsundjungs design, agentur für markenkommunikation, Elbchaussee 18, 22765 Hamburg Umsetzung: Rosenrot Design, Theresa Meixner, Schubertstraße 10, 63791 Karlstein Druck: GK Druck Gerth und Klaas GmbH & Co. KG, Sieker Landstraße 126, 22143 Hamburg Fotos: photocase, mcn-photodesign.com, marion c. neumann-quix, Foto der Ministerin: BMFSFJ/L. Chaperon

Gefördert vom


Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Mit Blick auf die Ursachen von Entgeltunterschieden wird immer wieder deutlich, dass vor allem ein gesellschaftlich bedingtes, tradiertes Rollenverständnis persönliche Verhaltensmuster und damit auch den beruflichen Werdegang von Frauen und Männern erheblich beeinflusst. Grundgelegt in frühester Kindheit verfestigen sich traditionelle Vorstellungen darüber, welchen Bildern Männer oder Frauen nach Meinung der Gesellschaft gerecht werden müssen. Sie beeinflussen die Wahl von Schulfächern, später auch die Wahl des Studienfachs oder des Ausbildungsberufs. Auch nach Abschluss der Ausbildung werden sowohl private als auch berufliche Entscheidungen in erheblichem Maße an den so gesteuerten Eigen- und Fremderwartungen orientiert. Dabei könnten sich Frauen und Mädchen neue Karriere- und Einkommenschancen erschließen, wenn sie zum Beispiel stärker auch technische Berufe ergreifen würden, die häufig überdurchschnittliche Verdienstperspektiven bieten und in denen Fachkräfte dringend gesucht werden. Auf Grund der ihnen nach wie vor zugewiesenen Hauptverantwortung für Kindererziehung, Pflege von älteren oder kranken Familienangehörigen und nicht zuletzt für die Hausarbeit reduzieren Frauen zudem deutlich häufiger als Männer den Umfang ihrer Erwerbstätigkeit. Der mit 45 Prozent hohe Anteil von Frauen in Teilzeit ist eine Ursache dafür, dass Frauen seltener als ihre männlichen Kollegen leitende und damit höher dotierte Positionen einnehmen. Die meist bewusst gewählte Teilzeittätigkeit ist daher u.a. mittelbar für das geringere Lohnniveau von Frauen verantwortlich. Männer verfolgen – ebenfalls vor dem Hintergrund der Eigen- und Fremderwartungen – ihre Karriere meist konsequenter und verbessern ihre Einkünfte. Frauen holen diesen Vorsprung später oft nur schwer auf. Das Bündnis zum Equal Pay Day hat sich entschieden, in diesem Jahr diese Fragen in den Mittelpunkt von Materialien und Aktionen zu stellen und deshalb am 01. Januar 2011 eine Unterschriftenaktion mit politischen Forderungen zum Abbau von Rollenstereotypen gestartet. Eine Übergabe der Unterschriftenliste an die politisch Verantwortlichen erfolgt zeitnah nach dem Equal Pay Day. Mit dieser Broschüre stellt das Bündnis allen an diesen Fragen und politischen Herausforderungen Interessierten, insbesondere aber denjenigen, die mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen vor Ort dazu beitragen, dass am Thema Entgeltunterschiede niemand mehr vorbeikommt, Informationen zu etlichen Aspekten der Fragestellung zur Verfügung. im Auftrag der Bündnispartner Henny Engels Deutscher Frauenrat

Alexander Gunkel BDA

Die enthaltenen Beiträge geben die Meinungen der Autorinnen und Autoren und nicht die der Bündnispartner wieder.

03 Editorial

zum nunmehr dritten Mal führt das 2009 gegründete Nationale Aktionsbündnis den Equal Pay Day gemeinsam durch. Die Diskussion über Entgeltunterschiede zwischen Frauen und Männern in der Öffentlichkeit ist nach wie vor hochaktuell und das öffentliche Interesse nimmt weiter zu. Fachkräftemangel und demografischer Wandel machen im Zusammenspiel mit dem Streben der Frauen nach beruflichem Erfolg schlüssige Konzepte zur Verbesserung der Erwerbs- und Einkommens­ chancen von Frauen erforderlich.


grusswort

der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Kristina Schröder

04 Grußwort Ministerin

Foto: BMFSFJ/L. Chaperon

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Von den vollbeschäftigten Frauen verdienen 41 Prozent weniger als 2000 Euro, 28 Prozent mehr als 3000 Euro, während das Verhältnis bei den Männern in Vollzeitbeschäftigung genau umgekehrt ist: 47 Prozent der vollzeitbeschäftigten Männer verdienen mehr als 3000 Euro, 21 Prozent verdienen weniger als 2000 Euro. Von gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern im Erwerbsleben kann also auch im Jahr 2011 keine Rede sein. Die Hauptursachen für das unterschiedliche Gehaltsniveau sind bekannt. Frauen fehlen in bestimmten Berufen, Branchen und auf den höheren Stufen der Karriereleiter. Frauen unterbrechen oder reduzieren familienbedingt häufiger und länger als Männer ihre Erwerbstätigkeit. Und nach wie vor werden typische Frauenberufe schlechter bezahlt als traditionelle Männerjobs. Mit einer ursachengerechten Strategie der Überwindung der Entgeltungleichheit macht das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Hintergründe ungleicher Einkommens­ situationen transparent und entwickelt im Einklang mit der EU-Kommission und im Schulter­­schluss mit Unternehmen und Verbänden wirkungsvolle Maßnahmen für faire Chancen von Frauen und Männern im Erwerbsleben. Dabei geht es mir vor allem darum, dass Menschen, die Verantwortung für Kinder oder pflegebedürftige Angehörige übernehmen, die ökonomischen Risiken dieser Entscheidung nicht alleine tragen müssen. Das Elterngeld mit seinen Partnermonaten, der Ausbau der Kinderbetreuung und unser Aktionsprogramm „Perspektive Wiedereinstieg“, das Frauen bei der Rückkehr in den Beruf unterstützt, tragen zu einer partnerschaftlichen Teilung familiärer und beruflicher Aufgaben zwischen Frauen und Männern bei, so dass Einkommen und Alterssicherungsansprüche sich angleichen können. Besondere Aufmerksamkeit schenken wir den Entgeltungleichheiten in ländlichen Räumen, wo der Lohnabstand sehr viel höher ausfällt als in städtischen Ballungsräumen. Künftig werden wir unsere Anstrengungen gerade in ländlichen Gebieten intensivieren. Mit dem Landfrauenverband haben wir dafür einen neuen, starken Partner gewonnen, der die strategische Allianz des nationalen Equal Pay Day-Bündnisses unter Koordination des BPW wirkungsvoll ergänzen kann. Ein wichtiger Partner im Bemühen um faire Berufschancen für Männer und Frauen ist und bleibt das Nationale Aktionsbündnis. Ich wünsche dem Bündnis und allen, die sich - nicht nur am Equal Pay Day 2011 - für mehr Lohngerechtigkeit engagieren, weiterhin viel Erfolg und öffentliche Aufmerksamkeit! Mit freundlichen Grüßen

Dr. Kristina Schröder


„Mannsbilder? – Weibsbilder? – Neue Bilder!“

Forderungskatalog und Unterschriftenaktion des Nationalen Aktionsbündnisses

Entgeltunterschiede haben vielfältige Ursachen. Eine besondere Rolle kommt den tradierten Rollenstereotypen zu. Sie beeinflussen nicht nur die Aufgabenverteilung in den Familien, sondern auch das Berufswahl- und Erwerbsverhalten von Frauen und Männern. So arbeiten Frauen nach wie vor häufig in Teilzeit, sind nur selten in Führungspositionen zu finden und unterbrechen ihre Erwerbstätigkeit häufiger aufgrund von Betreuungs- oder Pflegearbeiten in der Familie. Dies führt zu Ein­ bußen bei Gehalt und Karriere und letztlich nicht selten zu einer nicht existenzsichernden Rente. Auch das derzeitige Steuer- und Sozialversicherungsrecht macht das Bündnis für den Gender Pay Gap verantwortlich: Sowohl das Ehegattensplitting als auch die beitragsfreie Familienmitversicherung wirkt sich negativ auf die Erwerbsneigung von Frauen aus. Solche Regelungen machen einen geringen Arbeitszeiteinsatz oder die Alleinverdienerehe nach wie vor oft zu einem attraktiven Modell. Die daraus resultierenden Entgeltunterschiede verstärken wiederum die althergebrachte Rollenverteilung in den Familien. Gleichzeitig stellt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch immer ein Problem dar: Viele Mütter gehen, wenn überhaupt, nur eingeschränkt einer Erwerbstätigkeit nach, weil keine adäquate Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder zur Verfügung stehen. Die Bündnisverbände halten deswegen den flächendeckenden Ausbau an Kindertageseinrichtungen für dringend erforderlich. Zudem fordert das Bündnis eine zukunftsfähige Arbeits- und Unternehmenskultur, die eine sinnvolle Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienarbeit ermöglicht. Die Aktion läuft bis zum Equal Pay Day am 25. März 2011 und umfasst damit jenen symbolischen Zeitraum, den Frauen im Durchschnitt länger arbeiten müssten, um das durchschnittliche Vorjahresgehalt von Männern zu erreichen. Nach Abschluss der Aktion übergibt das Bündnis alle gesammelten Unterschriften an die bundespolitisch verantwortlichen Personen. Das Nationale Aktionsbündnis fordert Entgeltgleichheit für eine zukunftsfähige Gesellschaft • eine geschlechtsrollen-sensible Erziehung in Kindertageseinrichtungen und Schulen sowie die Sensibilisierung und Ausbildung verantwortlicher Pädagogen mit anschließender Evaluation der Maßnahmen • eine Unternehmens- und Arbeitskultur, die eine sinnvolle Vereinbarung von Arbeit und Familie für Frauen und Männer gewährleistet • die gleichmäßigere Aufteilung der Elternzeit zwischen Müttern und Vätern • den flächendeckenden Ausbau von Kindertageseinrichtungen und Ganztagsschulen • den Abbau von Fehlanreizen im Steuer- und Sozialversicherungsrecht • die Abschaffung der kostenfreien Mitversicherung nicht erwerbstätiger Ehepartner in der gesetzlichen Krankenversicherung Die Unterschriften können auch auf www.equalpayday.de geleistet werden.

05 Forderungskatalog

Das Aktionsbündnis zum Equal Pay Day hat zum 1. Januar 2011 eine Unterschriftenaktion zum Abbau von Entgeltunterschieden gestartet und dafür einen Forderungskatalog entwickelt. Damit weist das Bündnis auf den in Deutschland bestehenden Entgeltunterschied von aktuell 23 Prozent hin. Unter dem Motto „Mannsbilder? - Weibsbilder? - Neue Bilder!“ wirbt das Aktionsbündnis für ein Aufbrechen der althergebrachten Rollenverteilung und fordert unter anderem den flächendeckenden Ausbau von Kindertageseinrichtungen, die gleichmäßigere Aufteilung der Elternzeit oder auch Verbesserungen im Steuer- und Sozialversicherungsrecht.


Dritter Equal Pay Day mit Rekordbeteiligung

Rund 260 Aktionen mit mehr als 70.000 Teilnehmenden

06 Equal Pay Day

Text von Simone Denzler

Am 26. März 2010 wurde in Deutschland zum dritten Mal der Aktionstag Equal Pay Day begangen. Mit 259 Aktionen in 173 Städten und Gemeinden wurde bundesweit darauf aufmerksam gemacht, dass Frauen im Schnitt nach wie vor 23 Prozent weniger verdienen als Männer. Die Aktionen reichten von Kundgebungen und Aufmärschen mit roten Taschen über Info-Stände, Podiumsdiskussionen, Speed-Coachings und Gehaltsverhandlungs-Workshops bis hin zu Rabattaktionen. Die Veranstaltungen wurden größtenteils von den Partnern im ­Nationalen Aktionsbündnis zum Equal Pay Day durchgeführt. Trotz schlechten Wetters am Aktionstag zählten die Organisatorinnen und Organisatoren mindestens 70.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die sich informierten, Gespräche führten oder an Workshops und Coachings teilnahmen. Neben vielen anderen Veranstaltungen fanden in Berlin, München und Hannover jeweils große Aktionen statt. In Berlin rief der Deutsche Frauenrat gemeinsam mit seinen Mitgliedsverbänden und Vertretern aus der Politik zu einer Kundgebung und Straßenaktion am Brandenburger Tor auf. In München formierten sich 24 Verbände zu einem Aktionsbündnis für gleiche Bezahlung, informierten unter dem Motto „Marienplatz sieht rot“ zu Entgeltunterschieden und gaben kostenlose Rechts-, Geld- und Karriereberatung. Management-Trainerin und Bestseller-Autorin Sabine Asgodom stand erstmals mit ihrem Programm „Habt Mitleid mit den Männern“ auf der Bühne, und in der sich daran anschließenden Podiumsdiskussion ging es um konkrete Maßnahmen zum Abbau von Entgeltunterschieden. In Hannover fand eine Podiumsdiskussion unter anderem mit SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, Edeltraud Glänzer, geschäftsführendes Hauptvorstandsmitglied der IG BCE, und mit Barbara Steffner, Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland, statt.

Eingeläutet wurde der Aktionstag am Vortag mit einer Presse­ konferenz des Nationalen Aktionsbündnisses in Berlin. Auf dem ­Podium saßen Vertreterinnen der Bündnisverbände sowie Dr. Hermann Kues, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Kues nahm Stellung zu Logib-D und zum geplanten Stufenplan des Ministeriums. Das Nationale Aktionsbündnis bekräftigte ­erneut, weiterhin gemeinsam und entschieden gegen die vielfältigen Ursachen von Entgeltunterschieden vorzugehen. „Entgelt­ungleichheit werden wir nur in engem Schulterschluss von Zivilgesellschaft, Politik, von Familien- und Frauenverbänden und den Sozialpartnern beseitigen können. Das geht nicht per Federstrich.“, so Kues. Kues stellte die „Wiedereinstiegslotsin“ vor. Das Projekt des Katholischen Deutschen Frauenbunds (KDFB), das vom BMFSFJ gefördert wird, soll Frauen beim ­beruflichen Wiedereinstieg unterstützen. Zahlreiche Politiker jeglicher Couleur äußerten sich positiv zu den Forderungen des Equal Pay Day. Übereinstimmend sprachen sich alle Bundestagsfraktionen für eine Verbesserung der ­Situation von Frauen im Erwerbsleben aus.


Geschichte des Equal Pay Day

Der Equal Pay Day

2008 wurde der Equal Pay Day, der internationale Aktionstag für Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen, auf Initiative der Business and Professional Women (BPW) Germany erstmals in Deutschland durchgeführt. Entstanden ist der „Tag für gleiche Bezahlung“ in den USA. Initiatorinnen waren die amerikanischen Business and Professional Women (BPW/USA), die 1988 die „Red Purse Campaign“ ins Leben riefen, um auf die bestehende Lohnkluft hinzuweisen. Diesen Gedanken griff der BPW Germany auf und startete die Initiative Rote Tasche, aus der heraus die Idee für die bundesweite Einführung des Equal Pay Day entstanden ist. Die roten Taschen stehen für die roten Zahlen in den Geldbörsen der Frauen. Bei der deutschen Premiere des Equal Pay Day 2008 nahmen bundesweit 6.000 Frauen und Männer an rund 40 Aktionen und Veranstaltungen in 25 Städten teil. 2009 hat sich das Aktionsbündnis zum Equal Pay Day, dem die Bundesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Frauenbüros und Gleichstellungsstellen (BAG), die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), der Deutsche Frauenrat (DF) und der Verband deutscher Unternehmerinnen (VdU) angehören, auf Initiative der Business and Professional Women (BPW) Germany zusammengeschlossen. Das Bündnis konnte gemeinsam bereits im ersten Jahr bundesweit rund 60.000 Bürgerinnen und Bürger mobilisieren, die an 180 Veranstaltungen teilnahmen. Hintergründe und Ziele Hintergrund des Aktionstags sind die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen, die in Deutschland seit Jahren nahezu unverändert bei insgesamt 23 Prozent liegen. Die Bundesrepublik bildet damit eines der Schlusslichter in der Europäischen Union, in der Frauen nach jüngsten Statistiken im Durchschnitt 17 Prozent weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Das Datum des Aktionstags verdeutlicht diesen Unterschied: Bis zum 25.

März müssten Frauen im Bundesgebiet dieses Jahr mit einem üblichen Durchschnittsverdienst über alle Branchen und Berufe arbeiten, um auf das Vorjahresgehalt von Männern zu kommen. Die Ursachen der Lohnlücke sind vielfältig. So arbeiten Frauen häufiger in Bereichen, in denen das Entgeltniveau niedriger ist. Frauen sind seltener in gut bezahlten Führungspositionen vertreten und verfügen durch familienbedingte Unterbrechungen über weniger Berufsjahre. Bestehende Rollenbilder beeinflussen nicht nur die Aufgabenverteilung in den Familien, sondern auch das Berufs­wahl­verhalten; dies schlägt sich wiederum beim Einkommen nieder. Schließlich sind auch staatliche Rahmenbedingungen – insbesondere die nach wie vor häufig unzureichenden und zu unflexiblen Möglichkeiten der Kinderbetreuung – für die Entgeltunterschiede verantwortlich. Ziel des Aktionsbündnisses ist es daher, mit dem Equal Pay Day die Debatte über die Gründe der Entgeltunterschiede zwischen Männern und Frauen in Deutschland in die Öffentlichkeit zu tragen, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, zu sensibilisieren und zu mobilisieren, damit sich die Lohnschere schließt.

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Die Durchführung des Aktionstags wird seit 2008 durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert. Für die Einführung des Equal Pay Day in Deutschland erhielten die Initiatorinnen 2009 den Innovationspreis „Ausgewählter Ort im Land der Ideen“. Dr. Bettina Schleicher, Past-President des BPW Germany und maßgeblich an der Einführung des Equal Pay Day in Deutschland beteiligt, erhielt 2009 für ihr ehrenamtliches Engagement das Bundesverdienstkreuz. Hinweise auf Veranstaltungen, Daten, Fakten, Verhandlungstipps und umfangreiches Recherchematerial zu Entgeltgerechtigkeit finden Sie im Internet unter: www.equalpayday.de

07 Equal Pay Day

Text von Simone Denzler


Interview mit Dr. Kristina Schröder,

Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

08 Interview Ministerin

Das Interview führte Nicole Beste-Fopma

Frau Dr. Schröder, Ihr Ministerium hat bereits zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um den Entgeltunterschieden entgegenzuwirken. Dennoch stagniert der unbereinigte Wert seit Jahren bei 23 Prozent. Welche weiteren Maßnahmen sind geplant, um das erklärte Ziel, die Differenz bis 2020 auf zehn Prozent zu senken, doch noch zu erreichen? Innerhalb der EU ist vor einigen Jahren der Standard entwickelt worden, den Entgeltunterschied als Vergleich der durchschnittlichen Bruttostundenlöhne von Frauen und Männern zu messen. Auf diese Weise kommen wir in der Tat auf 23 Prozent. Diese Zahl misst aber nicht einen Gehaltsunterschied von Frauen und Männern im gleichen Beruf. Hier hat das Statistische Bundesamt berechnet, was Frauen auch bei gleicher Qualifikation und Tätigkeit je Stunde durchschnittlich weniger verdienen als Männer – und kam auf acht Prozent. Beide Werte sind ein Ansporn, alles dafür zu tun, die Barrieren auf der Karriereleiter für Frauen zu überwinden. Dazu gehören flexible und familienbewusste Arbeitszeiten, das Elterngeld mit seinen Partnermonaten oder der Ausbau der Kinderbetreuung. Wichtig sind gezielte Maßnahmen wie das Aktionsprogramm „Perspektive Wiedereinstieg“. Damit bieten wir Frauen ganz konkret Hilfe an, zum Beispiel durch ein Informationslotsenportal, individuelles Coaching und Kurse, die sie auf Gehaltsverhandlungen vorbereiten. Frauen verkaufen sich – gerade nach einer familienbedingten Erwerbsunterbrechung – nicht selten unter Wert. Wir unterstützen sie dabei, nach einer Familienphase wieder erfolgreich ins Berufsleben einzusteigen. Die meisten von ihnen sind hoch motiviert, flexibel und belastbar – Eigenschaften, die für jedes Unternehmen wichtig sind. Familienfreundliche und flexible Arbeitszeiten sowie die gezielte Förderung von Frauen – das sind doch keine Nettigkeiten, sondern in Zeiten wachsenden Fachkräftemangels längst ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft! Logib-D wurde 2009 als freiwilliges Messinstrument eingeführt, um in Unternehmen Entgeltstrukturen sichtbar zu machen. Wissenschaftlerinnen haben mit Unterstützung der Hans-BöcklerStiftung eg-check entwickelt, ein Instrument, das eine Ungleichbehandlung der Geschlechter beim Arbeitsentgelt sicht-

bar machen kann. Warum Logib-D und nicht eg-check oder beide, da beide Instrumente unterschiedliche Ansätze haben und somit auch unterschiedliche Ergebnisse liefern? Logib-D spricht gezielt die Arbeitgeber an und unterstützt sie, faire Entgeltstrukturen zu schaffen sowie gleiche Aufstiegschancen für Frauen und Männer. Schließlich zahlen sich Fairness und Chancengleichheit auch für die Unternehmen selbst aus: Sie gewinnen an Attraktivität im Wettbewerb um gute Arbeitskräfte – und das sind ja gerade auch die weiblichen Bewerber, da reicht ein Blick auf die Schulnoten und Diplomzeugnisse. Logib-D analysiert die betriebliche Entgeltstruktur und macht transparent, was Frauen und Männer im Betrieb verdienen. Mit der kostenlosen Logib-D-Beratung helfen wir dem Arbeitgeber bei der Suche nach der besten Lösung für sein Unternehmen – 200 Unternehmen werden dieses Angebot in Anspruch nehmen können. Das Programm eg-check dagegen ist darauf angelegt, individuelle Lohndiskriminierung aufzudecken. Dabei werden einzelne Arbeitsplatzbeschreibungen miteinander verglichen, um konkrete Ungleichheitsfälle aufzudecken.

2001 vereinbarte die Bundesregierung mit führenden Wirtschaftsverbänden, Frauen mehr zu fördern. Dennoch steigt der Anteil von Frauen im Topmanagement nicht so schnell wie gewünscht. Worin sehen Sie die Ursachen? Das liegt unter anderem daran, dass Frauen in Deutschland sich weiter vor die Entscheidung zwischen Beruf und Familie gestellt sehen. Zum Glück wird es aber objektiv einfacher, beides gut mit­ ein­ander zu vereinbaren. Dafür braucht es allerdings auch ein flexibles Arbeitsumfeld – und das ist leider nach wie vor kein Standard. Mit der Kampagne „Familienbewusste Arbeitszeiten“, die ich im vergangenen Jahr gemeinsam mit dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag gestartet habe, wollen wir den Unternehmen Anregungen für flexiblere und familienfreundlichere Arbeitszeitmodelle geben. Dabei geht es nicht nur um die Frage, wie junge Paare Karriere und Kinder unter einen Hut bekommen, sondern zunehmend auch darum, wie Arbeitnehmer ihre Angehörigen pflegen können, ohne dabei den Job an den Nagel hängen zu müssen.


Denn klar ist: wenn die Rahmenbedingungen stimmen, dann ist es durchaus möglich, Familie und Beruf zu vereinbaren. In vielen europäischen Ländern wurde eine Frauenquote zur Besetzung von Aufsichtsratspositionen eingeführt. Warum nicht auch in Deutschland? Für mich ist eine Quote kein Allheilmittel. Denn eine Frauenquote bekämpft nur die Symptome und setzt nicht an den Ursachen an. Was wir brauchen, ist eine bessere Infrastruktur für die Betreuung – und daran beteiligt sich der Bund auch intensiv. Außerdem brauchen wir eine familienfreundliche Arbeitskultur, die den Eltern das gibt, was ihnen oft am meisten fehlt: Zeit mit ihren Kindern. Eine Quote muss nicht halten, was sie verspricht – und könnte als leistungsfremdes Kriterium unter Umständen den Rechtfertigungsdruck erhöhen und insoweit mehr schaden als nutzen: Die Frauen müssen doch im Zweifel beweisen, dass sie ihre Position nicht nur der Quote wegen bekommen haben. Deshalb ist diese Option für mich auch nur die ultima ratio. Außerdem können wir doch wirklich zuversichtlich sein: Die Unternehmen haben längst erkannt, dass sie Frauen an der Spitze brauchen. Wenn sie sich nun selber eine Zielvorgabe setzen, erhält die Entwicklung neue Dynamik. Ein Ziel, das man sich freiwillig setzt, stößt auf eine andere Akzeptanz als eine pauschale Quote, die der Gesetzgeber auferlegt. Daher müssen wir gemeinsam mit der Wirtschaft an einem Strang ziehen. Nur so wird es uns gelingen, ein Bewusstsein für das Thema zu erzeugen und schließlich einen Kulturwandel zu bewirken. Das diesjährige Schwerpunktthema des Journals zum Equal Pay Day ist Rollenstereotype. Kann die Politik den Rollenstereotypen entgegenwirken? Und wenn ja, wie? Werden Sie dabei von anderen Ministerien unterstützt? Seit 2001 fördern wir gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung den jährlichen Aktionstag Girls’ Day. An dem Tag können Mädchen Berufe entdecken, in denen sie bislang unterrepräsentiert sind. Das betrifft vor allem die Bereiche Technik, Informations- und Naturwissenschaft und das Handwerk. Parallel dazu werde ich im April dieses Jahres den Boys’ Day ins Leben

rufen. Auch Jungen sollen die Möglichkeit erhalten, neue berufliche Perspektiven zu gewinnen, auf die sie von selbst vielleicht nicht unbedingt gekommen wären – indem sie zum Beispiel einen Blick in soziale, erzieherische und pflegerische Berufe werfen. Ein weiteres Projekt, das mir sehr am Herzen liegt, ist die Initiative „Mehr Männer in Kitas“, die ich letztes Jahr gestartet habe. In den meisten Kitas gibt es fast nur Erzieherinnen, dabei brauchen Kinder unterschiedliche Rollenvorbilder, an denen sie sich orientieren können. (Männliche) Erzieher sind wichtig – gerade für Kinder von alleinerziehenden Müttern, die womöglich gar keine männlichen Bezugspersonen im familiären Bereich haben. Natürlich können auch Erzieher sehr fürsorglich sein, Windeln wechseln und Tränen trocknen. Und viele von ihnen spielen eher als ihre Kolleginnen Fußball mit den Jungs und den Mädchen. Erlauben Sie mir abschließend noch eine Frage: Wie ist der Stand zum Ausbau der Kinderbetreuung in Deutschland? Wir sind auf einem guten Weg. Bund, Länder und Kommunen haben auf dem Krippengipfel 2007 vereinbart, bis 2013 insgesamt 750.000 Betreuungsplätze für unter Dreijährige schaffen – das entsprach einer Betreuungsquote von 35 Prozent auf der Grundlage der damaligen Bevölkerungsprognosen. Aufgrund der demografischen Entwicklung bedeutet das im Jahr 2013 aus heutiger Sicht, dass sogar rund 38 Prozent der unter Dreijährigen in einer Kita oder in der Tagespflege betreut werden können. Ich bin der festen Überzeugung: Dieses Ziel können wir erreichen, wenn sich alle Beteiligten – Bund, Länder und Kommunen – an ihre finanziellen Zusagen halten. Die Ausbaukosten sind sehr hoch, sie betragen insgesamt zwölf Milliarden Euro. Vier Milliarden davon stellt der Bund zur Verfügung – und dabei bleibt es trotz aller Sparmaßnahmen auch! Wenn das wirklich eindrucksvolle Ausbautempo der letzten zwölf Monate anhält und Länder und Kommunen ebenfalls ihren Teil beitragen, dann werden wir gemeinsam ans Ziel kommen.

09 Interview Ministerin

Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend


„Typisch Mann“ – „Typisch Frau“

Geschlechterstereotype: Ursachen und Auswirkungen

10 Geschlechterstereotype

Text von Dr. Barbara Stiegler, Friedrich-Ebert-Stiftung Leiterin Arbeitsbereich Frauen und Geschlechterforschung

Der Mensch neigt dazu, seine Mitmenschen in Gruppen einzuteilen: „die Chinesen“, „die Lehrer“, „die Migranten“, aber auch „die Männer“ und „die Frauen“. Jeder dieser Gruppen ordnet er bestimmte charakteristische Merkmale, Stereotype, zu. Dabei wird in beschreibende und vorschreibende Elemente unterschieden. Beschreibend sind Annahmen über Eigenschaften und Verhaltensweisen, aber auch Zuständigkeiten, und vorschreibende Elemente sind Normen, wie die Angehörigen einer Gruppe sein sollen. Geschlechterstereotype – „die Männer“, „die Frauen“ – haben im Vergleich zu anderen Stereotypen eine besondere Bedeutung. Sie betreffen jeden Menschen und sind in gesellschaftliche Strukturen eingeschrieben. Geschlechterstereotype spielen im geschlechtsbezogenen Selbstkonzept, in den alltäglichen Interaktionen sowie in den allgemeinen Erwartungen, die an das eigene und das je andere Geschlecht gerichtet werden, eine Rolle. Hinzu kommt, dass sie durch die Selbstdarstellungen und die Wahrnehmung anderer Selbstdarstellungen permanent aktiviert werden und somit leicht als „natürlich wahr“ erscheinen. Stereotype – ein Spiegel der Realität Zu einem großen Teil sind Geschlechterstereotypen auch eine Widerspiegelung der realen Geschlechterverhältnisse in der Gesellschaft: Noch sind Frauen in vielen Fällen in der Familie für die Sorgearbeit zuständig. Auch in der Erwerbswelt sind sie zu einem großen Teil in sorgenden Berufen tätig (Grundschullehrerin, Altenpflegerin, Assistenzberufe), in denen in der Regel ein geringeres Einkommen erzielt wird. Männer sind in der Familie eher die Ernährer. Viele arbeiten in technischen Berufen und höheren Positionen. Die Verdienstmöglichkeiten in technischen Berufen sind wesentlich besser als in anderen Bereichen, und Führungspositionen ziehen ebenfalls ein höheres Gehalt nach sich. Stereotype machen daraus eine Norm, die im Laufe des Lebens erlernt wird. Und da aus der Beobachtung von Geschlechterverhältnissen auf Merkmale der Geschlechter geschlossen wird – Frauen erziehen Kinder, also sind Frauen empathisch, Männer

sind Manager, also sind sie dominant und zielstrebig –, zementieren sie die bestehenden, hierarchischen Geschlechterverhältnisse eher, als dass sie zu ihrer Auflösung beitragen. Gleichzeitig enthalten Stereotype oft auch naturalisierende und essenzialisierende, das heißt auf die Natur zurückzuführende und auf einen vermeintlichen Wesenskern reduzierte Zuschreibungen. Geschlechterstereotype werden dabei binär – heterosexuell, gegengeschlechtlich – konstruiert und enthalten hierarchische Wertungen. Mit traditionellen Geschlechterstereotypen beschrieben gelten Geschlechter als: 1. dual: Es gibt nur zwei Geschlechter. Jede Form „dazwischen“ gibt es nicht. 2. polar: Männliches ist Weiblichem entgegengesetzt. Männer sind also genau das Gegenteil von Frauen. So zum Beispiel in der Zuordnung bestimmter Fähigkeiten und Eigenschaften wie: Durchsetzungsfähigkeit, rationales Denken, technische Kompetenz zu Männern; Sensibilität, intuitives Denken und soziale Kompetenz zu Frauen. Aber auch in der Zuordnung von Aufgaben in der Gesellschaft: Die Aufgabe des Mannes als Ehemann und Vater ist vor allem die finanzielle Versorgung durch Erwerbsarbeit, die der Frau als Ehefrau und Mutter zunächst die direkte Betreuung der Kinder und die Pflege alter Menschen. 3. hierarchisch: Männliches ist dem Weiblichen überlegen, wobei das Männliche als die Norm angesehen wird und das Weibliche als die Abweichung. Stereotype machen das Leben einfacher Indem Mitmenschen einer Gruppe zugeordnet werden, werden ihre Merkmale – komplexe Verhältnisse und Konstrukte – auf einfache Sichtweisen reduziert. Dies entlastet die Wahrnehmung und das Denken. Teilt das Gegenüber die Stereotype, erleichtern sie den Umgang miteinander. Innerhalb einer Gruppe können sie dazu beitragen, dass sich Personen besser miteinander und somit auch mit der Gruppe identifizieren. Ergebnisse aus der Geschlechterforschung zeigen, dass dies auch


Der Mann

Der Mann muss hinaus In's feindliche Leben, Muss wirken und streben Und pflanzen und schaffen, Erlisten, erraffen,

Die Frau

Und drinnen waltet Die züchtige Hausfrau, Die Mutter der Kinder, Und herrschet weise Im häuslichen Kreise

auf die Gruppe der „Frauen“ und die der „Männer“ zutrifft. Im täglichen „doing gender“ spielen Stereotype eine entscheidende Rolle und führen so zum täglichen „doing difference“. Frauen werden im Umgang mit Männern als Frauen wahrgenommen. Sie verhalten sich „weiblich“. Ebenso werden Männer als Männer wahrgenommen und verhalten sich „männlich“. Weichen reale Menschen von Stereotypen ab, wird das oft als negativ em­pfun­ den.

von denen jede dritte als moderner Typ eingestuft wird. Zwischen traditionell und modern siedelt die Studie den „balancierenden Typ“ mit 24 Prozent an. Die größte Gruppe bilden die nach ihrer Rolle „suchenden Männer“ mit 30 Prozent. Aus den Verschiebungen folgern die Autoren, dass Männer in der Modernisierung ihrer Rolle den Frauen hinterherhinken. Bei den ganz Jungen stehen 41 Prozent moderne Frauen sogar nur 13 Prozent moderne Männer gegenüber.

Geschlechterstereotype weit verbreitet Die Ergebnisse der Sinus Sociovision-„Milieustudie zur Einstellung 20-jähriger Männer und Frauen zur Gleichstellung“ zeigen, dass zwar nicht von einer homogenen Gruppe der Zwanzigjährigen gesprochen werden kann, aber weiterhin vor allem Rollenstereotype und vorgelebte Rollenbilder wirksam und prägnant sind. Nach wie vor bilden sie den Hintergrund für die Vorstellungen eines „Frau-Seins“ und „Mann-Seins“ sowie das Bild einer „guten Mutter“ und eines „guten Vaters“ bei jungen Erwachsenen. Jüngere Männer geringerer oder mittlerer Ausbildung (meistens Jugendliche aus dem bürgerlichen Milieu) greifen auf traditionelle Rollenverteilungen zurück und stellen sich ihre Lebenspartnerin als „die Verantwortliche für Haus und Familie“ und vielleicht, wenn es sein muss, als „Nebenverdienerin“ vor.

Verankert in gesellschaftlichen Strukturen Verfestigt werden die Geschlechterstereotype durch eine Vielzahl realer Rahmenbedingungen. Nach wie vor ist die bereitgestellte Infrastruktur noch nicht darauf ausgerichtet, den Geschlechtern eine echte Chancengleichheit zu ermöglichen. Wenn ausreichend und qualitativ gute Betreuungsmöglichkeiten für Kinder und Hilfebedürftige sowie angemessene Mobilitätsmöglichkeiten fehlen, ergibt sich für viele Frauen keine andere Wahl, als ihre Kinder und pflegebedürftigen Angehörigen selbst zu betreuen.

Andere Männerstudien (Sinus 2009, Volz, Zulehner 2009) machen deutlich, dass etwa ein Drittel aller Männer die Geschlechterstereotypen voll bejaht. Laut Sinus-Studie bevorzugen 23 Prozent der Männer ganz explizit die traditionelle Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern, in denen der Mann der „starke Haupternährer der Familie“ ist. Die übrigen werden als moderner Lifestyle-Macho (14 %) oder als postmodern (31 %) und „neuer Mann“ (32 %) bezeichnet. Nach der Studie von Volz und Zulehner können 27 Prozent der Befragten dem Typ „traditioneller Mann“ zugeordnet werden. Das ist ein Rückgang um drei Prozentpunkte gegenüber einer Studie vor zehn Jahren, als es noch 30 Prozent waren. Beim modernen Männertyp sind es 19 Prozent (1998: 17 Prozent). Dem gegenüber stehen die befragten Frauen,

Faktoren wie die Lohnsteuerkartenkombination III und V und die Möglichkeit zur Mitversicherung nicht erwerbstätiger Ehefrauen in der Krankenversicherung bilden im Rahmen einer Ehe finanzielle Anreize, die Sorgearbeit voll zu übernehmen. Sind Hilfsbedürftige zu versorgen, wird dadurch ein Leben nach dem Geschlechterstereotyp nahegelegt: Der Mann delegiert die Sorgearbeit an die Frau, er steht im Erwerbsleben, sie arbeitet zu Hause. Auch das klassische Berufs- und Studienwahlverhalten ist Kennzeichen verfestigter Geschlechterstereotype. Die horizontale Segregation des Arbeitsmarktes unterscheidet Männerberufe von Frauenberufen und Männerbranchen von Frauenbranchen. Männerberufe sind techniklastig, Frauen arbeiten eher in Dienstleistungsberufen. Das differenzierte Erwerbsverhalten von Männern und Frauen führt dazu, dass die berufliche Entwicklung unterschiedlich verläuft und Männer öfter höhere Positionen erreichen als Frauen.

11 Geschlechterstereotype

Friedrich Schiller, Das Lied von der Glocke


12 Geschlechterstereotype

Stereotype und Entgeltdifferenz Kurz zusammengefasst bedeutet das für den Beitrag von Stereotypen zur Entgeltdifferenz zwischen den Geschlechtern: Traditionelle Geschlechterrollenstereotype ebnen Männern den Weg nach oben und Frauen den Weg nach Hause. In der neuesten Untersuchung des Statistischen Bundesamts (2010) werden strukturelle Faktoren für den Verdienstunterschied von Männern und Frauen genannt, die als Folge stereotyper Vorstellungen interpretiert werden können. Sowohl die Bundesregierung als auch die Wirtschaft bemühen sich, diesen Faktoren entgegenzuwirken. So zum Beispiel der Faktor „Berufserfahrung“. Je länger Frauen dem Arbeitsleben fernbleiben, desto größer ist der Lohnabstand bei ihrer Rückkehr. Je mehr sich also die Frauen dem Geschlechterrollenstereotyp entsprechend verhalten, desto mehr Verdienstausfall haben sie, wenn sie wieder einsteigen. Das neue Elternzeitgesetz geht jetzt davon aus, dass die Eltern nur noch im ersten Lebensjahr eines Kindes die private Betreuung übernehmen. Es setzt aber auch voraus, dass die Betreuung zwischen Vater und Mutter aufgeteilt wird und soll so zu einer Verkürzung der familienbedingten Unterbrechungszeiten führen. Auch der Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz schon für unter Dreijährige bewahrt Mütter und Väter vor langen Unterbrechungszeiten. Ein weiterer in der Studie aufgeführter Faktor ist die Berufswahl. Nach wie vor erschließen sich Frauen nicht alle Karriere- und Verdienstchancen, die vor allem auch Berufe im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) mit sich bringen. Alle Programme, Frauen in die MINT-Berufe zu fördern, wie beispielsweise der Girls‘ Day oder der nationale Pakt für Frauen in MINT-Berufen „Komm mach MINT“, und Männer in die sozialen Berufe, mit dem 2011 erstmals stattfindenden „Boys‘ Day“, versuchen hier Veränderungen zu bewirken. Auch die berufliche Position gehört zu den Faktoren, die nachweislich zur Entgeltdifferenz von 23 Prozent führen. Je höher die

Position, desto weniger Frauen. Viele Unternehmen bieten daher spezielle Mentoringprogramme für Frauen oder gehen sogar so weit, Quotierungen einzuführen, um so die berufliche Position von Frauen zu verbessern. Als letzter wesentlicher Faktor gilt die Beschäftigungsart. Viele Frauen arbeiten deswegen eher Teilzeit, weil sie noch eine zweite Schicht haben: Familie und Haushalt. Teilzeit und Auszeiten sind immer noch ein Karrierehemmnis, für Frauen und noch viel mehr für Männer. Viele Unternehmen haben dies erkannt und versuchen, mit Work-Life-Balance-Konzepten und mit Hilfe von betrieblichen Kinderbetreuungsangeboten sowie durch Erleichterungen für pflegende Beschäftigte, Änderungen zu bewirken. Subjektive Orientierung Und nicht zuletzt tragen auch subjektive Orientierungen am Geschlechterstereotyp zur Entgeltdifferenz bei. Wenn sich eine Vielzahl von Frauen und Männer auf die für ihr jeweiliges Geschlecht traditionellen Berufe orientiert, so ist das nicht einer natürlichen Neigung geschuldet, sondern eher als das Ergebnis einer stereotypen Orientierung zu interpretieren. Diese Männer und Frauen folgen dem, von dem sie glauben, dass die Gesellschaft es von ihnen erwartet. Ein geschlechtersensibler Berufswahlunterricht und eine ebensolche Berufsberatung können dem entgegen­ wirken. Auch mehren sich Untersuchungen, die feststellen, dass die Frauen selbst die relative Unterbewertung ihrer Leistungen für selbstverständlich halten (Liebig u. a., 2010). Nach Hinz lässt sich trotz des geringeren Bruttoeinkommens kein größeres Ungerechtigkeitsempfinden bei Frauen nachweisen. Und wenn Studierende angeben sollen, was sie für eine Entlohnung erwarten (Studentenspiegel 2010), offenbaren sich erhebliche Unterschiede zwischen Frau und Mann: Mit 2.877 Euro brutto pro Monat rechnen Studentinnen im ersten Vollzeitjob. Ihre männlichen Kommilitonen hingegen mit 3.456 Euro – also 20 Prozent mehr. Die Interpretation solcher Befunde, dass sich die Frauen selbst


Fazit Verschiedene Studien zeigen, dass es auch in diesen kulturell und historisch tief verwurzelten Konzepten von Mann und Frau durchaus Veränderungen gibt. Alternative Geschlechterkonzepte und entsprechende Lebensentwürfe, die die Geschlechter eher in ihrer Vielfalt, Komplexität und Egalität begreifen, werden von immer mehr und besonders auch jüngeren Menschen vertreten. Darum ist es sinnvoll und notwendig, in der Gesellschaft, im Bildungssystem und in den Unternehmen Leitbilder zu entwickeln, in denen die Geschlechtergrenzen eher verflüssigt als zementiert sind, Zuschreibungen entfallen und Geschlechterhierarchien abgebaut sind. Darüber hinaus müssen alle gesetzlichen Regelungen, die noch stereotypen Vorstellungen von den Geschlechtern entsprechen, auf den Prüfstand.

quellen Eckes, Thomas (2008): Geschlechterstereotype: Von Rollen, Identitäten und Vorurteilen. In: Becker, Ruth, Kortendiek, Beate (Hrsg.): Handbuch Frauen und Geschlechterforschung, 2. Auflage, Wiesbaden S. 171 – 183 Europäische Kommission (2010): Der geschlechtsspezifische Verdienstabstand in Europa aus rechtlicher Sicht, Europäische Union, Brüssel Hinz, Thomas; Liebig, Stefan (2010): Bericht zur Studie Einkommensgerechtigkeit in Deutschland, Uni Bielefeld und Konstanz Liebig, Stefan; Valet, Peter; Schupp, Jürgen (2010): Wahrgenommene Einkommensgerechtigkeit konjunkturabhängig, DIW-Wochenbericht, 27/28, S.11 – 20 Reuben, Ernesto; Rey-Biel, Pedro; Sapienza, Paola; Zingales, Luigi (2010): The Emergence of Male Leadership in Competitive Environments. IZA Discussion Paper No. 5300 Sinus Sociovision (2007): 20-jährige Frauen und Männer heute. Lebensentwürfe, Rollenbilder, Einstellungen zur Gleichstellung, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Berlin Statistisches Bundesamt (2010): Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen. http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/ Presse/pm/2010/10/PD10__384__621,templateId=renderPrint.psml Studentenspiegel 2010: Spiegel 41/2010 S. 50 – 53 Volz, Rainer; Zulehner, Paul M. (2009): Männer in Bewegung. Zehn Jahre Männerentwicklung in Deutschland. Ein Forschungsprojekt der Gemeinschaft der Katholischen Männer Deutschlands und der Männer­arbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland Wippermann, Carsten; Calmbach, Marc; Wippermann, Katja (2009): Identitäten und Verhalten von traditionellen, modernen und postmodernen Männern. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Berlin

13 Geschlechterstereotype

um den gerechten Lohn für ihre Leistung bringen, weil sie ja gar nicht mehr erwarten, ist zynisch. Besser wäre es, alles zu tun, um die Geschlechterstereotype abzubauen, die Frauen wie Männer leiten. Denn während Frauen eher dazu tendieren, sich selbst und ihre Leistung zu unterschätzen, gehen Männer sehr selbstbewusst mit ihrer Leistung um. Das verhilft den Männern zwar zu einem Wettbewerbsvorteil gegenüber den Frauen, gleichzeitig kann diese Selbstüberschätzung aber auch negative Folgen für ein Unternehmen haben. Nach Reuben (2010) ist die männliche Selbstüberschätzung der Hauptgrund dafür, dass Frauen trotz objektiv besserer Eignung vielfach die Führungsposition verwehrt bleibt. Darunter leidet dann der Erfolg des gesamten Unternehmens.


Auf dem Weg, aber nicht am Ziel

Frauen dürfen, können und wollen arbeiten

14 Auf dem Weg

Text von Dipl.-Soz. Doris Hess, Bereichsleiterin Sozialforschung bei infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH

In Sachen Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau befindet sich Deutschland gerade in einem diffusen Zwischenstadium. Allen Entwicklungen zum Trotz bleiben Stereotypen wie die drei K: Kinder, Küche, Kirche präsent. Zum einen, weil in älteren Generationen teilweise die klassischen Rollenbilder noch gelebt werden. Zum anderen, weil sich vor allem auch in der werblichen Kommunikation die Idee hält, dass tradierte Rollenbilder gut funktionieren. Tatsächlich haben sich jedoch Selbstverständnis, Bildung und Zukunftsperspektiven von Frauen stark gewandelt. Am deutlichsten ist dies im beruflichen Kontext sichtbar: Schon lange „dürfen“ Frauen arbeiten – das männliche Alleinverdienermodell gilt nicht mehr. Auch „können“ Frauen schon lange arbeiten – von einer fehlenden Ausbildung kann nicht mehr die Rede sein. Inzwischen „müssen“ Frauen sogar arbeiten. Deutschland hat auf Grund der Geburtenrückgänge ein starkes Interesse an weiblichen Berufstätigen. Denn nur mit älteren Arbeitnehmern oder zugezogenen Fachkräften lassen sich die absehbaren Lücken nicht schließen. Auch im eigenen Interesse arbeiten Frauen. Sie setzen sich nicht mehr der Unsicherheit aus, ob und wie der Staat sie alimentiert. Auch lassen sie sich nicht auf die Risiken einer abgeleiteten Versorgung durch den Ehemann ein. Über 90 Prozent der Frauen in Deutschland sagen, sie wollen „auf eigenen Beinen stehen“. Tendenz steigend. Frauen können arbeiten 2007 waren bundesweit insgesamt 44,5 Prozent der 18- bis 25-Jährigen studienberechtigt. Bei den Frauen lag der Anteil mit 48,6 Prozent höher als bei den Männern mit 40,5 Prozent. Wie aus dem 1. Datenreport zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Bundesrepublik Deutschland aus dem Jahr 2005 hervorgeht, stellten bereits im Wintersemester 2002/2003 junge Frauen erstmals mehr als die Hälfte aller Studienanfänger. Seither schwankt der Anteil der Studentinnen um die 50 Prozent, wie auch die Zahlen des Statischen Bundesamtes belegen. Allem Anschein nach ist die Entwicklung hin zur Gleichberechti-

gung von Mann und Frau in den vergangenen Jahren positiv verlaufen. Der detaillierte Blick zeigt jedoch Lücken. Haben Frauen Männer in Sachen Bildung eingeholt oder überholt, hinken sie bei der beruflichen Entwicklung noch hinterher. Auch wenn die aktuellen Arbeitslosenzahlen positiv stimmen: In Deutschland leben heute 20 Millionen Frauen im Alter zwischen 25 und 59 Jahren. Rund 5,6 Millionen sind nicht erwerbstätig, das sind 28 Prozent. Davon sind 1,8 Millionen arbeitsuchend und 3,8 Millionen Nichterwerbspersonen. Der Anteil von Frauen an den Führungspositionen in der Privatwirtschaft lag im Jahr 2006 im bundesweiten Durchschnitt bei 31 Prozent. Er ist damit zwar im Vergleich zu 2001 um rund fünf Prozentpunkte gestiegen, von Gleichberechtigung kann bei einer Ein-Drittel/Zwei-Drittel-Aufteilung aber keine Rede sein. Ähnlich ist die Situation bei Unternehmensneugründungen. Laut „Atlas zur Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aus dem Jahr 2009 sind im bundesweiten Schnitt lediglich 31,1 Prozent der Gründer Frauen. Frauen wollen arbeiten Untersuchungen, die infas und das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung für die Zeitschrift Brigitte durchgeführt haben, zeigen: Nur 64 Prozent der erwerbstätigen Frauen sind mit ihrem Beruf zufrieden. Und das, obwohl 99 Prozent der Überzeugung sind „Ich bin gut in dem, was ich mache“. Eigeninitiative im Job zeigen 91 Prozent, 92 Prozent macht ihre Arbeit Spaß. Allerdings finden nur 60 Prozent ihr Einkommen angemessen, und nur 47 Prozent geben an, dass sich Beruf und Kinder leicht vereinbaren lassen. Dabei scheuen Frauen berufsbedingte Belastungen nicht: 77 Prozent sind umzugsbereit für den Job, 50 Prozent würden für ein gutes Angebot Deutschland verlassen. Sie werden in diesem Kontext zudem kompromissloser: 2009 würden nur noch 17 Prozent für den Partner den Beruf wechseln. Bei der Erstbefragung waren es noch 37 Prozent.


Gründe für den Karriereknick Die Gründe für die ungleichen beruflichen Karriereerfolge liegen woanders: Jungen Frauen ist der Dreiklang von Beruf, Partnerschaft und Kindern gleichermaßen wichtig: eine feste Beziehung für 77 Prozent, der Beruf für 74 Prozent, eine Familie mit Kindern für 68 Prozent. Es ist jedoch häufig der Kinderwunsch, der zur Ungleichheit in der beruflichen Partizipation führt. Eigene Kinder führen zu einem erheblichen Karriereknick. Vielen Frauen ist es nicht möglich, nach einer Babypause wieder ins Berufsleben einzusteigen. Und wenn es gelingt, dann oft zu erheblich schlechteren Konditionen. Kinderbetreuung und Karriere sind in Deutschland nach wie vor schwer vereinbar. Ein weiterer Grund für Unterschiede im beruflichen Erfolg ist die in Deutschland unverändert geschlechtsspezifische Berufswahl. Beispiel Studium: Von 44.676 Abschlussprüfungen in der Fächergruppe Ingenieurwissenschaften im Jahr 2007 wurden 9.931 von Frauen abgelegt. Das entspricht einem Anteil von 22,2 Prozent. Von 8.999 Studierenden, die im Jahr 2007 die Prüfung für ein Lehramt im Primarbereich ablegten, waren nur 931 oder 10,3 Prozent Männer. Wenig hilfreich beim Abbau von Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern ist die geringe horizontale soziale Mobilität in Deutschland. So haben junge Frauen aus bildungsnahen Elternhäusern wesentlich bessere Chancen auf das Abitur als solche aus bildungsfernen. 81 Prozent der jungen Frauen, deren Eltern Abitur haben, haben auch diesen Abschluss erreicht. Haben die Eltern jedoch maximal den Hauptschulabschluss, so erreichen nur

20 Prozent der Töchter die Hochschulreife. Diese „Vererbung“ zementiert bestehende Ungleichheiten. Nicht zuletzt wird die mangelnde Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau durch unverändert bestehende Stereotype befeuert: „Freundschaften zu haben“ sehen 76 Prozent der Männer als typisch männlich an. „Zu seiner Meinung zu stehen“, bezeichnen 74 Prozent als männlich. „Nicht über Gefühle reden zu können“, ist für 67 Prozent der Männer eine zutreffende Charakterisierung der Männer. Frauen sehen das anders. Sie beurteilen „Freundschaften zu haben“ und „zu seiner Meinung zu stehen“ als weitaus weniger ausgeprägte männliche Eigenschaften. Und über 80 Prozent von ihnen sprechen Männern ab, „über Gefühle reden zu können“. Dagegen schreiben es die Frauen Männern eher zu, eine Entscheidung treffen zu können, ohne an die Konsequenzen zu denken, als es Männer selbst tun (68 zu 57 Prozent). Am deutlichsten unterscheidet sie jedoch eine andere Zuschreibung: „Zu seinen Fehlern zu stehen“, geben 43 Prozent der Männer als typisch männliche Eigenschaft an. Frauen haben hier ein gänzliche anderes, klar negatives Bild: Nur 18 Prozent von ihnen halten dies für eine männliche Eigenschaft. Dies entspricht einem Unterschied von 25 Prozentpunkten. Diese Stereotypisierungen und deren unterschiedliche Ausprägung entsprechen nicht der Selbsteinschätzung von Frauen und Männern. Deren persönliche Werte, Ziele, Wünsche und Hoffnungen liegen insbesondere bei den nachwachsenden Generationen sehr nahe beieinander. Fazit Für eine tatsächliche Gleichberechtigung sind aus Forschersicht drei Aspekte relevant: Eine deutliche Reduzierung der geschlechtsspezifischen Berufswahl, eine Eliminierung des Karriereknicks aufgrund von Kindererziehungspausen und eine erheblich verbesserte Wiedereingliederung von Frauen, die aus dem Berufsleben – aus welchen Gründen auch immer – ausgeschieden sind. Es kann vermutet werden, dass andere geschlechtsspezifische Ungleichheiten dadurch automatisch mit abgebaut werden.

15 Auf dem Weg

Junge Frauen stehen gleichaltrigen Männern in den persönlichen Anforderungen und Zielen im Berufsleben um nichts nach. Auch andere stereotypisch genannte Geschlechterunterschiede gibt es in der jungen Generation nicht. Es wurden keine Anhaltspunkte für Aussagen gefunden wie „Frauen führen besser“, „Frauen sind pflichtbewusster“, Frauen sind teamfähiger“. Auch sind Männer nicht belastbarer, cooler, zielstrebiger oder führungsfähiger. So zumindest die Selbstbilder der befragten Frauen und Männer.


Frauen auf dem Arbeitsmarkt

Pflegen, betreuen, unterstützen, assistieren

16 Frauen / Arbeitsmarkt

Text von Stefan Stuth und PD Dr. Marina Hennig, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

In unserer heutigen Gesellschaft dient die Erwerbstätigkeit nicht mehr allein der ökonomischen Existenzsicherung, sondern auch der Integration in die Erwerbs-Gesellschaft, der Selbstverwirklichung, sozialen Teilhabe, Anerkennung und der Eigenständigkeit (Ludwig 2003). Insofern klingt es positiv, wenn wir feststellen können, dass die Erwerbstätigenquote der Frauen in Deutschland in den letzten Jahrzehnten langsam aber stetig gestiegen ist. 73 Prozent der Frauen im Alter zwischen 25 und 59 Jahren sind erwerbstätig (Mikrozensus 2008: eigene Berechnungen). Aber obwohl das Qualifikationsdefizit von Frauen sich in den letzten Jahrzehnten verringert hat, sind die Karriere- und Verdienstchancen zwischen Frauen und Männern nach wie vor unterschiedlich. Die Aufstiegspositionen und höheren Hierarchieebenen sind nach wie vor männliche Domänen. Am eindrucksvollsten lässt sich dieses Missverhältnis im Gesundheits- und Sozialwesen, einer typischen „Frauenbranche“, nachzeichnen. 80 Prozent der Beschäftigten in diesen Bereichen sind weiblich (Statistisches Bundesamt 2010a: 94). Zwar finden sich in der oberen Hierarchieebene der Ärzte, Oberärzte, Chefärzte 46 Prozent Frauen (Mikrozensus 2006; eigene Berechnungen), doch in der oberen besser bezahlten Hierarchieebene nimmt ihr Anteil wieder ab. In hoch bezahlten Bereichen, wie beispielsweise der Chirurgie, beträgt der Frauenanteil 15,4 Prozent, in weniger gut entlohnten Bereichen, wie zum Beispiel Kinderheilkunde, beträgt er hingegen 55,8 Prozent. Aber wie kommen diese Unterschiede zustande? Zunächst diskutieren wir die Berufswahl als Folge der kindlichen Sozialisation. Daran anschließend betrachten wir die institutionellen und gesetzlichen Rahmenbedingungen sowie das Phänomen der feminisierten Dienstleistungsarbeit und deren Folgen, um einen Einblick in das Zustandekommen und die Vielschichtigkeit der Entgeltungleichheit zu gewinnen. Kindliche Sozialisation und weibliche Berufswahl Ein wesentlicher Grund für dieses Ungleichgewicht findet sich in der Berufswahl der Frauen, welche sich noch immer auf wenige, meist weiblich dominierte, Berufsfelder beziehungsweise Bran-

chen konzentriert. Die entscheidenden Weichen dafür werden bereits in der kindlichen Sozialisation gestellt und orientieren sich häufig an traditionellen Rollenbildern. So finden wir bei den fünf häufigsten Ausbildungsberufen, die 2009 von Mädchen gewählt wurden, die Bürokauffrau an erster Stelle, gefolgt von der Arzthelferin, Kauffrau im Einzelhandel, Friseurin und Zahnmedizinischen Fachangestellten. Bei den Jungen stand an erster Stelle der Kraftfahrzeugmechatroniker, gefolgt von Industriemechaniker, Anlagemechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik und Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik (Statistisches Bundesamt 2009a). Diese Segregation hat Auswirkungen auf die Frage der Entgeltgleichheit, denn gewerblich-technische Berufe werden häufig besser entlohnt als soziale Berufe. Im traditionell männerdominierten Industriesektor sind laut Statistischem Bundesamt 2010 nur 22,5 Prozent der Beschäftigten weiblich. Vollzeitschulisches oder duales Ausbildungssystem Der geschlechtsspezifisch differenzierte Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ist aber nicht allein das Resultat individueller Berufs­ orientierungen. Wie eine Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) zeigt, ist die Abweichung zwischen dem Wunschberuf und der tatsächlichen Berufsausbildung bei Frauen größer als bei Männern (BIBB-Datenreport 2009). Dies ist auch ein Ergebnis des differenzierten Berufsausbildungssystems. So existiert neben dem dualen Ausbildungssystem, in dem männliche Auszubildende noch dominieren, das vollzeitschulische System in Berufsbereichen, die überwiegend weiblich dominiert sind. Obwohl Vollzeitschulen in den Bereichen ausbilden, die als wachsende Zukunftsbranchen angesehen werden – Gesundheitsund Krankenpflegeberufe, Erzieher/innen- und Kinderpfleger/ innen sowie sozialpflegerische Berufe (Pimminger 2010) –, gelingt der Übergang in das Erwerbsleben seltener und wird die Ausbildung häufiger abgebrochen. Ausbildungen im vollzeitschulischen System haben einen geringeren Praxisbezug. Der Übergang zu einer Festanstellung gestaltet sich in aller Regel schwierig. Im Gegensatz dazu steht das duale Ausbildungssystem. Die Ausbildung findet hier innerhalb eines Betriebes statt, der in vielen Fällen die Perspektive auf eine spätere Übernahme bietet.


Diese Leitbilder begrenzen die jungen Frauen auf bzw. fördern Fähigkeiten und Interessen, die der familiär reproduktiven Arbeit entsprechen (Beck-Gernsheim 1976). Die Frauen werden somit doppelt auf den Bereich der Reproduktion – pflegen, betreuen, unterstützen, assistieren – verwiesen: Zum einen auf den geschlechtsspezifisch geteilten Arbeitsmarkt und zum anderen auf die Familie.

Teilzeitarbeit ist zudem meist mit Führungspositionen unvereinbar und zementiert so die geschlechtliche Rollenteilung bei der Haus- und Erziehungsarbeit. Hinzu kommt auch, dass Teilzeitarbeit in Deutschland zu 50 Prozent aus geringfügiger Beschäftigung besteht, die nur eine geringe Integration in die Sozialsicherungssysteme bietet. Mit Teilzeitarbeit und geringfügiger Beschäftigung erhöht sich das Risiko, einen Niedriglohn2 zu erhalten, drastisch (Kalina/Weinkopf 2008). Lange Unterbrechungszeiten und ausgedehnte Phasen der geringfügigen oder Teilzeitbeschäftigung wirken sich nicht nur negativ auf die aktuelle finanzielle Situation aus, sondern haben auch langfristige Auswirkungen, die erst mit dem Eintritt in die Altersrente ersichtlich werden. In den alten Bundesländern hatten Männer, die im Jahr 2009 in die Altersrente einmündeten, einen durchschnittlichen Rentenanspruch von 860 Euro, während der Anspruch bei Frauen gerade mal 463 Euro betrug3 (Deutsche Rentenversicherung 2010). Quellen Beck-Gernsheim, E. (1976). Der geschlechtsspezifische Arbeitsmarkt. Zur Ideologie und Realität von Frauenberufen. Frankfurt /M., Aspekte.

Dienstleistung und Teilzeit Die am häufigsten von Frauen gewählten Berufe sind Dienstleistungsberufe mit einer geringeren Vergütung. Sie bieten wenige bis keine beruflichen und finanziellen Aufstiegsmöglichkeiten, da sie nur einen geringeren Qualifizierungsgrad voraussetzen. Gleichzeitig zeichnen sie sich z. T. durch schwierige Arbeitsbedingungen aus, die zeitliche Flexibilität fordern und niedrige arbeitsinhaltliche Anforderungen beinhalten (Daheim 2001). Frauen arbeiten zudem häufig in Teilzeit. So waren im Jahr 2009 laut Statistischem Bundesamt nur neun Prozent der Männer teilzeitbeschäftigt, aber 46 Prozent der Frauen. Der Hauptgrund der Teilzeitbeschäftigung von Frauen in den alten Bundesländern liegt in der Schwierigkeit, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. In den neuen Bundesländern hingegen sind die meisten Frauen in Teilzeit erwerbstätig, weil sie keine Vollzeitstelle gefunden haben (Mikrozensus 2008; eigene Berechnungen). Erwerbsunterbrechung, Teilzeit und die Folgen Wie die Studie von Stuth et al. (2009) zeigt, weisen Frauen lange Erwerbsunterbrechungen auf. Zwar lässt die berufliche Tätigkeit einen hohen Grad an Flexibilität zu, diese Flexibilität ist aber nicht in der Kinderbetreuung gegeben. Die Frauen können und möchten daher nach einer Erwerbsunterbrechung häufig nicht mehr in die ursprüngliche Form der Beschäftigung zurückkehren. Je länger aber die Erwerbsunterbrechungen dauern, desto niedriger fällt bei einer erneuten Anstellung das Gehalt aus. Zusätzlich erfolgt der Wiedereinstieg dann mit einer reduzierten Arbeitszeit, da, insbesondere in den alten Bundesländern, die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit aufgrund der schwach ausgebauten Kinderbetreuung, wenn überhaupt, meist nur mit einer reduzierten Stundenzahl möglich1 ist. Die Voraussetzung für ein angemessenes Einkommen ist aber die Vollzeiterwerbstätigkeit oder vollzeitnahe Erwerbstätigkeit.

BIBB-Bundesinstitut für Berufsbildung (2009). Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2009. Bonn. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg) (2008). Entgeltungleichheit zwischen Frauen und Männern. Einstellungen, Erfahrungen und Forderungen der Bevölkerung zum „gender pay gap“. Sinus Sociovision. Berlin. Daheim, H. (2001). Berufliche Arbeit im Übergang von der Industrie zur Dienstleistungsgesellschaft. In: T. Kurtz: Aspekte des Berufs in der Moderne. Opladen: Leske + Budrich. Deutsche Rentenversicherung (2010). Rentenzugang 2009. Berlin. Kalina, T.; C. Weinkopf (2008). Weitere Zunahme der Niedriglohnbeschäftigung: 2006 bereits rund 6,5 Millionen Beschäftigte betroffen. IAQReport 2008-01, Universität Duisburg Essen. Ludwig, B. (2003). Konzeptentwicklung zur Integration der "Stillen Reserve" in eine regionale arbeitsmarktpolitische Strategie. Duisburg. Pimminger, I. (2010). Junge Frauen und Männer im Übergang von der Schule in den Beruf. Agentur für Gleichstellung im ESF im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Berlin. Statistisches Bundesamt (2009a). Bildung und Kultur. Berufliche Bildung. Fachserie 11 Reihe 3. Wiesbaden. Statistisches Bundesamt (2009b). Auszug aus dem Datenreport 2008. Kapitel 2 Familie, Lebensformen und Kinder. Wiesbaden. Statistisches Bundesamt (2010a). Statistisches Jahrbuch 2010. Wiesbaden. Statistisches Bundesamt (2010b). 20 Jahre deutsche Einheit. Wunsch oder Wirklichkeit. Wiesbaden. Stuth, S., M. Hennig, J. Allmendinger (2009). Die Bedeutung des Berufs für die Dauer von Erwerbsunterbrechungen. Discussion Paper P 2009-001, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Nur 3 % der unter dreijährigen Kinder können in den alten Bundesländern in eine Ganztagsbetreuung gegeben werden. (Statistisches Bundesamt 2009b: 40) Als Niedriglohn gilt ein Bruttostundenlohn, der in den alten Bundesländern unter 9,61€ und den neuen Bundesländern unter 6,81€ liegt. 3 Diese Diskrepanz zwischen männlicher und weiblicher Rente ist bereits durch die Anrechnung von Kindererziehungszeiten gemildert. Selbständige und Beamte sind nicht Teil der gesetzlichen Rentenversicherung. Sie gehen daher nicht in die Berechnung des Durchschnitts der Altersrente ein. 1

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17 Frauen / Arbeitsmarkt

Der gesetzliche Rahmen Neben dem geschlechtsspezifisch differenzierten Arbeits- und Ausbildungsmarkt tragen aber auch die gesetzlichen Regelungen dazu bei, dass traditionelle Rollenbilder wirken. Das Ehegattensplitting und die kostenfreie Mitversicherung von Ehepartnern in der Krankenversicherung tradieren das Bild von den Frauen als Hinzuverdienerinnen und den erwerbstätigen Ehemännern als Versorgern. Anders gesagt: Trotz aller Bemühungen wird in unserer Gesellschaft immer noch ein traditionelles Rollenverständnis reproduziert, das Mädchen und Frauen die Hauptverantwortung für die Familienarbeit zuschreibt und Jungen und Männern die Zuständigkeit für den finanziellen Fami­ lien­unterhalt.


Unklare Rollenleitbilder:

Frauen zwischen Zuverdienst und Familienernährerin

18 Unklare Rollenleitbilder

Text von Melitta Kühnlein, DGB-Bundesvorstand Leiterin des Projektes „Familienernährerinnen“

Die traditionelle Vorstellung einer bürgerlichen Familie sieht vor, dass der Mann als Ernährer für die finanzielle Grundlage der Familie sorgt, während Frauen auf den Bereich der unbezahlten Haus- und Fürsorgearbeiten verwiesen werden. Diese geschlechts­ spezifischen Rollenbilder haben sich bis heute in weiten Teilen der Gesellschaft insbesondere in den alten Bundesländern gehalten. Gleichzeitig zeigt sich: dass auch Frauen die Familie ernähren, ist längst Realität. Heute ist in rund jedem fünften Mehrpersonenerwerbshaushalt eine Familienernährerin für das finanzielle Auskommen ihrer Angehörigen zuständig, zur Hälfte als alleinerziehende Mutter, zur Hälfte als Familienernährerin in einem Paarhaushalt. Familienernährerinnen sind dabei definiert als Haupteinkommensbezieher, die für sich und andere – sei es ein Partner, seien es Kinder – den überwiegenden Teil des Einkommens verdienen, mindestens aber 60 Prozent (Brehmer u.a., 2010). Dass in Deutschland zunehmend Frauen die Familie ernähren, ist das Ergebnis mehrerer Entwicklungen der letzten Jahre. Frauen, die freiwillig die Rolle der Familienernährerin übernehmen, haben in der Regel eine hohe Qualifikation und eine hohe Arbeitsmarktposition, verbunden mit einem entsprechend hohen Entgelt. Hier spiegeln sich die Bildungsgewinne sowie die allgemein gestiegene Erwerbsneigung der Frauen wider. Hier zeigen sich zudem erste zarte Veränderungen im festgefügten traditionellen Rollenverständnis, denn dieser Rollentausch ist in Absprache mit den betroffenen Männern erfolgt und diese übernehmen im Gegenzug verstärkt den Haus- und Fürsorgebereich (Klammer u. a. 2010: S. 48f.). Bei genauerer Betrachtung des Phänomens weiblicher Familienernährer muss allerdings konstatiert werden, dass freiwillige Arrangements eher eine Ausnahme denn die Regel sind. Vielmehr gelangen Frauen in der überwiegenden Zahl unfreiwillig in die Rolle der Familienernährerin: wenn plötzlich der männliche Lohn wegbricht. Ein Rollentausch zwischen den Partnern war nie vorgesehen und so bleiben Familienernährerinnen in der Regel zusätzlich für die Haus- und Fürsorgearbeit verantwortlich. Diese

Familienernährerinnen haben überdurchschnittlich oft eine niedrige formale Bildung sowie ein geringes Einkommen und versorgen die Familie vielfach unter prekären Bedingungen (Brehmer u.a., 2010: 45, Klammer u.a. 2010: 3). Auch für Familienernährerinnen gilt: sie verdienen weniger als Männer Ein Großteil der Frauen kann so ihre Rolle als Ernährerin weniger gut erfüllen, als dies den Männern möglich ist. Denn obwohl Frauen heute schneller und häufiger als noch vor 15 Jahren zu Familienernährerinnen werden, verdienen sie deshalb noch lange keinen „Familienlohn“. Bis heute wird die Notwendigkeit eines hohen Verdiensts der Frau häufig nicht erkannt. Dass Frauen die Familie ernähren, ist oft nicht vorgesehen, ihr Gehalt gilt allenfalls als Zuverdienst. Frauen verdienen – auch aus diesen Gründen – bis heute durchschnittlich 23 Prozent weniger als Männer (Statistisches Bundesamt, 2010). In typischen Frauenberufen und -branchen, wie personennahen Dienstleistungen oder Einzelhandel, werden generell sehr geringe Entgelte bezahlt. Frauen dominieren mit einem Anteil von 69,2 Prozent der Beschäftigten den Niedriglohnsektor (Kalina/ Weinkopf, 2010), stellen 62,8 Prozent der Beschäftigten in Minijobs (Minijob-Zentrale 2010) und sind zu 68,8 Prozent in Teilzeit beschäftigt (Statistisches Bundesamt 2009). Und selbst bei gleicher Qualifikation und Tätigkeit verdienen sie immer noch acht Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen (Statistisches Bundesamt, 2010a). Dies alles trifft auch auf den Großteil der Familienernährerinnen zu. So sind sie überdurchschnittlich häufig in typischen Frauenberufen zu finden und arbeiten nur zur Hälfte in Vollzeit (Brehmer u.a., 2010). Da die Haus- und Familienarbeit weiterhin einseitig den Frauen zugeschrieben wird, gelangen viele der unfreiwillig in diese Rolle gekommenen Frauen aus langen Erwerbsunterbrechungen oder Zuverdienstregelungen (wie Teilzeitarbeit oder Minijob) in den Status einer Familienernährerin. Die Chancen, hieraus ein ausreichendes Einkommen für eine ganze Familie zu erwirtschaften, sind minimal.


Widersprüchliche gesetzliche Regelungen Der hohe Anteil der Familienernährerinnen im Niedriglohnbereich1 verweist zudem auf einige Entwicklungen der letzten Jahre. Insbesondere die Reformen des Sozial- und Unterhaltsrechts sowie die Ausweitung des Niedriglohnsektors spielen hierbei eine zentrale Rolle. Verliert der männliche Ernährer des Haushalts seine Erwerbstätigkeit durch Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit, so fordern die Hartz-Regelungen heute auch von der Partnerin die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Dies kommt der „Aufkündigung des deutschen Ernährermodells von unten“ gleich (Knuth 2006: 165). Ebenso wird heute im Fall einer Scheidung im seit Januar 2008 geltenden neuen Unterhaltsrecht auf den Grundsatz der Eigenverantwortung verwiesen. Jedem Ehegatten obliegt es demnach, selbst für seine Existenz zu sorgen. So kann nur noch in den ersten drei Lebensjahren des Kindes Unterhalt verlangt werden, alles darüber Hinausgehende ist individuell zu prüfen (§1569; §1570 BGB). In beiden Fällen kann die Frau heute schnell zur Ernährerin der Familie werden, obwohl ihr Einkommen zuvor nur als Zuverdienst galt oder sie über gar kein eigenes Einkommen verfügte. Der heutige, schnelllebige Arbeitsmarkt, mit dem sich rasch ausbreitenden Niedriglohnsektor jedoch, ‚verzeiht’ diese Lücken der Erwerbstätigkeit nur noch selten. So bleiben oder landen viele Familienernährerinnen im sich ausdehnenden Niedriglohnbereich.

Familienernährerinnen verschärfen sich diese Defizite und es sollte endlich nicht mehr davon ausgegangen werden, dass das weibliche Einkommen nur Zuverdienst ist, das Haupteinkommen dagegen vom Mann erwirtschaftet wird. Die Benachteiligungen der Frauen in der Arbeitswelt betreffen heute eben auch Dritte – Kinder und Partner.

Auf der anderen Seite sind Bastionen, die den männlichen Allein­ ernährer stützen, wie das Ehegattensplitting und die kostenfreie Krankenversicherung der nicht arbeitenden Ehefrau, erhalten geblieben. Ebenso ist die Frage einer Lösung der Fürsorgearbeit bis heute unbeantwortet (Brehmer u.a., 2010). So werden widersprüchliche Rollenleitbilder propagiert. Dominieren zunächst die geschlechtsspezifischen Rollenmuster mit der Frau als Zuverdienerin und dem Mann als Haupteinkommensbezieher, so werden Betroffene im Fall eines Auseinanderbrechens dieses Arrangements schnell auf ihre Eigenverantwortlichkeit verwiesen. Betroffene, die sich zuvor auf das männliche Ernährermodell verlassen haben, werden so buchstäblich im Regen stehen gelassen. Diese sich widersprechenden gesetzlichen Regelungen führen dazu, dass viele Frauen, vornehmlich in den alten Bundesländern, immer noch den staatlich subventionierten und aufgrund fehlender Betreuungsinfrastruktur oft einzigen Weg des traditionellen Geschlechtermodells einschlagen. Damit wird die Zunahme der Haushalte mit einer Frau als Ernährerin, und zwar derjenigen Ernährerin mit stabiler Erwerbstätigkeit und existenzsicherndem Einkommen, erschwert – wohingegen die Zunahme der Familien­ernährerinnen ohne hinreichendes Einkommen befördert wird.

Statistisches Bundesamt (2010a): Gender Pay Gap: Zwei Drittel lassen sich strukturell erklären, Pressemitteilung Nr. 384 vom 25.10.2010

Fazit Grundsätzlich kann gesagt werden: Familienernährerinnen bündeln wie in einem Brennglas Defizite in der Gleichstellung von Frauen und Männern. Die bis heute bestehenden strukturellen Benachteiligungen und Hürden, die eine gleichberechtigte Teilhabe der Frauen an der Erwerbstätigkeit erschweren, verringern die Möglichkeiten für Frauen, ihre Familien adäquat ernähren zu können. Gerade vor dem Hintergrund der steigenden Anzahl an

Quellen Böckler-Impuls: Frauen sorgen fürs Geld – und die Familie. 11/2010, S.6-7 Brehmer, Wolfram / Klenner, Dr. Christina / Klammer, Prof. Dr. Ute (2010): Wenn Frauen das Geld verdienen – eine empirische Annäherung an das Phänomen der „Familienernährerin“, WSI-Diskussionspapier Nr. 170, Juli 2010 Kalina, Thorsten / Weinkopf, Claudia (2010): Niedriglohnbeschäftigung 2008: Stagnation auf hohem Niveau – Lohnspektrum franst nach unten aus, IAQ-Report 2010-06

Knuth, Prof. Dr. Matthias (2006): Hartz IV – die unbegriffene Reform, in: Sozialer Fortschritt, H. 7, Kap. 4.1. Aufkündigung des deutschen Ernährermodells „von unten“, S.164-165 Minijob-Zentrale (2010): Aktuelle Entwicklungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung, II. Quartal 2010

Statistisches Bundesamt (2010b): Alleinerziehende in Deutschland. Ergebnisse des Mikrozensus 2009. Begleitmaterial zur Pressekonferenz am 29. Juli 2010 in Berlin Statistisches Bundesamt (2009): Erwerbstätigenquote der 15-Jährigen bis unter 65-Jährigen: Tabelle 12211-0606

Das Politikentwicklungsprojekt ‚Familienernährerinnen’ In diesem als Politikentwicklungsprojekt angelegten Projekt ‚Familienernährerinnen’ geht es darum, die Forschungsergebnisse aus den beiden von der Hans-Böckler-Stiftung finanzierten Projekten „Flexible Familienernährerinnen“ politisch zu bewerten sowie Handlungsempfehlungen für das sich wandelnde Geschlechterverhältnis auf dem Arbeitsmarkt zu formulieren. Dazu werden die Forschungsergebnisse einer möglichst breiten Öffentlichkeit präsentiert und mit wichtigen Akteuren auf verschiedenen Veranstaltungen während der Projektlaufzeit (Teilöffentlichkeiten) diskutiert, um daraus die nötigen Handlungsempfehlungen für eine Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen von Familienernährerinnen zu gewinnen. Das Projekt wurde vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), Bereich Frauen-, Gleichstellungsund Familienpolitik initiiert und wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) finanziert. Es endet 2012. Rund ein Drittel der weiblichen Familienernährer in Paarhaushalten verdient höchstens 900 Euro, fast ein weiteres Drittel nur bis zu 1.600 Euro netto im Monat (Böckler-Impuls 11/2010: 7) und 31 Prozent der Alleinerziehenden verdienen ein monatliches Familiennettoeinkommen von weniger als 1.100 Euro (Statistisches Bundesamt 2010b).

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19 Unklare Rollenleitbilder

Klenner, Dr. Christina / Klammer, Prof. Dr. Ute / Pfahl, Svenja (2010): Frauen als Ernährerinnen der Familie: politische und rechtliche Herausforderungen, Policy Paper für die Tagung: Zeit für Verantwortung im Lebensverlauf – Politische und rechtliche Handlungsstrategien am 29. November 2010 im Deutschen Bundestag, Berlin


Frauen auf dem Weg in Spitzenpositionen

Chancengleichheit noch keine Realität

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Text von Susanne Braun und Alexa von Véver, Ludwig-Maximilians-Universität München

Prüft man die Frage des Anteils von Frauen in Führungspositionen, zeigt sich: die in Deutschland angestrebte Chancengleichheit für Männer und Frauen ist noch keine Realität. Frauen sind insbesondere im Topmanagement deutscher Großunternehmen nach wie vor stark unterrepräsentiert. Nach der seit 15 Jahren durchgeführten Erhebung „Frauen in Führungspositionen“ der HoppenstedtFirmeninformationen ist der Anteil der Frauen in Managementpositionen in Deutschland zwar gestiegen (von 8,2 Prozent im Jahr 1995 auf 19,6 Prozent in 2010). Dabei gilt jedoch: Je umsatzstärker das betrachtete Unternehmen und je höher die Hierarchieebene, desto geringer ist der Anteil an Frauen. So lag die Frauenquote im Mittleren Management von Firmen mit einem Jahresumsatz von mehr als einer Milliarde Euro im Jahr 2010 nur bei 10,4 Prozent, im Topmanagement dieser Firmen sogar nur bei 3,5 Prozent. Auch nach Analysen der Hans-Böckler-Stiftung war im Vorstand von 160 DAX-Unternehmen im Jahr 2009 nur bei 16 (mindestens) eine Frau vertreten. Der Regelfall sind also rein männliche Vorstandsrunden. Zudem zeigt sich im Atlas zur Gleichstellung von Frauen und Männern in Führungspositionen (2009) des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Bundesdurchschnitt eine Differenz von 23 Prozent zwischen dem durchschnittlichen Verdienst von Frauen und Männern (Gender Pay Gap). Frauen scheinen also nach wie vor auf dem Weg nach oben nur schwer voranzukommen. Von tatsächlicher Chancengleichheit für Männer und Frauen in Unternehmen ist Deutschland noch deutlich entfernt.

Chancengleichheit bringt Vorteile Neben dem deutschen und europäischen Recht zur Gleichstellung und damit einhergehenden politischen Initiativen sprechen auch die nachfolgend geschilderten, wissenschaftlich basierten Argumente für eine verstärkte Präsenz von Frauen in Führungspositionen. Wissenschaftliche Studien belegen, dass die Diversität in hochrangigen Gremien einen wichtigen Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens darstellt. Alice H. Eagly, Professorin und renommierte Genderforscherin aus den USA, führt an, dass sich Frauen in Führungspositionen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen stärker durch erfolgrelevante Werte und Verhaltensweisen auszeichneten. Beispielsweise fokussierten sie verstärkt soziale Gerechtigkeit, Gesundheit oder Bildung und zeigten insbesondere sensitives, motivierendes Führungsverhalten. Doch wie wirkt sich die Beteiligung von Frauen konkret auf den finanziellen Erfolg eines Unternehmens aus? Theresa M. Welbourne und Kolleginnen zeigten in einer Längsschnittstudie anhand von 534 Unternehmen, dass mit dem Frauenanteil im Topmanagement der kurzund langfristige finanzielle Erfolg der Unternehmen stieg. Zu ähnlich positiven Befunden kamen auch Studien von McKinsey (2010) und The Catalyst (2007). Sie konnten nachweisen, dass ein erhöhter Anteil von Frauen in Führungspositionen (mindestens ein Drittel) sich positiv auf den wirtschaftlichen Unternehmenserfolg auswirkt.


Maßnahmen für mehr Frauen in Führungspositionen Das Zusammenspiel von Faktoren auf individueller, Organisations- und gesamtgesellschaftlicher Ebene ist entscheidend für den Mangel an weiblichen Führungskräften. Um Chancengleichheit für Frauen und Männer in Spitzenpositionen sicherzustellen, muss daher überlegt werden, welche Maßnahmen einen sinnvollen Beitrag zur Chancengleichheit leisten und Frauen dazu befördern, in Zukunft auch die Spitzenpositionen in deutschen Unternehmen einzunehmen. Erneut kommt es auf das Zusammenspiel unterschiedlicher Maßnahmen auf politischer, Organisations- und individueller Ebene an. (1) Politische Maßnahmen Politische Maßnahmen zur Gleichstellung von Männern und Frauen in Führungspositionen von Unternehmen in Deutschland zielen zunächst darauf ab, bestehende gesetzliche Regelungen auf ihren Inhalt hin zu überprüfen. Derzeit wird zudem – häufig am Beispiel Norwegens – verstärkt die Einführung einer gesetzlichen Frauenquote diskutiert. Die 2003 in Norwegen gesetzlich verabschiedete und 2006 in Kraft getretene absolute Quotenregelung soll für eine erhöhte Repräsentanz von Frauen auch in hohen Organisationsgremien sorgen. Für börsennotierte und staatliche Unternehmen ist vorgeschrieben, dass vier von zehn AufsichtsrätInnen weiblich sein müssen. Norwegen führt entsprechend die Rangliste europäischer Staaten mit einem Frauenanteil von 42 Prozent in höchsten Entscheidungsgremien an. Zu beachten ist jedoch, wie aufgrund von Quoten ausgewählte Frauen im Unternehmen wahrgenommen werden beziehungsweise sich selbst einschätzen. Wissenschaftliche Studien von Madeline Heilman und KollegInnen an der New York University zeigen, dass Frauen, denen suggeriert wurde, sie seien basierend auf Diversitätskriterien anstelle von Leistungskriterien für eine Position ausgewählt worden, annahmen, dass andere sie als lei-

stungsschwach einschätzten. Wenn sie sich zudem unsicher bezüglich ihrer eigenen Qualifikationen waren, trafen sie tendenziell schlechtere Entscheidungen und zeigten eher negative Selbsteinschätzungen. Waren sie sich jedoch ihrer Qualifikationen sicher, trafen sie ehrgeizige Entscheidungen und waren motiviert, einen guten Eindruck zu machen. Nicht ob, sondern vielmehr die Art und Weise, wie Frauenquoten in einem Unternehmen eingeführt und begründet werden, ist auf Basis dieser Ergebnisse als hoch relevant zu bewerten. (2) Strukturelle Maßnahmen – Veränderungen in Organisationen Politische Maßnahmen ohne entsprechende Veränderungen in Organisationen greifen zu kurz. Insbesondere EntscheiderInnen in Unternehmen, Personalverantwortliche und ManagerInnen aller Ebenen, müssen noch mehr für die Relevanz des Themas sensibilisiert werden. Sei es in der Bewusstmachung geschlechtsstereotyper Rollenbilder im Sinne einer fairen und transparenten Personalauswahl, der Ermöglichung eines verstärkten Zugangs zu einflussreichen Netzwerken, auch durch die Etablierung von Mentoringprogrammen für Mitarbeiterinnen auf unterschiedlichen Hierarchieebenen, sowie insbesondere durch die Einführung von Maßnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie (z.B. Kinderbetreuungsangebote, mobile Arbeitsmittel, Job Sharing). (3) Individuelle Maßnahmen – Förderung des weiblichen Führungsnachwuchses Letztlich sollte neben politischen und organisationsstrukturellen Maßnahmen auch die individuelle Förderung des weiblichen Führungsnachwuchses selbst nicht aus dem Blickfeld geraten. Immer mehr deutsche Unternehmen engagieren sich bereits in dieser Hinsicht, beispielsweise durch spezielle Frauenförderprogramme (Women Only Trainings). Insgesamt ist es eindeutig erstrebenswert, dass diese und ähnliche Maßnahmen zu einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung beitragen, die die Repräsentanz von Frauen in Spitzenpositionen auch von deutschen Großunternehmen zu einer Selbstverständlichkeit macht.

21 Spitzenpositionen

Ein weiterer zentraler Grund dafür, Frauen in hochrangige Führungspositionen zu befördern, ist der drohende Fachkräftemangel aufgrund demografischer Entwicklungsprozesse und der damit verbundene „War for Talents“. So sind Unternehmen im Sinne ihrer Attraktivität als Arbeitgeber darauf angewiesen, sich auf ein neues Rollenverständnis von Frauen und Männern sowie die dadurch beförderten Lebenskonzepte einzustellen: Frauen wollen sich im Beruf beweisen, Männer möchten gleichzeitig mehr Zeit mit ihren Familien verbringen. Wollen Unternehmen attraktive Arbeitgeber bleiben, müssen sie auf entsprechende Veränderungen reagieren.


Gender-Index

Gut gerüstet für die kommunale Gleichstellungspolitik

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Text von Mechthild Kopel, M.A., Geschäftsführende Gesellschafterin der Wert.Arbeit – Gesellschaft für Arbeit, Chancengleichheit und Innovation mbH, Berlin

Mit dem Gender-Index gut gerüstet für die kommunale Gleichstellungspolitik Gute Beschäftigung und Geschlechtergerechtigkeit sind zwei Schlüsselthemen für die zukunftsfähige Gestaltung unserer Gesellschaft. Dies ist keine kühne Behauptung, sondern ein bereits seit langem verfolgtes politisches Ziel. Eine gleichberechtigte Teilhabe beider Geschlechter im Bereich Bildung und Ausbildung, im Erwerbsleben, aber auch am gesellschaftlichen und politischen sowie im privaten Leben ist hierzu notwendig. Dass bereits viel erreicht wurde, ist unbestreitbar. Dass aber immer noch große Unterschiede in Bezug auf Chancengleichheit bestehen, ist ebenso wenig von der Hand zu weisen. Diese Unterschiede zeigen sich zum Beispiel beim Gehalt, bei der Arbeitszeit sowie der Verteilung von Führungspositionen in Politik und Wirtschaft. Damit werden wichtige Potenziale verschenkt. Die Auswirkungen zeigen sich auf regionaler Ebene besonders deutlich – dort, wo Fachkräftemangel und demografischer Wandel direkt spürbar sind. Deshalb sind auf kommunalpolitischer Ebene gezielte Maßnahmen wichtig – ebenso wichtig wie eine gute Datenlage, um Aussagen über Ausgangs- und Rahmenbedingungen und den Stand der Gleichstellung treffen zu können. Dies war lange Zeit schwierig. Geeignete regionalspezifische und nach Geschlecht differenzierte Daten mussten oftmals mühsam zusammengesucht werden. Doch im November 2008 wurde ein lange gefordertes politisches Ziel erfüllt: die Verbesserung der geschlechtsspezifischen Datenlage und deren Verfügbarkeit auf Stadt- beziehungsweise Kreisebene. Der Gender-Index ging mit seinem umfassenden Datenmaterial online. Mühsame Such- und Auswertungsprozesse haben sich seit der Freischaltung der Internetplattform vermindert. Gleichzeitig wird eine Vergleichbarkeit verschiedener deutscher Regionen ermöglicht. 19 Indikatoren messen den Stand der Gleichstellung Der Gender-Index ist das erste bundesweite Messinstrument zum regionalen Vergleich der Gleichstellung von Frauen und Männern! Für alle kreisfreien deutschen Städte, Landkreise sowie größeren Raumordnungsebenen (Regionen, Bundesländer) misst

und bewertet der Gender-Index anhand von 19 Indikatoren den Stand der Chancengleichheit bzw. -ungleichheit von Frauen und Männern. Neben Analysen und Vergleichen zwischen einzelnen Städten und Kreisen sind so auch Betrachtungen und Gegenüberstellungen mit dem jeweiligen Bundesland oder auf Bundesebene möglich. Die Internetpräsentation des Gender-Index wird durch die HansBöckler-Stiftung (HBS) sowie das Bundesamt für Bau-, Stadtund Raumforschung (BBSR) ermöglicht und durch eine Lenkungsgruppe begleitet. In dieser sind der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Wert.Arbeit GmbH, Berlin vertreten. Die Wert.Arbeit GmbH, Berlin war seit Beginn an der Entwicklung des Gender-Index beteiligt und bietet umfangreiche Beratungsleistungen hierzu an. Ausgangspunkt für den GenderIndex war ein von der Hans-Böckler-Stiftung gefördertes Forschungsprojekt zur Umsetzung von Gender Mainstreaming in der deutschen Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik. Unter anderem fand eine Analyse der gleichstellungspolitischen Erfahrungen Schwedens statt. Die Anwendbarkeit des dort seit langem angewandten Jäm-Index für Deutschland wurde anschließend durch eine Machbarkeitsstudie geprüft, durchgeführt von der Wert.Arbeit GmbH, Berlin in Kooperation mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Die Ergebnisse bildeten die Grundlage für die Konzipierung des Gender-Index. (Aus)Bildung, Erwerbsleben und Partizipation: Schlüsselthemen des Gender-Index (Aus)Bildung, Erwerbsleben und Partizipation sind die zentralen Bereiche, auf die der Gender-Index den Blick richtet. Die Wahl fiel auf diese Schwerpunkte, da sie die Basis für eine Gesellschaft bilden, in der gleiche Chancen für Frauen und Männer Realität sind. Denn eine gute schulische und berufliche Ausbildung sichert Schlüsselqualifikationen für den Berufseinstieg und die Karriere. Die Möglichkeiten und Wahlfreiheiten auf beruflicher Ebene entscheiden über finanzielle und partizipatorische Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Sie beeinflussen auch die (finanzielle) Situation in der dritten Lebensphase. Zu guter Letzt ermög-


In Ostdeutschland bessere Gleichstellung Für jeden Kreis beziehungsweise jede kreisfreie Stadt Deutschlands können auf dem Internetportal des Gender-Index (www.gender-index.de) Profile erzeugt werden. Diese zeigen in übersichtlicher Form den Stand der Gleichstellung beziehungsweise die bestehenden Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu den ausgewählten 19 Indikatoren. Die Daten werden jährlich durch das BBSR aktualisiert und fortgeschrieben. Regionale wie überregionale Trends im Bezug auf Chancengleichheit werden hierdurch langfristig sichtbar. Durch sogenannte „Rankinglisten“ erhält man zudem Überblicks- und Vergleichsdarstellungen zwischen einzelnen Städten, Landkreisen oder Regionen. Nicht nur bestehende Unterschiede zwischen Männern und Frauen, sondern auch zwischen Ost- und Westdeutschland sowie zwischen ländlichen und verstädterten Regionen werden hierdurch deutlich. Es zeigt sich: In den östlichen Regionen Deutschlands werden generell bessere Werte in Bezug auf die Gleichstellung erzielt. Höhere Erwerbsquoten, die stärkere Verbreitung von Vollzeiterwerbstätigkeit und die daraus resultierenden besseren Rentenzahlungen für Frauen sind dafür ausschlaggebend. Trotzdem gibt es auch hier immer noch viel zu tun. Von realer Gleichstellung in Beruf und Privatleben kann noch lange nicht gesprochen werden. Gute Werte bei der Gleichstellung verweisen nicht unbedingt auf hohe Lebensqualität Berücksichtigt werden muss, dass der Gender-Index zwar Aussagen über den Stand der Gleichstellung ermöglicht, aber nichts über die Qualität der Arbeits- und Lebensverhältnisse von Frauen und Männern sagt. Das Thema Erwerbsbeteiligung ist hierfür ein gutes Beispiel: Die Erwerbsquote ostdeutscher Frauen ist oftmals höher als die westdeutscher Frauen. Zwischen ostdeutschen Männern und Frauen herrschen in diesem Bereich geringere Unterschiede und somit mehr „Chancengleichheit“. Dennoch ist die Lebenssituation beider Geschlechter in ostdeutschen Regionen oftmals schlechter als in westdeutschen, wo die Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern stärker auseinanderklafft. Tiefergehende Analysen über die Situation und Rahmenbedingungen in einer Region sind deswegen wichtig. Auch hier bietet der Gender-Index Ansatzpunkte. So gibt es ergänzende Daten und Grafiken über die regionale Wirtschaftsstruktur, die Binnenwanderungsquoten, die Betreuungsstrukturen für Kinder sowie für pflegebedürftige Menschen. Gender-Index: Instrument zur „Feinausrichtung“ der geschlechterpolitischen Arbeit Durch das Gender-Index-Portal lässt sich kommunale und regionale Gleichstellungspolitik effektiv untermauern und gestalten.

Es ermöglicht eine Einschätzung der unterschiedlichen Lebensund Arbeitssituationen von Frauen und Männern. Entwicklungen – positive wie negative – werden durch die jährliche Aktualisierung der Daten und die dadurch stetig wachsenden Zeitreihen verdeutlicht. So liefert der Gender-Index den Kreisen und kreisfreien Städten umfangreiche Hinweise auf unterschiedliche Handlungsbedarfe und Handlungsoptionen und ermöglicht regionale Vergleiche. Er erhöht auf regionaler Ebene das Wissen um Defizite und Potenziale zur Chancengleichheit und erweitert so das Know-how der Akteurinnen und Akteure vor Ort. Gerade für die „Feinausrichtung“ der geschlechterpolitischen Arbeit in den einzelnen Bundesländern beziehungsweise in spezifischen Regionen kann der Gender-Index so wichtige Daten und Anhaltspunkte liefern. Auch die Netzwerkarbeit zur Umsetzung von Chancengleichheit kann entschieden bereichert werden.

Die 19 Indikatoren im Überblick (Aus)Bildung Schulabgang ohne Hauptschulabschluss Schulabgang mit allgemeiner Hochschulreife Berufliche und schulische Erstausbildung Erwerbsbeteiligung Arbeitsplätze Erwerbstätig Gering qualifizierte Beschäftigte Hoch qualifizierte Beschäftigte Minijobs Arbeitslosigkeit Arbeitslosenquote Jüngere Arbeitslose Ältere Arbeitslose Langzeitarbeitslose Einkommen Arbeitseinkommen Arbeitslosengeld Rente Arbeitsmarkt Förderung von Eingliederungsmaßnahmen in den Arbeitsmarkt Förderung von Existenzgründungen auf dem Arbeitsmarkt Partizipation Ratsmitgliedschaft Bürgermeisterinnen und Bürgermeister Die ausführliche Beschreibung der Indikatoren finden Sie auf www.gender-index.de

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licht die aktive (politische) Partizipation an gesellschaftlichen Prozessen die nachhaltige Mitgestaltung der Rahmenbedingungen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene. Auch hier ist die gleiche Teilhabe von Frauen und Männern wichtige Ausgangsbasis, um mehr Geschlechtergerechtigkeit in unserer Gesellschaft zu realisieren.


Work-Life-Balance bei Mundipharma

Hier ziehen Geschäftsführung und Mitarbeiter an einem Strang

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Text von Nicole Beste-Fopma

Bei Mundipharma, einem der führenden mittelständischen forschenden Pharmaunternehmen in Deutschland, wird Work-LifeBalance großgeschrieben. Das Unternehmen hatte schon früh erkannt, dass immer mehr Beschäftigte immer mehr Wert auf die Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und Beruf legen. Bereits vor einigen Jahren startete Mundipharma erste Projekte, um für seine Belegschaft und künftige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch hinsichtlich der Vereinbarkeit ein attraktiver Arbeitgeber zu werden. Heute bietet das Pharmaunternehmen seinen über 900 Angestellten am Standort Limburg an der Lahn mehr als 100 verschie­dene Teilzeitmodelle, Telearbeitsplätze, „Job-Sharing“ sowie ein vielseitiges Angebot für den Wiedereinstieg nach einer familien­ bedingten Unterbrechung. Deutlicher Trend hin zu Teilzeit Teilzeit ist bei Mundipharma grundsätzlich bei jeder Mitarbeiterin und jedem Mitarbeiter sowie in jedem Unternehmensbereich möglich. Die Geschäftsleitung hat dazu ein klares Statement verfasst, welches an alle Beschäftigte kommuniziert wurde. Noch sind es aber in den meisten Fällen Frauen, die das Angebot nutzen. Von den 137 Angestellten in Teilzeit sind 108 Frauen und 29 Männer. Christiane Prestel ist eine dieser Frauen, die die Möglichkeit der familienbedingten Teilzeitarbeit nutzt. Sie ist ausgebildete Hotelfachkauffrau sowie Diplom-Betriebswirtin und als solche im mittleren Management als Leiterin des Congressund Event-Managements tätig. Ihr unterstehen 15 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Nach ihrer Elternzeit ist sie in diese Position mit einer reduzierten Stundenzahl und einem ganz individuell auf ihre persönlichen Bedürfnisse optimal zugeschnittenen Arbeitszeitmodell wieder eingestiegen. Heute arbeitet sie drei Tage am Standort Limburg, einen Tag in ihrem HomeOffice in Frankfurt und einen Tag hat sie frei. Männliche Führungskräfte nutzen diese Möglichkeiten der reduzierten Arbeitszeiten bei

Mundipharma noch eher selten. In der Regel bevorzugen sie die Variante der „Voll-Nutzung“ von Elternzeit. Sie setzen für einen individuell definierten Zeitraum komplett aus und arbeiten nach dieser Auszeit dann wieder zu 100 Prozent auf ihrer alten Stelle. Bei den männlichen Mitarbeitern ohne Führungsverantwortung hingegen gibt es einen Trend hin zu mehr Teilzeitarbeit. Schule gemacht hat hier das Beispiel von Ulrich Kruse, Security Officer. Nach seiner zweijähriger Elternzeit arbeitet Kruse heute drei Tage am Standort Limburg und einen Tag von seinem Telearbeitsplatz in Dortmund aus. Den fünften Tag widmet er sich voll und ganz seiner Familie und nimmt seiner Frau, die ebenfalls berufstätig ist, die Betreuung des gemeinsamen Sohnes ab. Innerhalb kürzester Zeit folgten diesem Beispiel zwei weitere Mitarbeiter – einer davon sogar mit Führungsverantwortung. Auch ein „Job-Sharing“ ist bei Mundipharma möglich, wie die drei Damen des Empfangsbereiches demonstrieren: Barbara Freiburg, Regina Graß-Schmidt und Hilde Stolz teilen sich seit einigen Jahren die zwei Vollzeitstellen am Empfang. Zwei der drei Kolleginnen sind Mütter. Für alle drei ist dies die optimale Möglichkeit, um sowohl erwerbstätig sein zu können, als auch ihren Familien beziehungsweise privaten Belangen gerecht zu werden. Am Anfang eines jeden Monats sprechen sie ihre Einsätze ab. Kommt es mal zu einer Verschiebung, was mit Kindern immer vorkommen kann, dann organisieren sie das auch komplett selbstständig. Einzige Voraussetzung der Geschäftsleitung: Der Empfangsbereich muss stets mit ein bis zwei Mitarbeiterinnen besetzt sein, denn nur so kann Besuchern und Kunden der bestmögliche Service geboten werden. „Allgemein ist bei allen Mitarbeitern ein Trend hin zu mehr Teilzeitarbeit zu beobachten. Nicht nur bei Mitarbeitern mit Kindern“, hat Martin Schöne beobachtet, Head of Human Resources & IT bei Mundipharma. Für immer mehr Arbeitnehmer spielt eine ausgewogene Work-LifeBalance eine wichtige Rolle. Waren vor zwei


Jahren noch 116 Beschäftigte in Teilzeit angestellt, sind es heute schon 137. Ein ganz anderer Trend ist bei der tatsächlich in Anspruch genommenen Elternzeit zu beobachten. Insgesamt nehmen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Mundipharma eher kurze familienbedingte Auszeiten. „Wir führen dies darauf zurück, dass wir mit all unseren Mitarbeitern, sofern sie es wünschen, Modelle ausarbeiten, schnellstmöglich wieder zu arbeiten. Selbst wenn das nur wenige Stunden pro Woche sind“, so Martin Schöne. Die Zahl der Väter in Elternzeit entspricht dem bundesweiten Durchschnitt. Das heißt, auch bei Mundipharma nehmen noch immer mehr Mütter als Väter eine familienbedingte Auszeit. Wobei das Unternehmen immer wieder seine Bereitschaft zeigt, auch Vätern dies zu ermöglichen. Das „Väter-Modell“, so wie es Ulrich Kruse vorgelebt hat, wurde offen kommuniziert. Es gab Berichte über den Vater in der Mitarbeiterzeitung und sogar ein kleiner Film wurde über den Security Officer gedreht, der jetzt im Internet zu sehen ist. Die „Elternzeitler“ bei Mundipharma Angestellte in Elternzeit sind bei Mundipharma auch während dieser Zeit vollwertige Arbeitnehmer. Um sie auch während der Elternzeit am Firmenleben teilhaben zu lassen, wird größter Wert auf Kommunikation gelegt. Alle Beschäftigten werden weiterhin in die Unternehmensbelange eingebunden. Das beginnt bei den Informationen aus dem jeweiligen Bereich – in erster Linie die Aufgabe des direkten Vorgesetzten – und reicht bis hin zu den allgemeinen Unternehmensinformationen, die beispielsweise in Form der Mitarbeiterzeitung oder des Newsletters der Geschäftsleitung an die „Elternzeitler“, wie sie bei Mundipharma genannt werden, weitergeleitet werden. Darüber hinaus erhalten alle sämtliche Einladungen zu Informations- und Sportveranstaltungen sowie zu Firmenfeiern und -events. Wer will, kann während der Elternzeit stundenweise im Unternehmen tätig sein, beispielsweise als Urlaubs- oder Krankheitsvertretung. „Dieses Modell, das es unseren Mitarbeitern, wenn auch nur wenige Stunden, erlaubt, ihrer Tätigkeit nachzugehen, hat für beide Seiten Vorteile“, so Martin Schöne. „Die Mitarbeiter bleiben im

Telearbeit – das Prinzip der „doppelten Freiwilligkeit“ Eine weitere Möglichkeit, Beruf und Familie optimal zu verbinden, ist die Telearbeit. Als Mundipharma diese vor zehn Jahren einführte, schloss die Geschäftsführung mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung nach dem Prinzip der doppelten Freiwilligkeit. Das heißt: Sowohl beim Angestellten als auch beim Vorgesetzten muss der Wunsch bestehen, Teilzeit zu nutzen. Keine der beiden Seiten darf zu diesem Modell gezwungen werden. Während sich die Telearbeit insbesondere für kaufmännische Angestellte in der Sachbearbeitung anbietet, ist sie wiederum für Führungskräfte weniger geeignet, da diese häufig dienstlich unterwegs sind und der direkte Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen bei Konferenzen oder Einzelgesprächen im Unternehmen ihre Präsenz erfordert. Das Ergebnis zählt Bereits seit knapp zwei Jahren läuft das Pilotprojekt „Vertrauensarbeitszeit“. Ein Modell, bei dem Mundipharma seinen Beschäftigten zunächst einmal einen großen Vertrauensvorschuss entgegenbringt. Ziel ist es, die Mitarbeiterzufriedenheit zu erhöhen, die Angestellten darin zu stärken, mehr Verantwortung für die eigenen Aufgaben zu übernehmen und gleichzeitig ihren Einfluss auf die individuelle Zeiteinteilung zu verbessern. „Und letztendlich bringt das eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie mit sich“, erläutert Martin Schöne die Beweggründe von Seiten der Geschäftsführung. Regelmäßig werden mit den Teilnehmern des Pilotprojektes Zielvereinbarungen getroffen. Wann die vereinbarte Arbeit innerhalb der Vorgaben erledigt wird, ist den einzelnen Angestellten überlassen. „In Deutschland herrscht noch in vielen Firmen der Anwesenheitsmythos vor. Unser Modell der Vertrauensarbeitszeit ist da ein recht innovatives Arbeitsmodell“, so Schöne. Als fortschrittliches und sozial engagiertes Unternehmen sieht Mundipharma es als eine zwingende Notwendigkeit, auch in Sachen „Arbeitszeitmodelle“ neue Wege zu beschreiten und den Angestellten attraktive und interessante Alternativen zu bieten. Erste Mitarbeiterbefragungen haben bereits ergeben, dass das Modell als sehr positiv empfunden wird. Die Teilnehmer bestätigen, dass die weitgehend flexible Gestaltung ihrer Arbeitszeit, das Mehr an Eigenverantwortung sowie ein geringerer Dokumentationsaufwand, zum Beispiel hinsichtlich der Arbeitszeiterfassung, sich positiv auf ihre Zufriedenheit und Motivation auswirken.

25 Mundipharma

Job und der Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen reißt nicht ab. Von Seiten des Unternehmens spart Mundipharma dadurch die oft immensen Wiedereingliederungskosten. Also eine ‚win-win’-Situation.“ Wie die Angestellten die Elternzeit nutzen wollen, wird in Gesprächen mit den Vorgesetzten und der Personalabteilung ausführlich geklärt. Auch, wie der Wiedereinstieg danach aussehen soll, wird besprochen. Will die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter die Arbeitszeit reduzieren? Bietet sich eventuell ein Arbeitsmodell an, das es erlaubt, an bestimmten Tagen von Zuhause aus zu arbeiten? Wie lange will sie oder er Teilzeit arbeiten? All diese Fragen werden frühzeitig geklärt, denn der Weg raus aus der Teilzeit hin zu einer Vollzeitstelle ist nicht immer einfach. Je früher die Möglichkeiten dazu ausgelotet werden, desto geringer ist das Risiko, in die Teilzeitfalle zu geraten.


Mehr Geld für Frauen

Nicht das Geschlecht, sondern die Gesprächskompetenz entscheidet

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Text von Dr. Cornelia Topf, Inhaberin metatalk kommunikation + training

Frauen verdienen weniger als Männer. Sie haben zwar rein statistisch betrachtet die besseren Abschlüsse, oft die höhere Qualifikation und Kompetenz, leisten genauso viel wie oder mehr als Männer – aber sie verdienen weniger. Also gibt es zwischen Gehalt und Geschlecht einen direkten Zusammenhang? Nein, nicht einen. Sondern mehrere. Frauen haben andere Prioritäten Frauen führen weniger häufig – und deutlich weniger zielstrebig – Gehaltsgespräche als Männer. Etliche sind auch mit weniger Gehalt zufrieden. Aus gutem Grund: Sie haben andere Prioritäten. Für den statistisch repräsentativen Mann ist das Wichtigste bei der Arbeit nicht die Arbeit, sondern Status, Prestige, Macht und eben deshalb auch das Gehalt als Ausdruck dieser drei Prioritäten. Für Frauen sind andere Dinge wichtiger: die Arbeit an sich, Leistung, Ergebnisse, Zielerreichung, Inhalte, Klima. Und – leider – auch: Bescheidenheit. Warum? Frauen sind bescheiden Wenn ich Frauen danach frage, warum sie sich mit weniger zufrieden geben als ihnen zusteht, fallen Sprüche aus Poesie-Album und frühen Kindertagen, für die ich ihre Eltern heute noch gerne vor den Kadi bringen würde, zum Beispiel: „Sei nett und bescheiden, dann kann man dich leiden.“ Oder: „Mädchen, die pfeifen, und Hennen, die krähen, soll man beizeiten die Hälse umdrehen!“ So wird Gehaltspolitik gemacht. Im Kinderzimmer. Da kann Alice Schwarzer noch so lange toben … Wer solche Sprüche zu Glaubenssätzen internalisiert hat, übt sich im späteren Leben und auch im Gehaltsgespräch in Bescheidenheit, Demut und Zurückhaltung. Glücklicherweise kommt immer mehr derart fehlerzogenen Frauen ihre eigene Bescheidenheit spanisch vor. Sie wollen mehr Geld. Nicht unbedingt des Geldes wegen. Sondern weil weniger Geld weniger Anerkennung ihrer Leistung bedeutet. Dies bringt viele Frauen dazu, ihr eigenes Verhalten in Sachen Gehaltsforderungen in Frage zu stellen. Und das ist gut so.

Frauen denken um Ein höheres Gehalt beginnt nicht mit der Gehaltsverhandlung, sondern mit der Frage nach den Prioritäten: Was ist mir wichtig? Wie erwähnt beantworten viele Frauen diese Frage mit: Leistung, Inhalte, Ergebnisse, Arbeitsklima. Da diese Prioritäten unweigerlich ins beschriebene Gehaltsgefälle führen, müssen sie ergänzt werden: „Ab heute ist mir die finanzielle Anerkennung meiner Leistung genauso wichtig!“ Es ist diese Einstellung, die stärker als alle „Verhandlungstricks“ den Erfolg im Gehaltsgespräch determiniert. Wer anders denkt, (ver)handelt anders. Wie? Frauen verhandeln anders Mit der richtigen Einstellung im Hinterkopf kommen viele Frauen von sich aus auf die richtigen Ideen, zum Beispiel: „Ich muss eben häufiger das Gehaltsgespräch suchen!“ Wie oft? Für die meisten männlichen Angestellten eine statistisch gut belegte Selbstverständlichkeit: mindestens einmal im Jahr. Unabhängig davon immer dann, wenn Aufgabenfülle, Projekt- oder Kundenvolumen oder -anzahl erweitert wurden. Das Prinzip ist: Steigt die Leistung, steigt auch das Gehalt. Nicht von sich aus! Auch nicht vom Chef aus! Gehalt folgt stets dem Holprinzip. Für Männer ist das klar: Sie holen sich, was ihnen (nicht) zusteht. Frauen warten darauf, dass man(n) es ihnen auf dem Silbertablett überreicht. Wer dies als Ausfluss der alten Bescheidenheit erkennt, tut sich selbst den größten Gefallen. Und das gilt von Anfang an, das heißt: schon beim Einstiegsgehalt. Frauen steigen anders ein Dass insbesondere in Deutschland nicht übers Gehalt gesprochen werden darf, ist die Regel. Es gibt Ausnahmen. Gerade die Einstiegsgehälter der meisten Berufe sind problemlos googelbar. Außerdem halten sich Insider nicht an das Schweigegebot, wenn sie selbst nicht auf Einstiegsniveau stehen. (Fast) jeder gibt zum Beispiel gerne Auskunft darüber, was „ein Neu-Einsteiger frisch von der Uni bei uns so circa verdient“. Also sollten Frauen sich vor dem Bewerber-Interview gut informieren und sich danach eher an der oberen Intervallgrenze orientieren als am Durchschnitt. Denn der Boss in


Frauen durchschauen Männerspiele Rollenstereotypisch ist auch, dass Frauen vor einem Gehaltsgespräch davon ausgehen, dass „man vernünftig über alles reden kann“. Deshalb nehmen sie Einwände vom Vorgesetzten oft für bare Münze und stecken zurück oder geben auf. Im Gegensatz dazu gehen Männer davon aus, dass der Boss im Gehaltsgespräch nicht „vernünftig“, sondern trickreich agiert und mit allerlei Einwänden daherkommt, die es zu entkräften gilt. Frauen, die dieses typisch männliche Spiel transaktionsanalytisch als solches erkennen, sind im Gehaltsgespräch deutlich erfolgreicher. Sofern sie den Preis für mehr Gehalt zu zahlen bereit sind. Frauen bezahlen den Preis Studien zeigen, dass Männer, die mehr Gehalt fordern, vom Vorgesetzten zwar als lästig, gleichzeitig aber auch als selbstund leistungsbewusst angesehen werden. Macht eine Frau dasselbe, gilt sie als Zicke. Weil Frauen diese soziale Ächtung förmlich riechen können, fordern sie meist völlig unbewusst weniger. Das ist eine Lösung. Eine andere ist, so freundlich, höflich und charmant zu fordern, dass der Vorgesetzte gerne die Gehaltserhöhung herausrückt. Viele Frauen lehnen diese Lösung mit dem Hinweis ab, dass sie sich nicht zum Affen machen wollen. Sie präferieren eine Lösung, die so einfach wie naheliegend ist. Wie mir eine Abteilungsleiterin bei einem Nahrungsmittelhersteller einmal verriet: „Für 1.000 Euro mehr im Monat kann ich es verschmerzen, dass mein Bereichsleiter mich für uncharmant hält.“ Oder wie eine Verkaufsleiterin es formuliert: „Lieber eine Zicke mit gutem Gehalt als ein unterbezahltes Mäuschen. Von der Sympathie der Männer kann ich mir kein neues Auto kaufen!“ Das leuchtet ein. Jeder Frau. Trotzdem verhandelt nicht jede so erfolgreich wie diese beiden. Warum nicht? Frauen werden selbstständig Viele Frauen klagen: „Für Kunden, Kollegen oder das Unternehmen kann ich beinhart verhandeln. Nur für mich selbst nicht!“ Ich frage dann oft zurück: „Warum nicht?“ Die häufigsten Antworten lauten: „Mangel an Selbstwertgefühl“, „Keine persönlichen Konsequenzen: Wenn ich zu teuer einkaufe, tobt der Chef. Wenn ich zu wenig verdiene, sagt keiner was!“, „Angst vor Ablehnung.“ Das sind erschreckende Antworten. Deshalb fehlen sie in den meisten Ge-

haltsratgebern für Frauen. Weil sie ans Eingemachte gehen. Dabei ist für die Korrektur des „Eingemachten“ beileibe keine Psychotherapie nötig. Im Seminar rufen nämlich bei der Diskussion dieser Antworten viele Frauen spontan: „Was? Ich bin nicht die einzige, die sich selbst im Wege steht? Da bin ich aber erleichtert!“ Andere sagen: „Seit ich weiß, warum ich in eigener Sache so gehemmt bin, ist die Hemmung nur noch halb so groß.“ Selbsterkenntnis ist eben doch der erste Weg zur Besserung. Ist die Besserung nicht weitreichend genug, helfen Mentorin oder (weiblicher!) Coach weiter. Wer diese Hilfe leistet, ist nicht so wichtig. Viel wichtiger ist, dass Frauen diese Hilfe aktiv suchen und nutzen. Selbst ist die Frau! Dass Frauen weniger verdienen als Männer, ist zwar so – muss aber nicht so bleiben. Es gibt genug Frauen, die genauso viel oder mehr verdienen als die Männer auf derselben Hierarchiestufe. Sie haben dafür nicht auf Vorgesetzte, Gleichstellungsbeauftragte, Politik oder „die Männer“ vertraut, sondern ihre Einstellung überarbeitet und ihre Verhandlungskompetenz gestärkt. Denn fürs Gehalt ist nicht nur wichtig, was man/frau verdient hätte. Viel wichtiger ist, was man/frau verhandeln kann.

Seit über zwanzig Jahren unterstützt Cornelia Topf als internationale Managementtrainerin und zertifizierte Businesscoach namhafte Unternehmen aller Größen und Branchen. Zu ihren Schwerpunkten gehören zielführende Kommunikation und erfolgs­orientierte Körpersprache. Insbesondere die Förderung von Frauen liegt der promovierten Wirtschaftswissenschaftlerin am Herzen. Die Geschäftsführerin von „metatalk Kommunikation & Training“ in Augsburg ist Autorin vieler Fachbücher und Ratgeber, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden, darunter „Gehaltsverhandlungen für freche Frauen“. Sie ist zudem eine gefragte Expertin in den Medien. www.metatalk-training.de

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spe interpretiert ihre Zurückhaltung nicht als Zurückhaltung, sondern als mangelndes Selbstbewusstsein. Das ist zwar eine Fehlattribution – aber erklären Sie das als Bewerberin mal einem Boss.


Bündnispartner

BAG | Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros Ansprechpartnerin: Dörthe Domzig Rheinsberger Straße 77 10115 Berlin Tel: 030 / 41 71 54 06 Fax: 030 / 41 71 54 07 Internet: www.frauenbeauftragte.de BDA | Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Ansprechpartnerin: Jana Schimke Haus der Deutschen Wirtschaft, Breite Straße 29 10178 Berlin Tel: 030 / 20 33 14 00 Fax: 030 / 20 33 14 05 Internet: www.bda-online.de BPW | Business and Professional Women Germany e.V. Ansprechpartnerin: Henrike von Platen Geschäftsstelle: Siegmaringer Straße 1 10713 Berlin Tel: 030 / 31 17 05 15 Fax: 030 / 31 17 05 16 Internet: www.bpw-germany.de Deutscher Frauenrat Ansprechpartnerin: Henny Engels Axel-Springer-Str. 54 a 10117 Berlin Tel: 030 / 20 45 69 11 Fax: 030 / 20 45 69 44 Internet: www.frauenrat.de VdU | Verband deutscher Unternehmerinnen e.V. Ansprechpartnerin: Carlotta Köster-Brons Glinkastraße 32, 10117 Berlin Tel.: 030 / 2 00 59 19 10 Fax: 030 / 2 00 59 19 200 Internet: www.vdu.de


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