Bayerischer Monatsspiegel #150

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TÜRKEI & EUROPA der Seefläche des angrenzenden Mittelmeeres wären griechisches Hoheitsgebiet, heute sind es 19,7%. Izmir wäre nur durch Griechenland zugänglich. Im Luftraum gibt es einen ähnlichen Disput. Griechenland hat 10 Meilen nationalen Luftraum, die Türkei nur 6 Meilen. Resultat: Es gab 120 Luftzwischenfälle 1996. Griechenland bestand auf Regelung aller Militärsflüge durch Athen.

Die Türkei und die PKK Zweites Beispiel: 1998 gab es erheblichen Terrorismus durch die KLA-Terroristen. Es war dringend nötig, mit KLA zu sprechen. Die Türkei hat diese Gespräche blockiert wegen der Rück­ wirkung auf die Lage der PKK. Es ist hier nicht der Anlass, auf die PKK im Detail einzugehen, wohl aber erforderlich, ein Hinweis auf Missverständnisse und Verletzungen. Ausgangspunkt ist auch hier der Vertrag von Lausanne von 1923. Nur drei Bei­spiele: Armenier, orthodoxe Griechen und Juden wurden übernommen in das karmalistische Verständnis von einem türkischen Staat als Bewohner von einem türkischen Volk. In Wirklichkeit gibt es 10 bis 12 Millionen Kurden, also Personen anderen ethnischen Ursprungs, die eine andere Sprache haben, einen anderen kulturellen Hintergrund wie auch in Syrien, Irak und Iran. Seit Mitte der 80iger Jahre gibt es einen von beiden Seiten mit Härte geführten bewaffneten Konflikt, der immer wieder auch Vorstöße der Türkei in den Irak, zeitweise bis zu 1/3 der türkischen Armee. Insgesamt gab es in dieser Zeit deutlich mehr als 30.000 Tote, mehr als 400.000 Zwangsaussiedlungen, 3.000 Dörfer wurden entleert oder zerstört im Südosten der Türkei. Psychologisch fühlt sich die Türkei von Verbündeten und Freunden im Stich gelassen und sieht oftmals ein Handeln zugunsten der PKK oder einer Diskrepanz zwischen der Klärung der PKK als terroristische Vereinigung und den praktischen Vorgehen dagegen. Auch Deutschland handelte

widersprüchlich: Die PKK wird seit 1993 als kriminelle Ver­ einigung geführt, aber ein ernsthaftes Vorgehen gegen die PKK wurde von Deutschland nicht parktiziert. Völlig unverständlich für die Türkei war das Verhalten von Deutschland 1998 als Öcalan in italienischen Gewahrsam in Rom war und Deutschland keine Auslieferung verlangte, obwohl Öcalan mit internationalem Haftbefehl wegen dem Verdachtes der Morde an Menschen angeordnet zu haben, gesucht wurde. Auch im Bündnis fand die Türkei Widersprüchlichkeit. Die Türkei suchte Unterstützung für die Aufnahme des Kampfes gegen den Terrorismus im Sommer 1991 und 1999, aber es gab keine Unterstützung der Türkei im Kampf gegen die PKK. Das Ergebnis wurde am deutlichsten im Jahre 2003 sichtbar, als die Türkei der UN die Nutzung der Türkei gegen Nord-Irak verweigerte. Seitdem gibt es anhaltende Spannungen, auch weil die Türkei mit zunehmender Sorge sieht, wie aus einem autonomen kurdischen Norden der Irak zu ent­ stehen beginnt. Angesichts der Folgen für die Türkei ist das nicht hinnehmbar. Dennoch: Die Türkei bleibt für die NATO wie für die EU ein in sicherheitspolitischen Fragen wirklich unverzichtbarer Partner. Die Türkei ist die Schlüsselrolle der Sicher­ heits­politik der näheren Zukunft und einer erweiterten NATO. Sie ist geografisch gleichzeitig Sperrriegel und Brücke zu der Zone, durch die 65% der Gas- und Öllieferungen für Europa fliessen, nicht mehr die UDSSR.

Die NATO-Schlüsselfrage ist nicht mehr so sehr die Lösung der Israel und PalestinaQuerelen, sondern die Frage, wie man Syrien aus iranischer Umklammerung lösen kann und wie man den weiteren Aufstieg des Iran zur dominanten, vielleicht nuklear bewaffneten Macht am Persischen Golf verhindern kann. Gelänge es, Syrien zu einem Kompromiss mit Israel zu bewegen, dann ist die Achse Iran-Syrien-Libanon-Hamas gebrochen und die Konfliktgefahr geringer. Die Türkei hat enge Beziehungen zu Israel, auch militä­ risch. Sie ist deshalb ein geeigneter Mittler. Die Türkei handelt aber auch aus eigenem strategischem Interesse. Sie will keinen nuklear bewaffneten Iran, da dies die Frage der Türkei nach Atomwaffen ebenso aufwerten könnte, wie Südafrika, Algerien oder Syrien. Eine Folge wäre eine nukleare Instabilität in der gefährlichsten Gegend der Welt. Gleichzeitig kann eine enge Kooperation mit Syrien bei der Verhinderung eines Staates „Kurdistan“ nützlich sein, wozu man auf Türkei-Seite natürlich auch die riesigen Stauseen im Südosten der Türkei nutzen kann. Die Türkei hat die Wasserversorgung großer Teile des Iraks und auch von Syrien unter Kontrolle. Das ist ein weiterer Grund, warum die Türkei einem Staat Kurdistan einfach nicht zu­ stimmen kann.

Die Türkei und Zentralasien General Klaus Naumann, ehemaliger Vorsitzender des NATO-Militärausschusses bei seinem Vortrag „Die Türkei, die NATO und Europa“. Er war der ranghöchste, deutsche Offizier nach dem 2. Weltkrieg. Zuvor Generalinspekteur der Bundeswehr. Seit 1958 im Dienst der Bundeswehr. Er sprach als erster ausländischer Gast vor der Nationalen Verteidigungsakademie in Israel. Heute als Berater für die Bundesregierung und die Vereinten Nationen tätig.

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Ähnlich gewichtig ist die türkische Rolle in der Sicherung des Zugangs zu Zentralasien und die Nutzung seiner Gas- und Ölvorräte. Zentralasien ist für die Türkei eine Frage von Energie­ sicherheit, Handelsinteressen und von Blutsverwandtschaft. Hier bleibt wichtig die Episode als Öczal 1991 den damaligen Bundesverteidigunsminister Stoltenberg besuchte. Es war nicht türkische Politik, aber ein interessantes Indiz, welche Rolle die Tür-

Bayerischer Monatsspiegel 2_2008


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