BOX 224

Page 5

thema

BegegnungEN der ANDEREN Art ... Die Räume, in denen sich schwule Männer begegnen, um einander zu treffen, haben sich in

den vergangenen Jahrzehnten dramatisch verändert. Waren es zu Zeiten der Strafverfolgung der Homosexualität vor allem öffentliche Orte wie Toiletten, Schwimmbäder oder auch die Oper, so bildete sich ab Ende der sechziger Jahre die Szene, mit ihren Kneipen, Saunen und Clubs, als der Ort heraus, wo Mann sich traf. Seit Beginn der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts ist vor allem das Internet zum Ort der Begegnung geworden. Den jeweiligen Umständen angepasst, waren und sind die vorherrschenden Kommunikationsformen, die „Sprache“ der Begegnung. TEXT: M.ZGONJANIN BILDER: wdr, ar

Bahnbrechend für die homosexuelle Emanzipationsbewegung und Zeugnis für den Übergang der Welt der „verbotenen Liebe“ zur „bewegten Szene der Siebziger“: Rosa von Praunheims Film: „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“, aus dem die ersten beiden Bilder stammen.

In den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts, als auf homosexuelle Kontakte noch Gefängnis stand, waren es vor allem „Blicke“, die zum Objekt der Begierde führten. Ein kurzer Augenkontakt auf der Straße, im Schwimmbad oder in Foyer der Oper eröffnete das Gespräch, aus dem sich alle anderen Optionen ergaben. Hatte man dann erst einmal angebandelt, wurde man automatisch Teil jener „geheimen Gesellschaft“, die nach außen nichts preisgab und die sich einer besonderen Sprache bediente, um das Geheimnis zu wahren. Für jüngere Schwule war es ein schwieriger, zwiespältiger Prozess, Zugang zu dieser Welt zu finden. Es brauchte oft die Hilfe eines älteren, schon etablierten Schwulen. Dieser machte ihm aber auch schnell bewusst, dass nur der junge Schwule als begehrenswertes Objekt wahrgenommen wurde, spätestens mit 30 Jahren aber das Alter des „einsamen, nicht begehrten Schwulen“ drohte. Nach der Liberalisierung entstand in den siebziger Jahren die Szene mit ihren Kneipen, Saunen und Clubs, entfalteten sich verschiedene schwule Subkulturen. Aus den versteckten Blicken wurde das offene (Straßen-) Cruising, ein Bier, das man dem interessanten Nachbarn an der Theke zukommen ließ, eröffnete alle Chancen für den Abend. Und in der Lederszene signalisierte man per Hanky Code seine Vorlieben. Die Szene war vor allem eines, sie war jung. Es war die Generation der sexuellen Revolution, die nun Szene machte. „Raus aus den Verstecken“ setzte sich in direkten Gegensatz zur „secret society“ mit ihrer Verschwiegenheit. Jung und Alt diskutierte miteinander, verstand sich dabei aber nicht unbedingt. Aber das Gespräch fand statt, oft in der „Bewegung“ – seien es die vielfältigen schwulen Gruppen oder der Lederclub. Die Begegnungen waren real, die Widersprüche auch, aber man lernte - von Angesicht zu Angesicht – solche Situationen zu meistern, den inneren Schweinehund zu überwinden, den tollen Typen an der Bar trotz des Risikos der Abfuhr anzusprechen, den nervigen Typen abzuwimmeln, oder zu nichts führende Gespräche gekonnt zu beenden.Trotzdem ergaben sich auch aus diesen Begegnungen oft langdauernde, interessante Bekannt- oder Freundschaften über alle Vorlieben und Zugehörigkeiten hinweg. Das aufkommende Internet erweiterte die Möglichkeiten erheblich und veränderte die Art und Weise der Begegnung. Viel früher und viel einfacher gewährt es schon den Jüngsten Einblicke, die Andere für Jugendliche ungeeignet halten. Ist von hier der Schritt zu den blauen Seiten oder den sozialen Netzwerken gemacht, erschließt sich eine unglaubliche Vielfalt an Kontakten – auch wenn die meisten Kontakte auch weiterhin mit den Freunden und Bekannten im direkten sozialen Umfeld gemacht werden.

Die Begegnung auf den blauen Szeneseiten steht eindeutig unter dem Diktat des Sex. Selbst wenn es einmal nicht im Vordergrund steht, so ist der Anfangskontakt immer einer, wo sich beide Seiten zumindest „sympathisch“ finden. Und das beginnt mit dem Profilbild. Und es ist viel einfacher, ein Profil anzuklicken und ggf. mit einer Fußtapse zu versehen, als jemanden in der Bar oder auf der Party direkt anzusprechen. Im Zeichen der Sexualökonomie wird das Abchecken der Vorlieben durch die Angaben im Profil deutlich erleichtert. So wird die Spreu vom Weizen getrennt, die Tapse optimiert verwendet. Vor der Begegnung steht dann oft noch ein Prozess des Abklärens, ob sich der Zeitaufwand überhaupt lohnt. Die Angaben des Profils werden spätestens mit den bekannten Fragen „Worauf stehst du …“ gegengecheckt, erweitert und … und wenn es zu nichts führt, wird der Chat einfach eingestellt. Da die Art der Kommunikation von Eigenheiten und Erfahrungen der jeweiligen Altersgruppe geprägt ist, erschwert dies die Begegnung zwischen Jüngeren und Älteren über die sexuelle Komponente hinaus. Während der ältere Schwule den „Chat“ eher als eine minderwertige Form der Kommunikation und als Einstieg in eine vollwertige Form, das direkte Gespräch auffasst, ist dies für den Jüngeren oft die eigentliche Form des „Gesprächs“. Für den Jüngeren, unerfahren in der Begegnung von Angesicht zu Angesicht, fällt es scheinbar schwerer, sich einem direkten Gespräch außerhalb des Anbandelns zu stellen, als dem Älteren, der dies noch aus anderen Szenezeiten gewohnt ist. Es ist halt schwieriger, das reale Treffen zu beenden als den Chat. Die Zeiten, wo sich im Schwulenzentrum, in den Gruppen oder in der tagtäglichen Disco unterschiedliche Charaktere, verschiedene Alter und unterschiedliche Lebensentwürfe bunt gemischt trafen, sind längst vorbei. Die Gruppe der Freunde ist nun oft homogen – selbst im äußeren Erscheinungsbild, in der Mode oder Geschmack. Es scheint, dass der schwule Clone (eine Figur der Szene der Siebziger) wiedergeboren wurde. Dabei wäre gerade heute die Begegnung zwischen „Jung“ und „Alt“ durchaus fruchtbar. Nicht nur, dass die Ansicht dessen, was nun alt ist, sich um ca. zehn ganze Jahre nach hinten verschoben hat (40 scheint auf den blauen Seiten ja die häufigste Alterangabe zu sein, bis wo man Kontakte sucht). Es würde auch vielen jüngeren Schwulen vor allem die Erfahrung bringen, dass es inzwischen auch ein gutes schwules Leben nach 40 gibt ... das selbst mit 50 oder gar 60 noch Party angesagt sein kann, das Älterwerden tatsächlich viele Aufgeregtheiten und Emotionen abmildert und eben „erfahrener“ macht, dass die Dinge, die einem wichtig im Leben sind, sich ständig ändern.

5


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.