Kohlmaier an Schönborn

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Dr. Herbert Kohlmaier

Wien, 10. Juli 2011

Lieber und sehr geehrter Herr Erzbischof, wenn Sie der Aufruf der Pfarrerinitiative mit Zorn und Trauer erfüllt hat, bewirkt Ihre darauf veröffentlichte Rüge bei mir und vielen anderen Katholiken die selben Empfindungen. Ist doch das, was Sie nun beanstanden, Folge einer Entwicklung, die Sie ebenso wie alle Bischöfe zu verantworten haben. Es ist Pflicht und Schuldigkeit der Oberhirten, dafür vorzusorgen, dass die Christen in ihren Diözesen bestmögliche Seelsorge erfahren und jedenfalls Eucharistie feiern können. Der drückend gewordene Mangel an dafür geeigneten Personen ist durch das Zurückweisen oder Entfernen kostbarer Berufungen verursacht, was der Tübinger Pastoraltheologe Ottmar Fuchs „strukturelle Todsünde“ nennt. Sie wird durch das sture und ängstliche Beharren auf längst überholten Zulassungsregeln für geistliche Berufe begangen – vor allem durch den Ausschluss von Familienvätern und Frauen. Wollten Sie und Ihre Amtsbrüder Ihre Aufgabe und Pflicht ernst nehmen, müssten Sie alle Kraft dafür einsetzen, dass diese auch theologisch untragbare Fessel der Kirche abgeworfen wird. Sie haben mir selbst einmal gesagt – und ich begehe wohl keine Indiskretion, wenn ich es in diesem offenen Brief erwähne – Sie hätten nichts gegen verheiratete Priester (die Sie ja als Angehörige der Unierten auch in Ihrer Diözese einsetzen). Warum tun Sie dann nichts, außer jene zu rügen, die sehr wohl etwas unternehmen wollen? Aber dann kommt immer diese fadenscheinige Ausrede auf die „Weltkirche“. Paulus vergleicht unsere Gemeinschaft des Glaubens mit einem Leib, in dem die einzelnen Teile ihre besondere und unersetzliche Aufgabe für das Ganze haben. Auch die Kirche Österreichs ist in diesem Sinn Teil der Weltkirche und nicht nur Außenstelle einer vatikanischen Religionsbürokratie. Das Bewusstsein dafür scheint durch eine der Vergötzung nahe kommende Verherrlichung bedingungslosen Gehorsams verloren gegangen zu sein. Ja, Ordnung muss auch in der Kirche herrschen und Gehorsam ist eine Tugend. In erster Linie der gegenüber Gott und Jesus. Anordnungen von Menschen müssen aber begründet und sinnvoll sein. Sie müssen auf einer Legitimation beruhen, die vom Volk ausgeht – in diesem Fall von jenem Gottes. Widersprechen sie dem sorgfältig geprüften Gewissen, ist Widerstand nicht nur berechtigt, sonder sogar sittliche Pflicht. Auch die katholische Ethik anerkennt die Epikie als Tugend. Sie berufen sich, sehr geehrter Herr Erzbischof, darauf, dass auch Sie dem Papst Gehorsam versprochen haben. Dass Jesus das Schwören verworfen hat und dennoch den Amtsträgern ein Gehorsamsgelübde abverlangt wird, ist nur dadurch zu erklären, dass man selbständig denkende Menschen in kirchlichen Führungsfunktionen nicht will. Viele der jetzt amtierenden Bischöfe haben sich anscheinend dem ganz gebeugt.


Sie verlangen nun „klare Konsequenzen“ und Entscheidungen derer, die ihrem Gewissen folgend handeln und die Einheit gefährden würden. Doch diese Einheit gibt es längst nicht mehr, das kann Ihnen doch nicht entgangen sein! Sehr viele Katholiken und Katholikinnen, auch zahlreiche prominente Priester und Theologen, können und wollen jene Regeln nicht mehr akzeptieren, die mit einer wohlverstandenen Nachfolge Christi nicht in Einklang zu bringen sind. Mit Gehorsam allein kann Gemeinschaft nicht gebildet werden, weder in der Welt noch in der Kirche! Es ist ungeheuerlich, der Pfarrerinitiative zu unterstellen, „den Weg nicht mehr in der römisch-katholischen Kirche gehen zu wollen“. Alle, die als Geistliche und Laien auf Reformen drängen, lassen sich nicht aus ihrer Gemeinschaft der Gläubigen drängen. Das Verdammen und Hinausweisen anstelle der gemeinsamen Auseinandersetzung mit dem, was uns der Glaube gebietet, hat in der Kirchengeschichte genug Unheil angerichtet. Jene Einigkeit, zu der uns Jesus eindringlich mahnt, kann nicht kommandiert, sondern muss in gegenseitiger Achtung errungen werden. Als getaufter Christ und als getaufte Christin mit gleichem Rang vor Gott muss man einem Bischof, der seine hohe und eigenverantwortlich auszuübende Aufgabe ernst nehmen wollte, heute zurufen, ja ihn beschwören: Achten und beachten Sie das Bemühen der Pfarrerinitiative, denn es entspringt der Liebe zur Kirche! Es wird von qualifizierten und geachteten Seelsorgern unternommen, nicht von irgend welchen Ausreißern. Folgen wir dem Evangelium, wird Jesus alle Bischöfe am Ende der Tage fragen, ob sie alles getan haben, damit die Seinen auch mit jener geistigen Nahrung versorgt wurden, derer sie bedurften. Dann, und nur dann, wird er sagen können: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid! (Dass er den im Himmel meinte, aber nicht den so genannten heiligen in Rom, bedarf leider heute besonderer Betonung.) Verzeihen Sie mir meine offenen Worte. Aber auch zu Solchem hat uns der Herr verpflichtet. Ihr ergebener Herbert Kohlmaier


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